Das Böse herausklauben - Von Robert C. Koehler 22.09.2013 20:02
Am Abend des 10. Septembers - halleluja! - war Präsident Obama vom Abgrund des Krieges
zurückgetreten,
aber in seiner Rede an die Nation hatte er die meiste Zeit darauf verwendet,
seine bisherige Aggression gegenüber Syrien zu rechtfertigen, indem er sich
insbesondere über die abscheuliche Abweichung der Regierung Assad von den
zivilisierten Normen des Krieges ausließ. Der
immer wirksame Trick der Kriegpropaganda besteht darin, daß man ein Beispiel bösen Verhaltens des ins Visier genommenen
Feindes herausklaubt und die Empörung dagegen mobilisiert, dabei aber nie, also
auf gar keinen Fall, sein eigenes Verhalten betrachtet. Vor etwas
mehr als einem Jahrzehnt, gerade nachdem wir unsere
Angst-und-Schrecken-Bombenkampagne gegen den Irak begonnen hatten, schrieb ich:
»Die
Pro-Kriegs-Logik macht eine mysteriöse Transformation durch: Von einem
moralischen Absolutismus, der Saddam verdammt, zu einem moralischen Relativismus,
der den Einsatz von ›MOABs‹ [Mutter aller Bomben] und ›Daisy Cutters‹ [Gänseblümchenschneider, beide besonders zerstörerische Bomben]
und sogar, falls nötig, Atombomben rechtfertigt, um ihn loszuwerden. Einige der
nettesten Menschen, die du gerne treffen möchtest, haben kein Problem mit dem
Abschlachten von Zivilisten.« Barack Obama in seiner Rolle als Präsident straft
also sowohl seine eigene Intelligenz als auch, nehme ich an, die der meisten seiner
Wähler Lügen, wenn er uns auffordert, bei dem Spiel mitzuspielen, die Empörung
über den Giftgaseinsatz als Vorwand für Gegenaktionen unsererseits zu nutzen
und zu rechtfertigen, um denselben Menschen auf die gleich rücksichtslose Weise
die Hölle zu bescheren.
Die Sache
ist die, Herr Präsident: Ja, ja, wir fühlen die Empörung über Syriens
schrecklichen Bürgerkrieg, und, nein, wir sind nicht damit zufrieden,
angesichts dieses oder eines anderen Massakers, das auf diesem Planeten
stattfindet und von Verbündeten oder denjenigen, die man als Feinde vorgibt,
begangen werden, nichts zu tun. Aber wir haben genug von den albernen ›Lösungen‹, die uns von Tyrannen und Präsidenten verkündet werden, die
nichts tun, als die Hölle des Krieges zu perpetuieren und die versteckten
Interessen der Unternehmen zu füttern, die davon profitieren. Ihre
Entscheidung, vom Abgrund einer Intervention ›light‹ in Syrien
zurückzutreten, ist es wert, gefeiert zu werden, aber ersparen Sie uns das ›God bless America‹, das durch Tomahawk-Raketen und letztendlich Atomwaffen gestützt
wird, und sagen Sie dem Land und der Welt, couragiert, wie wir die Führung
übernehmen werden, um den Krieg selbst zu beenden. Immerhin sind wir das Land,
das Atomwaffen entwickelt und 5,5 Billionen $ ausgegeben hat, um ein Wettrüsten
mit der Sowjetunion und zu guter Letzt mit niemandem zu veranstalten. Wir
entwickeln noch immer weitere Generationen von ›taktischen‹ Atomwaffen und verbluten mehr als 30
Milliarden $ jährlich in diesen Wahnsinn.
David
Swanson sagt es so: »Aus einer Kombination von welchen Faktoren auch immer könnte
sich herausstellen, daß wir einen Krieg
verhindert haben. Was bedeutet, daß wir auch
einen weiteren Krieg verhindern können. Was bedeutet, daß wir damit beginnen können, unseren Weg heraus aus der
Kriegsmaschinerie zu bahnen, die unsere Wirtschaft, unsere bürgerlichen
Freiheiten, unsere natürliche Umwelt und unsere Seele aufgefressen hat.« Dies
wird als Kriegsverdrossenheit oder republikanische Miesmacherei gegenüber Obama
abgeschrieben, aber da gibt es noch einen anderen Faktor: Ein intelligenter Anteil
der amerikanischen Öffentlichkeit durchblickt den Krieg selbst und wird sich
nicht länger in den Verkaufsprozeß, der ihm
vorangeht, hineintheatern lassen. In dem Ausmaß,
in dem dieser Anteil wächst, wird die öffentliche Vorstellungskraft beginnen,
sich den unendlichen Möglichkeiten der Konfliktlösung und -umwandlung
zuzuwenden, die jenseits des Krieges existieren. [1]
Was würde geschehen, fragt Gideon Levy, in seinem
Artikel »Moralische Supermacht?«, wenn Israel chemische Waffen benützen würde? Würde die USA
auch sagen, Israel müsse angegriffen werden? Und was würde geschehen, wenn die
USA selbst solche Maßnahmen anwendete? Israel würde niemals Massenzerstörungswaffen
anwenden, auch wenn sie im Arsenal liegen, außer
unter extremen Umständen. Indessen hat es schon Waffen benützt, die nach dem
Völkerrecht verboten sind: Weißen Phosphor und
Flechette-Runden gegen die zivile Bevölkerung in Gaza und Splitterbomben im
Libanon – und die Welt erhebt nicht den Finger. Es sind auch ein paar
Worte nötig, um die Massenvernichtungswaffen zu beschreiben, die die USA benützte,
die Atombomben in Japan und Napalm in Vietnam. [Sowie Depleted Uranium in
Afghanistan und im Irak].
