Bankentrennung - eine strategische Entscheidung - Von Caroline Hartmann 01.12.2013 23:20
Inmitten der heutigen Krise lohnt ein Blick auf die Prinzipien, mit denen die
schweizerische Volkswirtschaft industriell und
infrastrukturell entwickelt wurde. Mitten in den letzten Zügen des
Euro-Systems, wo sich die Banken nur noch von einer Bankenrettung zur nächsten
hangeln und man bereits einen schlimmeren Zusammenbruch der Wirtschaft als den
2007 erfolgten erahnt, sollte man sich nichts vormachen: Es droht nicht nur der
Verlust von Wohlstand, Arbeitsplätzen, Rente und Sparbüchern, sondern auch der
Verlust der in den Verfassungen der souveränen Staaten verankerten
Menschenrechte. Deshalb ist es Zeit, sich an die Grundsätze zu erinnern, mit
denen unsere Wirtschaften aufgebaut wurde und mit denen wir es wieder schaffen
können, daß unser Geld etwas wert ist. Hier ist die Schweiz das beste Beispiel:
Innerhalb kurzer Zeit wurde eine bedeutende Infrastruktur und Industrie zum
Wohle der Bürger geschaffen; die Lebensqualität der Schweizer steht heute
international an vorderer Stelle. Um dies zu verteidigen, werden die Stimmen
für die Wiedereinführung eines Trennbankensystems nach dem Vorbild des
Glass-Steagall Gesetzes immer lauter. Die Schweizer Geschichte ist der Beweis,
daß es absolut ›unschweizerisch‹ wäre, dies nicht durchzusetzen,
bevor es zu spät ist.
Die Gründung des Bundesstaats und
das Prinzip des Gemeinwohls Zusammen mit dem Schutz und der Förderung des
Allgemeinwohls stehen die Grundrechte der Menschen seit der Amerikanischen
Revolution in den Verfassungen praktisch aller modernen Rechtsstaaten. Die
Kernidee entstand aber sehr viel früher, und zwar durch die im Jahre 1231 von
Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen erlassenen Konstitutionen von Melfi. Sein
Ziel war es, einen Rechtsstaat zu gründen, in welchem der Kaiser nach
festgeschriebenen Gesetzen regiert und in denen nicht länger - wie bis dahin üblich - die reine Willkür der Feudalherren herrschen
sollte. Der Rechtsstaat schafft die Rahmenbedingung dafür, daß jeder seine
Fähigkeiten nach besten Kräften zum allgemeinen Wohl entwickeln kann. Unter
Friedrich II. erhielten die für die Verbindung zwischen dem Deutschen Reich und
Italien bedeutenden Schweizer Kantone (Talschaften) als erste die kaiserlichen
Freiheiten. Als sie diese unter den Habsburgern wieder verloren, entschieden
sich die einst in Feindschaft gegeneinander lebenden Täler dazu, einen Bund zu
schließen, um sie zurückzuerlangen. Der Bundesbrief von 1291 ist zusammen mit
dem Rütli-Schwur die Gründungsurkunde der Schweizer Eidgenossenschaft. Als
Gemeininteresse definiert der Bundesbrief die Verteidigung gegen Feinde und die
Verfolgung von Verstößen gegen das Leben und Eigentum der Eidgenossen. Die Erkenntnis,
daß man nur durch Partnerschaft - auch
mit dem ehemaligen Feind - Frieden und
wirtschaftliches Wohlergehen erlangen kann, ist ein Vorbote des Westfälischen
Friedensvertrags, der fast vierhundert Jahre später die Geburtsstunde des
modernen Nationalstaates markiert.
1833 erschien die Schrift des Luzerners Ignaz Paul
Vital Troxler, ›Die eine
und wahre Eidgenossenschaft im Gegensatz zur Centralherrschaft und
Kantonstümelei‹, die den
Bundesstaat nach Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika in die Diskussion
brachte. Das Datum 1848, die Gründung des Bundesstaates Schweiz mit einer
eigenen Bundesverfassung, war dann der Startschuß für alle großen Projekte, wie
Flußkorrekturen und Bachverbauungen, die Erschließung neuen Kultur-und
Baulandes, sowie den Aufbau einer hervorragenden Infrastruktur. Es war die
Einigung für ein mühsames, schrittweises Zähmen der widrigen Naturumstände. Auch
der Aufbau eines weitverzweigten Mittelstandes, dessen Technologieexport einmal
führend in Europa war, ist angesichts der Tatsache, daß die Schweiz mit der
Industrialisierung später als alle anderen europäischen Nationen begann, dann
aber bald mit 50 % den höchsten Anteil an industriellen Arbeitsplätzen stellte,
sehr beeindruckend und lehrreich. Diese Entwicklung basierte auf einer am
Gemeinwohl orientierten Nationalpolitik, auf einem Menschenbild, welches die
wahre Identität der Schweiz seit ihrer Geburtsstunde ausmacht, einer Schweiz, die
sich deshalb mehr als jeder andere Staat seit der EU-Gründung vehement gegen
den Beitritt wehrt.
