Zu den Wahlen in Venezuela 07.10.2012 23:58
Noch wartet Venezuela auf das Resultat der Präsidentschaftswahlen; über 19 Millionen Wahlberechtigte
sind zur Abstimmung über ihren Präsidenten für die Jahre 2013 bis 2019 aufgerufen. Was nun die Einmischung von aussen angeht, so haben, schreibt Volker Hermsdorf, CDU und FDP seit Monaten mitgemischt, sowohl direkt als auch indirekt über ihre Stiftungen. Politiker der deutschen Regierungsparteien haben beim Aufbau der rechten Opposition geholfen, sich als deren Sprachrohr in Europa betätigt und das deutsche sowie das europäische Parlament zu deren Unterstützung mißbraucht. Die gemeinsamen Ziele: die Abwahl des sozialistischen Präsidenten Hugo Chávez Frias und ein Systemwechsel. Am 7. Oktober hat sich nun Chávez zum 14. Mal in seiner Amtszeit dem
Wählervotum gestellt. Bis auf eine Ausnahme hat er alle vorangegangenen
Abstimmungen gewonnen. Seit seinem triumphalen ersten Wahlsieg im Dezember 1998
und der konsequenten Umsetzung dessen, was er als »Sozialismus des 21.
Jahrhunderts« definiert, ist der 58jährige Sohn eines Dorfschullehrers nach
Fidel Castro weltweit zum beliebtesten Haßobjekt von Ultrarechten und
Neoliberalen geworden. In den vergangenen 14 Jahren gehörten ausländische
Einmischung, Umsturzversuche, Anschläge und Diffamierungskampagnen gegen den
immer wieder in demokratischen Wahlen bestätigten Präsidenten der Bolivarischen
Republik Venezuela zum Alltag. Was also ist das Besondere bei den Wahlen im
Oktober 2012?
Den ersten Anstoß zur aktuellen Kampagne der Systemgegner gab
US-Präsident Barack Obama bereits am 19. Dezember letzten Jahres in einem
Interview mit der konservativen venezolanischen Tageszeitung ›El Universal‹. Darin sprach Obama sich gegen die Wiederwahl
von Chávez aus und kritisierte, daß es in den Regierungen von Venezuela
und anderen Ländern der Region eine kritische Haltung gegenüber den USA gebe.
»Ich warte auf den Tag, an dem die Regierungen der USA und Venezuelas wieder
enger zusammenarbeiten können«, fügte der US-Präsident diplomatisch, aber
eindeutig hinzu. Für einen zwar nicht wahrscheinlichen, aber dennoch
gewünschten Systemwechsel nach den Oktober-Wahlen hatte Obama im
Haushaltsentwurf 2012 im »Budget für Auslandsoperationen des Außenministeriums«
neben 20 Millionen US-$ für
Anti-Castro-Gruppen in Miami und auf Kuba auch 5 Millionen $ für
Anti-Chávez-Aktivitäten in Venezuela eingestellt. Zusätzlich zu letzterem Posten
würden weitere Millionen zur Finanzierung politischer Kampagnen, von
Medienpropaganda bis zu anderen destabilisierenden Aktivitäten in der
südamerikanischen Nation gezahlt, enthüllte die US-venezolanische Anwältin und
Journalistin Eva Golinger im Februar 2012 in der Zeitung ›Correo del Orinoco/International‹. In Venezuela ist das ein klarer Verstoß. Das ›Gesetz zum Schutz von politischer Souveränität und
Nationaler Selbstbestimmung‹ verbietet seit Dezember
2010 die Finanzierung politischer Aktivitäten aus dem Ausland.
Dennoch treten neben der US-Regierung vor allem konservative Parteien aus
Europa und Deutschland als Sponsoren der rechten Regierungsgegner auf. Wegen
der klaren Gesetzeslage in Venezuela muß die Unterstützung oppositioneller
Gruppen verdeckt erfolgen. Bereits im Juni 2010 hatte Eva Golinger im
Internetportal ›amerika21‹ über die Tätigkeit deutscher Parteistiftungen
berichtet: »Mehrere deutsche Stiftungen, darunter die Konrad-Adenauer-Stiftung
und die Friedrich-Ebert-Stiftung, beteiligen sich direkt an der Finanzierung
der politischen Parteien in Venezuela. Die CDU-nahe Adenauer-Stiftung investiert
jährlich rund 500.000 € in Projekte rechter Parteien wie ›COPEI‹ und ›Primero Justicia‹.
