Ukraine: Globale Machtprobe eskaliert 21.07.2014 00:40
Präsident Putin hatte sich unmittelbar nach seinem Eintreffen zum Gipfeltreffen
der
BRICS-Staaten in Rio de Janeiro mit Bundeskanzlerin Merkel, die anlässlich der
Fußball-WM in Rio war, getroffen, um mit ihr über die Lage in der Ukraine zu
sprechen, während US-Vizepräsident Joe Biden mit dem ukrainischen Präsidenten
telefonierte, um der Kiewer Regierung die Unterstützung der Regierung Obama
zuzusagen.
Was die
gegenwärtige Lage betrifft, so schreibt ›German
Foreign Policy‹ unter dem Titel ›Die
Saat geht auf‹: »Angesichts des Flugzeugabsturzes
tritt leider in den Hintergrund, daß ›die
vom Westen protegierte Regierung der Ukraine ihre Kriegsführung im Osten des
Landes verschärft.‹ Angriffe auf
Wohngebiete dauern an; nach der Preisgabe der Städte Slowjansk und Kramatorsk
durch die Aufständischen sind die Regierungstruppen nun bestrebt, Donezk und
Luhansk einzukreisen; in Slawjansk war es nach der Zerstörung der Wasser- und
Stromversorgung sogar in Krankenhäusern zu Totalausfällen gekommen. Bereits vor
Wochen hatte Sergij Taruta, der von Kiew installierte Gouverneur von Donezk,
den Beschuß von Wohngebieten scharf kritisiert und darauf hingewiesen, daß dies
den Aufständischen neue Kräfte zutreibe. [1] Dessen
ungeachtet attackieren die Regierungstruppen fortgesetzt nicht nur Zivilisten,
sondern zunehmend auch die wirtschaftliche Infrastruktur, mit fatalen Folgen.
So wird der Direktor eines Grubenunternehmens in Donezk mit der Aussage
zitiert, die Truppen hätten offenkundig gezielt die Kohleversorgung für das
größte Kraftwerk der Region unterbrochen: Die Vorräte reichten noch für 20
Tage, danach könne es zu Stromknappheit kommen.
›Untermenschen‹ ›In Streitkräften und irregulären Milizen etablieren
sich faschistische Kräfte, die Berlin hoffähig gemacht hat: Im
Falle der Partei Swoboda durch Kooperation und gemeinsames Auftreten des
Parteichefs mit dem deutschen Außenminister, im Falle des berüchtigten ›Prawy Sektor‹ [Rechter Sektor] durch die billigende Inkaufnahme von dessen
Erstarken auf dem Maidan.‹ Die
ukrainische Regierung, die die Angriffe forciert, steht einerseits unter
massivem Druck faschistischer Kräfte. Ende Juni
etwa hatten Tausende Ultrarechte auf dem Kiewer Maidan ein sofortiges Ende des
damaligen Waffenstillstandes gefordert; Präsident Poroschenko müsse umgehend
den Kriegszustand über das Donbass verhängen, hieß es. Anführer ultrarechter
Freiwilligenbataillone verlangten, im Osten des Landes auf eigene Faust
eingreifen zu können. Andererseits folgt die Kiewer Regierung mit den Attacken
auch eigenen Positionen. So wurde etwa Poroschenko Ende der vergangenen Woche
mit einem Ruf nach uferloser Rache zitiert: ›Für jedes Leben unserer Soldaten werden die Kämpfer mit Dutzenden
und Hunderten der Ihren zahlen.‹ [2] Bereits zuvor hatte Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk
nach einer tödlichen Attacke auf ukrainische Soldaten erklärt, bei den
Angreifern handle es sich um ›Untermenschen‹ [subhumans], die ›ausgelöscht‹ werden
müssten; es gelte ›unser Land vom
Übel zu säubern‹. Die auf der
website der ukrainischen Botschaft in der USA publizierte Stellungnahme ist
inzwischen leicht modifiziert worden; statt von ›subhumans‹ ist nun von ›inhumans‹ die Rede.
