Unruheherd Afrika - Mali

d.a. Nach dem im März dieses Jahres in Mali erfolgten Militärputsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Amadou Toumani Touré

wurde in der Hauptstadt Bamako unter dem Druck der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS zwar wieder eine Übergangsregierung eingesetzt, jedoch erstreckt sich deren Autorität ausschliesslich auf den Süden des Landes. Nicht übersehen sollte man den Fakt, dass es, wie dies Eric S. Margolis aufgezeigt hat [1], in der USA ausgebildete Armeeoffiziere gewesen sind, die die zivile Regierung von Touré kurz vor dem Ende von dessen regulärer Amtszeit gestürzt haben. 1991 hatte sich Touré seinerseits am Sturz des vorhergehenden Präsidenten Moussa Traoré beteiligt und war in der Folge zum Staatsoberhaupt von Mali gewählt worden. Im Mai 1992 übergab er die Macht einer zivilen Regierung unter Alpha Oumar Konaré; erst am 29. April 2007 war er für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden. Der Vorwurf der Putschisten an Touré lautet, dass er nicht in der Lage sei, den seit Mitte Januar dieses Jahres andauernde Aufstand der Tuareg im Norden des Landes unter Kontrolle zu bekommen. Ein zurückliegender Konflikt mit den Tuareg war unter Touré im Dezember 1991 durch einen Waffenstillstand beendet worden. Der Regierung wurde ferner vorgeworfen, die Streitkräfte bei der Bekämpfung der Tuareg nicht genügend unterstützt zu haben. So fehle es auch an Waffen. Die Afrikanische Union, die ECOWAS sowie Nigeria hatten die Aktion der meuternden Soldaten indessen scharf kritisiert. Im Anschluss an den Putsch hatte Frankreich angekündigt, die Zusammenarbeit mit Mali mit Ausnahme der Entwicklungshilfe auszusetzen, während die USA ihre Militärhilfe für das Land -  jährlich 137 Millionen $ - überprüfen wollte. Am 9. April hatte Touré offiziell seinen Rücktritt erklärt. Man fragt sich im übrigen, wohin die Millionen in dem mausarmen Land jedes Jahr verschwinden……

Die Tuareg 
Nord-Mali wird seit Anfang des Jahres von Tuareg-Milizen kontrolliert, unter denen sich schon bald eine militant islamistische Fraktion durchsetzte. Die Entwicklung ist eine direkte Folge des Libyen-Kriegs der NATO, dem die Schuld an der Zerstörung des überaus fragilen Gleichgewichts in den ökonomisch prekären Wüstenrandgebieten anzulasten ist. Unmittelbarer Auslöser des Konflikts ist die Rückkehr Tausender Tuareg aus Libyen, wo sie seit Jahren in den Diensten der Armee gestanden und zuletzt auf Seiten Muammar al Gaddafis gekämpft hatten. Als deutlich wurde, dass im Dienst der libyschen Streitkräfte stehende loyale Tuareg nach dem Sieg der Aufständischen über Gaddafi brutal verfolgt werden würden, kehrten diese in ihre Heimatregionen in der Sahelzone zurück, in denen äusserst missliche Lebensbedingungen herrschen. Viele von ihnen flohen mit ihren Waffen in den Norden Malis, wo es in der Folge zu massiven sozialen Unruhen kam, so dass der seit 2009 notdürftig befriedete Konflikt zwischen der Regierung und den um eine grössere Eigenständigkeit kämpfenden Tuareg wieder aufflammte. Zu Beginn dieses Jahres fegte dann ein Tuareg-Aufstand die staatlichen Strukturen in Nord-Mali hinweg, und während der darauf folgenden Umwälzungen setzten sich die militanten Islamisten durch. Der riesige trockene Norden des Landes war einst ein Hinterland in Frankreichs Kolonialreich. Frankreich, das Mali als Teil seines westafrikanischen Reichs beherrscht hatte, hat noch immer tiefgehende finanzielle, militärische, kommerzielle und geheimdienstliche Interessen in der Region.

