10 geostrategische Anmerkungen zur Besetzung Libyens - Von Lugi Ambrosi 20.11.2011 22:01
Mit der Hinrichtung Gaddafis und der Besetzung Libyens unter Zuhilfenahme der Marionettenregierung des Übergangsrats
endet
zunächst eine weitere imperialistische Operation der Hauptmächte des früheren
Kolonialismus. Das gesamte Bündnis der westlichen Sieger im Zweiten Weltkrieg (USA, GB, Frankreich)
findet sich wieder vereint, um sich die Ressourcen eines souveränen Staates
einzuverleiben. Dazu sind einige geopolitischen Anmerkungen angebracht, wobei
ich unter Geopolitik die Analyse der internationalen Kräfteverhältnisse
verstehe. Obwohl es frühere historische Ereignisse (vom Wiener Kongreß bis zur
Konferenz von Yalta) nahelegen sollten, geopolitischen Zusammenhängen besondere
Aufmerksamkeit zu widmen, werden sie in den Analysen noch nicht angemessen
berücksichtigt.
Erste Anmerkung: Die ›Rückeroberung‹ Libyens
bedeutet einen Sieg der Nato und des westlichen Imperialismus auf
internationaler Ebene. Sie bekräftigt deren politische und militärische Vormachtstellung
auf dem Planeten. Sie ist eine Warnung an alle souveränen Staaten, sich den
wirtschaftlichen und politischen Interessen der Länder der westlichen Allianz
nicht entgegenzustellen. Trotz ihrer Wirtschaftskrise verfügen diese über ein
militärisches Potential, das ihnen die Überlegenheit sichert. Iran, Venezuela, Bolivien
und vor allem die BRICS Staaten [steht für die Anfangsbuchstaben von Brasilien,
Rußland, Indien, China und Südafrika] sind gewarnt. Wir haben eine offen neokoloniale Operation der
alten Kolonialmächte erlebt. Wir können sie als einen ersten Sieg der Nato im
neuen Weltkrieg, dem Weltkrieg gegen die BRICS-Staaten - mit China an der
Spitze - ansehen. Der Präsident der USA Barack Obama hat erklärt, der Tod
Gaddafis bedeute, daß »wir jetzt in der ganzen Welt die Macht der amerikanischen Führung
sehen«. Dazu hat er
dieses Mal erreicht, daß zahlreiche europäische Staaten an dem Krieg
teilgenommen haben.
Zweite Anmerkung: Die BRICS Staaten und ihr
wachsender politischer (und wirtschaftlicher) Einfluß als Gegenpol zum
westlichen Imperium und der Nato haben einen spürbaren Rückschlag erlitten. Der
Großteil der Länder der Welt dürfte von diese Machtprobe, der Vernichtung eines
souveränen Staates, der Hinrichtung eines Staatsoberhauptes, der Zerstörung
seiner Infrastruktur und der Beschlagnahme seiner Rohstoffe als Ergebnis eines
acht Monate dauernden Krieges eingeschüchtert sein. Falls hinter der Entscheidung Rußlands
und Chinas nicht eine wohldurchdachte Strategie steckt, dürfte ihr Verzicht auf
ihr Veto in der UNO ein schwerer Fehler gewesen sein. Die USA setzt
ihrerseits seit Jahrzehnten bei Resolutionen zu einem Palästina-Staat ihr Veto
ein. Wir wollen nicht glauben, daß sich China allein mit den Erklärungen des
US-Vizepräsidenten über die Anerkennung der Souveränität Chinas über Taiwan und
Tibet zufriedenstellen ließ. Mit Sicherheit braucht China Zeit und vermeidet
Fallstricke, die zu einer offenen Konfrontation führen können. In Rußland hat
jetzt der Wahlkampf begonnen. Er dürfte zur Ablösung von Medwedew durch Putin
führen. Medwedew hatte sich stärker mit dem Westen eingelassen. Tatsache
bleibt, daß beide Mächte einen Rückschlag und spürbaren wirtschaftlichen
Schaden erlitten haben ]30.000 chinesische Arbeiter wurden aus Libyen
evakuiert, große Verträge Rußlands über militärische Lieferungen und die
Ausbeutung von Öl- und Erdgaslagerstätten wurden annuliert, usw].
