Ungebrochene Aggression 28.09.2014 22:23
Die Ausdehnung der EU und der Nato
in Richtung Russland muss Putin als Bedrohung wahrnehmen.
Am 15. September fand nun in Bern im Hotel Kreuz eine Veranstaltung unter dem
Aspekt der Auswirkungen der Ukraine-Krise auf Europa und der Beitrag der Schweiz
für eine friedliche Lösung statt. Referenten waren James George Jatras, Vorsitzender
des ›American Institute‹ in der Ukraine und ehemaliger politischer Berater der Republikaner, ferner Ständerat
Filippo Lombardi, Präsident des parlamentarischen ›Freundschaftsverein
Schweiz-Ukraine‹ und Oskar Freysinger,
Nationalrat und Walliser Staatsrat.
James Jatras, der der Politik Russlands sehr viel Verständnis
entgegenbringt, hob in seinem Vortrag hervor, dass die Krise in der Ukraine von
aussen initiiert wurde. Der Einfluss der USA und der EU-Staaten, die
Jatras als «Vasallen der Weltmacht» bezeichnete, haben entscheidend zur
Eskalation der Lage in der Ukraine beigetragen. Als ein Beispiel nannte er
Victoria Nuland, die stellvertretende Aussenministerin, die eine aktive Rolle
beim Staatsstreich im Februar gespielt hat. Die Demonstrationen auf dem Maidan
hatten eine Eskalationsstufe erreicht, in der die Polizei massiv und am Ende
sogar mit Schusswaffen angegriffen wurde. Die US-Aussenpolitik, die gemäss
Jatras seit Jahrzehnten von der gleichen kleinen politischen Clique bestimmt
wird, verfolgt einen Regime-Change in Damaskus, in Teheran und letztlich in
Moskau: die Krise in der Ukraine ist nur unter diesem Gesichtspunkt zu
verstehen. Die ständige Ausdehnung der EU und der Nato in Richtung Russland
muss Putin als eine Bedrohung wahrnehmen. Die Sanktionen gegen Russland
beurteilt Jatras äusserst kritisch. Sie werden nicht zu einer konstruktiven Lösung
des Konflikts beitragen. Der USA wird daraus kaum ein Nachteil erwachsen, hingegen
wird die europäische Wirtschaft empfindliche Einbussen erleiden. Auch wenn im
Moment eine Feuerpause herrscht, wird die USA kaum ihren Plan aufgegeben haben,
aus Russland einen Vasallenstaat zu machen, zu dem das Land unter der Regierung
Jelzins degradiert wurde. Die Ukraine ist dabei nur Mittel zum Zweck.
Unverständnis zeigte er für die Haltung der Schweiz, die als
neutraler Staat, der weder Mitglied der NATO noch der EU ist, zwar die Sanktionen
nicht mitträgt, gleichzeitig aber Massnahmen ergreift, um Umgehungsgeschäfte
über die Schweiz zu verhindern und damit die Sanktionen indirekt unterstützt.
Russland hatte seines Wissens die Schweiz bisher noch nie wegen irgendwelcher
Finanzfragen unter Druck gesetzt, ganz im Gegensatz zur USA, die der Schweiz
selbst mit Sanktionen gedroht haben, wenn sie nicht US-amerikanisches Recht
anwende.
Die USA wollen sich als einzige Weltmacht behaupten Ständerat Filippo Lombardi zeigte sich betroffen über die Situation in
der Ukraine, die er vor etwa einem Jahr das letzte Mal besucht hatte. Zu diesem
Zeitpunkt habe man nichts von diesen grossen Spannungen zwischen Volksgruppen
gemerkt. Zwar gab es in gewissen Fragen unterschiedliche Auffassungen, wie es
zwischen der West- und Deutschschweiz auch vorkommt, vielleicht mit dem
«Röschtigraben» vergleichbar, aber es gab keinen Hass, sondern intensive
Diskussionen. Für ihn ist ebenfalls klar, dass das ganze Desaster dort auf den
Einfluss fremder Mächte zurückgeführt werden muss. Es gibt keine russische oder
ukrainische Familie, die nicht einen Verwandten entweder in Russland oder in
der Ukraine hat. Das Land wird auf Grund geostrategischer Interessen förmlich
auseinandergerissen. Das Ganze erinnerte Lombardi an den Beginn des
Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Hier glaubte man, mit einer kurzen
militärischen Aktion etwas zu gewinnen, was jedoch in der Folge in einem
fürchterlichen Krieg endete. Ähnliche Gefahren sieht er auch bei der aktuellen
Krise in der Ukraine. Die Chance, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges
geboten habe, sei nicht genutzt worden, nämlich eine wirklich friedlichere Welt
aufzubauen. Die Folgen sehen wir heute in der Ukraine. Es ist jedoch ein
asymmetrischer Kampf, denn während sich die USA als einzige Weltmacht behaupten
will, geht es Russland darum, eine regionale Macht zu werden oder zu bleiben.
Deshalb ist nicht zu verstehen, dass man gegen Russland eine derartige Stimmung
erzeugt. Die Haltung des Bundesrats gegenüber Russland beurteilt er positiv,
weil dieser trotz des Drucks aus der USA
und der EU dem neutralen Kurs im grossen und ganzen treu geblieben ist. Gerade
jetzt, da die Schweiz den Vorsitz der OSZE hat, ist es wichtig, dass sich die
Schweiz völlig neutral verhält und sich auf keine der beiden Seiten stellt,
sondern immer eine Plattform für Verhandlungen bietet; in dieser aktuellen
Situation kann es für die Schweiz nur darum gehen, eine solche Haltung
einzunehmen. Gerade im Konflikt um Georgien hatte die Schweiz sowohl der
russischen als auch der georgischen Seite ihre guten Dienste angeboten und
jahrelang zwischen den beiden Staaten vermittelt. Ständerat Lombardi plädierte
ausdrücklich dafür, dass die Neutralität wieder ein grösseres Gewicht in der
Politik der Schweiz spielen muss, denn das hat nicht nur Bedeutung für uns selbst,
sondern über unsere Grenzen hinaus auch für alle übrigen Staaten dieser Welt.
