Der Terrorangriff in der kenianischen Hauptstadt 29.09.2013 23:45
Seit seiner Unabhängigkeit von Grossbritannien Ende 1963 leidet Kenia
unter
ethnischen Auseinandersetzungen, deren schwerste im Januar 2008 mindestens
Tausend Tote forderte. Die unter den Briten herrschenden Zustände hat John
Pilger, der zweimal mit der höchsten Auszeichnung, die für den britischen
Journalismus vergeben wird, dem ›Journalist
of the Year‹ Preis geehrt worden
ist, in seinem Buch ›Verdeckte Ziele‹
[1] festgehalten:
»Die
Briten unterhielten in Kenia Konzentrationslager, in denen die Lebensbedingungen
so hart waren, dass innerhalb eines einzigen Monats, im Juni 1954, 402 Insassen
starben. Folter, Auspeitschen, Zwangsarbeit, Essensentzug und die Misshandlung
von Frauen und Kindern waren an der Tagesordnung. ›Die Sondergefängnisse‹,
schreibt der britische Historiker V. G. Kieman, ›waren vermutlich keinen Deut besser als vergleichbare Einrichtungen
der Nazis oder der Japaner.‹ Ein
ehemaliger Sanitätsoffizier berichtete von ›japanischen
Foltermethoden‹, die unter einem
britischen Lagerkommandanten angewendet wurden. Dieser Terror war durch
Kolonialgesetze gedeckt, die nach dem Ende der Kolonialherrschaft unter Jomo
Kenyatta und Daniel arap Moi in ihrer Doppelrolle als Gegner einer Volksdemokratie
und ›Freunde des Westens‹ aufrechterhalten und strengstens
ausgelegt wurden. Die Registrierungspflicht für Einheimische, die den infamen
Passgesetzen der Apartheidregierung in Südafrika entsprach, wurde verschärft.
Aus der Masters and Servants Verordnung wurde das Masters and Servants Gesetz;
aus der drakonischen Verordnung zur Anwendung ausserordentlicher Massnahmen
wurde das Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Heute ist
Kenia von politischen Unruhen beherrscht, weil die demokratische Bewegung des
Landes im Grunde immer noch gegen den Kolonialismus ankämpft.« Jomo Kenyatta hatte an der London School of
Economics studiert und später die Terroristengruppe Mau-Mau gegründet, die
Tausende seiner afrikanischen Landsleute umbrachte.
Weitgehend
unerwähnt blieb bisher, so ›German
Foreign Policy‹ [2], dass das soeben
in Nairobi erfolgte Massaker, zu dem sich die somalische Terrormiliz Al Shabaab
bekennt, nicht von der Interventionspolitik des Westens und seiner Verbündeten losgelöst
betrachtet werden kann. Die Al Shabaab-Miliz ist aus Strukturen entstanden, die
Saudi-Arabien, einer der wichtigsten mittelöstlichen Partner Berlins, aufgebaut
hat. Sie erstarkte, als der Westen gemeinsam mit seinem Verbündeten Äthiopien
ein als gemässigt islamistisch eingestuftes Regime in Somalia, dem Beobachter
eine Befriedung des Landes zugetraut hatten, stürzte; in den anhaltenden
Kämpfen radikalisierte sich die Al Shabaab-Miliz und verband sich schliesslich
mit internationalen islamistischen Terror-Netzen. Kenia wurde zur Zielscheibe,
als es vor rund zwei Jahren sein Militär in den Süden Somalias schickte, auch um
den Westen auf dessen Drängen hin im scheiternden Anti-Terror-Krieg zu
unterstützen. Seither haben mehrere Terroranschläge das Land getroffen und auch
für die Zukunft ist die Gefahr nicht gebannt. Wie der kenianische Präsident
Uhuru Kenyatta am Nachmittag des 24. 9. mitteilte, konnten die kenianischen
Sicherheitskräfte den mörderischen Terrorangriff auf die Shopping Mall Westgate
in Nairobi beenden; die Terroristen hatten 61 Zivilisten und 6 Soldaten
ermordet; von ersteren kamen fünf ums Leben gekommen, elf wurden festgenommen.