Ebenso
schwer wiegt für die BRICS Staaten, daß Libyen unter die Kontrolle des westlichen
Imperialismus geraten ist, der die Kontrolle über Afrika und das Mittelmeer im
Auge hat. Die mögliche Verlagerung des Sitzes von Africom 1 [der Nato in Afrika] von Deutschland
nach Libyen, würde es ermöglichen, in Afrika mit all seinen Rohstoffen mit
größerer Wirksamkeit tätig zu werden.
Das Land grenzt an den Sudan an, der mit China zusammenarbeitet. Man rückt
näher an den Kongo und Angola. Dort finanzieren multinationale Konzerne
seit über einem Jahrzehnt Separatismus und schreckliche Kriege, mit dem
Ziel, diese Länder wieder voll in ihren Besitz zu nehmen. Afrika ist ein
Gebiet, wo alle BRICS Staaten, von Indien über Rußland bis Südafrika und
Brasilien, investieren. Zum Mittelmeer ist zu bemerken: Wenn es der westlichen
Allianz gelingt, in Syrien das zu wiederholen, was sie in Libyen erreicht hat
und die russische Flotte als letzten Störfaktor vertreiben kann, wird dieses
Meer vollständig unter ihrer Kontrolle sein. Wir leben im Westen, wo die
Propaganda für den Krieg erdrückend stark war. Der übrigen Welt hingegen konnte
nicht verborgen bleiben, daß dieser Krieg für die BRICS Staaten und alle
souveränen Staaten in der Welt einen Rückschlag bedeutet. Folglich haben China,
Indien, Rußland, die gesamte Afrikanische Union, große Teile der arabischen Liga
und Lateinamerika von Anfang an gegen die Intervention der Nato und das
Überschreitung der Grenzen der UN-Resolution Stellung bezogen. In dieser
Hinsicht dürfte die Nato trotz ihres militärischen Sieges in den Augen der Welt
politisch noch stärker isoliert sein.
Dritte Anmerkung: Beim Libyenkrieg kommt es zu
einer politischen Spaltung der EU. Der USA ist es gelungen, Europa politisch zu
spalten und Deutschland, das am Krieg nicht teilgenommen hat, zu isolieren. In
dieser Hinsicht hat sie zum ersten Mal erreicht, die Front der westlichen ›Sieger‹ im Zweiten Weltkrieg wieder herzustellen. Dies ist ein weiterer Erfolg der
USA in ihrem Kampf gegen die Europäische Union und den Euro. Wie stark die
Auswirkung dieser Spaltung und die Isolierung Deutschlands auf den Zusammenhalt
der EU sein wird, werden wir bald sehen. Das Konzept bei diesem Krieg scheint
so gewesen zu sein: Die USA forciert gemeinsam mit Quatar und mit Unterstützung
von Saudi-Arabien den Angriff auf Libyen. Anschließend überläßt sie den Krieg Frankreich.
Dem Land werden wichtige ökonomische Interessen zugebilligt. Diese hat
Frankreich mit britischen und amerikanischen Unternehmen zu teilen. Die USA
begnügt sich in wirtschaftlicher Hinsicht mit der Erneuerung der Ölkonzessionen
für Chevron und Exxon. Ihr Interesse ist mehr politischer Natur: Die
Vorherrschaft der USA in der Welt zu behaupten, eine Militärbasis für Africom
zu erhalten, Europa zu spalten. Deutschland (und auch Italien) bezahlen dafür,
daß sie mit Rußland direkt Verträge über Energielieferungen abgeschlossen
haben. Sie müssen nun zusehen, wie ihre eigenen Investitionen in Libyen
beschnitten werden.
