Putins Botschaft an die westliche »Elite« 09.11.2014 23:23
d.a. Ob mit Absicht oder nicht, jedenfalls fand die Rede, die der russische Staatschef
am 24. 10. auf der Valdai-Konferenz in Sotschi hielt, nur wenig Beachtung,
wobei ihr eine solche absolut gebührt. Zu dem 11. Valdai-Treffen waren 108
Experten, auch ehemalige Staatsführer und Minister aus dem Westen, wie der
österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und der französische
Premierminister Dominique de Villepin, sowie Historiker, politische Analysten
und Journalisten aus Russland und 25 Ländern gekommen. Es handelte sich um eine
dreitägige Diskussionsrunde, während der aktuelle russische und globale Themen
offen besprochen wurden.
Zu Beginn erklärte Putin: »Einiges von dem ich spreche, wird vielleicht hart klingen, aber wenn wir
nicht direkt und ehrlich über das, was wir wirklich denken, reden, dann macht
es wenig Sinn, uns so zu treffen.« Nachdem sich die Vereinigten Staaten zum Sieger des Kalten Krieg
erklärt hatten, so Putin ferner, entschieden sie, Druck auf die Ereignisse
auszuüben und die Welt ausschliesslich nach ihren Wünschen und Interessen neu
zu gestalten. Dadurch ist eine amerikanische Diktatur entstanden, die sich
nicht an das Völkerrecht oder an sonstige internationale Regeln hält, und die
mittels Drohungen, Nötigung und Gewalt herrscht. »Die Massnahmen die gegen diejengen ergriffen wurden, die sich weigerten,
sich zu unterwerfen, sind allseits bekannt und oft umgesetzt worden. Sie schliessen die Anwendung von Gewalt ein,
Druck durch die Wirtschaft und durch Propaganda, Einmischung in die inneren
Angelegenheiten und das Zitieren einer selbst verliehenen ›Überlegalität‹, wenn
sie in diesem oder jenem Konflikt illegale Interventionen oder den Sturz von unliebsamen
Regimes rechtfertigen. Neuestens haben wir den wachsenden Beweis für die
Anwendung von knallharter Erpressung gegenüber einer Anzahl von Staatsführern.
[Merkel?] Es ist nicht umsonst, dass ›Big
Brother‹ Milliarden an Dollars
ausgibt, um die ganze Welt, seine engsten Alliierten eingeschlossen, unter
Beobachtung zu halten.« Wie Putin
des weiteren darlegte, seien die bislang von den einflussreichen Politikern
praktizierten Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, bei denen die echten
Absprachen ausgehandelt werden, vorbei. Die wesentlichen Punkte, die Putin
vortrug, sind im einzelnen:
- Russland ist immer zu ernsthaften Gesprächen
und Vereinbarungen bereit, sollten diese der kollektiven Sicherheit förderlich
sein, auf Gerechtigkeit gründen und die Interessen aller Seiten
berücksichtigen.
- Alle Systeme globaler kollektiver Sicherheit
sind ›ernsthaft geschwächt, durchbrochen
und deformiert‹ worden. Gegenwärtig
existieren keine internationalen Sicherheitsgarantien mehr. Und für deren
Zerstörung gibt es einen Verantwortlichen: Die Vereinigten Staaten von Amerika.
- Die Architekten der ›Neuen Weltordnung‹ sind mit ihren Plänen gescheitert; sie haben auf Sand gebaut. Es
liegt nicht allein an Russland, ob eine neue, wie auch immer geartete Weltordnung
errichtet werden soll, aber an Russland führt bei dieser Entscheidung kein Weg
vorbei.
- Russland setzt bei der Einführung von
Neuerungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Ordnung auf eine konservative
Herangehensweise, lehnt aber eine Erforschung und Diskussion derartiger
Innovationen keineswegs kategorisch ab, um so feststellen zu können, ob ihre
Einführung gerechtfertigt wäre.