Zusätzlich unterstützt sie jährlich mit 70.000 € Programme der konservativen
Katholischen Universität Andrés Bello, einer Hochburg oppositioneller
Studentengruppen.« Im Wahlkampf 2012 sind auch die CSU-nahe
Hanns-Seidel-Stiftung und die durch ihre Unterstützung der Putschisten in
Honduras und Paraguay in Lateinamerika berüchtigte Friedrich-Naumann-Stiftung
der FDP engagiert. Die Seidel-Stiftung verbreitete Anfang des Jahres vor allem
Spekulationen des privaten US-Nachrichtendienstes-Stratfor [der seit der
Veröffentlichung von fünf Millionen teils vertraulicher Dokumente durch
Wikileaks als »Schatten-CIA« gilt] über eine Nachfolge des an Krebs erkrankten
Präsidenten. Die deutschen Christsozialen stützten damit die Oppositionsstrategie,
Chávez als Todgeweihten darzustellen, der den Wahltag nicht oder nur kurze Zeit
überleben würde.
Die Naumann-Stiftung macht ihrem
schlechten Ruf auch in Venezuela alle Ehre. In einer
Veröffentlichung der Putschisten-Freunde werden die Leser darüber aufgeklärt,
daß man in Venezuela bereits in einer Diktatur des 21. Jahrhunderts lebe, in
der eine Regierung herrsche, deren Macht völlig unbegrenzt sei und die
zunehmend auf Repression setze. Am 7. Oktober, so die FNS, werde »Venezuelas
autoritär herrschender Staatspräsident Chávez« herausgefordert. Eine Niederlage
seiner Gegner könne »einen noch dramatischeren Verlust von Freiheiten
bedeuten«. Deshalb biete sich bei dieser Wahl die »letzte Gelegenheit, um in
einer Demokratie leben zu können«. Die Wahlhelfer aus Deutschland legen sich
seit Anfang des Jahres nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten mächtig ins
Zeug. Im April drängte die Bundesregierung innerhalb der EU auf eine verstärkte
Unterstützung der rechten Opposition, berichtet ›amerika21‹. Bei einer offiziellen Reise der von Ingrid
Hönlinger (Bündnis 90 / Die Grünen) geleiteten deutsch-südamerikanischen
Parlamentariergruppe vom 10. bis 21. April nach Venezuela, Chile und Argentinien,
wurde das bereits umgesetzt. »In Venezuela hatten wir fast nur Treffen mit
oppositionellen Kräften, während wir in Chile nur mit Regierungsleuten
zusammenkamen«, berichtet Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete der Linken. Auch
bei einer von der Seidel-Stiftung organisierten Reise des ehemaligen
Wirtschaftsministers Michael Glos (CSU) im Juni stand vor allem der Austausch
mit Regierungsgegnern auf dem Programm. Am 20. Juni traf Glos in der Residenz
des deutschen Botschafters mit dem Präsidentschaftskandidaten des
Oppositionsbündnisses »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD), Henrique
Capriles Radonski, zusammen. Hänsel war bereits im April aufgefallen, daß die
Vertreter der deutschen Stiftungen mit dem MUD-Aufbau »alle Hände voll zu tun«
hatten. Eine für Juni geplante Vorstellungsreise nach Deutschland hatte der von
der Adenauer-Stiftung eingeladene Capriles nur aus Termingründen abgesagt.
Der 40jährige Capriles ist Rechtsanwalt, Gouverneur des Bundesstaats
Miranda und der Hoffnungsträger der venezolanischen Eliten und der internationalen
Reaktion. Er entstammt einer Familie von Medienunternehmern, die zu den
reichsten in Venezuela gehört. Die von
ihm mitbegründete Rechtspartei »Primero Justicia« wird seit Jahren von der
Adenauer-Stiftung unterstützt. Capriles gilt als einer der Hauptakteure
des gescheiterten Putschversuchs gegen die gewählte Chávez-Regierung vom 11.
April 2002. Dabei führte er eine Gruppe von Putschisten an, die gewaltsam in
die kubanische Botschaft eindrangen, das Personal bedrohten, dessen Versorgung
mit Wasser, Strom und Lebensmittel blockierten und die Fahrzeuge der diplomatischen Vertretung zerstörten. Obwohl er aus dem rechten Lager kommt und
der Wunschkandidat der reichen einheimischen Oligarchie, der USA und des
neoliberalen europäischen Spektrums ist, versucht der ehemalige Putschist sich
als Mitte-Links-Politiker zu präsentieren. Eine Rolle, die ihm und seinen
Hintermännern nicht leicht fällt. Aber im heutigen Venezuela hätte ein
Kandidat, der sich offen gegen den Sozialismus und für ein neoliberales Modell
ausspricht, keine Chance.
