Eu und Euro 09.11.2014 23:33
Ein Interview
mit Professor Dr. Frits Bolkestein, der vor allem durch die von ihm
lancierte, schwer umstrittene Dienstleistungsrichtlinie, auch als ›Bolkestein-Richtlinie‹ bezeichnet, bekannt wurde. Bolkestein
hatte von 1999 bis 2004 den zentralen Posten des EU-Kommissars für den
Binnenmarkt, Steuern und die Zollunion inne. Heute zählt er zu denjenigen, die
gegenüber der EU kritisch eingestellt sind. Die zu Anfang an Bolkestein
gerichteten Fragen sind wahrhaftig reichlich abstrus, sind jedoch so im
Internet nachzulesen.
Herr Professsor Bolkestein, Sie waren jahrelang EU-Kommissar, wie können
Sie da ein Kritiker der EU sein?
Bolkestein: Warum denn bitte nicht? Ich finde, Ihre Frage offenbart ein
erschreckendes Schwarzweiß-Denken.
Sind Sie ein Euro-Hasser?
Bolkestein: Was? Wie kommen Sie denn darauf?
Warum sonst möchten Sie Europa zerstören?
Bolkestein: Mit Verlaub, ich habe noch nicht erlebt, daß ein Interview mit so
dummen Fragen begonnen wurde. Ich lebe in Europa, ich bin Europäer.
Warum sollte ich Europa hassen oder zerstören wollen?
Das weiß ich auch nicht.
Bolkestein: Irgendwie müssen Sie doch auf diesen Unsinn gekommen
sein.
Sie üben ähnliche Kritik an EU und Euro wie die Alternative für
Deutschland (AfD), die Europa angeblich haßt und zerstören will.
Bolkestein: Sagt wer?
Zum Beispiel der ›Spiegel‹ oder Politiker der etablierten Parteien in
Deutschland.
Bolkestein: Ich bin mit Hans-Olaf Henkel von der AfD persönlich bekannt
und ich sage Ihnen, daß man in Deutschland immer wieder versucht, seine Partei
in eine rechtsradikale Ecke zu drücken, ist die pure Verleumdung. Die AfD ist
ganz bestimmt keine extreme Partei
Aber sie ist gegen die Euro-Rettung und gegen ›mehr Europa‹.
Bolkestein: Damit hat sie durchaus recht, wir brauchen nicht
immer ›mehr Europa‹, sondern ein vernünftiges Europa, ein Europa, das
funktioniert. Im übrigen gibt es einen Unterschied zwischen Europa und der EU.
Ich bin für Europa und auch für die EU, aber diese muß sich wandeln.
Inwiefern?
Bolkestein: Zum Beispiel genügen 12 Kommissare völlig, damit die
EU funktioniert - wir aber haben 28! Und auf nahezu jedes Problem reagiert das
Europäische Parlament mit der Forderung nach Vertiefung der europäischen
Integration. Damit aber ist es nicht repräsentativ. Denn in der Mehrzahl der
EU-Länder wollen die Bürger nicht ›mehr Europa‹, sondern im Gegenteil ›weniger
Europa‹. Dieser Lösungsansatz kommt im
EU-Parlament aber kaum vor. Daher bildet es nicht das Wollen der
Mehrheit der EU-Bürger ab. So etwas ist kein gutes Parlament. Und was den Euro
angeht, der hat sich wohl für alle sichtbar als Flop erwiesen.
Die deutsche Bundeskanzlerin sieht das nicht so. Warum ist das für Sie
so offensichtlich?
Bolkestein: Weil die krisengeschüttelten Südländer im
Einheitseuro nicht abwerten können. Und solange sie das nicht tun, werden sie
auch nicht aus ihrer wirtschaftlichen Misere herauskommen.
Aber die von Deutschland propagierte Austeritätspolitik ..…
Bolkestein: Wird diesen Zustand nur verlängern. Und wer diesen
Zustand verlängert, ist mitverantwortlich für Not und Elend der Krise in diesen
Ländern.
Das ist ein schwerer Vorwurf.
Bolkestein: Ich weiß.
Viele Menschen in den betroffenen Ländern stürzen in völlige Armut,
verlieren die Wohnung, wohnen in ihren Autos oder auf der Straße. Die Zahl der
Depressionserkrankungen und Selbstmorde steigt.
Bolkestein: Ich bin mir der moralischen Schwere des Vorwurfs
voll bewußt. Aber er ist in der Sache absolut zutreffend.
Allerdings: Die Südländer wollen den Euro doch gar nicht verlassen.