[3]
›Unter Präsident Poroschenko schreitet die
Etablierung ultrarechter Milizen und die Durchdringung des ukrainischen
Militärs mit Faschisten voran. Mitte Juni etwa besuchten mehrere
Parlamentsabgeordnete der faschistischen Partei ›Prawy Sektor‹ Einheiten
der Streitkräfte, der Nationalgarde und irregulärer Milizen im Osten des Landes
und übergaben ihnen Medikamente, Ausrüstung und Munition, die Swoboda mit einer
Sammelaktion in Eigeninitiative beschafft hatte. Man werde auch weiterhin Druck
ausüben, um die Verhängung des Kriegsrechts zu erreichen, erklärten die
Abgeordneten anschließend.‹ Swoboda
und der ›Prawy Sektor‹ sind für ihre exzessiven
antirussischen Aggressionen berüchtigt; ihr Erstarken im Verlauf der
Maidan-Proteste hat maßgeblich zur Eskalation der Aufstände im Osten der
Ukraine beigetragen.
Faschistische Paramilitärs Mittlerweile
beschreiben nicht mehr nur russische und ukrainische, sondern ansatzweise auch
westliche Mainstream-Medien den Einfluß faschistischer Kräfte innerhalb der
Kiewer Regierungstrupps. Kürzlich hat etwa der französische Auslandssender France
24 geschildert, wie Aktivisten des ›Prawy
Sektors‹ in die Streitkräfte
eintreten oder eigene Formationen bilden; vor
allem das ›Bataillon Asow‹ besteht demnach zu einem hohen Anteil
aus Faschisten. Es wird unter anderem von Oleh Lyaschko finanziert, der bei den
Präsidentenwahlen mehr als 8 % der Stimmen erhielt. Im Juni hat eine deutsche
Journalistin im hakenkreuzverzierten Hauptquartier des ›Prawy Sektors‹ im
Kiewer Hauptpostamt die Auskunft erhalten, die Organisation zähle heute bis zu
10.000 Aktivisten, von denen ›Hunderte‹ in der Ostukraine kämpften.
Durch ihre Kooperation mit der Regierung im Milieu von Streitkräften und
irregulären Milizen ›werden die
rechtsextremen paramilitärischen Gruppierungen de facto legalisiert‹, urteilt der ukrainische Politikwissenschaftler
Wjatscheslaw Lichatschew. [4]
Die Rolle Berlins All dies
ist für die Beurteilung der deutschen Ukraine-Politik nicht nur deswegen von
Bedeutung, weil die Bundesregierung - unbeschadet ihrer aktuellen Forderung
nach einem Waffenstillstand und erneuten Verhandlungen - Präsident Poroschenko
und seine Regierung ungebrochen unterstützt und nur die Aufständischen und
darüber hinaus Rußland mit Sanktionen belegt. Vielleicht noch schwerer wiegt,
daß Berlin mit seinen Interventionen in Kiew ansatzweise schon seit Anfang 2012
seit dem Beginn der Maidan-Proteste vollumfänglich mit Swoboda kooperiert und
die faschistische Partei dadurch weithin akzeptabel gemacht hat. Zudem hat die
Bundesregierung das Erstarken des ›Prawy
Sektor‹ auf dem Maidan billigend in
Kauf genommen; ihm wird entscheidender Einfluß auf die gewaltförmige
Radikalisierung der Proteste und bei Janukowitschs Sturz beigemessen.«
Wie die ›Deutschen Wirtschafts Nachrichten‹ festhalten hat Merkel bei einem
Treffen mit den Präsidenten von 8 Balkan-Staaten im kroatischen Dubrovnik am
15. 7. 14 die Westbalkan-Länder dazu aufgefordert, die Ukraine-Politik der EU
zu unterstützen und betont, dass dies schon wegen der EU-Beitrittsambitionen
der Staaten wichtig sei. »Mit ausdrücklichem Bezug auf den Konflikt in der Ukraine sagte sie: ›Hier will ich deutlich machen: Der
Annäherungsprozeß beinhaltet auch den Versuch, sich in den außenpolitischen
Fragen gemeinsam zu positionieren. Wir haben eine gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik.‹ Hintergrund ist
der Versuch gerade der Bundesregierung, eine einheitliche EU-Politik gegenüber
Rußland zu organisieren; dabei geht es auch um die Frage weiterer Sanktionen.« [5]
Kaum eine
Erwähnung in der Tagespresse findet der Umstand, dass die Regierung in Rom ein
gutes Verhältnis mit Moskau pflegt. Eigentlich hatte, wie die die ›Deutschen Wirtschafts Nachrichten‹ am 15. 7. schrieben, Merkel dem
italienischen Premier Matteo Renzi in Aussicht gestellt, dass Italien die
Position des Außenbeauftragten besetzen könne. Im Gegenzug hatte Renzi seinen
ursprünglichen Widerstand gegen Jean-Claude Juncker als
EU-Kommissions-Präsidenten aufgegeben. Doch dagegen regt sich nun Widerstand bei
den Hardlinern in Brüssel. Der Grund: Rom sei gegenüber Russland zu freundlich eingestellt.