Der Norden Malis ist seit langem ein Hauptumschlagspunkt für den Drogenschmuggel von Südamerika in westafrikanische Länder, dies als Haupteinnahmequelle für örtliche kriminelle Netzwerke; hinzu kommen Lösegelder für entführte europäische Touristen oder Arbeitskräfte. So waren im August 2007 etwa 40 Soldaten bei Überfällen in Geiselhaft geraten; ein zu diesem Zeitpunkt vorgeschlagenes Abkommen, in dem sich die Regierung Malis zum Ausbau der Infrastruktur in der nördlichen Wüstenregion verpflichtete und den Tuareg die Integration in die Streitkräfte sowie Stellen in der öffentlichen Verwaltung in Aussicht stellte, war jedoch von den  von Bahanga geführten Rebellen abgelehnt worden. Im März 2008 wurden bei Kämpfen zwischen der Armee und den Tuareg 33 Soldaten entführt. Im Juli desselben Jahres wurde dann unter Vermittlung von Algerien ein Waffenstillstand mit der Regierung von Mali vereinbart, wobei sich beide Seiten auf die Bildung eines Komitees zur Durchsetzung dieser Entscheidung geeinigt hatten; Gegenstand war die Forderung der Rebellen, mehr Staatshilfe zu erhalten.

Unter dem Titel Mali: Eine weitere imperialistische Erfolgsgeschichte
legt Jacob G. Hornberger die mit dem Putsch verbundenen Vorgänge etwas genauer dar: Manchmal allerdings, führt er aus, manifestieren sich die nachteiligen Folgen der imperialistischen und interventionistischen Aussenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika umgehend. Ein gutes Beispiel dafür ist jetzt im afrikanischen Land Mali zu finden. Erinnern wir uns an Präsident Obamas humanitäre militärische Intervention in Libyen. Dort töteten Bomben und Raketen der USA Menschen -  mit dem Ziel, denjenigen, die Tod und Zerstörung überlebten, die Demokratie zu bringen. Die nach dem Sturz von Gaddafi mitsamt ihren Waffen über den Niger in den Norden von Mali zurückgekehrten Tuareg schlossen sich dem bewaffneten Aufstand gegen die demokratisch gewählte Regierung Malis an und drohten Bamako mit Krieg, sollte ihr Siedlungsgebiet Azawad nicht unabhängig werden. Dank der Waffen und Kampferfahrungen, die die Tuareg mit sich gebracht hatten, begann sich das Pendel in Richtung der Rebellen zu bewegen. Dem Putsch angeschlossen hatte sich ein Hauptmann des malischen Militärs, Amadou Haya Sanogo. Dieser war im Rahmen des Kriegs gegen den Terrorismus vom US-Militär in den Staaten ausgebildet worden. Sanogo hatte von 2004 - 2005 in der Luftwaffenbasis Lackland in Texas Sprachkurse für Englisch besucht, 2008 einen weiteren Sprachkurs in Fort Huachuca in Arizona. Laut der New York Times nahm er
»vom August 2010 bis Dezember 2010 auch an dem prestigeträchtigen Infanteriekurs der Armee in Fort Benning, Georgia, teil.« Wie ferner zu lesen ist,  »haben Mali und die USA in den letzten Jahren im Rahmen des amerikanischen Antiterrorismus-Progamms enge militärische Beziehungen unterhalten. »Und vergessen Sie nicht«, fügt Hornberger an, »dass die Regierung der USA Militärdiktaturen liebt, weil diese Ordnung und Stabilität in Länder bringen. Deswegen haben die US-Behörden Milliarden von Dollars in die ägyptische Militärdiktatur gesteckt und tun das weiterhin. Deswegen unterstützten sie auch die Militärdiktatur Musharrafs in Pakistan. Genau aus diesem Grund stürzten sie den demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas und installierten an seiner Stelle eine Militärdiktatur, nur ein Jahr, nachdem die CIA den demokratisch gewählten Premierminister des Irans durch die brutale Diktatur des Schahs ersetzt hatte.«  [2]  

Auch Simon Loidl hält in der jungen Welt fest, dass die jetzige Situation das unmittelbare Resultat westlicher Interventionspolitik ist. Politische Beobachter warnten bereits 2011 davor, dass durch den Angriff auf Libyen ausgelöste Flüchtlingsbewegungen im Zusammenspiel mit den Aktivitäten islamistischer Gruppen die gesamte Sahel-Zone destabilisieren würden, vor allem aber die Reaktivierung der militärischen Aktivitäten der Tuareg, deren Angehörige in mehreren Ländern der Region leben, bewirken würden.  [3]  Strategic Alert vermerkt desgleichen, dass der entscheidende Machtzuwachs für die Kämpfer in Mali durch die Entfesselung der Dschihadis in Libyen, die vor Ort den Kern der Hilfstruppen für die amerikanisch-britisch-französische Koalition zum Sturz von Muammar Gaddafi bildeten, zustande kam. Nach ihrem Sieg in Libyen verliessen diese Rebellen das Land, um andere afrikanische Staaten zu destabilisieren, oder um sich der bewaffneten Opposition gegen Syriens Präsidenten Assad anzuschliessen. Diese Gruppen erhalten massive finanzielle und andere Unterstützung durch das saudische Königshaus und Katar und viele davon, wie die Islamische Kampfgruppe Libyens [LIFG], wurden jahrzehntelang in London vorbereitet. [4]

