Herr Schäuble - Der Euro, ein Test? - Von Doris Auerbach

Was den Deutschen im Zusammenhang mit der Eurorettung angelastet wird, könnte zu dem Glauben führen, dass es ausschliesslich die BRD sei,

die den gesamten, nach Schätzungen zahlreicher Wirtschaftsexperten nicht mehr zu behebenden Finanzschlamassel zu verantworten hätte. Geradezu unglaublich ist der Fakt, dass sich die Griechen erdreisten, Merkel in Nazi-Uniform darzustellen [1], aber gleichzeitig erwarten, dass die Deutschen für sie arbeiten, um dazu beizutragen, ihre Schulden, die sie sich ausschliesslich selbst zuzuschreiben haben, zu tilgen. Vorgesehen ist die Beteiligung von Banken und Fonds durch einen Forderungsverzicht von bislang 50 %; sie übernehmen durch den Schuldenschnitt eine Last von 100 Milliarden €, 100 weitere Milliarden wollen die Europartner zuschiessen. Damit zeichnet sich ab, dass sich hier der Steuerzahler, dessen Einlagen in den Banken durch Zinsverlust und Inflation adäquat an Wert verlieren, über die staatliche Hilfe noch zusätzlich verschulden muss. Mit ihrer noch vor kurzem vorgebrachten Forderung, den Schuldenschnitt von 50 % auf die sagenhafte Höhe von 75 % zu schrauben, konnten die Griechen allerdings nicht durchdringen – bislang, sei hinzugefügt!

 

Was die dieser Tage gegen die BRD erhobenen Anschuldigungen angeht, so erklärte der französische Ökonom und frühere Regierungsberater Jacques Attali, dass Deutschland »einmal mehr für den Selbstmord des fortschrittlichsten Kontinents der Welt verantwortlich sei, falls es dem Anleihenkauf der EZB nicht zustimme. Deutschland halte dazu die Waffe in der Hand.« Der Chefökonom der London Times, Anatole Kaletsky, schreibt unter dem Titel Der Aufstieg des Vierten Reichs: »Wenn Clausewitz recht hat und Krieg die Weiterführung von Politik mit anderen Mitteln ist, so ist Deutschland wieder im Krieg mit Europa. Wenigstens in dem Sinne, als deutsche Politik in Europa charakteristische Kriegsziele zu erreichen versucht, die Verschiebung internationaler Grenzen und die Unterwerfung fremder Völker.« [1]     

 

Vielleicht sollten Gehässigkeiten dieser Art nicht unbedingt verwundern, führt man sich vor Augen, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nicht davor zurückgeschreckt ist, auf dem internationalen Bankierstag in Frankfurt, dem European Banking Congress, gewissermassen eine Vorleistung für weitere Angriffe auf sein Land zu erbringen. Er war dort als Hauptredner vor etwa 300 Vertretern der internationalen Hochfinanz aufgetreten. Und vor diesen Spitzenbankern diverser Nationen, also auch der asiatischen, hat er sich nicht zurückgehalten, explizit zu erklären, dass Deutschland kein souveräner Staat sei, obwohl es offiziell seit 1955 bzw. seit 1990 als solcher gilt. Damit es auch jeder unmissverständlich versteht, sagte er wörtlich: »Wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen.« Als Beleg führte er unter anderem das Grundgesetz an, in dem das Staatsziel folgendermassen definiert sei: Gleichberechtigtes Mitglied in einem vereinten Europa sein. »Demnach«, schreibt die junge Freiheit [2], »wäre Deutschland erst souverän, wenn es in einem vereinten Europa aufgegangen ist. Nach dieser völligen Neuinterpretation des Grundgesetzes bezeichnete Schäuble die Souveränität als ›absurd‹. Er sagte wörtlich: »Das  [Regelungsmonopol des Nationalstaats] war die alte Ordnung, die dem Völkerrecht noch zugrunde liegt, mit dem Begriff der Souveränität, die in Europa längst ad absurdum geführt worden ist

