Mimosen mit dem Zweihänder - Von Claudio Zanetti 04.10.2010 22:12
Es genügt, dass Adolf Muschg in einer Fernsehsendung einen Hauch von nachvollziehbarem Volkszorn zu spüren bekommt, und schon wird behauptet,
in der Schweiz herrsche eine intellektuellenfeindliche Stimmung. Ja, von einem eigentlichen Intellektuellen-Bashing, also von einem Eindreschen auf diese offenbar geschützte Spezies wird geredet und geschrieben. Mit dem Selbstvertrauen unserer Intelligentia scheint es nicht weit her zu sein. Wobei manch einer glaubt, alleine schon der Umstand, dass er kritisiert wird, mache ihn zum Intellektuellen. Wer wie Adolf Muschg mit dem Zweihänder austeilt, seinen Kritikern ständig faschistisches Gedankengut unterstellt, die Neutralität, an der die Schweizer hängen, als «unanständigen Furz» charakterisiert und beim Anblick Geranien geschmückter Häuser zuerst an Auschwitz denkt, muss auch einstecken können. Intellekt sollte aus härterem Stoff beschaffen sein - müsste man meinen. Einem Niklaus Meienberg wäre es jedenfalls nicht im Traum eingefallen, in den Medien darüber zu jammern, dass er angefeindet wird. Ihm war klar, dass derjenige, der mit harten Bandagen kämpft - wie er selbst - entsprechend bekämpft wird. Es herrschte damals auch noch nicht die Unsitte, dass sich Bundesräte und eben Intellektuelle in die politische Arena begeben, dabei aber für sich in Anspruch nehmen, ex cathedra dozieren zu können. Adolf Muschg wurde nach heftigen Attacken gegen Christoph Blocher von diesem wiederholt zu einer öffentlichen Debatte eingeladen. Der Bannerträger der beleidigten Intellektuellen war sich dafür stets zu gut. Dass er nun dermassen jammert, ist peinlich und soll sich wohl positiv auf den Verkauf seines neusten Buches auswirken. Ich werde es nicht kaufen - auch wenn ich mich damit dem Vorwurf, ein Intellektuellen-Basher zu sein, aussetze. Erstmals aufgetaucht ist der Begriff «Intellektueller» im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre in den 1890er Jahren in Frankreich. Man bezeichnete damit - durchaus in abschätziger Absicht - eine Gruppe prominenter Leute (darunter Émile Zola), die den jüdischen Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus gegen den fälschlicherweise erhobenen Vorwurf des Landesverrats verteidigten. Heute versteht man darunter im allgemeinen eine Person, die meist aufgrund ihrer Ausbildung und Tätigkeit wissenschaftlich oder künstlerisch gebildet ist. Die Internet-Enzyklopädie «Wikipedia» stellt klar, dass der Begriff von der «soziologischen Kategorie der Intelligenz» zu unterscheiden sei. Ein Intellektueller braucht also keineswegs auch intelligent zu sein. Da werden einige aufatmen. Genau wie es hierzulande genügt, im Fernsehen das Wetter anzukündigen, um «Promi» zu sein, reicht es, um als Intellektueller gefeiert zu werden, vollkommen, wenn man links ist und sich als «offen» bezeichnet - also für den EU-Beitritt ist. Nach der intellektuellen Redlichkeit einer Argumentation wird nicht gefragt. Und nie muss jemand den Beweis für die Richtigkeit seiner Thesen antreten. Mit ungewöhnlich erfrischender Klarheit bestätigte kürzlich Literaturwissenschaftler Peter von Matt, dass Intellektuelle zu Wehleidigkeit neigen. Das ist so richtig wie bekannt. Das Klima ist keineswegs rauh oder intellektuellenfeindlich geworden, wohl aber sehen viele Vertreter der Intelligentia den EU-Beitritt in weite Ferne rücken. Sie greifen darum schon einmal zum verbalen Zweihänder und bezeichnen jene als «Dorftrottel», die ihre weltarchitektonischen Entwürfe ablehnen. Merke: Fürs Einstecken und Austeilen gelten bei Intellektuellen andere Regeln! Ist man intellektuellenfeindlich, bloss weil man die ständigen Angriffe von Nestbeschmutzern wie Adolf Muschg auf die Schweiz nicht goutiert? Ist man eine Kulturbanause, wenn man Thomas Hirschhorns Fäkal-Inszenierungen oder Adrian Marthalers Unterhosentheater für nicht subventionswürdig hält? Muss man sich schämen, wenn man die Verlautbarungen des «Club Helvétique», eines Intellektuellenklüngels um Georg Kreis, Roger de Weck und Kurt Imhof, als etatistisch und demokratiefeindlich ablehnt? Wenn ja, tant pis! Wer Argumente hat, braucht das freie Wort nicht zu fürchten Meinungsäusserungsfreiheit ist der Dorn in der Seite der Mächtigen. Darum ist sie so wichtig, ja unverzichtbarer Bestandteil jeder freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Wo Meinungsäusserungsfreiheit herrscht, müssen die Regierenden ihre Entscheide begründen. Wo sie fehlt, macht sich Einfalt breit. Für