Aber Syrien ist
natürlich eine andere Sache. Schließlich kann keiner ernsthaft denken, daß ein amerikanischer Angriff auf das Regime von
Präsident Bashar Assad aus moralischen Gründen geschieht. Etwa 100 000
Getötete, die in diesem unglücklichen Land geboren wurden, bringen die Welt
nicht zum Handeln; lediglich der Bericht von den 1400 durch chemische Waffen
Getöteten, was bis jetzt noch nicht überzeugend bewiesen ist, läßt die ›Rettungsarmee‹ der Welt handeln. Keiner kann irgend jemanden ›verdächtigen‹, daß die meisten Israelis
[67 %] einen Angriff unterstützen
oder um das Wohlbefinden von Syriens Bürger besorgt seien. Israel ist
vielleicht das einzige Land in der Welt, wo eine Mehrheit einen Angriff
unterstützt: Das leitende Prinzip ist vollkommen fremd: Schlagt die Araber: Egal
warum, Hauptsache tüchtig.
Es wird
auch keiner ernsthaft denken, daß die US eine ›Moralische Supermacht‹ ist, wie Ari Shavit sie in der ›Haaretz‹-Ausgabe vom 29. 8. definiert hat. Das Land, das seit dem 2.
Weltkrieg für das meiste Blutvergießen verantwortlich ist, einige sprechen von
8 Millionen Toten allein durch die Hände der USA: in Südostasien, Südamerika,
Afghanistan und im Irak, kann nicht als ›moralische‹ Macht bezeichnet werden. Auch kann die
USA, in der ein Viertel aller Gefangenen der Welt in Kerkern schmachtet, wo der
Prozentsatz der Gefangenen größer ist als in China und Rußland, und wo seit 1976 1 342 Menschen hingerichtet wurden, nicht als
solche gelten. Selbst Shavits Statement »Die neue internationale Ordnung
nach dem 2. Weltkrieg war daraufhin ausgerichtet ..… daß
das entsetzliche Szenarium des Vergasens nicht wiederholt würde«, hat
nichts mit der Realität zu tun. In Korea, Vietnam, Kambodscha, Ruanda, im Kongo
wie in Syrien kann diese grundlose Behauptung nur ein bitteres Lächeln
hervorrufen.
In Syrien ist
ein grausamer Krieg im Gang, den die Welt stoppen muß;
ein amerikanischer Angriff wird es nicht tun. Die Berichte aus Syrien sind
hauptsächlich tendenziös. Keiner weiß, was genau vor sich geht, oder kennt die
Identität der guten Kerle und der bösen Kerle, falls sie so definiert werden
können. Wir sollten auf die klaren Worte einer Nonne aus Syrien hören, auf
Schwester Agnes-Mariam de la Croix, die sich bei mir übers Wochenende vom Jerusalemer
Kloster aus, wo sie von Malaysia nach Syrien eine Zwischenstation machte, beklagte:
Sie klagt die internationale Presse an. Schwester Agnes beschrieb das Bild
anders als die meisten. Es gibt etwa 150 000 ausländische Jihadisten in Syrien,
sagt sie, und sie sind für die meisten Brutalitäten verantwortlich. Das Assad-Regime
ist das einzige, das sie stoppen könnte; und das einzige, was die Welt tun
kann, ist, die Flut von Kämpfern und Waffen zu stoppen. »Ich
verstehe nicht, was die Welt wünscht. Al-Qaida helfen? Einen jihadistischen
Staat in Syrien gründen?« Diese Äbtissin, deren Kloster an der Straße von Damaskus
nah Homs liegt, ist sicher, daß ein
amerikanischer Luftschlag nur die Jihadisten stärken wird. »Ist es
das, was die Welt will? Noch ein Afghanistan?«
Vielleicht
weiß die Welt, was sie will, vielleicht auch nicht. Aber eines scheint jetzt klar: Noch ein von
der USA gewollter Angriff wird eine weitere Katastrophe sein. [2]
Quellen: [1] www.antikrieg.com http://antikrieg.com/aktuell/2013_09_13_dasboese.htm 13. 9. 13 Robert Koehlers Artikel erscheinen auf seiner Website COMMONWONDERS.COM, in HUFFINGTON POST, Chicago Tribune und
vielen weiteren Websites und Zeitungen
[2] http://www.haaretz.com/opinion/.premium-1.544607 5. 9. 13 Moral
superpower? Give me a break - By Gideon Levy – Eine Übung in
Ehrenhaftigkeit [und Doppelmoral] auszugsweise - Die
Übersetzung verdanken wir Ellen Rohlfs
Alle Hervorhebungen durch politonline
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