Am 6. 4. 12 riefen dann die Tuareg-Rebellen der Nationalen Befreiungsbewegung von Azawad[MNLA] die Unabhängigkeit für den Norden Malis aus. »Wir verkünden feierlich die Unabhängigkeit von Azawad, die von heute an gilt«, hatte deren Sprecher Mossa Ag Attaher den französischen Sender France 24 am 6. 4. wissen lassen. Die MNLA wolle die Grenzen zu den angrenzenden Staaten anerkennen; gleichzeitig wurde die Internationale Gemeinschaft darum gebeten, ihren Staat unverzüglich anzuerkennen. Die MNLA wirft der Regierung den Versuch einer Auslöschung der Tuareg vor; bei Trockenheiten in den vergangenen Jahren sei versucht worden, diese verhungern zu lassen. Angeführt wird die NMLA von Billal Ag Acherif, einem früheren Oberst der libyschen Streitkräfte. In der von ihm unterzeichneten Unabhängigkeitserklärung heisst es, die schlechte Regierung in Mali in den vergangenen 50 Jahren, die Korruption, die heimliche militärische, politische und finanzielle Verschwörung, habe die Existenz des Volkes von Azawad gefährdet und sei auch eine Gefahr für die Stabilität der Region und des internationalen Friedens gewesen. Als Azawad bezeichnen die Tuareg ihre Heimatregion, die sich vom Westen Malis bis in den Norden erstreckt und auch Teile Nord-Nigers und Süd-Algeriens umfasst.  [5] 

Für die Bevölkerung im Norden Malis, legte FAZ online Anfang April dar, ist der Vormarsch der Islamisten ein Schock. Die wenigen Zeugenaussagen, die derzeit noch telefonisch aus Timbuktu zu erhalten sind, zeugen davon, dass die Frauen gezwungen werden, den Schleier zu tragen. »Tatsächlich ist die Eroberung des Nordens von Mali einer auf den ersten Blick unmöglich erscheinenden Allianz geschuldet: Dem Bündnis einer säkularen Rebellion von Tuareg mit der Terrorgruppe Al Qaida im islamischen Maghreb [Aqim], die seit Jahren im Norden Malis ihre Rückzugsgebiete hat. Helfer der radikalen Islamisten für deren Machtübernahme in der historischen Stadt Timbuktu, in der sich inzwischen drei Aqim-Führer aufhalten sollen, war ein Tuareg namens Iyad ag Ghaly, der einst für die malische Regierung mit Aqim verhandelte. Inzwischen sieht es so aus, als ob die islamistischen Extremisten in den eroberten Städten Nordmalis die Oberhand hätten. Die Verbindungen zwischen Aqim und den Tuareg gehen auf die Jahre 2005 und 2006 zurück. Die algerische Terrorgruppe Groupe salafiste pour la prédiction et le combat (GSPC), aus der später Aqim wurde, mußte vor dem enormen Druck der Armee in ihrem Heimatland ins Ausland ausweichen. Doch der Versuch, sich in Marokko und später in Mauretanien dauerhaft festzusetzen, scheiterte am Widerstand der dortigen Geheimdienste. Also zog sich die Gruppe um ihren Anführer Abdelmalek Droukdal in das Gebirgsmassiv Adrar des Ifoghas im Nordosten Malis zurück, wo sie am 11. September 2006 dem al-Qaida-Führer Usama bin Laden und seinem Stellvertreter Ayman al Zawahari die Treue schwor. Die algerischen Dschihadisten zahlten den Tuareg viel Geld für ihren Schutz und profitierten von dem schwunghaften Schmuggel, der seit jeher eine der größten Einnahmequellen im Grenzgebiet von Algerien, Mali, Mauretanien und Niger darstellt. Aqim aber dachte in größeren Kategorien und begann im Jahr 2008, Kokaintransporte für südamerikanische Kartelle zu organisieren. Das ging soweit, daß die Kartelle ganze Flugzeugladungen nach Mali brachten, wie etwa jene Boeing 727, die Mitte 2009 aus Venezuela kommend auf einer Piste im Norden Malis aufsetzte und anschließend von der Besatzung in Brand gesteckt wurde. Daneben hatte sich Aqim von Bombenanschlägen ab- und dem lukrativen Geiselgeschäft zugewandt. …… Aqim ist schwer zu bekämpfen, weil die Gruppe kleinteilig organisiert und deshalb sehr mobil ist. Französische Terrorexperten gehen davon aus, dass Aqim in zwei große, Katiba genannte Gliederungen eingeteilt ist, die sich wiederum in Gruppen von höchstens zehn Kämpfern unterteilen. Das Einflußgebiet der Ost-Katiba erstreckt sich von Tunesien im Norden bis Niger im Süden sowie von Mauretanien im Westen bis zum Tschad im Osten. Die zweite Katiba im Westen ist vor allem in Mauretanien aktiv und soll von Mokthar Belmohktar befehligt werden, der wegen seiner umfangreichen Schmuggelgeschäfte auch Mister Marlboro genannt wird; dieser soll sich inzwischen ebenfalls in Timbuktu niedergelassen haben. Indessen setzte die mauretanische Armee den Terroristen ebenso zu wie die nigrischen Streitkräfte. Das Militär beider Länder wurde dabei von französischen Elitesoldaten unterstützt. Mathieu Guidière, Islamkundeprofessor an der Universität von Toulouse, schätzt die jährlichen Verluste von Aqim durch Tötung, Verletzung und Gefangennahme auf bis zu 50 % der permanent unter Waffen stehenden Kämpfer. Daß Aqim trotzdem aktiv bleiben konnte, war vor allem der klammheimlichen Unterstützung durch die malische Regierung zu verdanken. Die Gruppe hat in Mali immer auf die Kooperation der Sicherheitskräfte zählen können. Stand ein Angriff auf einen ihrer Stützpunkte bevor, wußte Aqim das mindestens 24 Stunden im voraus. Galt es Lösegeld zu übergeben, bediente sich der malische Geheimdienst meist großzügig. Zwischen der malischen Regierung unter ihrem unlängst gestürzten Präsidenten Amadou Toumani Touré und den Islamisten schien so etwas wie ein gentlemen’s agreement zu bestehen. Aqim nahm keine Geiseln auf malischem Boden und im Gegenzug machte die malische Armee einen großen Bogen um das Rückzugsgebiet der Terroristen. Die malischen Sicherheitsbehörden schauten auch weg, als Aqim vor knapp zwei Jahren anfing, Mitglieder der radikalen nigerianischen Sekte Boko Haram im Bombenbau zu unterrichten. Dieses heimliche Abkommen mit Bamako hielt bis zum November 2011, als Aqim-Kämpfer zwei angebliche französische Geologen, die in Wahrheit Söldner waren, in Hombori nahe der Stadt Gao entführten. ……. Über die Hintergründe der Aufkündigung der Zusammenarbeit ist seither viel spekuliert worden.«   [6]   