Die Sanktionen der EU und der USA haben keine gültige Rechtsgrundlage Für Oskar Freysinger sind neben der Neutralität die staatliche Souveränität
und damit der Rechtsstaat von grösster Bedeutung. Und hier liege so manches im
Argen. Er zeigte auf, dass die Sanktionen der EU und der USA keine gültige
Rechtsgrundlage haben und daher illegal sind. Es gibt nicht einmal eine UNO-Resolution,
welche die von der EU und der USA verhängten Sanktionen oder die Listen von
Personen, die mit Einreisebeschränkungen und dem Einfrieren von Bankkonten
bestraft werden, rechtfertigen könnte. Dass die Schweiz sich indirekt an den
Sanktionen beteiligt, ist für ihn völlig unhaltbar. Mit deutlichen Worten
kritisierte er die Rechtlosigkeit, in die sich die Schweiz freiwillig begeben
hat, indem sie Menschen sanktioniert, die in keinem rechtsgültigen Verfahren
für ein Verbrechen irgendeiner Art bestraft wurden. Sanktioniert wird lediglich
eine Konfliktpartei, deren Beziehungen zu einer dominanten Macht sich
verschlechtert haben. Es handelt sich also um rein politische
Sanktionen ohne Rechtsgültigkeit. Weiter kritisierte Freysinger das
Verhalten der Schweiz als einen Verstoss gegen die Neutralität. Dazu gehören
für ihn die Ausladung des Parlamentspräsidenten der russischen Staatsduma,
Sergej Naryschkin, und die Absage an die russische Kunstflugstaffel ›Russian Knights‹, die
kurzfristig von der Militärflugshow ›Air14‹ ausgeladen wurde. Er sprach von 3 «Ohrfeigen», die
Russland von der Schweiz verpasst wurden. Diese Vorgänge haben ihn unter
anderem dazu veranlasst, eine Petition zu lancieren, um der Schweizer Regierung
zu zeigen, dass die Bevölkerung mit der eingeschlagenen Politik, die
EU-Sanktionen mitzutragen, nicht einverstanden ist. Die Verurteilung der
Unabhängigkeitserklärung der Halbinsel Krim steht in völligem Widerspruch zu
der im Jahre 2008 sofort vollzogenen Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovos.
Es würde mit zwei verschiedenen Ellen gemessen, liess er verlauten, denn wenn
die Abtrennung des Kosovos als völkerrechtlich legitim angesehen wurde, dann
müsste jene der Krim ebenso als legitim betrachtet werden.
USA kein Rechtsstaat mehr Die Neutralität der Schweiz könnte in solch heiklen Situationen einen
wichtigen Beitrag als Mediator leisten; wir müssen daher unserer Souveränität
wahren, um glaubwürdig und unabhängig zu bleiben. Auch ist Freysinger der
Meinung, dass die Menschen zur Kenntnis nehmen müssen, dass Russland nicht
mehr, wie dies im Kalten Krieg der Fall war, unser Feind ist, und dass die
Freundschaft der USA fragwürdig geworden ist. Was sich die USA in den
letzten 10 Jahren gegenüber der Schweiz geleistet hat, ist alles andere als
freundschaftlich. Ihr Ziel ist eindeutig die Schwächung, wenn nicht gar
Zerstörung des schweizerischen Finanzplatzes. Von Russland sind, wie dies auch Jatras
erklärt, noch nie irgendwelche Druckversuche ausgegangen, und trotzdem verhält
sich die Schweiz, als hätte sie es mit einem Feind zu tun. Auch ist die USA für
ihn kein Rechtsstaat mehr, sondern ein Weltreich, das aus drei Kreisen besteht.
Der erste Zirkel ist das eigene Land, dann kommt der zweite Zirkel mit mehr
oder weniger verbündeten Staaten, mit denen man in keinem bewaffneten Konflikt
steht, und schliesslich der dritte Zirkel, wo Krieg herrscht. Je nach Zirkel
herrschen unterschiedliche Rechtslagen. Dieses Verhalten wirkt sich zum Schluss
negativ auf den eigenen Staat aus, weil das Recht auch dort zur Willkür wird, wenn
man mit ihm spielt. Aus diesem Grund steht Freysinger mit allen Mitteln für die
Erhaltung des Rechtsstaats ein. Es ist unabdingbar, dass das Recht für alle
Menschen, die im selben Staat leben, gleiche Gültigkeit haben muss. Bei der
Auflösung der diesbezüglich gegebenen Grenzen besteht das Risiko, dass die
grösste Weltmacht allen anderen ihr Recht aufdrängt und so eine globale
Diktatur entsteht.
In der nachfolgenden Diskussion wurde deutlich, dass die Mehrheit der
Anwesenden erleichtert war, eine so klare und eindeutige Stimme aus der USA zu
hören, denn der westliche Medien-Einheitsbrei lässt kaum eine andere Auffassung
zu, wodurch wir hier in Europa völlig einseitig und antirussisch informiert
werden.
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1908 Zeitfragen Nr. 23/24 vom 23. 9. 14 «Die
Ausdehnung der EU und der Nato in Richtung Russland muss Putin als Bedrohung
wahrnehmen» - Ein Podiumsgespräch in Bern
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