Die von Chávez angestoßene Bolivarische Revolution hat seit 1998
beachtliche Erfolge erzielt und der ärmeren Bevölkerungsmehrheit deutliche
Verbesserungen gebracht. Mit der Schaffung der Staatenbündnisse ALBA, Unasur,
Celac und dem Beitritt zum Wirtschaftsbündnis Mercosur ist Venezuela von einem
abhängigen Anhängsel der US-Hegemoniepolitik zu einem selbstbewußten Staat
geworden, der die Integration der Länder Süd- und Lateinamerikas sowie der
Karibik vorantreibt. Mit der Gründung von Petrocaribe, Petrosur, der Bank des
Südens und der Gemeinschaftswährung SUCRE kommen die Erträge der Ölindustrie
und anderer Ressourcen nicht mehr nur ausländischen Investoren, sondern vor
allem den Menschen in der Region zugute. Die ärmere Bevölkerung hat erstmals
Zugang zu Bildungseinrichtungen, günstigen Lebensmitteln und einer landesweiten
medizinischen Versorgung. Auch im Kampf gegen die extreme Armut gibt es
Fortschritte. Nach einem aktuellen
UNO-Bericht vom 21. August hat Venezuela sich mittlerweile zum Land mit der
geringsten sozialen Ungleichheit in Lateinamerika entwickelt.
Zu den jüngsten Projekten gehört ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm [Gran
Misión Vivienda], das den Bau von über zwei Millionen Wohnungen bis zum Jahr
2017 vorsieht; abhängig vom Einkommen finanziert die Regierung bis zu 100 % der
Kosten für eine Wohnung. Das am 8. Mai in Kraft getretene neue Arbeitsgesetz ›LOT‹ [Ley Orgánica del Trabajo
de los Trabajadores y Trabajadoras] ist fortschrittlicher als die Forderungen
deutscher Gewerkschaftsspitzen. Das Gesetz stärkt Arbeitnehmerrechte durch
umfassenderen Schutz des Arbeitsplatzes, Verkürzung der Wochenarbeitszeit,
erweiterten Mutterschutz, Abschaffung von Outsourcing und Verbot von
Leiharbeit. Solche Erfolge der bisherigen Chávez-Regierungen wollen die ärmeren
und die arbeitenden Schichten nicht aufs Spiel setzen. Der »Sozialismus des 21.
Jahrhunderts« findet in der Bevölkerung breite Unterstützung. Die Opposition
hat sich darauf eingestellt und erklärt Capriles zum besseren »Chávisten«.
Der progressive Anstrich des rechten Kandidaten wird aber mit viel
Mißtrauen betrachtet. Seine bekannte Aversion gegen Kuba, Nicaragua, Bolivien
und Ecuador droht Venezuela bei einem Wahlerfolg des Oppositionsbündnisses MUD
in die außenpolitische Bedeutungslosigkeit zurückzuwerfen. Sein Sieg wird
allerdings von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, denn das rechte Bündnis ist
brüchig. Einen Monat vor dem Wahltermin haben sich die Oppositionspolitiker
William Ojeda und David de Lima, früherer Gouverneur des Bundesstaates
Anzoátegui, als erste aus dem Bündnis verabschiedet und öffentlich dazu
aufgerufen, Capriles nicht zu wählen. Die beiden fühlten sich von dem
Spitzenkandidaten getäuscht, nachdem ein Geheimpapier mit dem tatsächlichen
Programm nach einem Wahlsieg der MUD-Politiker bekannt geworden war. Dessen
Umsetzung, warnt de Lima, würde das Land »in einen Bürgerkrieg« führen. Das von
Capriles mit unterzeichnete Programm sieht
unter anderem die Privatisierung der staatlichen Gesundheitsvorsorge und der
Wasserversorgung, die Erhöhung der Tarife für Energie und öffentlichen
Nahverkehr, die Abschaffung der staatlichen Lebensmittelmärkte mit garantierten
niedrigen Preisen, Verschlechterungen bei der Rente und den Ausstieg aus weiteren
sozialen Projekten vor.
Eine neoliberale Agenda, die ganz auf der Linie der deutschen
Regierungsparteien liegt. Ihr aus
Steuergeldern finanzierter Einsatz für die Befreiung Venezuelas vom
Sozialismus ist deshalb verständlich. Allerdings könnte der Schuß nach hinten
losgehen. Sollte das venezolanische Volk am 7. Oktober erneut demonstrieren,
daß eine Welt jenseits kapitalistischer Ausbeutung möglich ist, wäre das auch
eine Niederlage für die Bundesregierung und ihr neoliberales Modell für Europa
und die Welt.
Quelle: http://seniora.org/index.php?option=com_content&task=view&id=854&Itemid=58 4. 10. 12 Einmischung in Venezuela - von Volker Hermsdorf; der Aufsatz erschien in der
Politikzeitschrift ›Ossietzky 20/2012‹ Mit freundlicher Genehmigung des Verlags
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