Libyen - Entfesselt

d.a. Die »Koalition der Willigen« fliegt bereits Angriffe auf Gaddafis Truppen entlang der libyschen Küste, so dass der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin

vor einem gross angelegten Krieg in Libyen warnt. »Genau wie wir es vorausgesagt haben, wird die NATO tiefer und tiefer in einen Krieg in Nordafrika gezogen«, sagte er am 25. März. Die USA und ihre engsten Verbündeten könnten neben dem Irak und Afghanistan in einen dritten Krieg geraten. Man erinnere sich: Beim Krieg gegen den Irak war es die Lüge der Massenvernichtungswaffen, die diesen legitimierten, bei Libyen ist es die laut Sarkozy »rein humanitäre Massnahme«, die zur Rechtfertigung des brutalen Überfalls auf das Land dient.  
 
Im nachfolgenden ein offenes Schreiben an Prof. Dr. Dieter Ruloff, Ordiniarius für internationale Beziehungen an der Universität Zürich

Sehr geehrter Herr Professor Ruloff,
ich hoffe, es erfüllt Sie nicht mit Genugtuung, dass der Brandherd in Gang geschossen ist: der Krieg ist da. Mit Libyen hat die USA als Bestandteil der »Koalition der Willigen« innerhalb von 10 Jahren das dritte muslimische Land mit Bomben und Regimewechselabsichten »beglückt«. Die Rüstungsindustrie dürfte angesichts der zerschossenen Panzer und Militärflugzeuge insgeheim wahre »Freudentänze aufführen, lebt diese Industrie doch von Zerstörung und Nachschub, auch wenn das Geschäft zwischendurch einmal durch einige in der Folge eh wieder aufgehobene Embargos getrübt ist. Gesetzt den Fall, das Debakel endet mit einer von der Handvoll »Sieger« installierten Marionettenregierung, so wird diese auch das rasch zu richten wissen. Ihr in der Ausgabe vom 18. 3. 11 erschienenes Interview in der Basler Zeitung hat mich recht erschüttert. Aus diesem Grund habe ich Sie in meinem auf  www.politonline.ch veröffentlichten Artikel Libyen - Sie haben es geschafft: sie bomben http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1703  ein wenig »verewigt«, allein schon deswegen, weil Ihnen in dem ganzen Gespräch die Worte Verhandlung und Frieden nicht ein einziges Mal über die Lippen kamen.
  
Was nun die ob ihres Abseitsstehens gescholtenen Deutschen betrifft, so erlaube ich mir, hier einzuwerfen, dass diese, auch 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer ohne Friedensvertrag und bei sich bietender Gelegenheit nur allzu gerne als »Nazideutschland« gebrandmarkt, in meinen Augen völlig zu Recht nicht in das Kampfgeschehen eintreten. Es sind der Infernos bereits genug. Oder brauchen wir weitere Brandherde, nur weil es um nichts anderes als um dem Westen nicht gehörende Ressourcen geht resp. um die Neuzeichnung der Landkarte Afrikas, wie das Prof. Michel Chossudovsky und auch F. William Engdahl hervorragend dargelegt haben? 1 Es war mir nicht möglich, festzustellen, dass die Tagespresse auf diese eigentlichen Beweggründe auch nur ein einziges Mal eingegangen wäre. Von daher gesehen ist es nicht erstaunlich, dass die Bevölkerung auch im Falle Gaddafis im Schnitt keine Chance hat, sich ein wahres Bild zu machen. Man mache nur einmal den Versuch, diverse Bürger zum 11. 9. zu befragen. Das Resultat ist erschreckend….    
                                                                                                   