Vierte Anmerkung: Italien erleidet durch den Krieg
erheblichen Schaden. Gemeinsam mit Rußland und China ist Italien das Land, das
durch diesen Krieg am meisten verliert. Das betrifft sein Ansehen in der Welt: Es
ist der Staat, der einen erst kürzlich abgeschlossenen Bündnisvertrag mit
Libyen bricht. Die ehemalige Kolonialmacht hatte vor kurzem als einzige
unter den früheren Kolonialmächten die
eigenen Verbrechen während der faschistischen Besetzung eingeräumt und geplant,
in bedeutenden Umfang wirtschaftliche Wiedergutmachung zu leisten (auch wenn
mit öffentlichen Geldern und mit Aufträgen an Unternehmen aus dem Umfeld
Berlusconis verbunden). Es wird Einbußen bei seinen Interessensphären und beim Handelsaustausch
hinnehmen müssen. Frankreich hat Italien bereits gewarnt: Ihr seid nicht mehr
der erste Wirtschaftspartner. Kaum war Gaddafi tot, da verkündigte der
französische Verteidigungsminister: »Frankreich ist der Hauptpartner für Libyen. Wir
haben uns nicht erst spät, halbherzig und unsicher engagiert [soll heißen: im
Gegensatz zu Italien]. Libyen muß wieder aufgerüstet werden und wir können das
gut.« Der Minister
ließ den Übergangsrat den gleichen Vertrag gegen Immigration unterschreiben,
den bereits Berlusconi zu seiner Zeit unterschreiben lassen hatte. Air
France wird die zerstörte libysche Luftflotte ersetzen. Total hat
bereits neue Förderverträge unterschrieben und der französische Unternehmensverband
eröffnet im Januar eigene Büros, um im Sektor Energie, Gesundheitswesen,
Sicherheit und bei den Investitionen in die Infrastruktur mitzuwirken.
Unterschrieben sind bereits Verträge für ein Kraftwerk in Sirte, das
Kommunikationsnetz (Alcatel und France Telecom), die Hochspannungsleitungen und
die
Ausbeutung der gewaltigen Trinkwasser-Lagerstätten 2. Areva verlangt das exklusive
Ausbeutungsrecht der Uranlagerstätten.
Die
russischen Aufträge für Waffenkäufe wurden bereits zugunsten der Franzosen
storniert. Die Vorzeigeunternehmen des italienischen Kapitalismus werden
zugunsten der französischen und der anglo-amerikanischen Firmen beschnitten.
Total, Chevron werden ENI verdrängen, die französische Rüstungsindustrie wird
Finmeccanica ersetzen, und bei Infrastrukturinvestitionen werden statt
Impregilo und Partner französische Unternehmen Zuge kommen. Es sollte beachtet
werden, daß gerade die großen italienischen Firmen betroffen sind, für die es
Interessenten gibt und die bereits unter dem Druck amerikanischer Multis [kürzliche
Herabstufung] und der EU stehen [sie sollen mit Zustimmung von Prodi und Draghi
gemeinsam mit den Goldreserven als Sicherheitspfand für die Eurobonds dienen].
Das erneuerte siegreiche atlantische Bündnis kann zum Sturz Berlusconis führen [inzwischen
eingetreten, Anmerk. politonline], oder:
besser formuliert, zum Ende des halbherzigen dritten Wegs Italiens, der darin
bestand, die Außenpolitik von ENI, Andreotti und Craxi weiterzuführen und zu
Rußland und den arabischen Ländern gleich gute Beziehungen zu unterhalten, zur
Marginalisierung Italiens und zur Isolierung Deutschlands. Damit verknüpft wäre
der Zerfall der EURO Zone.