Furchtbare Folgen: Die Schari
Ende September war dem Bericht von Martin Müller-Mertens zu entnehmen, dass die mit der Tuareg-Befreiungsbewegung zweckverbündeten Islamisten in Azawad ein Schreckensregime errichtet haben. »Wie die Gesellschaft für bedrohte Völker [GfbV] am 24. 9. mitteilte, wüten die Bewegung für die Einheit und den Jihad in Westafrika [MUJAO] und die mit ihr verbündete Ansar Dine sowie die El Kaida im Maghreb [AQMI] mit der ganzen Breite der angeblich islamischen Unterdrückungsinstrumente. Die islamistischen Bewegungen haben im Norden Malis in den letzten drei Monaten eine Terrorherrschaft errichtet, unter der die Zivilbevölkerung leidet, klagt der GfbV-Afrika-Referent Ulrich Delius. Auf Grund der durch die MUJAO, Ansar Dine und AQMI eingeschränkten Frauenrechte und der Scharia nehmen Amputationen sprunghaft zu – Woche für Woche. Allein in dem zur Hauptstadt von Azawad ausgerufenen Gao droht 80 Gefangenen der Verlust von Gliedmaßen. Erst am 10. September wurden fünf Männern wegen Raubes ein Fuß und eine Hand abgeschlagen. Besonders unmenschlich ist, daß diese amtlich verordneten  Verstümmlungen noch nicht einmal medizinisch angemessen begleitet werden, sagte Delius. Ein mutmaßlicher Dieb im Ort Ansongo erhielt nach der Amputation der Hand lediglich Schmerzmittel und Antibiotika; er starb. Besonders betroffen sind Angehörige der afrikanischen Völker Songhoi und Peul, allerdings mittlerweile auch die Tuareg. Auch die eigenwillige Sexualmoral der drei Gruppierungen wird in dem etwa 800.000 km² umfassenden Gebiet Azawad offenbar in ihrer ganzen Breite durchgesetzt. Am 29. Juli wurden in Aguelhok die unverheirateten Eltern zweier Kinder öffentlich gesteinigt. Dabei galt gerade der Norden Malis traditionell als Beispiel für einen toleranten Islam. In der Region gab es weder das Verbot von Alkohol, noch von Tabak. Selbst der Schleier war bei Frauen unüblich. Und dies, obwohl rund 90 % der Menschen dem Islam angehören. In Timbuktu müssen sich heute sogar Tuareg-Frauen, die traditionell niemals einen Schleier tragen, in der Öffentlichkeit verschleiert zeigen, wenn sie der Verhaftung entgehen wollen, berichtet Delius. Ich will keine Unabhängigkeit, ich will die Scharia für mein Volk, machte Ag Ghaly, der Chef von Ansar Dine, unmißverständlich deutlich. Wir sind gegen Revolutionen, die nicht im Namen des Islams sind. Zwar hatten sich die Gruppierungen MNLA, MUJAO, Ansar Dine sowie AQMI kurzfristig auf die Errichtung eines islamischen Tuareg-Staates geeinigt, doch beendete die MNLA die Allianz bereits im Mai und forderte einen säkularen Nationalstaat. Die Vertreibung der MNLA-Kämpfer aus allen Städten im Norden Malis durch die Islamisten hielt bis Ende Juni an, so daß es der Ansar Dine inzwischen gelungen ist, die MNLA weitgehend aus den eroberten Gebieten zurückzudrängen und die nahezu alleinige Kontrolle über Nordmali an sich zu reißen. Mit harter Repression gegen die örtliche Bevölkerung versucht die Gruppe, ein an die Scharia angelehntes klerikales Regime zu etablieren.«  [7]  Auch German Foreign Policy schreibt, dass die militant islamistischen Kräfte im Norden die Körperstrafen offenbar häufiger und exzessiver als Saudi-Arabien vollstrecken und ihre Moralkodizes mit einer Brutalität durchsetzen, die an die Praktiken afghanischer Taliban gemahnt.

