Diagnose EUntauglich - Von Patrick Freudiger 05.09.2010 21:11
Die EU hat in einer Blitzaktion zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Hilfspaket für marode Mitgliedstaaten in Höhe von unglaublichen 750 Milliarden Euro
geschnürt, nachdem ebendiese Mitgliedstaaten über Jahre ihre Bilanzen türkten. Das Volk schaut zu, und muss zahlen. Probleme werden mit Geld zugeschüttet anstatt gelöst. Es zeigen sich grundlegende Funktionsdefizite der EU. Das Geld ist real nicht da Die Defizite der EU sind systembedingt: Die EU kennt keine Gewaltenteilung und keine direkte Demokratie. Eine kritische europäische Öffentlichkeit existiert nicht. Magistraten regieren in Alleinregie und reissen immer mehr Kompetenzen an sich. Das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 des EU-Vertrags) ist faktisch eine Farce. Rund 85 % der Gesetze, welche z.B. heute für Deutschland gelten, haben ihren Ursprung direkt oder mittelbar in Brüssel. Die Notwendigkeit und Nützlichkeit dieser EU-Normen darf regelmässig in Frage gestellt werden: Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien untergraben die Vertragsfreiheit. Die neuen EU-Finanzmarktrichtlinien (MiFID) bevormunden die Anleger. Das Rettungspaket der EU für marode Mitglieder basiert zu einem guten Teil auf blossen Garantien. Das Geld, welches versprochen wird, ist real gar nicht da. Symptomatisch ist auch, wie die EU Auswüchse der Bürokratie zu bekämpfen gedenkt: Zur Bekämpfung der Bürokratie hat die EU - bingo - eine Arbeitsgruppe zum Abbau der Bürokratie gebildet. Bürokratie wird mit Bürokratie bekämpft. Vielleicht rächt es sich nun, dass es ein Europa der Menschen bis heute nicht gibt, höchstens ein Europa der Bürokraten. Schon bei der Präambel zeigt sich der elitäre Charakter der EU. Die ›Konsolidierte Fassung des Vertrages über die Europäische Union‹, das oberste Regelwerk der EU, beginnt mit: ›Seine Majestät der König der Belgier, Ihre Majestät die Königin von Dänemark, der Präsident der Bundesrepublik Deutschland, der Präsident der Griechischen Republik, Seine Majestät der König von Spanien, der Präsident der Französischen Republik, der Präsident Irlands, der Präsident der Italienischen Republik, Seine königliche Hoheit der Grossherzog von Luxemburg, Ihre Majestät die Königin der Niederlande, der Präsident der Portugiesischen Republik, Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs Grossbritannien und Nordirland‹. Ein Vertrag von Eliten für Eliten. Anders die Präambel der Schweizer Bundesverfassung: ›Im Namen Gottes, des Allmächtigen, das Schweizer Volk und die Kantone (...) geben sich folgende Verfassung‹. Die Schweizer Verfassung ist eben kein Regelwerk nur für Eliten. Auch das Volk nimmt über Initiativen und Referenden direkt und wirksam Einfluss aufs politische Geschehen. Geradezu eine Farce ist demgegenüber Art. 11 des EU-Vertrags: ›Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen‹. EU-Bürger haben bloss das Recht, die Kommission aufzufordern, neue Gesetze zu machen. Die Schweizer können dagegen ganz konkret eine Abänderung der Verfassung verlangen oder ein geplantes Gesetz bekämpfen. Stimmt die Mehrheit zu, gilt das Verdikt. Fehlentscheide vorprogrammiert Wo demokratische Kontrolle fehlt, wo eine Organisation zum inzestuösen Biotop von Bürokraten verkommt, da sind Fehlentscheide vorprogrammiert. Wer seine Existenz mit dem Aufbau eines vereinigten Europas und