Afghanistan ohne Ende 04.12.2011 22:00
d.a. Man sollte nicht glauben, dass irgendwo noch die Vernunft waltet. Die neuerliche Afghanistan-Konferenz in Bonn, die für den 5. 12. festgesetzt ist,
wird die
Deutschen trotz leerer Kassen und einer sich in einem bedenklich schlechten
Zustand befindende Infrastruktur zahlloser Gemeinden erneut Millionen kosten.
Es haben sich effektiv einhundert Delegationen angemeldet, darunter 63
Außenminister. Angesichts des Fakts, dass über das Schicksal dieses Landes
gerade einmal eine Handvoll entscheidet, die sich in der Hauptsache aus der USA,
Grossbritannien, Pakistan und sicherlich auch Saudi-Arabien rekrutiert und die
in Tat und Wahrheit die Fäden in der Hand hält, ist es unbegreiflich, dass die
Berliner Regierung angesichts der horrenden Verschuldung ihres Landes hier
nicht einschreitet und ausschliesslich die wirklichen Entscheidungsträger
kommen lässt. Natürlich ist so ein kostenloser bequemer Aufenthalt auf Kosten
der verschuldeten Bürger für die ›einrückende
Truppe‹ eine angenehme Abwechslung. Man
muss das unter diesem Aspekt sehen, da unsere Steuern in immer grösserem
Ausmass zweckentfremdet werden, zu
Lasten der nachfolgenden Generation. Dazu gehören auch die Milliarden an
Entwicklungshilfe, die bislang ohne jegliche Wirkung versickert sind. Schon
sind die Think Tanks der BRD dabei, zwecks Einflussnahme auf Burma [inzwischen Myanmar]
eine solche auf breiter Ebene zu propagieren, wobei das strategisch bedeutende Land
reich genug an Bodenschätzen ist, um sich eigenständig zu erhalten. Hingegen
dürfen die Deutschen jetzt einen beträchtlich erhöhten Selbstbehalt bei
Medikamenten bezahlen. So ein Zusatzsparen am eigenen Bürger ist doch widerstandslos
durchzusetzen.
Einen
Dämpfer wird der Verlauf der Konferenz unweigerlich dadurch erfahren, dass
Pakistan aus Protest gegen den NATO-Angriff auf pakistanische Militärposten
seine Teilnahme abgesagt hat, was die latente Bedeutungslosigkeit der Konferenz
noch erhöht. Hierzu legt Werner Pirker folgendes dar: »Hatte
die USA mit dem Afghanistan-Krieg nicht zuletzt auch die Absicht verfolgt,
Pakistan fester an die Kandare zu nehmen, so hat der nun bereits seit zehn
Jahren andauernde Konflikt genau das Gegenteil bewirkt. Von der USA als Verbündeter
im ›Krieg gegen den Terror‹ zwangsverpflichtet, ist Pakistan
inzwischen zum eigentlichen ›Problemstaat‹ geworden. Das Militär hat nicht das
geringste Interesse daran, sich am Krieg gegen die Taliban zu beteiligen [das letztere
ursprünglich von der USA, der CIA, Pakistan und Saudi-Arabien unter Mithilfe
des englischen MI6 aufgebaut wurden, wird praktisch nie mehr erwähnt, es ist mittlerweile
offenbar ›politically incorrect‹;
Anmerk. politonline]. Es sieht in den
afghanischen Aufständischen, die sich aus Paschtunen dies- und jenseits
der Grenze rekrutieren, vielmehr ein Instrument pakistanischer
Interessenspolitik im Nachbarland. Es geht vor allem darum, die Taliban gegen
ein Bündnis zwischen Afghanistan und Indien in Stellung zu bringen. War die
Verbundenheit des islamischen Staates mit der USA in der feindseligen Haltung
Washingtons gegenüber dem blockfreien Indien begründet, so hat sich längst eine
neue Konstellation ergeben. Da ist es nur zu logisch, daß Pakistan versucht,
aus seiner Rolle als Zwangsverbündeter des Westens auszubrechen.« [1]
Nun
bekundet die deutsche Bevölkerung seit Jahren fast geschlossen die
Ablehnung des Afghanistankriegs. Erwartungsgemäss ohne die geringste Wirkung.