Nach Angaben der GfbV hat die MUJAO die Ausdehnung der Scharia auf ganz Mali zur Bedingung für Friedensverhandlungen mit der Regierung in Bamako gemacht. »Diesem Druck nachzugeben käme einer Bankrotterklärung der Demokratie in Mali gleich«, warnt Delius. Auch die MNLA richtete am 21. 9. eine Erklärung an die Regierung Malis. Darin bietet Moussa Ag Assarid, Kommunikationsverantwortlicher der Übergangsregierung Azawads, Verhandlungen in Würde und gegenseitigem Respektan, um die Zukunft und Schicksale in Ruhe und Gelassenheit unter Wahrung ihrer Brüderlichkeit und guten Nachbarschaft zu erörtern.  [7]  Hinzu kommt die teilweise durchgeführte Zerstörung des Weltkulturerbes in der Wüstenstadt Timbuktu, das von der UNESCO erst vor kurzem auf die Welterbeliste gesetzt worden war. Laut einem Bericht von BBC online vom 23. 10. seien soeben zwischen 60 bis 100 Algerier und Sharawis im Norden Malis eingetroffen, ebenso sudanesische Islamisten. Auch BBC hält fest, dass sich die islamistischen Gruppen mit den mit ihnen zuvor verbündeten Tuaregs entzweit haben.  

Ein mögliches Vorgehen 
Anfang April hatte Aussenminister Alain Juppé davor gewarnt, dass in Mali eine »islamistische Republik« entstehen könnte. Paris wolle die internationale Gemeinschaft gegen diese Gefahr mobilisieren. »Wir brauchen eine gemeinsame Antwort auf die islamistische Bedrohung für die ganze Region, die von Libyen bis nach Nigeria reicht«, erklärte Juppé, womit er bereits die Möglichkeit künftiger Interventionen anklingen liess.  [3]     

Was ein militärisches Engagement der EU anbelangt, so hat Guido Westerwelle dieser Tage ein besonnenes Vorgehen angemahnt; mit Bezug auf die Bundeswehr erklärte er, dass zuerst die politischen Ziele klar sein müssten, bevor über deren Einsatz gesprochen werden könne. Hingegen hatte die Bundeskanzlerin am 22. Oktober auf einer Bundeswehrtagung in Strausberg bei Berlin die grundsätzliche Bereitschaft der Bundesregierung, deutsche Soldaten an einer Ausbildungsmission für malische Streitkräfte teilnehmen zu lassen, dargelegt  - wenn die Voraussetzungen dafür geklärt seien. »Wir wissen, daß die Streitkräfte Malis zu schwach sind, um zu handeln. Sie brauchen Unterstützung«, so Merkel auf der Tagung; eine solche aber könne die Bundeswehr leisten. Merkel ferner: Man könne nicht akzeptieren, daß der internationale Terrorismus im Norden Malis ein sicheres Rückzugsgebiet erhalte.  [8] 