- Russland hat nicht die Absicht, in
den trüben Gewässern der internationalen Politik, die durch das sich immer
stärker ausbreitende amerikanische ›Weltreich
des Chaos‹ entstanden sind, zu
fischen, und hat auch kein Interesse am Aufbau eines eigenen Weltreichs, was
ohnedies unnötig wäre, denn die grosse Herausforderung für Russland liegt in
der Entwicklung seines flächenmässig riesigen Territoriums. Darüber hinaus ist
Russland nicht willens, als ›Retter
der Welt‹ aufzutreten, wie es früher
der Fall gewesen ist.
- Russland wird
keinen Versuch unternehmen, die Welt nach seinen Vorstellungen zu formen;
zugleich wird es aber niemandem erlauben, Russland nach seinen Vorstellungen zu
verändern. Russland wird sich nicht von der Welt abschotten, aber jeder, der
versucht, Russland von der Welt zu isolieren, wird ›Sturm ernten‹.
- Russland hat kein Interesses an
der Ausbreitung chaotischer und instabiler Zustände, es will keinen Krieg und
hat nicht die Absicht, einen zu beginnen. Allerdings ist aus russischer Sicht
der Ausbruch eines weltweiten Krieges gegenwärtig fast unvermeidlich. Russland
ist auf eine solche Situation vorbereitet und wird in seinen Vorbereitungen
auch nicht nachlassen; Russland will zwar keinen Krieg, fürchtet ihn aber auch
nicht.
- Russland beabsichtigt nicht, aktiv
gegen diejenigen vorzugehen, die immer noch versuchen, ihre ›Neue Weltordnung‹ durchzusetzen, es sei denn, ihr Vorgehen verletzte strategische
Interessen Russlands. Diejenigen, die versuchen, Russland in diesen Prozess
hineinzuziehen, indem die russischen Interessen unberücksichtigt bleiben,
werden auf schmerzhafte Weise scheitern.
- Hinsichtlich seiner Aussen- und
noch mehr bezüglich seiner Innenpolitik wird sich Russlands Macht und Einfluss
nicht auf die Eliten und deren Hinterzimmer-Absprachen, sondern auf den Willen
der Bevölkerung gründen.
- Diese neun Punkte sind durch einen zehnten
Punkt zu ergänzen:
Es besteht weiterhin die Möglichkeit, eine ›Neue Weltordnung‹, die
einen Weltkrieg verhindern kann, zu errichten. Diese muss jedoch
notwendigerweise die USA einschliessen, was allerdings nur ohne Gewährung einer
Vorrangstellung und nur unter den Bedingung allgemeiner Gleichheit geschehen
kann: Sie muss dem Völkerrecht und internationalen Vereinbarungen unterstehen,
d.h. auf jegliches einseitige Vorgehen verzichten und die Souveränität anderer Staaten
ohne Einschränkung akzeptieren.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Zeit der Spielchen ist vorbei.
Jetzt liegt es an den Vernünftigen, Entscheidungen zu treffen; Russland ist
dazu bereit, fraglich bleibt aber, ob es die restliche Welt auch ist. [1]
Russland wird sich in keine Konfrontation hineinziehen lassen Bereits am 1. Juli hatte Putin erklärt: »Es muss beharrlich
darauf hingearbeitet werden, dass im europäischen Raum jegliche
verfassungswidrigen Umstürze, Einmischungen in die inneren Angelegenheiten
souveräner Länder sowie Erpressungen und Drohungen in den zwischenstaatlichen
Beziehungen, so auch die Begünstigung radikaler und neonazistischer Kräfte,
ausgeschlossen werden. Wir alle in Europa benötigen eine Art