der Überwindung der Nationalstaaten sichert, wird diese Ideologie bis zum Schluss verteidigen. Die Vereinigung der Nationalstaaten zu einer starken politischen Union muss am Leben erhalten werden, ungeachtet aller realpolitischen Unzulänglichkeiten. Der deutsche Wirtschaftsphilosoph Wilhelm Röpke sprach bereits 1958 Klartext: »Mit wenigen rühmlichen Ausnahmen steht der Nutzen dieser internationalen Zentralisation in einem geradezu phantastischen Missverhältnis zu ihren Kosten, von ihrem eindeutigen Schaden nicht zu reden.« Mit dem Vertrag von Lissabon hat die EU-Zentrale ihre Kompetenzen nochmals erweitert: So wurde etwa das Einstimmigkeitsprinzip weiter zu Gunsten von Mehrheitsentscheiden abgebaut. Das schwächt die Position des Nationalstaates. Scheinbar will die EU den Nationalstaaten nun doch ein wenig entgegenkommen, indem sie diese vermehrt in den EU-Gesetzgebungsprozess einzubinden gedenkt. Grossspurig verkündet die EU auf ihrer Homepage www.europa.eu ›Nationale Parlamente werden zum ersten Mal als Teil der demokratischen Struktur der Europäischen Union anerkannt‹. Wie sieht denn nun diese vermehrte Einbindung aus? Den nationalen Parlamenten wird zukünftig das Recht zugestanden, sich zu äussern, ob ein Rechtsakt mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist (Art. 3 Protokoll 1 über die Rolle der nationalen Parlamente in der EU). Zu anderen Fragen werden die nationalen Parlamente nicht gehört. Erachtet ein Drittel der Nationalstaaten einen Gesetzesentwurf als mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht im Einklang stehend, muss der betreffende Entwurf überprüft werden. Eine weitergehende inhaltliche Überprüfung des Rechtsaktes findet nicht statt. Auf Ersuchen eines Drittels der Mitgliedsländer wird sich die europäische Superbürokratie in Zukunft also bemüssigen, ein Gesetz nochmals anzuschauen. In diesem Sinne gedenkt Europa, in Zukunft föderalistischer zu werden. Jeder Aktionär hat an einer GV mehr Einfluss als ein nationaler Parlamentarier auf die EU. Das Volk hat nichts zu sagen Die EU gibt sich eine Verfassung. Das Volk muss zuschauen - und zahlen. Die EU erweitert sich. Das Volk muss zuschauen - und zahlen. Die EU garantiert zusammen mit dem IWF Hilfsleistungen im Umfang von 750 Milliarden Euro für Staaten, welche in der Vergangenheit beim Bilanzieren geschummelt haben. Das Volk muss zuschauen - und zahlen. Warum wundert sich eigentlich noch jemand, dass sich die Begeisterung der Menschen für die EU in Grenzen hält? Für ein anderes Europa! Am 9. Mai jährte sich wieder einmal der ›Europatag‹ der EU. Dabei feierte die EU dieses Jahr besonders intensiv. Sich selbst, versteht sich. Vor 50 Jahren wurden die Römer Verträge abgeschlossen, ein wichtiger Etappenschritt zum Aufbau der EU. So feiern also die Berufseuropäer in den Amts- und Universitätsstuben von Helsinki über Warschau bis nach Madrid. Man könnte es auch als Ritual zur kollektiven Realitätsverdrängung bezeichnen. Denn was ist dieser europäische Traum heute? Ein Moloch, unter dessen schwerfälliger Bürokratie Freiheit und Selbstverantwortung langsam ersticken. Unfähig zur Demokratie. Unfähig dazu, dass sich die Menschen mit ihm identifizieren und die liebgewonnenen nationalstaatlichen Strukturen ablegen. Unfähig, der islamistischen Kampfansage an den westlichen Rechtsstaat auch nur annähernd etwas entgegenstellen zu können. Ja nicht einmal mehr selbst