Fünfte Anmerkung: Auch Europa übernimmt den
Kriegskeynesianismus. In diesem neuen Jahrtausend war der Krieg als Mittel zur
Ankurbelung der Wirtschaft bisher ein Vorrecht der USA. Der Krieg zur
Zerstörung des Iraks hat nicht nur der Rüstungsindustrie [die öffentliche Hand übernahm die
Kosten] und der Ölindustrie ([Förderkosten von 1 bis 4 $ pro Barrel)
Impulse gegeben, sondern auch den Unternehmen im Bausektor und den
Sicherheitsunternehmen. Die Devise heißt: Einen Konkurrenten oder Feind zerstören, um
wieder aufbauen (Keynes) zu können. Mit dem Libyenkrieg hat
auch Europa diese Strategie übernommen: Libyen mußte erleben, wie
seine Infrastruktur bei 20.000 Bombenangriffen zerstört wurde. Wie der
Irak wurde es hinsichtlich seiner Infrastruktur um 20 bis 30 Jahre
zurückgeworfen. Jetzt werden westliche Unternehmen mit den beschlagnahmten
staatlichen libyschen Geldern und Mitteln aus der Plünderung seiner Rohstoffe
den Wiederaufbau übernehmen. Falls Libyen vollständig befriedet wird (aber das
steht keinesfalls fest), können wir einen kleinen Aufschwung für die
französische und englische Wirtschaft erwarten. Aber ebenso wenig, wie die
Plünderung des Iraks 2008 die Wirtschaftskrise in der USA verhindert hat, ist
dies für den europäischen Kapitalismus zu erwarten, der an diesem Krieg teilgenommen
hat. Angesichts der 8 Monate dauernden ununterbrochenen Bombardierungen versteht
man endlich, warum sich die Nato-Staaten seit einem Jahrzehnt Hunderte von Jagdbombern
anschaffen: Sie hatten ein solches Kriegszenario gegen die Völker der Welt
bereits geplant: Bombardierungen von oben, wenig eigene Verluste, Geschäfte
beim Wiederaufbau, Einschüchterung der nicht-westlichen Bevölkerungen.
Die Bombardierung von Belgrad hat Schule gemacht.
Sechste Anmerkung: Die neuen Formen des Kriegs des
westlichen Imperiums. Der Architekt der amerikanischen Außenpolitik,
Vizepräsident Joe Biden, hat folgendes erklärt: »In diesem Fall hat Amerika 2
Milliarden Dollar ausgegeben und keinen einzigen Toten gehabt. Das ist die Meßlatte
dafür, wie in Zukunft im Unterschied zur Vergangenheit in der Welt vorgegangen
werden muß.« Kriege ja, aber
zu reduzierten Kosten für das Imperium. Wir sind in einer Zeit, in
der an der Spitze des Imperiums der Friedensnobelpreisträger Obama steht.
Er wurde mit der Losung ›Wir können
es anders machen‹ gewählt. Die
imperialistischen Kriege können deshalb nicht mehr mit den plumpen
ideologischen Rechtfertigungen eines Bushs vom ›Neuen amerikanischen Jahrhundert‹, einer ›göttlichen Mission‹ oder, noch simpler, vom ›Export der Demokratie‹ versehen werden. Diese waren von
rechten Intellektuellen ausgearbeitet worden. Anspruchsvollere Begründungen
sind gefordert; dafür haben sich sogleich ›linke‹ Intellektuelle zur Verfügung
gestellt, allen voran der Franzose Bernard Lévy: Die Verteidigung der
Menschenrechte der örtlichen Bevölkerung gegen Despoten und Diktatoren. Dieses
Argument, das bereits im Afghanistankrieg langsam auftauchte [von der Rache an
Bin Laden ging man zum Argument von der Verteidigung der Frauen gegen die Burka
und ihrem Recht auf Ausbildung über. Mit dem tatsächlichen großen Spiel in
Asien haben diese Rechtfertigungen nichts zu tun], wurde für den Krieg gegen
Libyen herangezogen. Man wird es auch bei zukünftigen Kriegen des westlichen
Imperialismus verwenden können. Es war ein großer Erfolg für die USA, daß
die UNO dieses Argument unter Verletzung des Prinzips der Souveränität der
Nationalstaaten übernommen hat. Natürlich hat man vergessen, dieses Argument
bei den zahllosen Fällen [die Tragödie der Desaparicidos in ganz Lateinamerika
oder die Palästinenser als Beispiel] vorzubringen, bei denen es um
proimperialistische Staaten ging. Diese Strategie der ›Verteidigung der Menschenrechte‹ wird von den Medien mit Kampagnen unterstützt, die vor allem aus Lügen
bestehen. Im Fall Libyens waren es spektakuläre Lügen. Entscheidend war
die Unterstützung durch Al Jazeera. Der Fernsehsender stand wegen der Rolle,
die sein Eigentümer, der Scheich von Katar, bei der bewaffneten Auseinandersetzung spielte, in einem
offenkundigen Interessenskonflikt. Skrupelloser Einsatz der Medien und des
Internets, verbunden mit einem massiven Einsatz von Drohnen, sind die neuen
Elemente dieser neuen Art der Kriegsführung. Dazu kommt die beachtliche aktive
Mitwirkung von Intellektuellen der imperialistischen ›Linken‹ und von
Pseudopazifisten. Sie erinnerten an die Graffiti der Indignados in Barcellona [m
übrigen glänzten diese, abgesehen von New York, beim Thema Krieg durch
Abwesenheit] ›Wo ist die Linke?