Versicherungsnetzwerk, damit sich die Ereignisse im Irak, in Libyen, Syrien und
bedauerlicherweise auch in der Ukraine nicht zu einer ansteckenden Krankheit
entwickeln.« Indessen haben die Provokationen
gegen Russland unmittelbar nach der Parlamentswahl in der Ukraine am 26. 10.,
bei der ein Pro-NATO-Block und mehrere neonazistische Parteien eine Mehrheit
gewannen, zugenommen. Am 29. 10. hatte dann die ukrainische Regierung die
Einigung auf die Demarkationslinie, die sie im September im Rahmen des ›Minsker Abkommens‹ mit pro-russischen Kräften in den südöstlichen Regionen Donezk und
Lugansk unterzeichnet hatte - dieses
legt eine 30 km breite entmilitarisierte Zone fest sowie Wahlen in den beiden Regionen - einseitig aufgekündigt. Russlands
stellvertretender Aussenminister rief in der Folge in der UNO zu einer Debatte
über das Wiederaufleben des Faschismus in der Ukraine auf und verwies auf die Anfang
Oktober erfolgten Kundgebungen mit Tausenden von Aktivisten zum Gedenken an die
Ukrainische Aufstandsarmee [UPA], den bewaffneten Arm der Bewegung des
Nazi-Kollaborateurs Bandera in den 1930er und 40er Jahren. Am 28. 10. hatte
Präsident Putin gewarnt, die Welt müsse »sich gegen
jeden Versuch stellen, die Nazi-Ideologie wieder aufleben zu lassen, ethnischen
Unfrieden zu stiften und unsere gemeinsame Geschichte zu fälschen.« Radikale Neonazi-Fraktionen in der Ukraine haben
Präsident Poroschenko nach der Wahl offen gedroht, er dürfe den Prozess der Einbindung
der Ukraine in die EU, und damit auch in die NATO, nicht verlangsamen, während
der Chef des Bataillons Dnipro-1, eine vom ukrainischen Oligarchen Igor
Kolomoisky unterhaltene Neonazi-Miliz, ankündigte, Poroschenko habe 6 Monate
Zeit, um ihre Forderungen zu erfüllen, sonst werde es einen Militärputsch
geben. Drohungen ergingen auch von Seiten des Bataillons Asow, dem bewaffneten
Flügel des ›Rechten Sektors‹, der zu den Neonazi-Parteien, die bei
der Wahl am 26.10. mehr als 10 % erhielten, gehört. Als Reaktion kündigte
Russlands Verteidigungsminister Schoigu für 2015 mehr Manöver an, wobei er
speziell die Ukraine nannte, »wo die die
USA und die EU den Sturz des legitimen ukrainischen Präsidenten anstifteten.« Am Vorabend des
russischen Tags der Nationalen Einheit, der am 4. November begangen wird,
betonte Präsident Putin ausdrücklich, Russland werde sich in keine von der NATO
provozierte Konfrontation hineinziehen lassen, »obwohl uns die Konfrontation
ständig aufgedrängt wird. …… und obwohl mit der Ukraine eine Brutstätte solcher
Provokationen ganz in der Nähe liegt, bleibt Russlands Militärdoktrin defensiv.« [2]
Immerhin hielt die ›Frankfurter
Allgemeine Zeitung‹ u.a. fest, »dass Putin in seiner Rede das ›Vormachtstreben‹ der USA als Gefahr für den Weltfrieden kritisierte: Das ›einseitige Diktat‹ Washingtons führe zu einer Verschärfung von Konflikten und zur
Entwicklung radikaler Regime. ›Statt
einer Lösung von Konflikten gibt es eine Eskalation, statt souveräner Staaten
eine wachsende Sphäre des Chaos, statt Demokratie eine Unterstützung
zweifelhafter Gruppen, von offenen Neonazis bis zu islamistischen Radikalen.‹ Putin warnte abermals vor Versuchen,