 

Damit, so die Zeitmacher Nachrichten [3], äusserte er sich klar verfassungsfeindlich, indem er darlegte, »dass völkerrechtlich anerkannte, souveräne, nationale und demokratisch gewählte Staaten als absurdes Konstrukt entlarvt worden seien. Die demokratisch gewählte Staatsform gehöre zur ›alten Ordnung des letzten Jahrhunderts‹. Ein ›Rückfall‹ in eine sogenannte ›Regelungs-Monopolstellung eines klassischen Nationalstaats vergangener Jahrhunderte‹ sei heute nicht mehr zukunftsweisend. Damit stellt Schäuble nicht nur die Grundfesten der Demokratie an sich in Frage, sondern ruft offen zum Sturz der rechtmäßigen Verfassung auf. Der Minister sagt zu seinen Kritikern und Euro-Realisten: ›Wir sind seit 8. Mai 45 zu keiner Zeit mehr voll souverän gewesen.‹ Schäuble befürwortet damit die Aufgabe der nationalen Souveränität zugunsten einer totalitären, undemokratischen Staatsordnung unter europäischer Gouvernanz.«

 

Genau analysiert, gibt er aus meiner Sicht sein Land preis, denn er öffnet eine Angriffsflanke. Seine Ausführungen müssen ja den Anwesenden signalisieren, dass jede Nation dazu eingeladen ist, der BRD zusätzlich das aufzubürden, was man zu seinen eigenen Gunsten erzielen möchte. Hans Heckel [4] schrieb hierzu: Schäuble frei von der Leber weg: »Die Deutschen haben Angst, ihre Souveränität zu verlieren? Papperlapapp! Was man gar nicht hat, kann auch nicht verloren gehen, schleudert uns der Minister entgegen. ….. Und die paar läppischen Fragmente von ›Souveränität‹, die gehen nun eben in Europa auf, denn der Nationalstaat, weiß Schäuble, der war ›die alte Ordnung‹. Auf den Müll damit.« Was die Demokratie betrifft, so fügt Heckel an: »Von der will ›Europa‹ bis heute nicht viel wissen. Das EP-›Parlament‹ ist ein Witz, das Wahlrecht ein Skandal [11 deutsche Stimmen zählen soviel wie eine einzige luxemburgische] und kaum ein Mensch durchschaut, wer auf welche Weise und weswegen EU-Kommissar, also sozusagen ein europäischer Minister wird.«  

 