Erstes Prinzip: Infrastrukturausbau Der Wasserreichtum dieser gebirgigen Nation in Form
langanhaltender Regenfälle und rascher Schneeschmelze hatte teilweise
verheerende Folgen: über die Ufer tretende Gewässer, Zerstörung von Häusern und
Dörfern, Verkehrswegen und landwirtschaftlichen Nutzflächen waren alljährliche
Begleiter. Die Überschwemmungen der Rhone haben eine lange Geschichte, die
Vernichtung der Ernte galt oft als kleiner Schaden. Dörfer wurden teilweise
oder auch ganz zerstört. Die Sümpfe waren ideale Brutgebiete für Krankheitserreger
wie die Malaria, die seit dem Mittelalter eine Volksseuche war. Noch im 19.
Jahrhundert gab es malariaverseuchte Gebiete in den Flußtälern des Rheins, der
Linth, der Reuss und in der Nähe des Zürich- und des Vierwaldstädter Sees. Und
noch 1918 gab es Typhus-und Choleraepidemien; hinzu kam die verheerende
Grippeepidemie, die die Bevölkerung massiv dezimierte.
Erst ab 1848 und dann verstärkt ab der großen
Hochwasserkatastrophe von 1860 erfolgten bauliche Maßnahmen nicht mehr nur
gemeindeweise, sondern koordiniert und mit Hilfe des Bundes. Erste Vorschläge
für Schutzmaßnahmen und notwendige Flusskorrektionen kamen u.a. von Experten
wie dem Walliser Kantonsingenieur Ignaz Venetz (1788-1859), Adrien Pichard
(1790-1841) und dem badischen Baurat Max Honsell (1843-1910). Auch die
Korrektionen von Glatt und Aare erfolgten nach 1848 Schritt für Schritt, vor
allem aber nach den verheerenden Hochwasserkatastrophen von 1876 (Glatt), wo
der Großteil der bisherigen Flußbauten wieder zerstört worden war. Wie die Rhone-und
Juragewässerkorrektion, Alpenrheinkorrektion und Tessinkorrektion gehören sie
zu den größten Flußbauarbeiten der Schweiz. Mit den Flußregulierungen konnte
man nun auch die Wasserkraft zunächst durch Mühlräder gezielter nutzen. 1848
waren die Wasserräder in der Schweiz noch die leistungsfähigsten
Kraftmaschinen: ein mittelgroßes Mühlrad hat zum Beispiel eine Kraft von 34
Menschen oder 3,5 Pferden. Nach der Entdeckung der Elektrizität und der
Erfindung des Dynamos konnte man diese Kraft aber noch viel intensiver nutzen:
Um 1900 führten dann bereits 4000 km an Stollen und Kanälen das Wasser von 75 %
der ertragreichsten Wassergefälle auf die Turbinen großer Wasserkraftwerke und
lieferten bereits ein Fünftel des Stromverbrauchs. Auch der effizientere Ausbau
der Verkehrswege begann erst nach 1848. Bis etwa 1837 war die industrielle
Entwicklung dadurch behindert, daß der Gütertransport wegen der Berge bedeutend
teurer war als in den Nachbarländern. Auch der Eisenbahnbau entwickelte sich
viel später, denn in den steinigen und hohen Alpengebieten erforderten oft
schon einfache Wege bedeutende Bauwerke.