den Konflikt im Osten des Landes mit militärischen Mitteln zu lösen und
betonte erneut, dass sich Russland dem durch die Sanktionen ausgelösten Druck
nicht beugen werde. Putin warf den Vereinigten Staaten vor, immer neue ›Zentren des Bösen‹ in der Welt auszumachen. ›Wir
sehen heute Versuche, die Welt zu zertrümmern, Teilungslinien zu ziehen und
Koalitionen nach dem Prinzip zu schmieden: Nicht ›dafür‹, also ›dagegen‹, sowie erneut ein Feindbild zu schaffen, wie es in den Zeiten des
Kalten Krieges war‹.« [3] Zu den
Darlegungen Putins gehört auch, dass er nochmals ausspricht, dass die USA die
Proteste auf dem Maidan aktiv unterstützt hat: »…. und als Washingtons Handlanger in Kiew mit ihrem fanatischen
Nationalismus einen grossen Teil der Ukraine vergrämt und das Land in einen
Bürgerkrieg gestürzt hatten, schob Washington Russland die Schuld dafür zu, die
Krise heraufbeschworen zu haben.«. »Wer die Fakten vorurteilsfrei betrachte«, so Putin, »weiss, dass es
nicht Russland war, das hinter dem Staatsstreich in der Ukraine stand.« Dessen ungeachtet hatte Obama nach dem
Ausschluss Russlands aus der G-8-Gruppe am 5. Juni auf dem Gipfel in Brüssel ohne
weiteres erklärt: »Russland ist eine Regionalmacht, die einen seiner
direkten Nachbarn bedroht, nicht aus
Stärke sondern aus Schwäche.« Bei dieser
Gelegenheit schoss Barroso den Vogel ab, indem er erklärte: »Dieser demokratische Club nimmt das Russland von Putin
nicht auf«, obwohl ihm bewusst sein muss, dass sich der unaufhaltsam
steigernde Demokratiemangel der EU ein vieldiskutiertes heisses Eisen ist. Und
das erklärt ausgerechnet ein Barroso, der schon
bevor er seinen Position bei der EU erhielt, systematisch auf ein
oligarchisches nachindustrielles Europa der Regionen anstelle gewählter
souveräner Regierungen hinarbeitete, der wie kaum ein anderer für den
wirtschaftsliberalen Kurs der EU und das unkontrollierte Treiben der Lobbyisten
steht und den internationalen Finanz-Eliten zuarbeitet.
Die Presse, unbelehrbar Ungeachtet obiger Fakten
befleissigen sich die Medien weiterer Angriffe gegen Russland. So kann man der
jüngsten Berichterstattung der Tageszeitung ›Die
Welt‹ durchaus folgende Worte von Heiko Schrang voranstellen: »Bei
aktuellen Konflikten kann man anhand der Berichterstattung der etablierten
Medien sehr schön erkennen, dass diese nichts weiter als Lokalausgaben der
NATO-Pressestelle sind. Auch eine deutsche Verteidigungsministerin findet
natürlich bei einem Magazin wie ›Der Spiegel‹ genügend Druckraum, so dass von der Leyen
Anfang Juni erklären konnte: ›Wladimir Putin
hat durch sein Verhalten enorm Vertrauen zerstört. …… Russland ist derzeit kein
Partner.‹ Partner würden
sich an gemeinsame Verabredungen halten.« Man hätte zu gerne gewusst, ob es von der Leyen nicht doch irgendwann
auffällt, dass sie sich mit einer solchen Stellungnahme absolut unglaubwürdig,
ja geradezu lächerlich macht. Denn wer sich nicht an die
Versprechungen hält, das hat auch Gorbartschow als
einer der Väter der deutschen Einheit soeben bei seinem Besuch in Berlin
klargestellt: Er hat dem Westen und insbesondere der USA offen vorgeworfen,
ihre Versprechen nach der Wende 1989 nicht gehalten zu haben.