Im Kern geht es, wie es heisst, allein um die Aufrechterhaltung der Flugverbotszone. Die Zusatzmassnahmen sind eher ungenau spezifiziert, so dass sie aus meiner Sicht nicht nur die UNO diskreditieren, sondern darüber hinaus, was ich als absolut perfide betrachte, die Möglichkeit bieten, diese willentlich zu erweitern, wovon bereits massiv Gebrauch gemacht wird. Die sich im Lufteinsatz über Libyen befindlichen, von Werner Pirker überaus treffend als »High-Tech-Hunnen« charakterisierten Angreifer richten ihre Zerstörungswut nun gezielt auf die Infrastruktur des Landes, wozu sie kein Mandat haben. Die Zerstörung der Infrastruktur stellt in meinen Augen das Infamste dar, was der Bevölkerung eines Landes angetan werden kann. Bekannt ist, dass Gaddafi ein überaus vielversprechendes Wasserprojekt in die Wege geleitet hat. Man kann nur beten, dass die dafür vorgesehenen Anlagen nicht ebenfalls einer gezielten Zerstörung anheimfallen. Inzwischen  wurde auch der Hafen von Tripolis heimgesucht, womit - in Pirkers Worten -  »das vom UN-Sicherheitsrat ausgestellte Mandat eine exzessive Ausweitung erfährt. Zulässig wären allein militärische Maßnahmen, die dem Schutz von Zivilisten dienten. Aber wie es humanitäre Lufteinsätze nun einmal so an sich haben, werden zum Schutz von Zivilisten zumeist Zivilisten massakriert. Die Ausschaltung der libyschen Luftwaffe, der Einsätze gegen das eigene Volk unterstellt worden waren, wurde als Einsatzziel genannt. Damit waren dem Bombenterror der Westalliierten keine Grenzen mehr gesetzt. Daß diese den Krieg nach ihren eigen Maßgaben führen würden, hätte schon bei der Ausstellung der Kriegsermächtigung klar sein müssen. Folgerichtig sieht sich die Aggression seitens der internationalen Gemeinschaft keinerlei Beschränkung ausgesetzt. Eine von Libyen beantragte Dinglichkeitssitzung wurde vom UN-Sicherheitsrat abgelehnt. Libyens rechtmäßiger Regierung wird gegen jedes internationale Recht die Legitimität abgesprochen.« 2  
 
Betrachtet man im übrigen das Flugverbot für Libyen nüchtern, so ist der Angegriffene praktisch gezwungen, seine gesamte Luftflotte am Boden zu belassen, während die westliche Wertegemeinschaft in ihrer Übermacht haltlos auf den Gegner einschlagen kann. Und in Brüssel haben sich die 27 EU-Mitgliedstaaten - selbstredend, ohne ihre Bevölkerung zu konsultieren, wie das in der westlichen Demokratie so üblich ist - auf weitere antilibysche Sanktionen geeinigt - diesmal gegen die staatliche Ölfirma NOC, denn alles, was an Ressourcen staatlich ist, erregt das westliche  Missfallen. Somit dürfen auch Sie sich schon dafür rüsten, dass Ihre Steuern - diese werden ja in der Regel von hehren Worten begleitet auf den Geberkonferenzen eingesammelt, um alles, was willentlich zerstört wurde, wieder aufzubauen - anteilmässig dazu dienen werden, nach getaner Arbeit Libyen wieder funktionstüchtig zu machen. Diese, von mir als Raubzug auf meine Steuern bezeichnete, sich immer wieder in gleicher Form wiederholende erzwungene Beteiligung an der Bereitstellung finanzieller Mittel, betrachte ich persönlich als Missbrauch meiner Arbeitskraft. Hinzu kommt, dass diese Gelder nicht wirklich vorhanden sind, denn in Tat und Wahrheit brauchen wir jeden Cent, um die Staatsverschuldungen abzubauen, auch die horrend hohe der Schweiz. Nun gehen die auf Konten ausserhalb Libyens lagernden Summen in die Milliarden. Dennoch werden Sie nicht vernehmen, dass diese für den Wiederaufbau eingesetzt werden. Nein, dafür sind wir zuständig, der, möchte ich sagen, geschundene Steuerzahler der Internationalen Gemeinschaft, der zusehen muss, wie Länder je nach Interessenslage in die Steinzeit zurückbombt werden, nur um sich anschliessend infolge der ihm auferlegten finanziellen Bürden noch höher zu verschulden.
  