Nicht, dass es Schäuble einfiele, anstelle des Aufzeigens der Nichtsouveränität seines Landes alle Anstrengungen darauf zu richten, einen Friedensvertrag mit den Alliierten auszuhandeln, um diesen Zustand zu beenden, was von der Mehrheit der Deutschen längst gewünscht ist. Im Gegenteil: Da er sich klar gegen die Errichtung einer Kern-Eurozone ausgesprochen hat, prophezeit er nun innerhalb der kommenden 24 Monate die Entstehung einer ›europäischen Fiskalunion‹, was nichts anderes als die Abgabe der Haushaltshoheit  - die mithin wichtigste Macht eines Staates -  an das bislang noch immer nicht legitimierte Brüssel bedeuten würde. Die eigene Souveränität am Gelingen eines Bürokratenprojekts wie einer Fiskalunion festzumachen, ist für meine Begriffe gleichbedeutend mit dem Ausverkauf aller nationalen Interessen. Ein Schritt dieser Art würde für die Steuerzahler noch finanzkräftiger EU-Mitgliedsländer bedeuten, dass sie die europäischen Schuldner für alle Zukunft zu subventionieren hätten. Jedenfalls wirbt Schäuble dafür, die Eurozone zu einer Stabilitätsunion weiterzuentwickeln, wozu natürlich wieder einmal einige Änderungen der  EU-Verfassung, genauer, des Lissabon-Vertrags, notwendig würden. Praktiken dieser Art sind Brüssel und unseren Regierungschefs längst geläufig. Was nicht mehr eingehalten werden kann, wird ganz einfach nach ihren Vorgaben geändert, selbstverständlich ohne Konsultation der davon betroffenen Bevölkerungen. Hierzu Schäuble: »Wir brauchen bloß das Protokoll Nr. 14  - wer’s nachlesen möchte, im Lissabon-Vertrag -  so aufzubauen, daß wir daraus die Grundzüge einer Fiskalunion für die Eurozone schaffen.« Geradezu entwaffnend einfach, zumal des Volkes Stimme in der Art der Demokratie, wie sie sich inzwischen in der EU etabliert hat, längst erstickt ist. Schon am 15. Oktober hatte Schäuble beim G-20-Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure in Paris angekündigt, dass sein Land zur Bekämpfung der Eurokrise Änderungen der EU-Verträge, die in Richtung einer Fiskalunion gehen, durchsetzen will: ›Die politischen Führungsstrukturen in der Europäischen Union und im Euroraum müßten verbessert werden.‹ In diesem Zusammenhang hat der Präsident der Deutschen Bundesbank die Warnung ausgesprochen, den Gedanken einer vertieften Europäischen Union als Vorwand zu nutzen, um die Machtbalance zugunsten von EU- Institutionen zu verschieben. Letzteres wäre mit dem Bau einer Fiskalunion ja schon einmal der Fall.   

 

Hat man sich erst einmal mit dem Gedanken befasst, wie die ›Weisungen‹ in die Parlamente und anderswo einsickern, ist man versucht zu folgern, dass Schäuble in aller Offenheit erkennen lässt, dass er gewillt ist, den Pfad zu beschreiten, den der Währungskommissar Olli Rehn bereits Mitte April letzten Jahres aufzeigte: »Die EU plant neue Souveränitäts-Einschränkungen ihrer Mitglieder. Ganz offen kündigte Rehn an: Künftig sitzt Brüssel bei der Haushaltspolitik immer mit am Tisch. Bereits heute müssen die 27 EU-Staaten ihre fertigen Haushalte in den Brüsseler Glaspalästen vorlegen.« »Aber das reicht Rehn nicht: ›Die EU-Kommission sollte künftig in die Planung der nationalen Haushalte eingebunden werden, um rechtzeitig Fehlentwicklungen im Finanzrahmen eines Landes zu erkennen, die nicht mit den Stabilitätsanforderungen der Euro-Zone übereinstimmen‹. Offiziell sollen damit die Euro-Stabilitätskriterien überwacht werden. Vor allem aber greift Brüssel jetzt eine Kernfrage der Souveränität an: Das Budgetrecht, das die Parlamente schon besaßen, als noch die Könige das Land regierten.« [5] Fakt ist, dass das Budgetrecht des Bundestags laut einem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgericht zum Lissabon-Vertrag als Kernelement der staatlichen Souveränität Deutschlands festgeschrieben ist, was Schäuble offenbar zu ignorieren gedenkt.

 