Italien übernahm mit Beginn des Julis die
EU-Ratspräsidentschaft und die erste Reise der italienischen
Aussenministerin Federica Mogherini führte nach Russland, wo sie mit Sergej
Lawrow zusammentraf, um das Pipeline-Projekt ›South Stream‹ zu besprechen.
Bei dieser Gelegenheit lud sie Putin zu dem für Oktober geplanten Treffen
asiatischer und europäischer Führer nach Mailand ein. Wie die ›DWN‹ des weiteren festhalten,
bewerteten vor allem die osteuropäischen Staaten diesen Besuch als
Affront. Daher soll verhindert werden, dass Mogherini die Nachfolge von Ashton
antreten kann. »Federführend bei der Kampagne gegen Mogherini sind Lettland, Estland,
Litauen und Polen; die Begründung: Italien habe Russland gegenüber keine harte
Haltung gezeigt.« [6]
Wie die ›Bürgerrechtsbewegung Solidarität‹ hierzu vermerkt, wären die Staaten
Kontinentaleuropas eigentlich gezwungen, sich strategisch und wirtschaftlich
von der anglo-amerikanischen Empire-Fraktion abzusetzen, ›da deren Politik zu verrückt und gefährlich wird.‹ »Indessen hat ja Europa«, so Scholl-Latour, »gar keine Außenpolitik. Europa
vollzieht im Moment eine Unterwerfungspolitik gegenüber der USA, die es unter
Helmut Kohl so nicht gegeben hätte und unter Schröder sowieso nicht. Es war ja
vereinbart worden, dass die NATO nicht weiter als bis nach Ostdeutschland
vorrückt, und da hört es dann auf. Dass die NATO die ehemaligen
Ostblockstaaten, Polen, die baltischen Staaten und Rumänien, aufnimmt, das war
ja damals ausgeschlossen worden. Nur war es die Dummheit von Gorbatschow, dass
er dies nicht schriftlich fixieren liess, wozu der Westen damals bereit war.