Der laut Arnold Schölzel von Merkelvollzogene Schwenk in der deutschen Militärdoktrin hin zu mehr Eigenständigkeit veranlasste diesen zu dem Titel Entwaffnet Merkel!. »Die  Bundeswehr«, schreibt er, »soll nach ihren Worten auch bei einer stärkeren Zusammenarbeit in EU und NATO ihre Kapazitäten nicht abbauen, sondern verbreitern. Wörtlich erklärte Merkel: Ein Land wie Deutschland, als größte Volkswirtschaft in Europa und mit seiner Bevölkerungszahl und mit seinen Ressourcen, sollte ein breites Spektrum an Fähigkeiten vorhalten. Zwar solle im Bündnis das pooling und sharing vorangetrieben werden – also die gemeinsame Nutzung von Material. Aber für Deutschland sei das Prinzip Breite vor Tiefe außerordentlich wichtig. Das Land biete seinen Nachbarn eine »Anlehnungspartnerschaft« an. Die Nachbarländer könnten mit ihren militärischen Fähigkeiten an die Bundeswehr andocken.« Über die Kosten für ihr mit Billionen verschuldetes Land kein Wort. 

Ähnlich hehre Worte waren auch von Verteidigungsminister Thomas de Maizière zu vernehmen. Wie Schölzel weiter ausführt, unterstützte dieser Merkels Kurs auf der Tagung. »Weil andere Partner nicht bereit seien, auf große Fähigkeiten zu verzichten, werde dies auch Deutschland nicht tun, erklärte der CDU-Politiker und fuhr fort: Es wird  - zu Recht -  immer der Anspruch an eine Mittelmacht wie die Bundesrepublik Deutschland sein, in jeder Operationsart im Bündnis eine Rolle spielen zu können, einen Teil zu übernehmen. Deshalb setze er auf das Konzept Breite vor Tiefe. Die Bundeswehr muß sich nach Ansicht des Ministers zudem auf mehr Anfragen für internationale Einsätze vorbereiten. Wir werden gefragt, unser Einfluß ist erwünscht und anerkannt, sagte de Maizière laut Redetext. Als starkes Mitglied der internationalen Gemeinschaft wird Deutschland künftig eher häufiger gefragt werden, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, auch militärisch. Zur Komplettierung ihrer neuen Militärdoktrin deutete Merkel zudem Rüstungsexporte in Friedenssicherung um und erklärte: Wer sich der Friedenssicherung verpflichtet fühlt, aber nicht überall auf der Welt eine aktive Rolle in der Friedenssicherung übernehmen kann, der ist auch dazu aufgerufen, vertrauenswürdigen Partnern zu helfen, damit sie entsprechende Aufgaben übernehmen [9]  Der BRD-Verteidigungsminister sollte eigentlich einmal darüber nachdenken, ob dieses Gefragtsein nicht eher als blanker Vasallendienst zu sehen ist, ganz unabhängig von jedwedem Einfluss.

Völlig rückhaltlos äusserte sich der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel; er spricht von Krieg. Mali sei ein Land am Abgrund und drohe ein neues Afghanistan zu werden, erklärte er; er sprach sich dafür aus, einheimische Soldaten durch die Bundeswehr auf den Krieg im Norden des westafrikanischen Staates vorzubereiten. Auch in der Opposition findet ein Bundeswehreinsatz Zustimmung. Wie der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, urteilt, dürfe die Staatengemeinschaft jetzt nicht einfach zuschauen, wie der Norden Malis zum Rückzugsraum für Terroristen wird. Die Bundeswehr solle sich an einem multinationalen Einsatz beteiligen. [8]  

Dagegen hat der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, mit klaren Worten vor einem militärischen Engagement Deutschlands in Mali gewarnt: Es sei »eine Illusion, zu glauben, man könne dort unbewaffnet Soldaten ausbilden«. [10]  Kritisch äusserte sich auch der Deutsche Bundeswehrverband zu einem möglichen Einsatz der Bundeswehr im afrikanischen Mali. »Uns treibt die Sorge um, daß die Bundeswehr wieder einmal unüberlegt und verantwortungslos in einen Einsatz entsendet wird, der Teil einer nur lückenhaften politischen Konzeption ist«, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende André Wüstner. Er sei sich auch nicht sicher, ob die Regierung neben der Bekämpfung islamistischen Terrors in Mali noch andere Ziele verfolge, gab er zu bedenken.  [11]