Nun sollte es im jetzigen Moment im Gedenken an den Mauerfall eigentlich
allen Deutschen bewusst sein, dass Russland unter Gorbatschow den Schritt zur
Wiedervereinigung eingeleitet hat. Nicht so der stellvertretenden Chefredaktorin der ›Welt‹, Andrea Seibel. [4] Dort war am 7. 11. allenthalben von der russischen Gefahr die
Rede und von der NATO als ›militärisch-politischem
Wertebündnis‹. Nun sind ja die NATO-spezifischen
›Werte‹, mit denen sich diese schon im Jugoslawienkrieg auszeichnete, in
Libyen erneut zutage getreten. »Niemand«, heisst es in der ›Welt‹, »hat mit einer solchen
Diskursverweigerung wie jener Putins gerechnet. …. Langsam ist die Schockstarre
vorbei. Was bleibt, ist die Frage, wie man der russischen Destabilisierung der
Ukraine und letztlich ganz Europas Herr wird.« Will man Frau Seibel als
Autorin nicht direkt unterstellen, dass sie sich hier einer glatten Lüge
bedient, kann man sie allenfalls einer totalen Unkenntnis der Sachlage zeihen,
was immerhin kaum möglich ist. Nicht Putin hat die Ukraine destabilisiert, das
ist das alleinige Verdienst der USA und der mit ihr verbündeten,
ebenfalls vorzugsweise unter dem Siegel ›Werte‹ agierenden EU. Wie kann eine
Tageszeitung, nachdem von Clinton, Bush und Obama seit den 90er Jahren eine
Politik verfolgt worden ist, die Russland umzingelt - und deren Bestandteil die Finanzierung der
Opposition in Russland und in China bildet -
mit derartigen Behauptungen operieren. »Dass man
nun eine Eingreiftruppe von 5000 bis 7000 Mann plant und auch Großmanöver in
den Grenzregionen zu Rußland abhalten will«, so ›Die Welt‹ ferner, ist gut. Denn dies ist die
einzige Sprache, die ein Putin versteht.« Gewiss ist indessen, dass Putin sehr
wohl versteht, dass Washingtons neokonservative Kriegsfalken, deren derzeitiger Feldzug, im gesamten Nahen und Mittleren
Osten, in Eurasien und in anderen Regionen Konflikte zu schüren, eindeutig gegen
ihn gerichtet ist.
Raum wird natürlich auch einem Mitglied des
European Council on Foreign Relations wie Joschka Fischer gewährt, der
unumwunden mehr Härte gegen Russland fordert, wobei ihm nicht einmal
aufzufallen scheint, dass diese Härte sein eigenes Land wesentlich schwerer
trifft als Russland. »So gibt der
kriegsgestählte Ex-Sponti in seinem neuesten Buch ›Scheitert Europa?‹ entsprechende
Durchhalteparolen gegen Moskau. Fischer weiss, wie man Stimmung schürt. 1999
hat der Grüne, erst wenige Monate im Amt, als erster deutscher Aussenminister
nach 1945 seine Partei und das Land gegen den Willen der Bevölkerung in den
Krieg geführt. Kampfflugzeuge der Bundeswehr beteiligten sich damals am NATO-Bombardement
gegen Jugoslawien. Der Feldzug war völkerrechtswidrig, eine Aggression mit mehr
als tausend Toten, einer komplett zerstörten Infrastruktur und am Ende mehr als
200.000 auf Dauer aus ihrer angestammten Heimat vertriebenen Kosovo-Serben. Fischer
hat sich dafür nie verantworten müssen, wie auch kein anderer der damals in den
NATO-Staaten verantwortlich zeichnenden Politiker. Angezeigt sei eine ›grundsätzliche
Neuaufstellung Europas und des Westens gegenüber Russland‹, so
Fischer. Und er warnt: ›Machen wir uns keine Illusionen über Wladimir Putins
Ziele. Er versucht nicht weniger als eine
Wiederherstellung des Weltmachtstatus Russlands. Um mit dieser Revision
erfolgreich zu sein, bedarf es neben dem erneuten Anschluss der nach 1991
verlorengegangenen Gebiete noch eines weiteren Schrittes, nämlich des direkten
Zugangs Russlands zu Europa und der Wiederherstellung seines Einflusses dort
als Grossmacht, zumindest in Osteuropa.‹ Als hätten sich nicht die EU und die NATO in
den vergangenen 25 Jahren über Russlands Nachbarn hergemacht, skizziert er
Moskauer Expansionspläne. ›Wie wird sich Europa verhalten, wenn es Russland unter
Präsident Putin tatsächlich unter Einsatz von Waffengewalt und politischen
