Fremde Richter? 01.12.2013 23:31
Einen Richter, der jahrzehntelang auf vier Stufen der Schweizerischen Gerichtsbarkeit
gearbeitet hat und der einer zurückhaltenden
Globalisierung durchaus offen gegenübersteht, schaudert es, wenn er bei
Streitigkeiten die Verlautbarungen von Bundesbern zum Verhältnis der Schweiz
zur Europäischen Union zur Kenntnis nehmen muss. Es geht vor allem um den
Problemkreis der gerichtlichen Zuständigkeit bei Streitigkeiten hinsichtlich
der Anwendung und Auslegung der bilateralen Verträge.
Wer vertritt die schweizerischen Interessen? Der
Europäische Gerichtshof solls richten - Gedanken von Prof. Karl Spühler, Alt
Bundesrichter
Die Position von Bundesbern Das Thema ›fremde Richter‹ ist in allen echten Rechtstaaten der Welt ein Thema.
Für die Schweiz ist es seit Jahrhunderten ein wichtiges Element der
Souveränität, auch wenn kürzlich zwei Rechtshistoriker in einer schweizerischen
Fachzeitschrift die Dinge zu verwischen versuchten. Es ist unbestreitbar, dass
es im Bundesbrief von 1291 in der auf Deutsch übersetzten Fassung wörtlich heisst:
»Wir haben auch einhellig
gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter, der
nicht unser Einwohner oder Landmann ist, aufnehmen sollen.« Auch im übrigen spielt der
eigene Richter im Text des Bundesbriefes eine ganz zentrale Rolle. Daraus darf
der Schluss gezogen werden, dass der Bundesbrief von 1291 die Folgerungen aus
den Erfahrungen mit nichteigenen Richtern gezogen hat. Angeführt von unserem
Aussenminister, Bundesrat Didier Burkhalter, soll bei der Anwendung und
Auslegung der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU der
Europäische Gerichtshof in Luxemburg zuständig sein. Zu betonen ist, dass in diesem
Gericht kein Schweizer Einsitz hat. Es ist also für die Schweiz ein
vollständig fremdes Gericht. Der schweizerische Chefunterhändler Yves Rossier
hat gemäss ›NZZ
am Sonntag‹
im letzten Frühling gesagt, »es sind fremde Richter, es geht auch um fremdes Recht«. Dem ersten Teil des
Satzes ist zuzustimmen, er zeugt von bemerkenswerter Offenheit und Richtigkeit.
Umso erschreckender ist der zweite Satzteil, wonach es eben um fremdes Recht
gehe. Damit wird der fremde Richter bzw. das fremde Gericht gerechtfertigt. Es
wird dabei davon ausgegangen, dass die bilateralen Verträge fremdes Recht seien.
Diese Vorstellung ist unrichtig: Ein Vertrag zwischen der Schweiz und der EU
soll fremdes Recht sein? Das wäre nur dann folgerichtig und stünde mit der
strengen Logik in Einklang, wenn die bilateralen Verträge auf der Präponderanz
der EU fussten. Es ist entlarvend, aber Bundesbern geht zumindest sinngemäss
davon aus; im Inhalt seien eben diese Verträge EU-Recht, d.h. von der EU
diktiertes Recht und nicht zweiseitiges Vertragsrecht. Man ist somit
einverstanden, dass der Vertragsinhalt von der EU diktiert wird und dass die
Schweiz lediglich formell Vertragspartei sei.
Fremdes Recht gleich fremde Richter? Die These, es seien fremde Richter zuständig,
weil es eben fremdes Recht ist, widerspricht übrigens auch dem internationalen
Privatrecht. Damit ein Richter fremdes Recht auf eine vertragliche Beziehung
anwenden darf, bedarf es einer sogenannten Rechtswahl. In internationalen
Verträgen vereinbaren auch schweizerische Unternehmen, dass bei Streitigkeiten
fremdes Recht zur Anwendung komme; die
Gründe sind verschieden, sie bedürfen aber der freien Zustimmung der
Vertragsparteien. Auch das Schweizerische Bundesgericht hat zuweilen fremdes
Recht anzuwenden, aber nur bei Zustimmung beider Parteien oder wenn dafür eine
eindeutige gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Damit ist der Beweis erbracht,
dass fremde Richter und fremdes Recht absolut keinen notwendigen Zusammenhang
haben. Die Argumentation von Bundesbern ist rein opportunistisch.
Die richterliche Sicht Gemäss den Verlautbarungen unseres Aussenministers
soll somit der EU-Gerichtshof bei Streitigkeiten zwischen unserem Land und der
EU über die Anwendung und die Auslegung der bilateralen Verträge entscheiden.