Rechts, im Hintergrund‹. Wir kennen
es aus der Geschichte: Wenn es um nationale koloniale und imperiale Interessen
geht, hat sich die Linke in den kapitalistischen Ländern gespalten.
Menschenrechte +
Lügen = Beschlagnahme der Auslandsguthaben + Krieg. Besonders gefährlich an dieser
Strategie ist, daß ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Vorbereitet wird dieses
Vorgehen, indem in souveränen Staaten Spaltungen auf ethnischer, religiöser
Grundlage und Autonomiebestrebungen gefördert werden. Im Irak war es die
religiöse Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten, und die ethnische Abtrennung
gegenüber den Kurden. In Libyen ist es die Aufspaltung mittels derAutonomiebestrebungen
in der Cirencaica. Es überrascht, daß sie mit dieser Strategie auch heute noch
Erfolg haben, obwohl das Konzept des ›Divide
et impera‹ berüchtigt und bekannt ist. Diese Vorgehensweise, zu der auch
der skrupellose Einsatz von Nicht-Regierungs-Organisationen gehört, kann zu
jeder Zeit und gegen jeden angewendet werden: In Darfur, um den Sudan
anzugreifen, in Cabinda, um Druck auf Angola auszuüben, in Kiwu für den Kongo,
die grüne Revolution und die Kurden für den Iran (und die Türkei), die
Unterdrückung der mutmaßlichen Opposition in Syrien, der ökologische Protest
der Indios in Bolivien und Ecuador bis zum reizvollsten Leckerbissen, Tibet für
China. Wenn das nicht genügt, bleibt immer noch die Option Staatsstreich, wie
beim versuchten Putsch in Venezuela. Selbstverständlich ist in den westlichen
Staaten Separatismus verboten. Die Operation Libyen war ein Verwirrspiel mit
drei Karten: Proteste in Tunesien, in Ägypten und der Cyrenaica. Wo würde das
Imperium intervenieren? Gab es Zweifel?
Jetzt ist Libyen besetzt. Ägypten und Tunesien werden wahrscheinlich unter
islamische Kontrolle geraten. Saudi-Arabien, das mit der USA verbündet ist,
hält die Fäden in der Hand. Arabischer Frühling: Ändern, damit sich nichts
ändert, außer dort, wo dies in unserem eigenen Interesse ist (Libyen).
Siebte Anmerkung: Wer ist jetzt an der Reihe? Das ›Große Spiel‹ lehrt: Wer das Zentrum Asiens kontrolliert, kontrolliert Asien, und
wer Asien kontrolliert, kontrolliert die Welt. Der westliche Imperialismus bahnt
sich seinen Weg. Er führt ihn immer weiter, bis sein tödlicher Atemhauch China,
den wichtigsten Konkurrenten in dieser Zeit, erfaßt. Afghanistan war dafür der
erste Hinweis, die Invasion des Iraks der zweite, der ständige Druck und die
Drohungen gegen den Iran der dritte, die Ausdehnung der Kriegsoperationen gegen
Pakistan der vierte. Der Fünfte Hinweis besteht in der Besetzung Libyens und - im
erneuerten Bündnis mit Saudi-Arabien - die Androhung einer ›Flugverbotszone‹ westlicher
Prägung gegen Syrien zur Kontrolle des Mittleren Orients. Dazu kommen alle mehr
oder minder verdeckten Operationen in verschiedenen zentralasiatischen Ländern.