Nun muss man sich bewusst machen, dass offenbar tatsächlich erwogen wird, die Haushaltspolitik an eine Instanz wie Brüssel abzugeben - dies über eine Fiskalunion oder die Errichtung der längst propagierten EU-Wirtschaftsregierung. Beides würde die Abtretung der Kontrolle über den Haushalt eines Landes an eine Brüssler Regie bedeuten, die wiederholt nicht in der Lage gewesen ist,  die eigene Haushaltslegung so abzuschliessen, dass sie vom Bundesrechnungshof anerkannt werden konnte. Also an eine Instanz, der nachweislich anzulasten ist, dass Milliarden unserer Steuergelder über die Jahre hinweg als Subventionen in mafiosen Kanälen und in zahlreichen unbrauchbaren Projekten versickert sind. Und die sollte nun plötzlich für Stabilität sorgen, nachdem Korruption, Wirtschaftskriminalität und Mafia innerhalb der EU seit langem derart präsent sind, dass sie kaum mehr zu kontern sind. Eine Instanz, die uns dazu auch noch erklärt, dass sie Fehlentwicklungen im Finanzrahmen eines Landes, wenn sie mit den Stabilitätsanforderungen der Eurozone nicht übereinstimmen, rechtzeitig erkennen möchte. Wer wollte ihr das abnehmen? Hierzu einige wenige Details: Am 10. November 2010 legte die EU den Jahresbericht zum Haushaltsjahr 2009 vor. Wie schon in den Vorjahren hat die EU 2009 Milliardensummen aus dem EU-Budget fehlerhaft vergeben. Es ist der 17. Jahresbericht des Rechnungshofes. Seit 1994 hat dieser noch nie festgestellt, dass die EU die Haushaltsmittel ordnungsgemäss verteilt hat. Vitor Caldeira, der Präsident des Rechnungshofes erklärte, es bestünden weiterhin erhebliche Zweifel an der Ordnungsmässigkeit vieler Zahlungen. Im Jahr 2010 hatte der EU-Haushalt z.B. Ausgaben in Höhe von rund 122 Milliarden €. Mehr als 4,3 Milliarden € an EU-Mitteln hätten nicht ausgegeben werden dürfen. Gegenüber 2009 ist die Fehlerquote im Jahr 2010 noch gestiegen; die meisten Fehler wurden im Bereich des europäischen Strukturfonds festgestellt; dort betrug die Fehlerquote 7,7 %. Von den 243 geprüften Zahlungen waren 49 % fehlerbehaftet. Ein Grossteil der Zahlungen aus den europäischen Strukturfonds floss an Projekte, die nach den EU-Regeln gar nicht förderfähig waren. 

 

Der belgische Politiker Yves Leterme hatte im März 2010 ein europäisches Finanzministerium oder eine EU-Schuldenagentur vorgeschlagen, was ebenfalls zur Folge hätte, dass nationale Macht auf eine Gemeinschaftseinrichtung übertragen würde. Hierzu meint Michael Mross: »Die Absicht der ›Forderungen‹ ist gleichwohl klar: Direkter Zugriff auf die letzten Reserven der Netto-Einzahler. Entmachtung der Finanzhoheit der Staaten. So kann Brüssel endlich schalten und walten, wie es will.  ….. Das billige Argument der belgischen EU-Puppe: Die kleineren Staaten haben immer größere Schwierigkeiten, sich zu finanzieren. Und was die ›EU-Schuldenagentur‹ angeht: Schon mal was von solider Haushaltsführung gehört? Schon mal ausprobiert, nur Geld auszugeben, das man auch hat? Wie wäre es denn, wenn man Schulden in der EU ganz verbietet? Wir haben doch gesehen, wohin das führt. Die EU-Schuldenagentur ist nichts anderes als ein finales Vehikel, die Gemeinschaft in den Untergang zu treiben. Sie dient dazu, das Ersparte aus den Netto-Einzahlerländern aufzuzehren – bis nichts mehr da ist. Und dann können auch keine Schulden mehr gemacht werden. Das ist dann das Ende der EU. Ist das der Plan, der hinter der orchestrierten Griechenland-Krise steckt? Dazu hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen, Monsieur Leterme! Diese dürfen Sie gerne auch in der FTD abdrucken lassen! Vielleicht nennen Sie bei dieser Gelegenheit auch die Hintermänner, für die Sie sprechen!« [6]

 