Im Gegenteil: Die Botschaft in Bonn müsse lauten, dass sich die Afghanen »auf
uns verlassen können«: so die Durchhalteparole des Sonderbeauftragten der
Bundesregierung Michael Steiner bei einer CDU-Konferenz, wobei offenbar kein
Wort zu den immensen Kosten fiel, die dieser Krieg seinen Landsleuten
aufbürdet. Gleiches erklärte auch Guido Westerwelle bei der Ankunft von Karsai
am 2. 12.: »Sie können sich auf uns verlassen. …… Auch nach dem Abzug der Isaf
müssen wir weiter gemeinsam daran arbeiten, die zusammen erreichten
Fortschritte zu bewahren und auszubauen. Deshalb braucht Afghanistan eine klare
und verläßliche Verpflichtung zu einem langfristigen
Engagement über 2014 hinaus.« Letzteres die gemeinsame eine Erklärung
von Westerwelle und dessen afghanischem Amtskollegen Zalmai Rassoul in der Welt vom 2. 12. Dass dieses unbeschränkte
Engagement sozusagen zementiert ist, dafür dürfte allein schon die UNO sorgen,
mit oder ohne Geberkonferenz, es sei denn, der Westen bräche zuvor finanziell
zusammen. »Damit Afghanistan ein stabiles Gemeinwesen werde«, hielt die Berliner Umschau vom 2. 12. fest, »von
dem keine Gefahr mehr für den Frieden ausgeht, seien die Afghanen auch künftig
auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft [im Klartext: die Steuerzahler vorzugsweise
des Westens] angewiesen. Für dieses vor
allem zivile Engagement soll die Konferenz in Bonn einen Grundstein legen.«
Wie der
Sprecher der afghanischen Solidaritätspartei, Said Mahmoud Pahiz, darlegt,
ignoriert die Konferenz in Bonn die Interessen des Volkes, da zwischen den Taliban
und den Kriegsherren ein Pakt für die NATO-Basen geplant sei: »Das
afghanische Volk ist daran nicht beteiligt. Nur eine Ansammlung von
Kriegsherren und Verbrechern wird dort erscheinen. Es sind die gleichen
Warlords, die der Westen im Zuge der ersten Afghanistan-Konferenz in Petersberg
2001 an die Macht brachte. Die heutige Regierung ist die zweitkorrupteste der
Welt und zugleich der größte Opiumlieferant der Erde. Das Leben der einfachen
Menschen hat sich unter der fremden Besatzung nicht verbessert. Deshalb haben
wir mit 3000 Menschen in Kabul gegen die Bonner Konferenz protestiert. Wir
knüpfen ein Netz für diejenigen, die vom Krieg genug haben und sich für den
Frieden einsetzen.« Was die Einstellung zu den deutschen Truppen betrifft, so
erklärt Pahiz, dass sich diese seit dem Massaker von Kundus - bei dem Bombardement starben mehr als 180
Menschen – verändert hat; sie werden nicht mehr als Helfer, sondern als
Besatzer mit der Aufgabe zum Töten gesehen. [2] Der tödliche Hintergrund
verstärkt sich, wenn man bedenkt, dass es bezüglich der von Thomas de Maizière
(CDU) und Aussenminister Guido Westerwelle (FDP) vorgetragenen neuen Strategie
in erster Linie um Militärisches geht. So soll die BRD z. B. »an den
Todeslisten mitarbeiten, auf deren Basis die US-Streitkräfte Menschen durch
Drohnen oder spezielle Kampftruppen umlegen lassen« [3], eine Bedrohung, die sowohl zivile Opfer wie Kinderleben
kostet.
Nun ist
über die offensichtlich unausrottbare Korruption in Afghanistan bereits
unendlich viel geschrieben worden, so auch auf politonline. Ein Anfang November erschienener Abriss zu diesem
Thema sei hier auszugsweise wiedergegeben; man kann sich ausrechnen, was an
Milliarden unserer Steuern auch in diesem Land versickert ist, was der Mehrheit
der Politiker keinerlei Kopfzerbrechen beschert.
Die Räuberbank von
Kabul - Von
Louis Imbert
Am 28.