Sensationell ist die Findigkeit, mit der der Öffentlichkeit Sand in die Augen gestreut wird. Die NATO hat jetzt mit der Durchsetzung des UNO-Waffenembargos gegen Libyen begonnen. Wie der kanadische Brigadegeneral Pierre St. Amand in Brüssel mitteilte, ist die Operation Unified Protector angelaufen. Warum nicht Unified Destroyers? Zum einen auf Grund der bedrohten Libyer, zum anderen auf Grund der ausgeplünderten US-Bürger, kostet der Militäreinsatz im Libyen doch alleine die USA zwischen 100 und 300 Millionen $ pro Woche und der abgestürzte F-15-Kampfjet schlägt mit 75 Millionen $ zu Buche. Der republikanische Kongressabgeordnete Roscoe Bartlett, Mitglied des Streitkräfteausschusses, erklärte: »Alle 6 Stunden geraten wir in unserem Verteidigungshaushalt mit einer weiteren Milliarde $ ins Defizit; alles Schulden, die unsere Kinder, Enkel und Urenkel zurückzahlen müssen.« Was nie mehr zu bewältigen sein wird. Man hätte eigentlich erwarten sollen, dass Bartlett bei seiner Darlegung die Forderung ausgesprochen hätte, diesen verhängnisvollen Gang der Dinge unmittelbar zu stoppen. Allein, dazu fehlt ihm womöglich der Mut, bedenkt man die nicht unerhebliche Anzahl der Kongressmitglieder, die ihr Vermögen in der Rüstungsindustrie investiert haben. Es ist, wie es ein Leser im Time Magazine einmal ganz trocken auf den Punkt gebracht hat: »The US can go on spending itself into oblivion.« Auf dem besten Wege dazu sind auch wir. Selbstverständlich zeichnet sich auch Ban Ki Moon durch die obengenannte Findigkeit aus, erklärte er bei seinem Besuch in Tunesien am 22. 3. doch wahrhaftig: »Die Militäroperation sei weder eine Einmischung in Libyens innere Angelegenheiten noch eine Besatzung. Es gehe nur darum, Zivilisten zu beschützen.«  
 
Kaum einer Erwähnung wert war die inzwischen ergangene Forderung des südafrikanischen Staatschefs Jacob Zuma, der am Abend des 21. März eine sofortige Einstellung der Angriffe verlangte, auch wenn seine Regierung im UN-Sicherheitsrat für die militärische Durchsetzung einer Flugverbotszone gestimmt hatte. Boliviens Präsident Evo Morales sprach sich für die Bildung einer Vermittlungskommission unter der Leitung von Ban Ki Moon, der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union aus, um eine friedliche Lösung in Libyen zu erreichen. »Die Grossmächte und der US-Imperialismus nutzen jedes Problem eines Landes aus, um sich dessen Bodenschätze und Erdöl zu bemächtigen«, kritisierte er.»Das ist kriminell, ein Überfall, eine Aggression. Es kann nicht sein, daß ein Friedensnobelpreisträger an der Spitze einer Verbrecherbande steht«, sagte Morales und forderte, Obama die ihm 2009 verliehene Auszeichnung wieder abzuerkennen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach sich bei einem Besuch in Saudi-Arabien für ein schnelles Ende der Angriffe auf Libyen aus. Es sei nicht die Aufgabe der NATO, »gewissen Kreisen« Zugang zu den Bodenschätzen Libyens zu verschaffen, so der Regierungschef. Eine von Libyen beantragte Dinglichkeitssitzung wurde vom UN-Sicherheitsrat jedoch abgelehnt.   
 
»Man strebe die Kontrolle über ganz Libyen an«, so Mahmud Jibril, der Gaddafi als wirtschaftsstrategischer Kopf diente, und sich inzwischen bereits als vorläufiger  Ministerpräsident bezeichnet; man werde das Land zusammenhalten, wobei starke Zweifel anzumelden sind, ob Jibril das Volk wirklich ins Boot holen wird. Für das westliche Kriegsbündnis ist Jibril anscheinend so wichtig, dass sich Sarkozy und US-Aussenministerin Hillary Clinton in Paris ausführlich mit ihm besprachen, bevor sie mit den Luftschlägen gegen Libyen begannen. Schon vor dem Aufstand soll Jibril in ein Projekt »Libyan Vision« involviert gewesen sein, heisst es bei der britischen BBC, angeblich mit dem Ziel, Libyen zu demokratisieren. Glaubt man der Selbstdarstellung der »Libyan Vision« im Internet, so handelt es sich um eine Firma, die auf Recherchen und Analysen basierende Beratungsdienste für den öffentlichen und Privatsektor anbietet und grösseren Geschäftserfolg verspricht. Die Firma gibt eine Adresse in Tripolis an und weist auf Niederlassungen in Bengasi und Misurata hin, den heutigen Zentren der Oppositionsbewegung. Also: Demokratie oder Geschäft?
 
