Europa - Standortbestimmung 2005 - von Patrick Freudiger, Stadtrat, Langenthal 09.07.2005 12:30
"Europa zu zentralisieren und es zu einem Block zu verschmelzen, wäre nichts anderes als ein Verrat an Europa und am europäischen Erbe - ein Verrat, der dadurch nur noch verschlimmert würde, dass er im Namen Europas ausgeführt wird." (Wilhelm Röpke, deutscher Philosoph, 1899-1966). Die Schweiz ist dem Schengener-Abkommen beigetreten: Das war - jedenfalls in der Schweiz - Balsam auf die Wunden der stark angeschlagenen Berufseuropäer in der Politik, den Medien, der Verwaltung und an den Universitäten. Nachdem Frankreich und Holland die EU-Verfassung bachab schickten, drohte der Nebel vom vereinigten Europa langsam der Realität zu weichen. Wie beruhigend war da die Annäherung der Schweiz an Europa mit dem Schengen-Beitritt, so dass die angesprochenen Berufseuropäer wieder ruhig ins Denk-Koma zurückfallen und weiter von ihrem Europa träumen können.
Doch während wir uns fleissig bei der EU anbiedern und im September mit der Personenfreizügigkeit wohl weiter anbiedern werden, beginnt diese langsam aber sicher zu bröckeln. Die EU-Verfassung droht zum Fiasko und zur grössten Niederlage der EU in ihrer Geschichte zu werden. Frankreich und Holland haben das ihre bereits dazu beigetragen. Dänemark und Polen könnten folgen und in Grossbritannien stimmt man erst gar nicht mehr ab. In Italien denkt man laut über die Wiedereinführung der Lira nach. Tschechiens Präsident Vaclav Klaus geisselt regelmässig den Mangel an Demokratie in der EU. Gewiss haben gerade in Frankreich und Holland auch innenpolitische Gründe bei der Ablehnung der EU-Verfassung mitgespielt. Die latente EU-Skepsis geht jedoch tiefer: Der Geist der Europäischen Integration geht massgeblich auf den Franzosen Jean Monnet zurück. Dieser hat sich die Überwindung der Nationalstaaten zum Lebenszweck gemacht. Da er aber um die phänomenale innenpolitische Integrationskraft des Nationalbewusstseins wusste, musste eine Europäisierung schrittweise, am Bewusstsein der Öffentlichkeit vorbei, mit allerhand Paragraphen und Richtlinien geschehen. Fatalismus war das Stichwort, mit Herzblut würde kein Bürger für die europäische Sache kämpfen. Europa sollte eine Domäne der Eliten sein. Geradezu penetrant muten deshalb die gelegentlich unternommenen hoffnungslosen Versuche der EU an, mit billigem Antiamerikanismus die Völker Europas zusammenzuschweissen. Die Folgen dieser Politik werden heute langsam sichtbar. Bei den Abstimmungen in Frankreich und Holland waren es nicht die Eliten, sondern einzig der Souverän, das Volk, das über Europa zu befinden hatte; und das Verdikt war deutlich: Es gibt keine europäische Identität. Auf dem Papier lässt sich eben noch keine Identität kreieren. Ein Wir-Gefühl ist vielmehr das Ergebnis eines nicht planbaren, geschichtlichen Prozesses. Die fehlende europäische Identität ist jedoch nicht ein Problem, sie ist vielmehr das Heilmittel, das die EU-Funktionäre in ihrem Internationalisierungswahn bremst. Denn wodurch hat sich Europa denn eigentlich zu einem Kontinent entwickelt, in dem die Bürger in Freiheit und Wohlstand leben dürfen? Es ist der Wettbewerb, die Konkurrenz verschiedener Ideen und Staatsformen. Es ist gerade die Vielfältigkeit, welche Europa ausmacht. Das Privateigentum als Grundvoraussetzung der liberalen Gesellschaft konnte sich nur deshalb entwickeln, weil die Fürsten, Aristokraten und Könige in Europa im ständigen Wettbewerb miteinander gestanden haben und so der Bevölkerung gewisse Rechte zugestehen mussten. Europa zu zentralisieren, heisst deshalb nichts anderes, als die europäische Idee selbst zu zerstören.
Neben der mangelnden europäischen Identität steht die EU heute zudem noch vor weiteren Problemen. Die steigende Abgabelast und Bevormundung der Bürger, etwa in der Verbraucherpolitik oder bezüglich Vertragsfreiheit, würgt zunehmend jegliche Leistungskraft und Selbstverantwortung ab. Aussenpolitisch ist die EU nach wie vor völlig handlungsunfähig. Im Balkankonflikt mussten die USA einspringen, nachdem die Versuche der EU, die Region zu stabilisieren, kläglich gescheitert waren. Im Irakkrieg war die EU unfähig, eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Der Visa-Skandal in Deutschland zeigt zudem die Schwächen eines Systems der kollektiven Sicherheit auf: Ein System ist immer nur so gut wie das schwächste Glied in ihm. In diesem Fall muss nun ganz Europa die Fahrlässigkeit der deutschen Behörden ausbaden. Noch gewichtiger sind die Herausforderungen der Osterweiterung: Nach der Vereinigungseuphorie erkennt man langsam deren effektive Folgen. Die Agrarsubventionen, bereits heute der grösste Ausgabenposten der EU, werden um ein Vielfaches ansteigen, da die neuen EU-Mitglieder vielfach noch über einen grossen Agrarsektor verfügen. Ein Türkeibeitritt schliesslich würde der EU definitiv das Genick brechen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Völker Europas langsam genug von einem europäischen Superstaat haben. Stattdessen sollte die EU wieder zu einer Freihandelszone werden, in der die nationalen Eigenheiten und Grenzen respektiert werden. Denn nur der Freihandel, und nicht die politische Integration, ist ein Garant für Frieden. Eine solche Rückbesinnung würde jedoch das Ende all der Illusionen von Überwindung des Nationalstaates bedeuten. Für EU-Kommissare, Beamte, Dozenten an Europainstituten oder andere Berufseuropäer, die ihr Geld mit einer "politischen" EU verdienen, würde dies gar das Ende ihrer Existenzgrundlage bedeuten. Die Berufseuropäer in Brüssel und anderswo werden also weiterhin einen europäischen Superstaat anstreben, bis zum Fiasko.
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