Juni 2011 gab Abdel Kadir Fitrat, der Leiter der afghanischen Zentralbank, in
einem Hotel am Stadtrand von Washington seinen Rücktritt bekannt. In die USA
sei er geflüchtet, weil er »um sein Leben fürchte« [4]. Wenige Wochen zuvor hatte Fitrat
vor dem afghanischen Parlament einen ungeheuerlichen Finanzskandal enthüllt,
samt Namen und präzisen Zahlen. Dabei ging es um die Kabul Bank, die größte
Privatbank des Landes, die im August 2010 beinahe in Konkurs gegangen wäre. Die
neuesten Zahlen der afghanischen Zentralbank belegen, daß der Kabul Bank von
der Spitze innerhalb von sechs Jahren Kredite in Höhe von 579 Millionen
US-Dollar gewährt wurden, die sich als
uneinbringlich erwiesen. Inklusive Zinsen und weiterer Kredite, die als
Werbungskosten und Verwaltungsaufwand getarnt waren, stieg der Verlust
auf 914 Millionen $. Das afghanische Bruttoinlandsprodukt wird 2011 laut IWF
bei höchstens 7 Milliarden $ liegen. Daran gemessen wäre der Verlust der Kabul
Bank einer der höchsten in der internationalen Finanzgeschichte.
Der Fall
macht deutlich, daß die Regierung unter Präsident Hamid Karsai kein Mittel
gegen die grassierende Korruption findet. Drei Jahre vor dem endgültigen Abzug
der US-Streitkräfte hat die afghanische Geschäftswelt offenbar nur eines im
Sinn: sich an den internationalen Hilfsgeldern zu bereichern, solange sie
noch fließen. Aus der Sicht von William Byrd, dem früheren
Afghanistan-Beauftragten der Weltbank, ist die Geschichte der Kabul Bank »besonders
düster, weil gerade der Bankensektor bis vor kurzem als einer der wenigen
Erfolge beim Wiederaufbau des Landes galt.« Zu den Nutznießern der großzügigen
Geschäftspraktiken der Kabul Bank gehörten auch Mahmud Karsai und Mohammed
Qasim Fahim, ersterer ist der Bruder des Präsidenten, der andere des
Vizepräsidenten. Einem vertraulichen Bericht eines Mitarbeiters der Kabul Bank zufolge
hat die afghanische Zentralbank eine Liste von 207 Empfängern der dubiosen
Kredite ermittelt: unter ihnen sind Parlamentsabgeordnete, Minister, Provinzgouverneure,
Wahlkampfleiter, Künstler und ein Fußballklub. [5] Eine halbe Stunde nach der
Erklärung von Abdel Kadir Fitrat qualifizierte das Büro von Staatspräsident
Karsai dessen Rücktritt als ›Verrat‹. Interpol sowie der US-Botschaft in
Kabul wurde ein Haftbefehl für Fitrat übermittelt, mit der Begründung, daß dessen Name an der Spitze einer Liste von
Verdächtigen stehe, deren Veröffentlichung das Büro des afghanischen Generalstaatsanwalts
über ein Jahr lang verschleppt hätte. Einer Festnahme entgingen auch Sherkhan
Farnud, der Gründer der Bank, und deren Präsident Khalilullah Ferosi; beide
lebten zu diesem Zeitpunkt unbehelligt in Kabul. Ein Gerichtsverfahren wurde
bislang noch nicht eröffnet.
Aus
unterschiedlichen Quellen verlautet, der im Mai 2011 gegründete afghanische
Ausschuß für Korruptionsbekämpfung MEC (Monitoring
and Evaluation Committee) habe Mahmud Karsai und Mohammed Qasim Fahim
angeboten, daß sie unbehelligt bleiben würden,
falls die beiden Anteilseigner der Bank ihre offiziell als betrügerisch
bewerteten Kredite zurückzahlten. Mahmud Karsai hatte 22 Millionen $ erhalten,
Qasim Fahim für drei Aktiengesellschaften, an denen er beteiligt war, insgesamt
182 Millionen $. Seitdem ergeht sich Mahmud Karsai in Beschimpfungen gegen
Sherkhan Farnud. In unserem Interview bezeichnete er seinen früheren
Mitgesellschafter als »Verbrecher, dem schon längst der Prozess gemacht werden
müsste«.
Aber er sei auch »von der Lethargie der Regierung genervt und angewidert«.