Äusserst verdächtig ist in meinen Augen, dass Mahmud Jibril in der USA studiert hat und in Beschreibungen der US-Botschaft 2009 als »reformorientiert« und als »ernst zu nehmender Vermittler« beschrieben wurde, der »die US-Perspektive kapiert«. Jibril war für die Aussenbeziehungen des Übergangsrates zuständig und fungierte bislang wie ein Stichwortgeber für Angriffe der westlichen Kriegsallianz. 3 Jedenfalls sollte der Umstand, dass ausgerechnet Frankreich das spektakuläre Manöver treibt, nachdenklich stimmen. »Eine Regierung«, so Jürgen Elsässer, »die noch vor kurzer Zeit ganz Paris in den Ausnahmezustand versetzt hatte, um Monsieur Gaddafi zu empfangen und Garant der Macht des tunesischen Diktators Ben Ali war, hat in Sachen Menschenrechte ziemlich viel an Glaubwürdigkeit verloren.« Jedenfalls, denke ich, muss sich Gaddafi, soviel darf fast als sicher vorausgesetzt werden, in einer ganz bestimmten Sache seinen Gönnern von der Wertegemeinschaft oder auch etwaigen Weisungen des Council on Foreign Relations oder der Trilateralen Kommission widersetzt haben, sonst wäre dieser brutale Überfall wohl ausgeblieben. Noch ein Wort zu Gaddafis Auftritten, die die Presse mit Vorliebe als bizarr bezeichnet, was man ihr kaum verwehren kann. Dennoch: Wieso hält sich dieselbe Presse mit derartigen Ausdrücken jeweils schamhaft zurück, wenn es beispielsweise um die Ablichtung von Bundeskanzlerin Merkel geht? Gerade die oftmals mit strahlendem Gesicht zur Schau gestellten Begrüssungsumarmungen zwischen Merkel, Bush und Obama halte ich, um das Mindeste zu sagen, für weitaus bizarrer, denke ich an die Folteropfer von Falluja, Bagram, die von der USA in die Hände der gefürchteten ägyptischen Geheimpolizei zur Folter gelieferten Gefangenen oder an die Weiterführung des Gefängnisses in Guantánamo. Spätestens bei Fotos dieser Art dürfte ich nicht die einzige sein, der Anblicke dieser Art regelrecht zuwider sind.
 
Spät in der Nacht zum 25. 3. legte man auf dem EU-Gipfel in Brüssel folgende Erklärung vor: »Man sei über die UNO-Resolution zufriedenund stelle fest, dass die ergriffenen Massnahmen wesentlich dazu beigetragen hätten, das Leben von Zivilpersonen zu rettenWoher will man das wissen? Es wäre Gaddafi durchaus möglich gewesen, den Aufstand gegen ihn zurückzudrängen, hätten nicht zuvor die von Chossudovsky aufgezeichneten Hintergrundmachinationen resp. direkte Einmischungen 4 stattgefunden. Sarkozy überbot sich in meinen Augen geradezu: »Tausende seien vor der barbarischen Verrücktheit des Diktators gerettet worden. …. Man erlebe eine historische Stunde, einen Präzedenzfall für die Durchsetzung der Schutzverantwortung der UNO.«
 
Wer wollte sich hier nicht gnadenlos verdummt fühlen - um nicht auf den Ausdruck belogen zurückzugreifen.
 
Mit wenig freundlichen Grüssen
Doris Auerbach
 
 
1 http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1066  31.10.08 USA errichten AFRICOM, Pentagon plant Strategie für Rohstoffkriege - Von F. William Engdahl
http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1701 »Operation Libya« und der Kampf ums Erdöl
2 http://www.jungewelt.de/2011/03-23/056.php Räuberhaufen Kriegsverbrechen folgerichtig Von Werner Pirker
3http://www.jungewelt.de/2011/03-25/059.php  »US-Perspektive kapiert« Opposition in Bengasi stellt »Übergangsregierung« für Libyen vor. Erste Forderungen nach Bodentruppen werden laut - Von Karin Leukefeld
4 http://globalresearch.ca/PrintArticle.php?articleId=23548
http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=56  Zeit-Fragen Nr. 12 vom 22. 3. 2011    
Seit wann erlaubt die UNO-Charta den Amerikanern, ihren Staatsbankrott mit noch mehr Krieg zu lösen? Von Prof. Michel Chossudovsky
Siehe auch http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1062  31.10.08
GFP - Neue Kriege in Afrika
 
cc:
Redaktion Basler Zeitung
Hanny Haidvogl http://www.haidvogls-sperberauge.ch/
Peter Aebersold LeserbriefExpress
Willy Wahl http://seniora.org/index.php
www.politonline.ch  zur Veröffentlichung
u.a.