Der Terrorangriff ist der schlimmste, den Kenia seit dem Anschlag auf die
US-Botschaft in Nairobi am 7. August 1998 erlebte. Damals kamen 212 Menschen zu
Tode, mehr als 4.000 wurden verletzt. Weltweit, auch im Auswärtigen Amt in
Berlin, herrschte Entsetzen. Indessen kann das Massaker, wie bereits dargelegt,
nicht losgelöst von der Interventionspolitik des Westens und seiner Verbündeten
gesehen werden.
Von Saudi-Arabien
unterstützt Sowohl die
Entstehung als auch das Erstarken der Al Shabaab-Miliz waren eng mit
Operationen des Westens und seiner ostafrikanischen und mittelöstlichen
Verbündeten verknüpft. Schon der Vorläufer der Miliz, die islamistische
somalische Organisation Al Itihaad al Islamiya, wurde in den 1980er Jahren mit
tatkräftiger Hilfe aus Saudi-Arabien aufgebaut; ohne diese Unterstützung hätte
sie in Somalia, das dem Islamismus traditionell recht fernstand, kaum grössere
Bedeutung erlangen können.[ Saudische Gelder flossen damals unter anderem auch
nach Afghanistan - mit bekannten Folgen; im vergangenen Jahrzehnt kamen sie zum
Beispiel islamistischen Organisationen in Mali oder in Syrien zugute, wo sie
ebenfalls zum Erstarken salafistischer Strömungen führten. Dass mit
Saudi-Arabien ein Verbündeter des Westens - auch der Bundesrepublik - die
Verankerung salafistischer Kräfte ermöglichte, die sich im Laufe der Zeit in
gewalttätige, zum Teil terroristische Gruppierungen transformierten, lässt sich
in der Tat nicht nur für Afghanistan und Syrien, sondern auch für Somalia
konstatieren: Aus den Überresten der Al Itihaad al Islamiya formierte sich im
Laufe des Jahres 2006 die Al Shabaab-Miliz, damals noch als eine Strömung innerhalb
der somalischen Islamic Courts Union, wenngleich die radikalste.
Die
Islamic Courts Union, ein Zusammenschluss lokaler islamistischer Vereinigungen,
hatte im Jahr 2006 zunächst Mogadischu unter ihre Kontrolle gebracht und dehnte
dann ihre Herrschaft immer weiter über Somalia aus. Hintergrund war, dass die
somalische Bevölkerung sich nach 15 Jahren Bürgerkrieg und Warlord-Terror auch
für islamistische Ordnungsbestrebungen offen zeigte. Dass der endlose
Bürgerkrieg und die vollständige Rechtlosigkeit unter der Herrschaft der
Islamic Courts Union ein Ende zu nehmen schienen, habe dieser die Sympathien
der Bevölkerung eingebracht, heisst es etwa beim Washingtoner Center for
Strategic and International Studies (CSIS). Beobachter urteilten damals, der Organisation
könne es womöglich sogar gelingen - wenn auch auf islamistischer Basis - den
Bürgerkrieg in Somalia endgültig zu stoppen. Die Islamic Courts Union stiess
allerdings bei den westlichen Mächten, die damals im Anti-Terror-Krieg
einflussreiche islamistische Organisationen mit Gewalt bekämpften, auf
entschiedene Ablehnung. Als Ende 2006 Äthiopien, der engste Verbündete
Washingtons und Berlins in Ostafrika, seine Streitkräfte in Somalia
einmarschieren liess, um die islamistischen Machthaber zu verjagen, da stiess
die mit dem Westen abgesprochene Massnahme auf erklärte Zustimmung auch in der
deutschen Hauptstadt.