den Mächtigen ist das Recht des kleinen Mannes, jederzeit ohne Furcht vor staatlicher Repression frei seine Meinung äussern zu dürfen, natürlich lästig. Das war schon immer so. Päpste setzten unliebsame Schriften auf den Index und schickten brillante Denker wie Giordano Bruno auf den Scheiterhaufen. Auch den französischen Königen fehlten die Argumente für die unterschiedliche rechtliche Behandlung der verschiedenen Stände. Man behalf sich mit Zensur und brutaler Verfolgung der Kritiker. In der Sowjetunion sorgte der berüchtigte Paragraph 58 («konterrevolutionäre Tätigkeiten» und «antisowjetische Agitation») für Disziplin. Und falls ein Proletarier an der «Diktatur des Proletariats» Kritik übte, warteten Gulag oder Lubjanka auf ihn. Und auch bei der Gestapo scherte man sich nicht um die Meinungsfreiheit, als die Mitglieder der «Weissen Rose» Flugblätter gegen das Nazi-Regime verteilten. Für sie stand das Fallbeil parat. Eher neu ist, dass Journalisten die Meinungsäusserungsfreiheit infrage stellen, wie dies im Tages-Anzeiger vom 13. September mit Bezug auf die Islamdebatte geschehen ist. Die dort geforderte Stärkung der Religionsfreiheit läuft zwangsläufig auf eine Zensur hinaus. Doch die Religionsfreiheit schützt nicht Religionen. Sie schützt das Recht jedes Individuums, in religiösen Fragen ohne Furcht vor staatlicher Einflussnahme eine Meinung zu haben, und die eigene Religiosität nach Belieben zu praktizieren. Auch Atheisten, Agnostiker und Religionsgegner können sich auf sie berufen. Sie ist eine Ergänzung, ja sogar Bekräftigung, der Meinungsäusserungsfreiheit und nicht deren Gegenpol. Zensur - und sei sie noch so gut gemeint - lässt sich mit ihr jedenfalls nicht rechtfertigen. Vor der Einführung der Antirassismus-Strafnorm wurde dem Schweizervolk versichert, die Meinungsäusserungsfreiheit bleibe gewahrt. Nur «ganz schlimme Vergehen» wie die «systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion» würden bestraft. Und der «Stammtisch» gelte nicht als «öffentlich». Das Bundesgericht strafte diese Beteuerungen Lügen. Wer soll die Grenzen ziehen? Wo sollen diese liegen? Und wer kontrolliert die Kontrolleure? Der Tages-Anzeiger oder Georg Kreis? Wie leicht ist es in der Theorie, Rosa Luxemburg zu zitieren, die die «Freiheit der Andersdenkenden» einforderte? Wie rasch ist der Voltaire zugeschriebene Ausspruch wiederholt «Ich lehne Ihre Meinung ab, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.»? Die Praxis sieht anders aus: Hiess es zur Zeit des Kalten Krieges noch: «Lieber rot als tot», genügen mittlerweile ein paar beleidigte Muslime, um unsere Intellektuellen kapitulieren zu lassen. An der Universität Yale erschien kürzlich ein wissenschaftliches Werk über den Karikaturenstreit. Aus falscher Rücksicht wurde auf den Abdruck der inkriminierten Karikaturen verzichtet. Die Leute hätten sonst realisieren können, aus welch nichtigem Anlass fanatische Muslime zu Mördern und Brandschatzern werden. Unweit vom Ground Zero soll ein muslimisches Gebetszentrum errichtet werden. Das ist zwar legal, aber für viele Amerikaner eine Provokation. Und da gibt es eine evangelikale Splittergruppe, die am Jahrestag von «9/11» Koranausgaben verbrennen wollte. Das ist zwar verwerflich, aber nicht weniger eine Provokation und genau so legal wie der Bau der Moschee. Gleichwohl wird in Intellektuellenkreisen mit zweierlei Ellen gemessen. Wer Toleranz einfordert und aus diesem Grund den Moscheebau begrüsst, die Koranverbrennung hingegen verurteilt, ergreift Partei. Das ist zwar legitim, doch ist das Argument der Toleranz vollkommen verfehlt. Denn der politische Islam - und nur um diesen geht es - ist der Inbegriff der Intoleranz. Unsere Toleranz interpretiert er zu Recht als Schwäche. Wer in Freiheit leben will, hat sich dafür weder zu schämen noch zu entschuldigen. Im Gegenteil, er muss dafür kämpfen und sich gegen jede Bedrohung zur Wehr setzen. Benjamin Franklin wusste: «Diejenigen, die für ein bisschen vorübergehende Sicherheit grundlegende Freiheiten aufgeben würden, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.» («Those who would give up essential Liberty to purchase a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety»). Dem ist nichts hinzuzufügen. 1 Erschienen in der Berner Zeitung vom 18. September 2010 und Bloged in Politische Korrektheit / Meinungsäusserungsfreiheit von Claudio Zanetti 2 Erschienen im Tages-Anzeiger vom 18. September 2010 Bloged in Politische Korrektheit / Meinungsäusserungsfreiheit von Claudio Zanetti
|