Weil das westliche Imperium aber weltweit herrschen möchte, wird es auch die
Menschenrechte in Afrika nicht aus den Augen verlieren: die großen Vorkommen an
Rohstoffen und landwirtschaftlichen Flächen mit Algerien, Sudan, Somalia, Kongo
und Angola stehen ganz oben auf der Liste. Und warum sollte man die
Menschenrechte in den Staaten der ALBA in Lateinamerika vergessen, allen voran
in Venezuela, Cuba, Nicaragua, Bolivien und Ecuador? Unter dem Vorwand
internationaler Zusammenarbeit machen sich Nicht-Regierungsorganisationen schon
daran, dafür den Boden vorzubereiten. Endziel des westlichen Imperialismus: die
wachsende Bedeutung der BRICS Staaten zu beenden und jeden Staat zu beseitigen, der
seine Souveränität in Anspruch nimmt.
Achte Anmerkung: Das heimliche Bündnis mit dem
islamischen Integralismus. Libyen hat uns das scheinbar nicht bekannte Bündnis
zwischen dem westlichen Imperialismus und dem islamischen Integralismus
gezeigt. Es stammt aus der Zeit des gemeinsamen Kampfes gegen die russische
Präsenz in Afghanistan und wurde jetzt erneuert. Al Kaida ist nicht zufällig
der Name der Datenbank der CIA, mittels der in Afghanistan islamische Kämpfer
gegen die Sowjets rekrutiert und ihre Namen festgehalten wurden. Während das
Imperium behauptet, in Afghanistan gegen den ›islamischen Integralismus‹
zu kämpfen, verbündet es sich gleichzeitig mit diesem im Mittelmeerraum, um den
Umsturz in verhaßten Staaten zu erreichen. [Es ist eine Tatsache, daß sich die
Milizen des Übergangsrats zum großen Teil aus radikalen Islamisten
zusammensetzen]. Das gilt für Libyen und
für Syrien. Man sollte beachten, daß dieses Bündnis es radikalen Islamisten
ermöglicht, die Zerstörung der letzten noch verbliebenen laizistischen Staaten
in dieser Region in Angriff zu nehmen. Der erste dieser Staaten war Irak, jetzt
ist die Reihe an Libyen und Syrien. Mit dem voraussichtlichen Sieg der
Moslembrüder in Ägypten [dank Saudi Arabien] und ähnlicher Kräfte in Tunesien
entsteht ein gemeinsamer Block des islamischen Integralismus, der das ganze
Nordafrika umfaßt. Der Westen hat dazu entscheidend beigetragen. Die
Frauen sind die ersten, die die Folgen tragen werden: Der Übergangsrat
hat bereits verkündet, daß er das islamische Gesetz in Kraft setzen und die
Heirats- und Scheidungsgesetze revidieren will.