Der ›Linken‹ geht Rehns Forderung indessen noch nicht weit genug: Parteichef Lothar Bisky wollte Brüssel seinen Aussagen vom Februar dieses Jahres zufolge auch die Wirtschaftssouveränität übergeben. »Nur das bietet die Möglichkeit, eine harmonische Entwicklung der Volkswirtschaften einschließlich hoher Standards in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu erreichen.« Im Klartext: Eine von der Brüssler Zentrale oktroyierte Gleichschaltung aller EU-Staaten. Und schon trachtet man danach, auch dem Sektor Export Zügel anzulegen: Ebenfalls im Februar hatte Frankreichs Staatschef zusammen mit der USA zum Auftakt des G-20-Finanzministertreffens in Paris einen neuen Anlauf genommen, um den Druck auf Deutschland und China zu erhöhen, damit diese ihre Handelsbilanzüberschüsse abbauen [7]. Britischen Vorstellungen zufolge sollte in Zukunft der IWF Ländern mit überhöhten Leistungsbilanzdefiziten oder -überschüssen vorschreiben können, wie sie die Ungleichgewichte zu beseitigen haben. Inzwischen haben sich die G-20-Staaten erstmals auf Indikatoren für die Messung von Wirtschaftsungleichgewichten geeinigt. Die Finanzminister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenstaaten legten jetzt ein Bündel von 5 Indikatoren fest, mit dem die gefährlichen Ungleichgewichte »frühzeitig und präzise« erkannt werden sollen. Die Indikatoren »machen gezieltere Korrekturmassnahmen möglich, die jeder ergreifen muß, um das Wachstum auszugleichen«. Im Ringen um einen Abbau der Handelsungleichgewichte gehörte Deutschland lange zu den Bremsern, weil es Vorgaben zum Abbau seines Exportüberschusses fürchtet. In einem zweiten Schritt müssen nun Zielkorridore beschlossen werden, die von den G-20-Staaten nicht überschritten werden dürfen. In diesem Zusammenhang sei hier folgendes angefügt: Was die von den EU-Mächtigen beschlossene, jetzt auf den Weg zu bringende Wirtschaftsregierung der EU betrifft, die u.a. über den ›Euro-Plus-Pakt‹ die Wettbewerbsfähigkeit der wirtschaftlich schwächeren EU-Länder stärken soll, so beurteilen die Eurorettungsskeptiker Starbatty, Nölling, Hankel und Schachtschneider dies als gravierend. Wie sie in Berlin darlegten, »kann die angestrebte Wettbewerbsfähigkeit nur erreicht werden, wenn Deutschland seine wirtschaftlichen Leistungen herunterschraubt, um die Wirtschaft in anderen Ländern dadurch hochkommen zu lassen. Es werde eine EU-Planwirtschaft geben müssen, so die vier Professoren, mit der deutsche Unternehmen mit Produktionsquoten zu belegen wären: soviel darf produziert werden, mehr nicht. Prof. Starbatty formulierte das so: ›Man bringt schneller einen Starken auf ein schwaches Niveau als einen Schwachen auf ein starkes‹. Für Prof. Nölling wird Europa dadurch letztlich viel ärmer und sozial destabilisiert. [8] Schon im September 2009 hatte Klaus Fischer in der jungen Welt hierzu vermerkt: »Washington und London indes wollen Staaten mit zu hohen Handelsüberschüssen künftig zwingen, diese abzubauen. Unter Aufsicht des IWF auch noch. Das ist Staatskunst vom Feinsten, man könnte auch Demogogie dazu sagen. Eine globale Planwirtschaft wird Obama und Brown eher nicht vorschweben.«  

 