Bolkestein: Weil sie die Verbindung zwischen dem Euro und ihren
Problemen nicht wahrhaben wollen. 40 % Jugendarbeitslosigkeit in Spanien zum
Beispiel sind ein Resultat vor allem des Euros.
Ist es denn wirklich möglich, daß die gesamte Elite der Südländer das
nicht sieht?
Bolkestein: Ich will nicht sagen, daß sie die Zusammenhänge
nicht verstehen, vielmehr scheuen sie wohl davor zurück, sich die Wahrheit
einzugestehen. Denn die Folge wäre, daß sie die warme Gemeinschaft der
Euro-Zone verlassen und sich in einer harten Welt selbst behaupten müßten.
Aber geben wir den Euro auf, wird die deutsche Wirtschaft schwer
geschädigt.
Bolkestein: Unsinn! Das ist wie Frau Merkels
Drohung, ohne den Euro gebe es Krieg in Europa. So macht man Kindern Angst: »Sonst holt dich der schwarze Mann!« So zu reden bedeutet, die europäischen Bürger wie
Kleinkinder zu behandeln. Scheitert der Euro, wird weder die deutsche
Wirtschaft zusammenbrechen, noch wird es Krieg in der EU geben. Bestellen Sie
das Frau Merkel mit besten Grüßen von mir.
Warum sagt sie das dann?
Bolkestein: Weil sie eine Idee am Leben halten will. Was soll
sie sonst tun? Etwa zugeben: »Wir haben
euch Bürger jahrelang in die Irre geführt!« Sie stünde so total blamiert da. Alle, das ganze
europäische Establishment wäre blamiert bis auf die Knochen. Das wagen sie
nicht.
Warum können Sie das sagen, ohne als Antieuropäer beschimpft zu werden?
Bolkestein: Weil die Debatte in Holland viel freier ist als in
Deutschland. In Holland sagt fast jeder das, was ich sage. In Deutschland
dagegen ist die Debatte stark politisch korrekt aufgeladen. Deshalb werden bei Ihnen Hans-Olaf Henkel
und die anderen Professoren von der AfD auch ständig als Rechtspopulisten
verunglimpft. Das würde in Holland niemandem einfallen. Hier müßte ich
auch keinem erklären, daß der Euro gescheitert ist. Das wissen die Leute hier.
Warum ist die Debatte in Deutschland so aufgeladen?
Bolkestein: Weil der Euro eigentlich ein deutsches Projekt ist.
Moment, die Franzosen haben uns ihn als Preis für die deutsche Einheit
abverlangt, so sagt es Helmut Kohl.
Bolkestein: Mag sein, aber es gibt eine argumentative Verbindung
zwischen dem Euro und der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945.
Inwiefern?
Bolkestein: Helmut Kohl hat vor der Einführung des Euros intern
zugegeben, daß er ökonomisch für Deutschland von Nachteil ist, aber, so Kohl,
er vertiefe Deutschlands Freundschaft zu den anderen europäischen Staaten, was
Deutschland wegen seiner Geschichte brauche.
Wir haben den Euro wegen Auschwitz eingeführt?
Bolkestein: Ich glaube, es war Thilo Sarrazin, der gesagt hat: »Der Euro ist ein Kind des Holocaust.« Nun, das ist ziemlich brutal formuliert, und ich
würde das so nicht sagen, aber da ist etwas dran. Und dieses Körnchen Wahrheit
ist es, das es den Deutschen verbietet, frei und offen über den Euro zu
sprechen.
Dann ist der Euro ein ideologisches Projekt?
Bolkestein: Natürlich. Das sehen Sie doch daran, daß man etwa
Griechenland teilnehmen lassen hat, obwohl klar war, daß das Land nicht fit für
den Euro ist. Das Gleiche mit Italien. Ich wollte Italiens Beitritt zum Euro
damals nicht zustimmen. Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer gab mir intern recht, öffentlich aber nicht, weil
Helmut Kohl Italien dabeihaben wollte. Erst haben sie also Griechenland und
Italien reingelassen, und dann haben Deutschland und Frankreich 2003 auch noch
die Stabilitätskriterien gerissen. Immerhin haben sich die Deutschen dafür
entschuldigt - die Franzosen nicht. Na ja, die Franzosen entschuldigen sich nie
für irgendwas.
Warum haben Sie sich in der Italien-Frage nicht durchgesetzt?
Bolkestein: Eine gute Frage. Denn ich muß zu meiner Schande
gestehen, ich habe schließlich doch zugestimmt.
Warum?
Bolkestein: Weil ich keine andere Möglichkeit gesehen habe.
Hätte ich es nicht getan, hätte ich zurücktreten müssen.
Warum sind Sie nicht zurückgetreten?