Inzwischen
hat der Fall zu einem Machtkampf zwischen dem IWF und der afghanischen
Regierung geführt. [6] Der IWF blockiert
seit März 2011 einen Teil der internationalen Finanzhilfe für Afghanistan und
fordert die Regierung Karsai auf, für die Verluste der Kabul Bank aufzukommen [bis
Juli 2011 wurden nur 70 Millionen $ zurückgezahlt]. Kabul müsse außerdem das
Bankensystems reformieren und einen Prozeß gegen die Verantwortlichen
einleiten, der diesen Namen auch verdient. Der Gründer der Bank, Sherkhan
Farnud, der Mann, der den Mächtigen des Landes die Möglichkeit verschafft hat,
sich aus den Bankguthaben von 1,3 Millionen Afghanen zu bedienen, ist ein
Glücksritter von ganz unten. Er stammt aus einer armen Familie im Norden und
machte zunächst eine Karriere als Pokerspieler: Das Internetportal World Series
of Poker Tour führt ihn als Gewinner von fast 400 000 $ an Preisgeldern bei internationalen Turnieren
der Jahre 2005 bis 2008 auf. Den größten Teil seines Lebens verbrachte Farnud im Ausland. Schon als
Student in Moskau hatte er in den 1980er Jahren eine Firma gegründet, die
Geldtransfers für den Import afghanischer Textilien nach Russland abwickelte.
Innerhalb von 15 Jahren, berichtet ein ehemaliger Nato-Vertreter in
Afghanistan, habe Farnud sein Finanznetzwerk über Zentralasien nach Pakistan,
Iran und China bis nach Europa und Kalifornien ausgeweitet. Er bewegte sich
dabei auf dem Boden des traditionellen muslimischen Hawala-System. Das ist ein
von Banken unabhängiger, auf Vertrauen beruhender Transfermechanismus für
Kredite und Überweisungen, der den unschätzbaren Vorteil hat, daß er kaum
schriftliche Spuren hinterläßt. Nach Aussage eines ehemaligen Ermittlers der
US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA hat Farnud in den 1990er Jahren Geldtransfers
für alle möglichen legalen Kunden abgewickelt, aber auch Geldwäsche für die
Taliban, für Drogenhändler und für die al-Qaida praktiziert.
Nach der
Vertreibung der Taliban Ende 2001 war Sherkhan Farnud der erste, der eine
Lizenz zur Gründung einer Bank beantragte und 2004 bewilligt bekam. Er demonstrierte
rasch ein Gespür für werbewirksame PR-Gags, was unter Bankern selten ist. Um an
die Ersparnisse der Afghanen heranzukommen, ließ er zwei weibliche indische
Filmstars in Fernsehspots für seine neuen Kreditkarten werben. Unter dem Motto ›Bakht‹, was Glück und Reichtum bedeutet, veranstaltete er Lotterien in
großen Hochzeitssälen, wobei die Teilnahme auf die beschränkt war, die 100
Dollars auf ein neues Konto bei der Kabul Bank einzahlten, wobei er Autos,
Wohnungen und Bargeld verloste. Dabei habe er nur Methoden kopiert, die schon
anderswo im Mittleren Ostens eingeführt waren. Innerhalb von zwei Jahren hatte
Farnud sein System etabliert. Er heuerte neue Verbündete aus dem Dunstkreis der
afghanischen Machthaber an. Mahmud Karsai gewährte er ein Darlehen von 6 Millionen
$, mit dem der Präsidentenbruder einen 7 %igen Aktienanteil an der Kabul Bank
erwarb, ohne einen eigenen Cent mitzubringen. Der damalige
Zentralbankchef Noorullah Delawari erklärt diese Gefälligkeit so: »Farnud
gehörte nicht zu einem der Stammesverbände, er hatte keine politische
Rückendeckung. Darum ließ er Mahmud Karsai einsteigen, das sollte ihm als eine
Art Versicherungspolice dienen.« Der stellvertretende Generalstaatsanwalt in
Afghanistan hat 413 Darlehen ermittelt, die von der Kabul Bank in betrügerischer
Absicht vergeben wurden [Stand Juli 2011], und zwar häufig zinslos und ohne
Rückzahlungsfristen. Fast alle Kredite gingen an Aktionäre der Bank,
allerdings zumeist über Strohmänner wie Leibwächter, Gärtner oder Hausdiener.
Zugleich eröffnete die Bank eine Kette von Zweigstellen, auch im paschtunischen
Süden des Landes, wo seit 2005 wieder die Taliban präsent waren. Über Filialen
zahlte die Regierung in Kabul auch die Gehälter ihrer Beamten, Soldaten und
Polizisten.
Höchst kreativer
Umgang mit öffentlichen Geldern
Nach der
umstrittenen Wiederwahl Hamid Karsais im Sommer 2009 kamen noch mehr solcher
Auszahlungsvereinbarungen zwischen den Ministerien und der Kabul Bank zustande.