Destabilisierungstechniken gelänge, die Sowjetunion in neuer Gestalt als
russisch beherrschte Eurasische Union wiederauferstehen zu lassen? Nicht nur
die Osteuropäer, sondern die gesamte EU stünde vor einer völlig veränderten
Sicherheitslage an ihrer Ostgrenze. Die Atommacht Russland wäre dann wieder zu
einem direkten europäischen Spieler mit Hegemonialanspruch geworden.‹ Dass
die EU mit Frankreich und Grossbritannien gleich zwei Atommächte verzeichnet
und auf deutschem Boden nach wie vor einsatzbereite Kernwaffen lagern, lässt
Fischer aussen vor. Im Fall der Ukraine argumentiert der frühere
Grüne-Politiker in den alten Kategorien von Hegemonie: Den Anschluss des Landes
an die EU erklärt er dabei zur Schicksalsfrage für Europa. Eine Hinwendung der
Ukraine zu Russland werde drastische Konsequenzen für die Sicherheit des
Kontinents haben, warnt er in einem Gastbeitrag für die ›Süddeutsche
Zeitung‹. Der Westen müsse daher die Ukraine stärker
unterstützen; gemeint sind die von Faschisten gestützte Kiewer Regierung und
Präsident Petro Poroschenko, dessen Kriegführung gegen die eigene Bevölkerung
im Osten mittlerweile mehr als 3.000 Menschenleben gekostet hat.« [5]
Ungeachtet der Frage, was ihm den Blick für die
Realität verstellt, geht der Fakt, dass er auf Seiten der USA steht, allein
schon aus seinem statement in der ›International Herald Tribune‹ vom
14. 5. 2004 hervor, wo er sich wie folgt vernehmen liess: »We need the United States; we need the moral
leadership of the USA.« Wie die Saat
dieser Moral allein im Irak und in Afghanistan aussieht, berührt ihn offenbar nicht. Ansonsten hatte er
der US-Administration in seiner Rede in der Princeton University am 19. 11.
2003 eine ›gleichberechtigte‹ Partnerschaft angeboten, um den Kampf für eine
neue Weltordnung gemeinsam zu gewinnen. Die neue Weltordnung werde
internationale ›Ordnungsverluste‹ beseitigen und eine ›positive Globalisierung‹
durchsetzen. Dabei müssten sämtliche Mittel zur Anwendung kommen, so dass kriegerische Gewaltaktionen
ausdrücklich nicht ausgeschlossen sind. No comment ……
Der Gasstreit Noch Anfang April hatte Poroschenko Deutschland auf Grund der Krimkrise
dazu aufgerufen, das russische Gas zu boykottieren. »Ich hielte es zum Beispiel für
richtig, wenn Deutschland russisches Gas so lange boykottieren würde, bis
Russland die Invasion auf der Krim beendet.« Auf die Entgegnung, dass ein Boykott von russischem Gas Deutschland
wirtschaftlich hart treffen könnte, sagte Poroschenko: »Manchmal muss man für die
Demokratie einen Preis zahlen. Ein Boykott von russischem Gas wäre ein richtiges
Sanktionsmittel und würde Russland wirtschaftlich in die Knie zwingen.« Zu dem inzwischen beigelegten, man
sollte eigentlich sagen, leidlich und notdürftig ›zurechtverhandelten‹
Gasstreit schreibt F. William Engdahl: »Sollte
irgend jemand Zweifel gehegt haben: Das Fiasko um den Gasstreit zwischen der
Ukraine und der russischen Gazprom wirft ein Licht auf das völlige Chaos in der
EU-Energiepolitik. Die Regierung Merkel und die EU als Ganzes halten
die Lüge vom Global Warming aufrecht, während die gesamte übrige Welt
allmählich begreift, dass wir uns, wenn überhaupt, in einer zyklischen Phase globaler
Abkühlung befinden. Angesichts drastisch in die Höhe schiessender
Verbraucherpreise merken Deutschland und die EU, dass sie sich mit der
Entscheidung für ›grüne Energie‹ aus alternativen Quellen wie Sonne
und Wind selbst ins Knie geschossen haben. Zusätzlich bringen die kurzsichtigen
EU-Sanktionen gegen Russland den verlässlichsten Energiepartner der EU an den
Rand des Abbruchs der Beziehungen - Washington sei Dank.« [6]
In wieviele EU-Belange sich die Amerikaner einmischen, ohne dass in
Brüssel jemals eine Gegenwehr festzustellen wäre, ist mehr als ungeheuerlich.