Am 23. 10. erklärte Westerwelle, dass ein politischer Prozess eine Lösung für die berechtigten Anliegen der Bevölkerung im Norden des Landes beinhalten müsse. Am 26. 10. folgte die Aussage, dass uns die Krise in Mali nicht kaltlassen könne, da sie auch Europa betreffe, so dass es darum gehen müsse, zu verhindern, dass sich in Mali dauerhaft radikale Kräfte und Terroristen festsetzten, die auch Europa bedrohen könnten. Westerwelle ferner: »Wenn hier sichere Häfen für Terroristen und Terroristenschulen entstehen, dann ist unsere Sicherheit beeinträchtigt.« Warum plötzlich so furchtsam? Westerwelle kann doch wohl nicht ignorieren, dass  - um dies nochmals zu betonen -  die seit Anfang des Jahres von den Tuareg-Milizen und den islamistischen Kämpfern über den Norden ausgeübte Kontrolle eine direkte Folge des Libyenkriegs und seiner Eskalation ist, und dass letzterer ohne die Aufrüstung regimefeindlicher libyscher Milizen durch westliche Staaten und ohne die massiven, auf den Sturz der Regierung zielenden NATO-Bombardements kaum eingetreten wäre.       

»Die terroristische Bedrohung«, führt Sevim Dagdelen, Mitglied der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und Sprecherin für internationale Beziehungen, aus, »entpuppt sich auch in der Sahelzone letztlich als Ergebnis der westlichen Einflußpolitik: Seit die EU vor einigen Jahren Westafrika und die Sahelzone als ihren Hinterhof definierte, war sie an mehreren Regimewechseln in der Region beteiligt, leistete Militär- und Polizeihilfe und plante die Entsendung einer oder mehrerer Ausbildungsmissionen. Vorwand waren dabei angeblich terroristische Gruppierungen, bei denen es sich in Wahrheit um Schmuggler-Netzwerke handelte. Es waren diese Planungen und zuletzt der NATO-Einsatz in Libyen, die den Staatszerfall in Mali auslösten. .... Über Anhänger des von Frankreich und UNO-Truppen aus dem Amt gebombten ehemaligen ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo wurde inzwischen bekannt, daß diese aus dem Exil in Ghana mit den Putschisten in Mali in Kontakt getreten sind, in der Hoffnung, von dort aus das nun in der Côte d’Ivoire herrschende Regime von Alassane Ouattara destabilisieren zu können. Infolge der Bürgerkriege, die in den vergangenen 20 Jahren in Guinea, Sierra Leone, Liberia und der Côte d’Ivoire gewütet haben, sind dort massenweise Waffen und auch erfahrene Kämpfer vorhanden. Durch einen »Krieg gegen den Terror« in der Region könnten sich viele dieser latenten Konflikte zudem religiös-konfessionell aufladen, wie es bereits jetzt in Nigeria der Fall ist. Nigeria bietet sich deswegen auch an, die Führung der ECOWAS-Truppen zu übernehmen, weil es meint, so die islamistische Sekte Boko Haram in Mali besser bekämpfen zu können. Das Land hofft aber natürlich auch, dadurch seine Vormachtstellung in der Großregion ausbauen zu können, was Algerien ebensowenig gefällt wie die Stationierung europäischer Truppen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Zumindest einzelne Fraktionen des großen und undurchschaubaren algerischen Sicherheitsapparates haben das Potential – vergleichbar dem pakistanischen Militärgeheimdienst ISI in Afghanistan – der ECOWAS und der EU den Einsatz zur Hölle zu machen.  [10] 

Ganz klar: Wir haben wieder eine Mission‹ 
Der UNO-Sicherheitsrat hat inzwischen beschlossen, Militärplaner für eine Eingreiftruppe abzustellen, die von der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Afrikanischen Union geführt werden soll. Der Beschluss zum Einsetzen der Truppe, die von der malischen Regierung erbeten worden war, soll innerhalb von 45 Tagen folgen. Einem Beschluss der EU-Aussenminister vom 15. 10. zufolge, möchte sich die EU nicht direkt an einer solchen Operation beteiligen, sondern Aufbauhilfe für die malischen Sicherheitskräfte leisten. Es gehe um die Reorganisation und das Training der malischen Armee. Nach Aussagen eines Diplomaten sei es indessen möglich, dass die EU ihre bereits bestehende Mission in Niger [EUCAP Sahel], die ebenfalls der Ausbildung einheimischer Sicherheitskräfte für den Anti-Terror-Kampf dient, auf Mali ausdehne. Als Richtwert für die Größe der Mission gilt der Umfang der EU-Ausbildungsmission für die somalischen Sicherheitskräfte in Uganda, die 124 Mann zählt. Zur Diskussion steht die Hilfe der UNO-Staaten in Form von Ausrüstung und Logistik. Vor allem aber sollten ausländische Experten die Regierungstruppen in Mali ausbilden.  [12] 