Das bot den Bankern phantastische Möglichkeiten, erläutert der Afghanistanexperte
Andrew Wilder vom US Institute of Peace: »Sie haben es verstanden, mit den
Geldern, die durch ihre Kassen gingen, höchst ›kreativ‹ umzugehen.« Zum
Beispiel, indem die Auszahlung der Beamtengehälter verzögert wurde, um
zusätzliche Zinsgewinne zu erzielen, die man dann in alle möglichen Geschäfte
investierte. Die so reichlich fließenden Einnahmen blieben nie lange im Tresor
liegen. Schließlich wollte sich Sherkhan Farnud ein Wirtschaftsimperium
aufbauen. Gemeinsam mit Mahmud Karsai kaufte er Zementfabriken, einen
Fernsehsender (1,8 Millionen $), ein Tankstellennetz (21 Millionen) und Immobilien
in Kabul [7]. Schief ging allerdings das
Geschäft mit der 2008 erworbenen Pamir Airways, in die Farnud mit einem Kredit
der Kabul Bank 98 Millionen $ investierte, die schon nach drei Jahren abschmierte.
Zuvor hatte Farnud versucht, die Konkurrenz mit Kampfpreisen auszustechen,
wobei die Pamir Airways das Ticket Kabul–Dubai zeitweilig für ganze 50 $ verkaufte.
Das Abenteuer endete im Mai 2010, als beim Absturz einer Antonow An-24 im
Hindukusch 44 Menschen den Tod fanden. Die Betriebserlaubnis der Maschine
war offenbar gefälscht. Im November verhängte die EU-Kommission
gegen Pamir Airways ein Einflugverbot, im März 2011 wurde der Firma die Lizenz
entzogen. Kurz nach dem Unglück präsentierte Khalilullah Ferosi, der seit 2008
der Kabul Bank vorstand, den Medien am Tag nach dem Flugzeugunglück mehrere
Witwen von Absturzopfern, die versicherten, sie seien angemessen entschädigt
worden. Zudem behauptete Ferosi, für das Unglück sei nicht die Pamir Airways
verantwortlich, sondern die Nachlässigkeit der NATO-Fluglotsen. Wie Farnud
hatte auch Ferosi einige Jahre in Russland verbracht und eine Ausbildung an der
Polizeischule in Ufa (Baschkirien) absolviert. Später hatte er sich als
Smaragdschmuggler für die Nordallianz des Ahmed Massud betätigt. Bei der Kabul
Bank hatte er zunächst als Sicherheitschef angeheuert. Wie sich dieser
Sprössling eines Dichters den Job eines Bankdirektors vorstellt, erklärte er im
Mai 2010 in einem Gespräch in Kabul: »In
Afghanistan sind alle Geschäfte gefährlich. Uns bleibt wenig Zeit; die
Machtverhältnisse ändern sich ständig. Und wenn die Amerikaner erst abgezogen
sind, wird für Geschäfte viel weniger Geld zur Verfügung stehen.« Seit
Ferosi an der Spitze der Kabul Bank stand, ließ sich Farnud nur noch selten in Kabul
blicken; er zog es vor, von Dubai aus zu operieren. Ein US-Offizier der NATO-Vertretung
meint dazu, dass Farnud in der Folge die Kontrolle über die Bank verlor: »Die Kabul Bank war immer ein
Pyramidensystem [8], aber Farnud konnte sie über Wasser halten, weil er saubere
Unternehmen ins Geschäft einbrachte. Ferosi hingegen hat sich dann mit Mahmud
Karsai und Qasim Fahim zusammengetan und pausenlos Kredite vergeben, also das
Geld so schnell wie möglich verteilt.«
Im Jahr
2010 beschleunigte sich diese Plünderungsstrategie erneut: Ferosi und Farnud wußten, dass es nicht mehr lange gutgehen würde, und
wollten das Letzte herausholen. Ende August 2010 verfügte die Zentralbank die
Absetzung der beiden; inzwischen hatten sich bereits 300 Millionen $ Verluste
angehäuft, vor allem durch Immobiliengeschäfte in Dubai. Als bekannt wurde,
dass die Bank fast pleite war, setzte der Sturm auf die Kassenschalter ein.