Auch der ehemalige Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher fordert mehr Macht für Brüssel, dies sei das Gebot der Stunde. Ob er wohl insgeheim von dem Gedanken beseelt ist, dass durch die Übergabe der Macht an Brüssel diejenigen, die für die jetzige verfahrene Situation verantwortlich zeichnen, ihrer Verantwortung damit entbunden wären? Ein bestrickend einfacher Weg. »Um es offen und klar auszusprechen: Europa muß sich neu verfassen«, schreibt Genscher in einem Essay für das Handelsblatt. Schon wieder innerhalb einer so kurzen und derart erfolglosen Zeit! »Die Mitgliedstaaten müßten bereit sein, weitere Zuständigkeiten auf die europäischen Organe zu übertragen. Der Anfang müsse im Bereich der Wirtschafts- und Finanzverfassung gemacht werden, wo es am dringlichsten sei. Wir sind also aufgefordert, unsere Selbstbestimmung an eine EU-Kommission zu delegieren, die nicht nur vielfach als regelrechte Diktatur gekennzeichnet worden ist, sondern die ich im Hinblick auf das gegenwärtige Finanzfiasko einer manifesten Unfähigkeit zeihe. Wer möchte Genscher folgen, wenn er erklärt: Rückabwicklung hieße von dem Ziel der fortschreitenden Integration Europas zu einer handlungsfähigen Friedens- und Stabilitätsregion Abschied nehmen. [9] Nun ist weder das eine noch das andere ersichtlich: Der Frieden ist in Jugoslawien, durch die Beihilfe bei der Heraufbeschwörung der Infernos im Irak und in Afghanistan und jetzt erneut in Libyen mit Füssen getreten worden, und anstelle der Stabilität hat sich weit und breit das finanzielle Chaos angesiedelt. Von wo soll im übrigen die Stabilität herrühren, wenn, wie die WeltEnde November offen druckte, die EZB Schulden über die Notenpresse finanziert? [10]  Hier kann man wirklich nur noch sagen, wir leben vom Geschwätz.

 

Natürlich möchte auch George Soros, der milliardenschwere Spekulant, ein Wörtchen mitreden! Seine Forderung, ein EU-Finanzministerium zu errichten, schliesst auch gleich die beleibe nicht neue Befugnis für Brüssel ein, eigene Steuern zu erheben und Geld zu leihen. Nicht überraschend sieht natürlich auch er die Bundesrepublik in der Pflicht. Die deutsche Bevölkerung müsse akzeptieren, daß sie keine andere Wahl habe, als den Euro zu unterstützen. Ein Niedergang des Euros würde eine Kernschmelze auslösen, die die Verantwortlichen nicht mehr eindämmen könnten. Das sieht nun Jakob von Uexküll wesentlich realistischer: »Die natürlichen Grenzen des Wachstums sind da, und die immensen Staatsschulden lassen sich mit Wachstum nicht mehr zurückzahlen. Wenn Rezession und Arbeitslosigkeit erst die Mittelschicht erreichen, kann das soziale Widerstände bis hin zum Bürgerkrieg bedeuten.« Man fragt sich, in welch abgeschotterten Gedankengängen diejenigen leben, die diese Pläne schmieden, denn bei einer näheren Betrachtung der propagierten Schritte muss man sich zwangsweise in einem totalitären resp. wiedererwachten kommunistischen System wähnen.

 

Der Euro-Test

Auch die folgenden, von Schäuble in Frankfurt ausgesprochenen Darlegungen lassen einen  fassungslos zurück; zu den Problemen im Euroraum erklärte er, »die EU teste gerade, ob eine gemeinsame Währung überhaupt funktioniere: ›Wenn man eine gemeinsam Währung hat, ohne eine gemeinsame Finanz- und Budgetpolitik, dann hat man bestimmte Probleme. Und das ist, warum von Anfang an bezweifelt wurde, ob die europäische Währung funktionieren könne. Und das ist, was derzeit getestet wird‹.« [2] Ein mit einer derart furchtbaren Inflation einhergehender ›Euro-Test‹ stellt in meinen Augen nicht nur ein Vergehen an allen dar, die gezwungen worden sind, ihre nationale Währung für diese Testwährung zu opfern, sondern auch ein regelrechtes Vergehen an der Arbeitskraft der davon betroffenen Bürger. Aus dem herrschenden Finanzchaos leitet Schäuble offenbar das Recht ab, die bereits erwähnte Fiskalunion in Frankfurt wie folgt vertreten zu können. Schäuble, der betont hatte, als einziger deutsch zu sprechen statt englisch, damit er nicht mißverstanden werde, legte dar, daß »die Probleme der Euro-Zone die Politiker jetzt in die Lage versetzten, eine neue Form von Governance zu schaffen. Die Errichtung einer neuen Form einer EU-Regierung stehe unmittelbar bevor: Ich bin überzeugt, daß wir in weniger als 24 Monaten in der Lage sind und in der Lage sein werden, das europäische Regelwerk so zu verändern, daß wir die Grundzüge einer Fiskalunion schaffen.« Auffallend ist, dass nirgendwo ein Aufschrei zu vernehmen war und Schäubles Rede erstaunlich, man könnte auch sagen verdächtig wenig Resonanz fand.  