Ausser Kontrolle Ergebnis
der auch von Berlin erkennbar unterstützten äthiopischen Intervention war
schliesslich die erneute Destabilisierung Somalias. Als die äthiopischen
Streitkräfte Anfang 2009 ihren Abzug starteten und in Mogadischu eine neue
Regierung installiert werden musste, da sah auch im Westen aufgrund der
innersomalischen Kräfteverhältnisse niemand eine Alternative zur Wahl von
Sharif Sheikh Ahmed zum Staatspräsidenten Somalias. Dieser hatte 2006, als er
vom Westen und dessen äthiopischem Verbündeten wegen seiner als ›gemässigt islamistisch‹ eingestuften Positionen vertrieben
wurde, als Vorsitzender der Islamic Courts Union die zentrale Position im Lande
innegehabt. Während er 2006 allerdings noch das gesamte Spektrum der Islamic
Courts Union wenigstens einigermassen unter Kontrolle gehabt hatte, war das
2009 nicht mehr der Fall: Deren radikaler Flügel, die Al Shabaab-Miliz, hatte
sich im Krieg gegen die vom Westen unterstützten äthiopischen Besatzer nicht
nur in Teilen der somalischen Bevölkerung verankern können, sondern sich auch
noch weiter radikalisiert. Experten geben den Zeitpunkt, zu dem Al Shabaab sich
den internationalen Netzwerken salafistischer Terroristen anschloss, mit den
ersten Monaten des Jahres 2008 an. Resultate der vom Westen unterstützten
Invasion Äthiopiens in Somalia waren also die Wiedereinsetzung des zuvor
vertriebenen Staatspräsidenten Ahmed -
der bis zum 20. August 2012 regierte - und
das Erstarken einer zum salafistischen Terror übergehenden Miliz.
Zu den
nächsten Schritten des Westens gehörte die Einbeziehung Kenias in den Krieg in
Somalia. Hatten bereits zuvor Uganda und Burundi eingewilligt, Truppen nach
Mogadischu zu entsenden, um dort zumindest den Flughafen und den
Präsidentenpalast für prowestliche Kräfte zu sichern, so sorgte sich der Westen
nun zunehmend um den Süden Somalias, wo sich die zum offenen Terror übergehende
Al Shabaab-Miliz festsetzen können hatte. Deshalb lag es vollkommen im
Interesse der westlichen Regierungen, als die auch sonst mit dem Westen
kooperierende kenianische Armee im Herbst 2011 in Südsomalia einmarschierte, um
mit der erstarkten Al Shabaab-Miliz ein Resultat der gescheiterten westlichen
Kriegspolitik zu beseitigen. Bereits damals wurden allgemein terroristische
Gegenschläge befürchtet; Uganda, das Truppen in Mogadischu im Einsatz hat, war
bereits im Sommer 2010 Opfer eines Al Shabaab-Terroranschlags mit rund 80 Todesopfern
geworden. Die Furcht nahm im Herbst 2012 zu, als Kenias Streitkräfte in der
ökonomisch wichtigen somalischen Hafenstadt Kismayo einmarschierten und in
Nairobi erste Terroranschläge verübt wurden - zunächst meist Anschläge auf
Kirchen, denen bereits zahlreiche Menschen zum Opfer fielen.
Parallelen Bezüglich
der westlichen Interventionspolitik weist die Entwicklung in Somalia gleich
mehrere Parallelen zur Entwicklung in Afghanistan auf: Das verbündete
Saudi-Arabien betrieb, ohne vom Westen daran gehindert zu werden, den Aufbau
salafistischer Strukturen, die letztlich zum Terror übergingen; westliche oder
vom Westen unterstützte Kriegshandlungen führten nur zur weiteren
Radikalisierung dieser Strukturen; deren terroristische Gegenschläge treffen
vor allem Zivilisten in den betreffenden Ländern selbst oder in angrenzenden
Staaten, in die die Terroristen ausweichen - Pakistan, Kenia. Ähnliches
wiederholt sich gegenwärtig in Syrien. Ohne ein Ende der sich stetig
wiederholenden westlichen Interventionspolitik ist ein Ausweg nicht zu sehen.
[1] John Pilger ›Verdeckte Ziele‹,
Verlag Zweitausendeins Frankfurt am Main 2004 ISBN 3-86150-632-7 [2] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58695 25. 9. 13
Interventionspolitik und Terror [3] Christopher Harnisch: The Terror Threat from Somalia. The
Internationalization of Al Shabaab, www.criticalthreats.org 12. 2. 2010
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