finanzieren kann er sich und sucht deshalb verzweifelt nach neuen Geldquellen (etwa in der Schweiz). Wir, die wir unsere Brötchen nicht einem vereinigten Europa zu verdanken haben, stossen demgegenüber auf ein anderes Europa an: auf ein Europa der Vaterländer und der Vielfalt, das seine abendländischen Werte selbstbewusst hochhält. Auf ein Europa mit Zukunft! Skandal-Staatsvertrag mit den USA Es war eines der traurigsten Kapitel helvetischer Politik, das am 17. Juni 2010 zu Ende ging. Der Nationalrat folgte dem Ständerat und stimmte dem Staatsvertrag mit der USA zu. Die Schweiz liefert nun Daten von rund 4.500 UBS-Kunden an die USA. Dabei wird rückwirkend neues Recht angewendet. Ein rechtsstaatlicher Skandal! Als würde morgen beschlossen, dass ab letztem Jahr das Halten von Offroadern ein Vergehen wäre und gegen die (damaligen) Fahrzeughalter nun Strafverfahren eröffnet würden. Jede Rechtssicherheit geht so verloren. Ebenso beschloss das Parlament, den Staatsvertrag nicht dem Referendum zu unterstellen. Das Volk muss also zuschauen, wie der Rechtsstaat ausgehebelt wird. Durch Bundesrat und Parlament. Durch jene Elite, deren Mitglieder regelmässig davor warnen, zuviel direkte Demokratie könne den Rechtsstaat gefährden. Nun wäre die direkte Demokratie die letzte Möglichkeit gewesen, um die behördliche Relativierung des Rechtsstaates bekämpfen zu können. Niemand hat sich in dieser Affäre mit Ruhm bekleckert. Weder die UBS, welche die ganze Affäre ins Rollen brachte, noch der Bundesrat, der die Brisanz der Attacke aus der USA nicht erkannte und dann den Knebelungsvertrag mit der USA abschloss; und schon gar nicht die Linke, die den Vertrag zwar ablehnte, aber nur deshalb, weil sie mit ihrer Forderung nach neuen Steuern nicht durchkam. In der Arena-Sendung vom 4. Juni warb FDP-Nationalrätin Doris Fiala für ein Ja zum Staatsvertrag und warf der Gegenseite vor, »stur auf dem Rechtsstaat zu beharren.« Wie bitte?! Stur auf dem Rechtsstaat zu beharren ist keine Engstirnigkeit, es ist eine staatsbürgerliche Pflicht. Ob gegenüber islamischen Extremisten oder amerikanischen Steuerbehörden: Die Schweiz setzt ihr Recht und setzt es durch. Die Kaskade aussenpolitischer helvetischer Bücklinge will nicht abreissen. Da war der Kniefall beim Bankgeheimnis und die Zusage, in Zukunft auch bei vermuteter Steuerhinterziehung Amts- und Rechtshilfe zu leisten. Da war der Kniefall in der Libyen-Affäre: Finanzminister Hans-Rudolf Merz und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey traten den Bussgang nach Tripolis an und entschuldigten sich bei Wüsten-Diktator Gaddafi. Nun folgt mit dem Staatsvertrag ein erneuter Kniefall: Für US-Steuerbehörden relativiert die Schweiz den Rechtsstaat. Die Tragik helvetischer Führungslosigkeit wird nur noch durch die Tatsache verdeckt, dass das Ausland derzeit noch grössere Probleme hat: Griechenland steht am Rande des Staatsbankrotts und reisst die Union und den Euro gleich mit in den Abgrund. Die USA ist mit unvorstellbaren 12,9 Billionen US-$ verschuldet. Gleichzeitig verpestet ein Öl-Leck nie gekannten Ausmasses den Golf von Mexiko. Welch eine Legitimation für unsere Bundesräte: Sich noch im Amt halten können, weil andere Schlagzeilen gerade für mehr Furore sorgen. Quelle: http://www.patrick-freudiger.ch/artikel.htm Patrick Freudiger ist Stadtrat in Langenthal
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