So war US-Aussenminister Kerry mit drei Senatoren diesen Juli effektiv in
Bulgarien vorstellig geworden, um nachdrücklich und mit Zusagen zu verlangen,
dass der Bau der South Stream-Pipeline durch Bulgarien gestoppt wird. Und was
erklärte Oettinger? Im Zuge der Krimkrise hatte er angekündigt, dass er für
eine Verzögerung des South-Stream-Projekts sorgen werde; gleichzeitig setzte er
Bulgarien unter Druck: der Bau der Leitung verstosse gegen EU-Recht, gemäss dem Gasförderer keine Ferngasleitungen
in Europa besitzen dürfen. Die EU-Kommission versucht derzeit noch
immer, das Projekt zu verhindern. Wo man hinschaut, Kniefälle vor der USA.
Auf einer Pressekonferenz am 16. 10. in Belgrad hatte Putin, der das Vorhaben
als von grossem Vorteil für Europa betrachtet, diesbezüglich erklärt: »Dass das
Projekt immer noch nicht realisiert wird, kann nur mit politischen Erwägungen
erklärt werden. In diesem Fall fügt die Politik der Wirtschaft einen Schaden
zu.« Dagegen haben die Behörden Serbiens unterdessen erklärt, dass das Land die
Pipeline zu bauen beabsichtigt und die Vorbereitungen strikt nach Plan laufen. Völlig unverständlich hatte das EP am 18. September die EU
dazu aufgerufen, geplante Abkommen mit Russland auszusetzen, worunter auch der
Bau von South Stream fällt. Man fragt sich stets von neuem, inwieweit diese kostspielige
Versammlung überhaupt einen Durchblick besitzt, geschweige denn ein Konzept.
Dabei fällt der Sektor Verträge von europäischen Unternehmen nicht einmal in
den Zuständigkeitsbereich des Europaparlaments! Der neue EU-Energiekommissar
Miguel Arias Cañete lies sich am 1. 10. wie folgt vernehmen: »Wir sollen den
Südlichen Korridor schaffen. Aber es liegt klar auf der Hand, dass das Projekt
South Stream nicht fortgesetzt werden kann, bis es allen EU-Normen gerecht
wird.« Steigt der Druck der USA, wird
Brüssel dafür sorgen, dass die Normen niemals so geändert werden, dass
South Stream Aussicht auf Fertigstellung hat, es sei denn, unsere dortigen ›Genies‹ würden
endlich dem Sachverstand den Vortritt lassen. Kein Wunder, dass Engdahl
schreibt: »Die entscheidende Frage für die EU lautet
momentan: Wird sie die Selbstsabotage aufgeben und sich voll für die
geplante South-Stream-Gaspipeline der Gazprom in die EU einsetzen, durch welche
die Abhängigkeit von der Ukraine erheblich reduziert wird? Derzeit bringt es
für die EU keinerlei Nutzen, wenn sie sich an die von Washington diktierten
Sanktionen gegen russische Energieprojekte und wichtige russische Banken hält.«
Bereits Ende Juli hielt Engdahl fest: »Was in der Ukraine geschieht, seit Washington entschieden hat, am 22.