Tatsächlich weckte die Gründung des Bundesstaats
eine nationale Begeisterung und die Bereitschaft, zum Wohle der Bundesgenossen
Verantwortung für den Bau solch enormer Projekte zu übernehmen. Länder und
Städte konkurrierten nun auch mit den längsten Tunnels, höchsten Brücken und
Bergbahnen und den stärksten Lokomotiven der Welt. Schon 1858 wurde mit der
Eröffnung der Hauensteinbahn eine technische Meisterleistung gefeiert. Als
letzte schweizerische Alpentransversale entstand 1913 eine ebenso großartige
Pionierleistung: die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn. Das Nationalprojekt der
Gotthardbahn wurde 1872 begonnen und war gewaltig: 20.000 Arbeiter bauten an
den einzelnen Gotthardrampen, an Kehrschleifen und Spiraltunnels. Bis 1897
waren allein 3800 Arbeiter mit dem Bau des längsten Tunnels der Welt
beschäftigt. Noch bis 1982 galt der Simplontunnel als der längste Tunnel der
Welt, jedoch ist der St.-Gotthard-Straßentunnel noch heute der längste Tunnel
in den Alpen sowie der längste Tunnel der Schweiz.
Zweites Prinzip: Höchstes
Ausbildungsniveau von Ingenieuren und Facharbeitern Ein weiterer Meilenstein für die Entwicklung der
Schweizer Industrie war die Gründung der Eidgenössischen Technischen Hochschule in
Zürich im Jahre 1855 durch den badischen Ingenieur Johann Gottfried Tulla
(1770-1828), der bereits in Deutschland die Gründung zahlreicher Technischer
Hochschulen in Gang gesetzt hatte. Nach dem Vorbild der Pariser Ecole
Polytechnique nannte er sie ›Eidgenössisches
Polytechnikum‹. Das
Prinzip war die wissenschaftliche Ausbildung von Ingenieuren in großer Zahl; es
entsprang dem Grundsatz und der Erkenntnis des Nationalökonomen Friedrich List:
›Im Gegensatz zur oligarchischen
Vorstellung liegt der Reichtum eines Staates nicht in seinem Geld-, Land- oder
Waldbesitz, sondern in den Ideen, dem Wissen und Können der Menschen‹. Die Pläne für die Gründung der
ETH Zürich entwarf der im oberösterreichischen Steyr geborene Ferdinand
Redtenbacher, ein Schüler der Technischen Hochschule Karlsruhe. Er übernahm
1835 eine Lehrerstelle an der höheren Industrieschule in Zürich und arbeitete
mit der damals größten Schweizer Maschinenfabrik Escher Wyss zusammen. Das
Eidgenössische Polytechnikum Zürich bildete viele bedeutende Männer aus, wie
z.B. den Ingenieur Gustav Zeuner, dessen berühmte Schüler Conrad Röntgen und
Carl von Linde waren. Die Maschinenindustrie erlangte in der Schweiz bald große
Bedeutung und überholte die Textilindustrie. 1810 lebten allein im Zürcher
Oberland noch 34.000 Familien von der Heimspinnerei, und als das Land mit der
Aufhebung der Kontinentalsperre nach dem Wiener Kongreß mit billigen Textilien
aus England überschüttet wurde und ein Ernteausfall wegen schlechter Witterung
dazukam, erlebte das Land eine der schlimmsten Hungersnöte seiner Geschichte:
allein in der Ostschweiz verhungerten 5000 Menschen.
Doch das Wissen und Können der Ingenieure bereitete
Schritt für Schritt den Ausweg aus der Abhängigkeit von den Naturgewalten. 1853
erbauten die Brüder Vonmoos das erste Eisenwalzwerk am Pilatusfluß, im Jahr 1900
besaß die Schweiz bereits zwei Stahl-und Walzwerke sowie 40 Eisengießereien und
1886 gelang die erste Herstellung von Aluminium aus Bauxit, die nur mit einem sehr
hohen Energieaufwand möglich ist. Deshalb entwickelte sich der Kanton Wallis
wegen seiner großen verfügbaren Elektrizität aus Wasserkraft in diesem
Industriezweig als führend. 1870 wurde der Schweizerische Handels-und
Industrieverein gegründet. Mit den Maschinen und vor allem ihrer Anwendung in
der Eisenverarbeitung entdeckte der Mensch bei der Bezähmung der Natur einen
neuen Freiheitsgrad. In einem Land mit so schwierigen Erschließungsbedingungen
war gerade die Verarbeitung von Eisen zu Stahl für den Bau von Flußwehren,
Rohrleitungen, Turbinen, Motoren, Eisenbahnen usw. eine unglaubliche
Erleichterung und Hilfe.