Neunte Anmerkung: Die Prüfung der ökonomischen
Motive des Krieges. Der Marxismus lehrt, bei historischen Ereignissen die
dahinterstehenden wirtschaftlichen Beweggründe sowie die Herrschaftsinteressen
zu erforschen. Der Krieg in Libyen wurde zur Verteidigung der Menschenrechte
der Demonstranten in Bengasi verkündet. Die wirklichen Interessen werden sofort
klar, wenn man sich die Erklärungen der französische Regierung und den Jubel von
Clinton und Obama ansieht: Interesse am
Erdöl, Interesse an Infrastrukturaufträgen, Interesse am Wasser, Interesse an
der Verhinderung der Einführung einer Goldwährung in Afrika als Gegenstück zum
Dollar, politisches Interesse an der Vorherrschaft. Alles scheint mit dem
Vertrag zwischen ENI und der italienischen und libyschen Regierung begonnen zu
haben: ENI akzeptierte, daß sein Anteil an den Erlösen des gewonnenen Erdöls
und Erdgases von bisher 30 - 40% auf 12,5 % gesenkt wurde. Als Gegenleistung
hätte Italien angemessene Aufträge bei der Infrastruktur erhalten. Diese
Vereinbarung führte zu heftigen Reaktionen der französischen (Total),
englischen (BP) und amerikanischen(Chevron, Exxon) Ölgesellschaften. Sie
befürchteten, daß es auch bei ihnen bei den Erträgen aus dem gewonnenen Erdöl zu
einer entsprechenden Reduzierung auf 12,5 % kommen würde. Wir werden die neuen
Verträge mit der Marionettenregierung sehen. Die Aufträge für den Bau von
Infrastrukturen und der Ausbeutung neuer Lagerstätten hatte die libysche
Regierung unter Gaddafi Italienern, Russen und Chinesen anvertraut [zu einem
kleinen Teil auch Deutschland]. Die atlantischen Mächte blieben ausgeschlossen.
Schon jetzt ist der Übergangsrat dabei, die Aufträge an Frankreich zu geben,
das ihm seine Rechnung präsentiert hat und den Wiederaufbau der Infrastruktur
und die Waffenlieferungen [bisher aus Rußland und Italien] für sich einfordert.
Auch an
den gewaltigen Wasservorkommen unter der Sahara zeigt Frankreich Interesse.
Diese Wasservorkommen hatte die libysche Regierung zur Schaffung der größten Bewässerungsinfrastruktur, die jemals von Menschen errichtet wurde, genutzt 3. Über die Goldwährung, die
im Zahlungsverkehr für die afrikanischen Völker den Papierdollar ersetzen
sollte, wird man selbstverständlich nicht mehr sprechen. Eine Sache verbindet
Gaddafi und Saddam: beide hatten ihre Absicht zu erkennen gegeben, den Dollar nicht
mehr als die einzige Währung für den Verkauf
ihrer Rohstoffe zu akzeptieren. Das läßt vermuten, daß die USA Angst hat, die
souveränen Staaten könnten den mittlerweile nicht mehr gedeckten Dollar
aufgeben. Am Ende werden wir sehen können, ob die USA vorhat, den Sitz von Africom
nach Libyen zu verlagern und ob es in den nahegelegenen Ländern Sudan und
Algerien eine Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen geben wird. Mit
Sicherheit werden wir in Kürze die Streitigkeiten der atlantischen Geier um die
Verteilung der libyschen Beute beobachten können.
Zehnte Anmerkung: Die Notwendigkeit für souveräne
Staaten, Abschreckungswaffen zu haben. Auch wenn man es nicht will, muß man
feststellen, daß Libyen, das auf nukleare und ähnliche Waffen verzichtet hatte,
angegriffen und zerstört wurde. Bei Nordkorea hat das Imperium seine
Befürchtungen und zögert. Hätte Gaddafi Atomwaffen gehabt, würde er noch leben
und Libyen wäre ein souveräner Staat. Die Staaten außerhalb der westlichen Front
können deshalb nur sagen: ›Vorwärts
Iran‹. Die Verteidigung der
Menschenrechte in Libyen und anderswo überlasse ich den Naiven und der neuen
Gattung solcher Art gebildeter proimperialistischer Intellektueller.
Ich
schließe mit einer Verneigung vor Gaddafi. Er versprach, mit der Waffe in der
Hand bei der Verteidigung seines Landes zu sterben. Das hat er getan. Kann mir
jemand den Namen eines italienischen oder westlichen Politikers nennen, der
dazu wie er bereit wäre?
Quelle: http://www.barth-engelbart.de/?p=1123 16. 11. 11 Der
politische Analyst, Historiker und Zukunftsforscher Professor Luigi Ambrosi
lehrt resp. lehrte an den Universitäten in Rom, Mailand, Bologna, Calabria.
Die
Übersetzung aus dem Italienischen erfolgte von Bernd Duschner
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