Alle Einleger wollten ihr Geld abheben. Im September 2010 sah sich die
Zentralbank gezwungen, die Kabul Bank mit 825 Millionen $ rezufinanzieren. Nach
Auskunft des stellvertretenden Generalstaatsanwalts versucht die Zentralbank
jetzt in Dubai Vermögenswerte in Höhe von 300 Millionen $ loszuschlagen, die
der Kabul Bank gehören. Ferosi hatte zum Beispiel 35 Luxusvillen im Wert von
160 Millionen $ auf der künstlichen Immobilieninsel Palm Jumeirah erstanden. Die
beiden für den Zusammenbruch der Kabul Bank Hauptverantwortlichen Farud und
Ferosi verbrachten nur 2 Monate im Gefängnis. Im September 2011 gewährte ihnen
Präsident Karsai Haftverschonung. Begründung: Sie sollen beim Aufspüren
noch veräußerbarer Vermögenswerte behilflich sein. Hamid Karsai will sich um den
Fall nicht weiter kümmern. Er schiebt die Schuld auf die
internationalen Aufsichtsgremien, die in der Affäre tatsächlich keine gute
Figur machten. [9] Während der Krise
autorisierte Karsai zunächst eine Prüfung durch die Zentralbank und das
afghanische Monitoring and Evaluation Committee zur Korruptionsbekämpfung. Dann
aber machte er eine Kehrtwende und wollte Aktionäre der Kabul Bank in
persönlichen Gesprächen zur Rückzahlung der empfangenen ›Kredite‹ bewegen, damit
diese nicht vor der Untersuchungskommission der Zentralbank aussagen mußten. Laut einem Bericht des US-Generalinspektors
für den Wiederaufbau Afghanistans (Sigar) duldete Karsai auch keine westlichen
Berater in der Zentralbank.
Um das
afghanische Bankensystem zu sanieren, will die Weltbank eine Durchleuchtung
(audit) der 10 größten Privatbanken des Landes finanzieren. Aber die
betroffenen Geldinstitute wollen sich nicht in die Karten schauen lassen. Die
Azizi Bank, die zweitgrößte Privatbank des Landes, soll seit 2008 bei
Geschäften in Dubai große Summen verloren haben. Einen der Hauptaktionäre
dieser Bank hatte Präsident Karsai schon Anfang 2009 zusammen mit dem Chef der
Kabul Bank einbestellt, um sie über die Verluste ihrer Finanzinstitute zu
befragen. Beide Banker zerstreuten offenbar alle Bedenken, verließen frohgemut
den Präsidentenpalast und gingen weiter ihren Geschäften nach.
[1] http://www.jungewelt.de/2011/11-30/029.php Mißerfolgsgeschichte - Pakistan boykottiert
Bonner Konferenz Von Werner Pirker
[2] http://www.jungewelt.de/2011/12-03/057.ph »Das Massaker von Kundus hat alles verändert«
Interview mit Said Mahmoud Pahiz, dem Sprecher der afghanischen
Solidaritätspartei – auszugsweise
[3] http://www.jungewelt.de/2011/11-29/047.php
»Eine reine Propagandashow für die Regierung« Interview von Peter Wolter mit Wolfgang
Gehrcke
[4] Le
Monde diplomatique Nr. 9647 vom 11. 11. 2011, Dokumentation Louis Imbert; die Übersetzung aus
dem Französischen erfolgte durch Edgar Peinelt
[5] Alissa J.
Rubin und Rod Nordland »Kabul Bank Is Portrayed as a Private A. T. M. for Afghanistan’s Elite«, New York
Times vom 29. März 2011
[6] Siehe
Martine van Biljert »The
IMF, Kabul Bank, government salaries and transition«, Afghan Analyst Network vom
Juni 2011
[7] Über das
Schicksal der Zementfabrik siehe Mir Sediq Saliq »A loss-making cash cow«, Afghanistan
Today vom 7. Juli 2011, bit.ly/r7235O
[8] Das bekannteste Beispiel für ein System, bei
dem die ersten Investoren aus den Einlagen der letzten ausbezahlt werden, ist
die Pyramide des New Yorker Investmentberaters Bernie Madoff
[9] Ein Bericht des vom US-Kongreß eingesetzten Special Inspector General for
Afghanistan Reconstruction (Sigar) monierte »unzureichende Kontrollen« und
mangelnde Kooperation der US-Aufsichtsbehörden. Nachzulesen unter: www.sigar.mil/pdf/audits/SIGAR%20Audit-11-13.pdf
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