Bolkestein: Eine berechtigte Frage. Vielleicht hätte ich es tun
sollen, denn die Nordländer und Südländer des Euros haben einfach zwei
verschiedene Kulturen, die unvereinbar sind. Die Nordländer wollen Stabilität,
die Südländer Solidarität. Und was bedeutet Solidarität? Es bedeutet
das Geld anderer Leute. Der Norden will ökonomische Probleme ökonomisch
lösen, der Süden dagegen politisch. Auch das zeigt, die Idee einer Währung für
alle - was auch eine Währungspolitik für
alle bedeutet - war von Anfang an
falsch. Und deshalb wird es auch immer schlimmer werden, solange wir so
weitermachen.
Aber das müssen doch auch unsere Eliten wissen.
Bolkestein: Sicher, aber erstens: Die Eliten machen zuviel Geld mit
dem Euro, eine Auflösung der Euro-Zone ist nicht in ihrem Interesse.
Das ist das Problem: Die Eliten profitieren, die einfachen Leuten zahlen die
Zeche. Zweitens, unsere Eliten haben sich ganz und gar der politischen Idee des
Euros verschrieben. Es ist einfach schon viel zuviel politisches Kapital in das
Euro-Projekt investiert worden. Auch hier fürchten sie, zuviel zu verlieren,
wenn sie ihren Fehler öffentlich einräumen würden.
Was wird also passieren?
Bolkestein: Ich sage Chaos voraus, wenn es keine fundamentale
Änderung in der Euro-Politik gibt.
Konkret?
Bolkestein: Es wäre nicht seriös, Ihnen etwas Konkretes
vorauszusagen, denn es kann auf vielerlei Weise passieren. Was ich voraussagen
kann ist, daß es schiefgehen wird, wenn es so weitergeht. Und daß die
euroskeptischen Parteien weiter Zulauf bekommen werden.
Ist das gut oder schlecht?
Bolkestein: Schlecht natürlich.
Aber Sie sind doch selbst ein Euroskeptiker.
Bolkestein: Nein, ich bin wie die Professoren von der AfD ein
Eurorealist. Mit Euroskeptikern meine ich Parteien wie den Front National oder
die Ukip. Deren Vormarsch ist ein Warnsignal.
Inwiefern?
Bolkestein: Die Mehrheit der Bürger in den EU-Staaten will
keinen EU-Bundesstaat. Aber die Funktionäre in Brüssel und die Mehrzahl der Parlamentarier
in Straßburg ignorieren das einfach. Es gibt, wie gesagt, zu viele
EU-Kommissare: so viele, daß diese nicht genug Arbeit haben, um ihren
Arbeitstag auszufüllen. Doch viele von ihnen möchten bekannt werden; das
wünschen sich ja generell die meisten Politiker. Und wie macht man das, wenn
man eigentlich unterfordert ist, nicht genug Arbeit hat, um sich zu
profilieren? Man startet Initiativen! Man mischt sich in alle möglichen Belange
europäischen Lebens ein. Aber das ist dann genau die EU, die wir nicht
haben wollen. Ihr Grundprinzip war einmal die Subsidiarität, offenbar ist das
schon lange vergessen.
Sie sagen also der AfD wachsende Wahlerfolge voraus?
Bolkestein: Wenn sich nichts ändert ja, auf jeden Fall.
Irgendwann werden auch die deutschen Steuerzahler rebellieren. Und was die
übrigen Europäer nicht wollen, ist ein deutsches Europa. Sie sehen, es kann so
nicht gutgehen.
Sie haben deshalb mit anderen europäischen Prominenten das ›European Solidarity‹-Manifest
ins Leben gerufen.
Bolkestein: Das eine Aufspaltung der Gemeinschaftswährung in
einen Nord- und Südeuro fordert.
Unter ›Solidarität‹ versteht die Politik in Deutschland allerdings genau
das Gegenteil, nämlich Hilfe mit Rettungsschirmen.
Bolkestein: Ganz falsch, das wird am Ende nur zu Zwietracht und
Zerwürfnis führen. Wenn wir den europäischen Zusammenhalt retten wollen, müssen
wir wieder auf die Wünsche der Bürger hören und mit dem Lügen und Verträgebrechen
aufhören. Wir müssen zurück zu unseren Werten, zurück zur europäischen
Pacta-sunt-servanda-Kultur. Sonst sehe ich schwarz für Europa.
Quelle:
http://jungefreiheit.de/debatte/interview/2014/blamiert-bis-auf-die-knochen/ 31. 10. 14 ›Blamiert bis auf die Knochen‹ - Von Moritz Schwarz
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