 

Während nun die Griechen eine weitere Finanzhilfe in Höhe von 8 Milliarden € erhalten haben, um sie vor dem Bankrott zu bewahren, der andernfalls noch vor Weihnachten eingetreten wäre, schreitet die Flucht der griechischen Vermögen ungehindert fort. Betrugen die Spar- und Termineinlagen der privaten Haushalte und Unternehmen Anfang 2010 noch 237,7 Milliarden €, so waren sie Ende August 2011 um 49 Milliarden zurückgegangen. Man investiert z.B. derzeit vorzugsweise in teure Immobilien in London, daneben auch in Kanada; gleichzeitig verstecken die Griechen ihre Einnahmen zunehmend vor den Steuerbehörden. Die Zahl derjenigen, die hohe Einkommen deklarieren, ist äusserst gering, was nur von einer massenhaften Steuerhinterziehung zeugen kann. Ungeachtet der Regierungspläne, die Sparmassnahmen durchsetzt, gehen die Steuereinnahmen zurück. Das Haushaltsdefizit ist in den ersten 10 Monaten 2011 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 11 % auf 20,1 Milliarden € gestiegen. 70 % beziehungsweise 273.000 Unternehmer gaben in der Steuererklärung 2010 ein Jahreseinkommen unter dem steuerfreien Minimum von 12.000 € an. Prof. Harald Hau vom Swiss Finance Institute in Zürich zählt zu denjenigen, die die bisherigen Euro-Rettungsversuche für falsch halten: »Das Geld für Griechenland kam bislang nicht in erster Linie den Griechen zugute, sondern den Kapitalgebern, denjenigen, die die Schulden Griechenlands besitzen. Wir wissen, dass das Finanzkapital unter den Reichen extrem konzentriert ist, und im Grunde genommen hat man daher durch diesen Rettungsschirm erst einmal eine Umverteilung vom Steuerzahler auf die Reichsten erwirkt. Solange sich an diesen Grundprinzipien europäischer Euro- und Bankenrettung nichts ändert, wird auch künftig immer das Geld der Gläubiger, der Finanzelite dieses Planeten, mit dem Geld der Steuerzahler gerettet.« Woraus sich ergibt, dass die Menschen in Europa schon lange nicht mehr nur für sich selbst, sondern auch für die Erhaltung dieses Finanzsystems arbeiten. Wie gelingt es unseren Volksvertretern, vor dieser Tatsache die Augen zu verschliessen? Nun sind die Missstände, die zu der heutigen Lage Griechenlands führten, breit publiziert worden, vor allem auch die von rund 30 % der Griechen betriebene Steuerflucht. Indessen zeichnen sich kaum Änderungen ab. Europaweit werden bekanntlich 10 % der Mehrwertsteuer hinterzogen, in Griechenland jedoch ca. 30 %. Dort läuft ein Drittel der gesamten Wirtschaft am Finanzamt vorbei. Die Verwaltung ist korrupt und arbeitet langsam und ineffektiv. Deshalb kann es jeweils viele Jahre dauern, bis ein Strafverfahren in Sachen Steuerhinterziehung abgeschlossen ist, wobei aber das Geld dann oftmals längst ausser Landes ist. Finanzminister Evangelos Venizelos hat dem Parlament eine Liste mit 2495 Namen von Bürgern vorgelegt; 40 von ihnen schulden dem Staat jeweils mehr als 100 Millionen €; 18 Personen hätten Arbeitslosengeld bezogen, obwohl sie im Ausland jeweils zwischen einer und anderthalb Millionen € versteckten. Es stellte sich ferner heraus, dass die meisten Betriebe, die der öffentlichen Hand Geld schulden, staatliche oder bereits insolvente Firmen sind. [11]