Inzwischen sind 500.000 Einwohner vor den Kämpfen geflohen, 27.000 davon in die Nachbarländer. Von der Übergangsregierung in Bamako wird jetzt verlangt, einen Zeitplan für die Abhaltung von Wahlen vorzulegen, während die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton dem Ministerrat am 19. November konkrete Vorschläge für eine Ausbildungsmission vorlegen will.  

Werner Pirker hat den Stand der Dinge ganz vorzüglich zusammengefasst: »Mit der Beteiligung der Bundeswehr an einer europäischen Militärintervention in Mali soll die Merkel-Doktrin ihre Feuertaufe erhalten. Es sei nämlich nicht zu akzeptieren, so die Bundeskanzlerin, daß Mali zum Rückzugsgebiet für den internationalen Terrorismus werde. Daß sich dieser Terrorismus gegenwärtig ganz besonders in Syrien austobt, hält die Berliner Politik hingegen für durchaus akzeptabel. Denn in Syrien kommt die kriminelle Energie der Terrorbanden den Bestrebungen der westlichen Warlords zugute, ein widerständiges Regime zu beseitigen. Je nach Lage der Dinge sind Dschihadisten als Kriegsgegner oder auch als Verbündete herzlich willkommen. Was Syrien anbelangt, konzentriert sich Berlin auf den Day after, den Tag nach dem Sturz des Baath- Regimes: Als größte Volkswirtschaft in Europa hat man schließlich seine Verantwortung für die neoliberale Neuausrichtung von gewaltsam zum Scheitern gebrachten Staaten. In Mali hingegen will Europas größte Volkswirtschaft auch als militärischer Faktor präsent sein.«  [13]                     

 

[1]  http://antikrieg.com/aktuell/2012_10_13_huetet.htm   13. 10. 12  Hütet euch vor den bösen Maliern  -  Eric S. Margolis  resp. http://ericmargolis.com/2012/10/beware-those-wicked-malians/   13. 10. 12  Beware those wicked Malians  
[2]  Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von www.antikrieg.com     http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=48148&title=Mali%3A+eine+weitere+imperialistische+%22Erfolgs%94geschichte&storyid=1001333093089   30. 3. 12  Mali: eine weitere imperialistische Erfolgsgeschichte - Von Jacob G. Hornberger 
[3]  http://www.jungewelt.de/2012/04-05/031.php  5. 4. 12  Alles offen in Mali  -  Von Simon Loidl [4]  Strategic Alert, Jahrgang 25, Nr. 41 vom 10. 10. 12 
[5]  http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Tuareg-rufen-eigenen-Staat-Azawad-aus/story/28973428  6. 4. 12  EU und AU akzeptieren Tuareg-Staat nicht 

[6]  http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/malis-islamisten-am-ende-der-zusammenarbeit-11709708.html   7. 4. 12  Al Qaida hat einen neuen Stützpunkt in Afrika: den Norden von Mali 
[7]  http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=63673&title=Islamisten+im+Norden+Malis+%2F+Azawad+errichten+blankes+Terrorregime&storyid=1001348492921    24. 9. 12  Martin Müller-Mertens 
[8]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58442   24. 10. 12  Ein Land am Abgrund [9]  http://www.jungewelt.de/2012/10-24/058.php  Entwaffnet Merkel!  -  Von Arnold Schölzel - Im Juni rügte Bundespräsident Joachim Gauck die deutsche Gesellschaft als »glücksüchtig« und forderte mehr Offenheit für Kriegseinsätze 
[10]  http://www.jungewelt.de/2012/10-26/030.php  Neuer Krieg in Mali? Von Sevim Dagdelen  [11]  http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M53ce1255f15.0.html
26. 10. 12 

[12]  http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/kein-kampfeinsatz-eu-zu-mali-mission-bereit-11926789.html  15. 10. 12   EU zu Mali-Mission bereit  -  Nikolas Bussse 
[13] http://www.jungewelt.de/2012/10-24/030.php  Merkel-Doktrin - Vor Bundeswehreinsatz in Mali  -  Von Werner Pirker