Drittes Prinzip: Nationalkredit
nach dem Hamiltonischen Prinzip Die Behebung der heutigen Finanzkrise muß nach der
Entscheidung für das Glass-Steagall-Trennbankensystems jedoch ein drittes
wichtiges Prinzip wieder einführen: die Idee des Nationalkredits! Diese Idee,
Kredite gezielt für den Bau national entscheidender Projekte bereitzustellen,
entstand nach dem Westfälischen Frieden in Frankreich und wurde in den
Vereinigten Staaten unter Alexander Hamilton (1755-1804) zur Gründung der
ersten Nationalbank der USA ausgearbeitet. Daran haben sich die Schweizer von
Anfang an orientiert. Nicht nur die amerikanische Verfassung war ein Vorbild,
sondern auch die Idee der nationalen Finanzierung großer, für den gesamten
Bundesstaat bedeutender Projekte. Das riesige Projekt des Gotthardtunnelbaus
ist in dem Zusammenhang beispielgebend: Am 7. August 1863 gründeten fünfzehn
Kantone sowie die beiden Bahngesellschaften Schweizerische Centralbahn (SCB)
und NOB die große Gotthardvereinigung. Der Politiker und Bankier Alfred Escher
wurde Präsident des Komitees und wichtigster Förderer der Gotthardidee. Die
Kosten für die Gotthardstrecke sollten 187 Millionen Franken betragen, davon
rund 60 Millionen für den Tunnel. Italien sollte 45 Millionen, das neue
Deutsche Reich und die Schweiz je 20 Millionen übernehmen, der Rest sollte am
Kapitalmarkt aufgenommen werden. 1869 unterschrieben die Schweiz und Italien
den sogenannten Gotthardvertrag und am 28. Oktober 1871 schließlich auch das
Deutsche Reich. Am 6. Dezember 1871 wurde die Gotthardbahngesellschaft (GB)
unter dem Präsidium Alfred Eschers, der die Organisation der Finanzierung
selbst in die Hand nahm, gegründet.
Der große Kapitalbedarf, der mit dem Eisenbahnbau
verbunden war, stellte die Eisenbahnunternehmen vor neue Herausforderungen. Das
Kapital mußte anfangs immer aus dem Ausland bezogen werden, weil es in der
Schweiz keine Institutionen gab, die Geld in diesen Größenordnungen zur
Verfügung stellen konnten. Die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalgebern
brachte es mit sich, daß diese ihren Einfluß auf die Entwicklung der Schweizer
Eisenbahnunternehmen geltend machen wollten. Alfred Escher war diese
Konstellation leid und gründete deshalb 1856 die Schweizerische Kreditanstalt,
zuerst einmal, um die Finanzierung seines eigenen Projekts, die Nordostbahn, zu
sichern. Die Kreditanstalt finanzierte von da an viele weitere private und
staatliche Unternehmungen und entwickelte sich zu einem wichtigen Geldgeber der
Schweizer Wirtschaft. Auch die Schweizerische Nationalbank, die 1905 gegründet
wurde, muß sich laut Verfassung und Gesetz ›vom
Gesamtinteresse des Landes leiten lassen‹.
Davon hat man sich heute weit
entfernt! Mit der verstärkten Orientierung hin zu
Deindustrialisierung, Globalisierung und dem Spielkasino der internationalen
Finanzelite begann in der Schweiz der größte Arbeitsplatzabbau seit dem Zweiten
Weltkrieg. Wann werden die Bundesgenossen endlich auf diese extrem
antischweizerische Politik der internationalen Finanzoligarchie reagieren? In
der Fernsehdiskussion ›Arena‹ vom 18. Oktober 2013, in der
das Thema Trennbankensystem zur Sprache kam, wurde ganz deutlich gesagt, was
viele schon lange wissen: Die großen Banken sind längst keine Schweizer Banken
mehr! Das Umdenken muß bei denen beginnen, die mit den Mythen der ›Geldvermehrung um jeden Preis‹ großgeworden sind. Und bei den
Überlegungen, wie man die Wirtschaft nach der Sanierung der Banken wieder auf
eine gesunde Basis stellen kann, müssen die drei genannten Prinzipien im
Mittelpunkt stehen: Das Prinzip des Gemeinwohls, das Prinzip der größtmöglichen
Förderung des menschlichen Geistes und das Prinzip des Nationalkredits für den
Aufbau der Nation.
Quelle: Ausgabe Nr. 47/2013 der internationalen
Wochenzeitung ›Neue
Solidarität‹
|