Um die Sache für die Schweiz zu mildern, soll unser Land gemäss Burkhalter
allenfalls unter Inkaufnahme von Gegenmassnahmen von den Urteilen des EU- Gerichtshofs
abweichen können. Man darf sich als Richter fragen, welches Verständnis
Bundesbern von der Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt und dem
verfassungsmässigen Auftrag jeder einzelnen Richterin und jedes einzelnen
Richters hat. Ein Gericht hat Urteile zu fällen, die anschliessend gelten und
durchgesetzt werden. Entscheide binden die Prozessparteien, ansonsten entbehrt
das Gericht seines Sinnes. Ein Gericht gibt auch nicht nur Rechtsmeinungen und
Gutachten ab; dazu bedarf es keiner Gerichte. Und niemals erwartet ein Gericht
in einem Rechtstaat, dass eine politische Behörde einen Richterspruch,
gleichgültig unter welchen Bedingungen, unterlaufen darf. Letzteres ist zwar
aus Diktaturen und kommunistischen Staaten bekannt, wer aber damit liebäugelt,
verrät die Idee unserer abendländischen Rechtsstaatlichkeit.
Die Grundgedanken der Aufklärung, die uns die
grossen französischen Schriftsteller Rousseau und Montesquieu hinterlassen
haben und die sich in jedem schweizerischen Richterrucksack befinden, werden
allzu bedenklich geopfert. Es wird übersehen, dass auch Richterinnen und
Richter einen Berufsstolz haben, gleicherweise wie mein Vater
als Buchdrucker und mein Grossvater als Dachdeckermeister. Der richterliche
Berufsstolz wird aufs tiefste verletzt, wenn Gerichte damit rechnen müssen,
dass allenfalls nicht ein oberes Gericht, sondern eine politische Behörde von
ihren Urteilen abweichen kann. Davon hat zu Recht auch der höchste EU-Richter,
der Grieche Vasilios Skouris, gewarnt: »Entscheide sind dadurch
gekennzeichnet, dass sie die Parteien, die sich an ein Gericht gewendet haben,
binden«. Denn der richterliche
Berufsstolz ist der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit verpflichtet. Muss
ein Gericht damit rechnen, dass eine politische Behörde von seinem Urteil abzuweichen befugt ist, und das
institutionell, besteht die Gefahr, dass es frustriert von seinem Auftrag
abweicht, und ebenfalls nicht nach rein rechtlichen, sondern nach politischen Gründen entscheidet.
Was verschwiegen wird Die geschilderte Gefahr der Denaturierung des
Richterstandes und dessen Urteilsfindung wird von offizieller Seite und den
Gutachtern und Beratern des Bundesrats verschwiegen. Nicht gesprochen wird auch darüber, dass der Europäische
Gerichtshof zum Teil von den in ganz Westeuropa üblichen juristischen
Auslegungsregeln abweichen muss. Die Gerichte legen die gesetzlichen und
vertraglichen Bestimmungen nach deren Sinn und Zweck aus. Diese Methode, die
teleologische Auslegung, ist seit Jahrhunderten ungeschriebene Regel. Der
Luxemburger Gerichtshof ist dagegen dem ›effet utile‹ verpflichtet. Das bedeutet, dass er die Auslegung des
Rechts nach dem ›Prinzip
der grösstmöglichen Wirksamkeit‹ vorzunehmen hat. Wirksamkeit für wen? Was dies im
Einzelfall bedeutet, muss nicht weiter verfolgt werden ….
Lösungsansatz Es wird immer wieder Konflikte bei den
bilateralen Verträgen mit der EU geben. Diese können zwar rein politisch gelöst
werden. Es ist aber zweierlei zu bedenken: Erstens ist die Schweiz der kleinere
Vertragspartner und zweitens besteht, zumindest in der heutigen Situation, kaum
Vertrauen in den Bundesrat, dass dieser die schweizerischen Interessen
genügend hartnäckig wahrnimmt. Der einzige Ausweg bildet meines Erachtens die
Schiedsgerichtsbarkeit. Ein dahin gehender Vorschlag der SVP fand leider keine
Mehrheit. Aufgrund von Äusserungen muss festgestellt werden, dass vielerorts
das Wissen um die Bedeutung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, vor
allem für die Schweiz, abhanden gekommen ist. Die von unserem Land seit über
hundert Jahren hochgehaltene Idee der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit
ist ein zwischenstaatliches Streiterledigungsverfahren, welches auf eine für
die Parteien verbindliche Entscheidung eines Streites abzielt. Dabei haben die
Parteien die Möglichkeit, über die Rechtsgrundlagen, die Zusammensetzung des
Gerichts, das anwendbare Recht und die Verfahrensordnung zu entscheiden.
[1] Quelle: ›Der Zürcher Bote‹ 55. Jahrgang, Nr. 7 vom
22. 11. 2013
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