….. Und jetzt haben wir auf einmal noch eine Verdrängungspolitik gegenüber
Russland. Ich frage mich, was das soll. Die Deutschen sehen auch nicht, dass die Eurasische
Union, die Putin machen möchte, nicht gegen Westeuropa gerichtet ist,
sondern die Konsolidierung Russlands in Zentralasien bedeutet. Denn wenn
Afghanistan jetzt geräumt wird und ein islamisches Chaos eintritt oder ein
Gottesstaat entsteht, dann wird das ja auch ausstrahlen. Unter anderem auf
Usbekistan und Tadschikistan, wo die Usbeken ja schon sehr stark in den
Widerstandslagern in Pakistan vertreten sind. Hinzu kommt natürlich auch noch
Kasachstan. Man will sich abschirmen: Diese asiatische Dimension ist im Grunde
eine defensive Organisation, aber das hat man noch gar nicht begriffen. Und da
wäre natürlich die Ukraine als europäisches Gegengewicht ein willkommener
Partner gewesen. Das fällt jetzt weg und da bleiben dann nur noch Russland und
Weissrussland und das sind eben nur 140 Millionen Menschen und davon, das darf
man nicht vergessen, sind etwa auch noch einmal 20 bis 25 Millionen Muslime,
und die sind nicht alle harmlos. [7]
Auch
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn betreibt eine aktive Diplomatie mit
Russland. In einem Interview mit der österreichischen Zeitung ›Die Presse‹ vom 10. 7. erklärte er: »Wenn man keinen Dritten Weltkrieg riskieren will,
ist das die Realität: Die Krim ist de facto nicht mehr Teil der Ukraine. De
iure werden wir das selbstverständlich nicht akzeptieren. Es ist jedoch
illusorisch zu glauben, jetzt eine Lösung finden zu können. Russland wird nicht
mit sich reden lassen. Das kann in zehn Jahren anders sein. Ich habe als
Politiker eine andere Verantwortung als Sie. Wenn ich morgen aufwache, ist
Russland noch immer auf der Landkarte. Ich muss zusammen mit Russland
versuchen, aus dem Konflikt herauszukommen.« Asselborn kritisiert auch das
Vorgehen der ukrainischen Führung: »Offenbar sucht Präsident Poroschenko eine
militärische Lösung.« Europa und Amerika, so Asselborn ferner, könnten Russland und China
die Politik nicht diktieren: »Eine Weltordnung funktioniert nicht ohne Russland und
China. Der Westen muss sich auch selbst hinterfragen.« Dazu
führt Asselborn das Beispiel Irak an: »Tony Blair hält den Irak-Krieg immer noch für richtig,
obwohl dort Zehntausende von Menschen für nichts starben und heute reinste
Anarchie herrscht.« [8]
Völlig
unverständlich ist unter den gegebenen Umständen, dass auch ein Aussenpolitiker
wie Karl-Georg Wellmann Russland vorwirft, die Lage in der Ostukraine weiter
destabilisieren zu wollen. »Wenn Russland nicht aufhört, diesen Konflikt zu schüren,
wird er weitergehen«, sagte Wellmann am 15. 7. ›Deutschlandfunk‹. Es muss ihm doch klar sein, w e r hier für die Destabilisierung zur
Verantwortung zu ziehen ist. Für die Ankündigung Poroschenkos, die eigene Armee
besser auszurüsten, äusserte der Politiker, der ausgerechnet der CDU angehört,
sogar Verständnis: Poroschenko verteidige lediglich sein Land in einem Krieg,
betonte der CDU-Aussenexperte. Im Gegensatz zu Wellmann schreibt allerdings
auch Markus Bernhardt am 18. 7. in der ›jungen
Welt‹ klar und unmissverständlich: »Die bundesdeutsche Politik hat
offensichtlich zunehmend Schwierigkeiten, die Geister, die sie selbst rief,
wieder in die Schranken zu weisen.« Und Sevim Dagdelen, Sprecherin für
Internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag: »Im Rahmen der Kriegspolitik gegen
die Menschen im Südosten der Ukraine gewinnen rechte Kräfte und Faschisten an
Gewicht.«
Quelle: GERMAN FOREIGN POLICY - Die Saat geht auf http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58913 15. 7. 14 [1] Reinhard Lauterbach: Zivilisten als
Ziele. junge Welt vom 5. 7. 2014 [2] Ukrainische Soldaten durch Raketen
getötet. Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.07.2014 [3] Ukraine's Prime Minister Yatsenyuk:
We will commemorate the heroes by cl beaning our land from the evil. http://usa.mfa.gov.ua/ua 15. 6. 2014 [4] Simone Brunner: Gefährliche Hilfe von rechts.
www.suedkurier.de 24.06.2014 [5] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/07/15/merkel-schwoert-balkan-staaten-auf-anti-russland-kurs-ein/ 15. 7. 14 [6] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/07/15/eu-will-italien-wegen-russland-freundlicher-position-abstrafen/ 15. 7. 14 [7] http://de.ria.ru/opinion/20140704/268926478.html 4. 7. 14 [8] http://www.bueso.de/node/7497 15. 7. 14 Zunehmendes
Zerwürfnis zwischen Anglo-Amerikanern und Kontinentaleuropäern
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