Februar 2014 den letzten Anschein von Ordnung fahren zu lassen und ein Regime
psychopathischer Krimineller ans Ruder zu bringen, ist nichts Geringeres als
ein Krieg gegen die menschliche Intelligenz. Nach Einschätzung mancher
Beobachter in Washington steht Europa heute an der Schwelle nicht nur eines
neuen Kalten Krieges, sondern des Dritten Weltkriegs. Wenn es Brüssel ernst meint,
sollte der winzige Schritt einer diplomatischen Lösung der Beziehungen zwischen
der Gazprom und der Ukraine getan werden, um sich damit von der katastrophalen
Vasallen-Rolle gegenüber Washington zu distanzieren und die langjährigen
friedlichen Beziehungen zu Moskau und dessen eurasischer
Wirtschaftsgemeinschaft wieder aufzunehmen. Wird diese Chance in der Atempause
der nächsten fünf Monate nicht genutzt, können wir sicher sein, dass Victoria
»Fuck the EU« Nuland und ihre neokonservativen Freunde in der CIA und im State
Department alles Erdenkliche unternehmen werden, um spätestens im März 2015
über die Ostukraine den Krieg mit Russland erneut in Gang zu setzen.«
Angesichts der angespannten Situation ist auch eine Mitteilung von Mark Whitney zu überdenken: Am 12. August dieses Jahres zitierte dieser folgendes aus einem Gespräch mit ›einem
führenden NATO-Admiral eines nordeuropäischen Staats‹ zur US-Aussenpolitik: »US-Kollegen
aus dem Pentagon haben mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass die USA und Grossbritannien die Beziehungen zwischen
Europa und der [ehemaligen] Sowjetunion niemals so eng werden lassen würden, dass
sie ihre bisher unangefochtene politische, wirtschaftliche oder militärische
Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent gefährden könnten. Eine
solche Entwicklung werde man mit allen Mittel verhindern, wenn es nötig wäre,
auch durch das Provozieren eines Krieges in Mitteleuropa.«
Nun hat die EU die ihnen von der USA
aufgezwungenen Sanktionen widerstandslos durchgesetzt und diese krasse
Bevormundung sozusagen lautlos geschluckt; die Ausführungen von US-Vize Joe
Biden, der ausdrücklich gesagt hat, dass die Amerikaner die EU zu Sanktionen
gegen Russland zwingen mussten, ist auch von der Presse mit Samthandschuhen
angefasst worden. Hinzu kommt, dass der
Bürgerkrieg in der Ukraine erfolgreich entfacht worden ist und NATO-Oberbefehlshaber
Philip Breedlove soeben die Bitte an das Pentagon herangetragen hat, mehr
US-Truppen in Osteuropa zu stationieren sowie weitere Ausrüstung zur Verfügung
zu stellen. Dies deutet mitnichten auf eine Entschärfung der Lage hin und ist konträr
zu dem von Gorbatschows jetzt in Berlin ergangenen Aufforderung ›Lasst uns daran
erinnern, dass es ohne deutsch-russische Partnerschaft keine Sicherheit in
Europa geben kann‹.
Es kann ja wohl nicht sein, dass wir von der EU
auch noch zu vergegenwärtigen haben, dass Brüssel die Situation im Sinne der USA
eskalieren lässt. Wenn ja, wo ist das EP, wo sind die Parlamentarier, die
Brüssel in den Arm zu fallen gewillt sind?
Wer von uns möchte noch einmal dem Verbrechen eines
regelrechten, die EU erfassenden Krieges ausgesetzt sein?
Quellen: [1] http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/redaktion/putins-botschaft-an-die-westliche-elite-die-zeit-der-spielchen-ist-vorbei.html;jsessionid=E06A3388BA6B38DA0F5313292E6146C9 2. 11. 14
Redaktion [2] http://www.bueso.de/node/7752 4. 11. 14 [3]
http://www.faz.net/aktuell/russland-putin-kritisiert-vormachtstreben-amerikas-13228540.html 24. 10. 14 [4] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article134117252/Endlich-erkennt-die-Nato-die-russische-Gefahr.html 7. 11. 14
Von Andrea Seibel [5] http://de.ria.ru/opinion/20141015/269792593.html 15. 10. 14 Joschka Fischer: Mehr Härte gegen Russland [6]
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/f-william-engdahl/mit-der-einigung-im-russisch-ukrainischen-gasstreit-wird-zeit-bis-zum-fruehjahr-erkauft.html 1. 11. 14
F. William Engdahl: Mit der Einigung im russisch-ukrainischen Gasstreit
wird Zeit bis zum Frühjahr erkauft
Siehe hierzu auch http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2311 2. 9. 14 Das Neueste vom neuen Kalten Krieg: Ich setze
mein Geld auf Putin - Von Mark Whitney http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2271 18. 5. 14 Die Presse - einseitig http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2294 30. 6. 14 Washingtons Eiserner Vorhang in der
Ukraine - Von Diana Johnstone
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