 

Simon Evenett, Ökonom an der St. Galler Hochschule, wurde Anfang November in einem Interview mit der Basler Zeitung die Frage gestellt, ob es fair sei, dass sich die Schweiz an der Rettung Griechenlands beteilige, woraufhin er folgende Antwort gab: »Wir alle müssen für Griechenland zahlen, ob uns das gefällt oder nicht. Es ist nur eine Frage der Höflichkeit, ob man gefragt oder dazu gedrängt wird.« Angesichts aller das griechische Schuldendebakel betreffenden seit langem bekannten Fakten betrachte ich diese als selten zynisch und im eigentlichen als einen Affront gegen jeden seine Steuern ehrlich entrichtenden Bürger. [12]   

 

»Na also, geht doch!«, vermerkt Michael Winkler in seiner trockenen Art. »Jetzt, wo an der Spitze Griechenlands der Mann von Goldman Sachs steht, gibt es auch wieder Geld. Die griechischen Politiker haben schließlich alle brav ihre Strafarbeit unterschrieben und damit Besserung gelobt, da kann eine weitere Rate von dem Mitte 2010 beschlossenen Rettungspaket in dieses schwarze Loch geworfen werden.«

 

 

 

[1]  http://bazonline.ch/wirtschaft/konjunktur/Deutschland-einmal-mehr/story/11939087  28. 11. 11

Deutschland, «einmal mehr» - Von  Olivia Kühni

[2]  http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M55d3c4039c6.0.html?PHPSESSID=60ac4a5161e025d61180e962e7a86ecf

21. 11. 11  Schäuble: Wir waren nie souverän

[3]  http://zeltmacher-nachrichten.eu/content/sch%C3%A4uble-klar-verfassungsfeindlich

Schäuble klar verfassungsfeindlich

[4]  http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/sehr-merkwuerdig.html  24. 11. 11

Hans Heckel – Sehr merkwürdig 

[5] http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=15042010ArtikelPolitikMueller1    15. 4. 10  EU greift nationales Haushalts-Recht an - Währungskommissar Rehn fordert: Kommission schon in Planungen einbinden - Von Paul Müller

[6]  http://www.mmnews.de/index.php/201003055079/MM-News/Bilderberger-2010.html   

5. 3. 10

[7]  http://bazonline.ch/wirtschaft/konjunktur/Wie-Sarkozy-den-IWF-staerken-will/story/23806648

19. 2. 11

[8]  Topic Nr. 4  vom April 2011

[9]  http://www.mmnews.de/index.php/politik/8912-genscher-will-mehr-macht-fuer-bruessel

21. 11. 11  Genscher will mehr Macht für Brüssel

[10]  http://www.welt.de/finanzen/article13741976/Nun-finanziert-die-EZB-Schulden-ueber-die-Notenpresse.html  29. 11. 1i

[11]  http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,793275,00.html   24. 10. 11  

Kapitalflucht  -  Euro-Exodus lässt Griechenland ausbluten

[12]  http://bazonline.ch/ausland/europa/Die-G20-sind-eine-aufgeblasene-Version-der-nutzlosen-G8/story/13057005?dossier_id=1103  3. 11. 11 Interview von Christof Münger mit Simon Evenett