Freie Bahn für den IS 08.07.2015 22:48
Der von der USA geschaffene Islamische Staat hat sich offensichtlich zu einer irrreversiblen
Bedrohung entwickelt. »Davon, daß der Westen der
Schwächung des Irans weiterhin oberste Priorität einräumt«, schreibt ›German Foreign Policy‹, profitieren salafistisch-jihadistische
Milizen in Syrien bis heute. [1] Zugunsten des Kampfs gegen die
Regierung Assad billigen die westlichen Mächte noch immer verschiedene
Unterstützungsleistungen für den IS, die von Seiten ihrer engsten Verbündeten
in Nah- und Mittelost erbracht werden. So kommentierte ein EU-Diplomat diesen
März türkische Behauptungen, Ankara gehe inzwischen energisch gegen den IS vor,
wie folgt: »Das ist nur Augenwischerei. Wir haben immer noch starke Beweise
dafür, daß die
türkischen Terrorismus-Bekämpfer bei unseren Bemühungen, den IS zu bekämpfen,
nicht umfassend mit uns kooperieren.« [2] Vertreter der kurdischen Bevölkerung geben
an, Fotobelege dafür zu besitzen, daß der IS in der Woche vom 22. 6. 15 seine
Angriffe auf Kobane vom türkischen Territorium aus starten durfte. [3]
Das Spiel mit dem Terror Ungeachtet von Terroranschlägen wie diejenigen vom 26.
Juni, so ›GFP‹ ferner, unterstützen enge Verbündete des Westens im Nahen und
Mittleren Osten bis heute jihadistische Terrormilizen. Ziel ist es, den Iran
und seine schiitischen Kooperationspartner sowie die mit ihm verbündete
Assad-Regierung zu schwächen. Zu diesem Zweck begünstigen Staaten wie die
Türkei und Saudi-Arabien die tödlichsten Feinde des schiitischen Islams, die
sunnitischen Jihadisten. Von türkischer und saudischer Hilfe profitieren nicht
zuletzt al-Qaida sowie der IS. Ohnehin wurde die Gründung des IS von den
westlichen Staaten ausdrücklich gebilligt, da dieser lange als nützliches
Instrument im Kampf gegen Assad galt. Die Türkei und Saudi-Arabien fördern
zudem gemeinsam ein Bündnis einer Reihe salafistisch-jihadistischer Milizen, in
dem der al-Qaida-Ableger al-Nusra eine führende Rolle spielt. Obwohl die
Bundesregierung in Berlin nun zu einem verschärften Kampf gegen den
jihadistischen Terror auf ruft, kooperiert sie weiterhin anstandslos mit der Türkei
und Saudi-Arabien und beliefert sie mit Waffen. Maßnahmen gegen Ankara oder
Riad wegen Terrorförderung sind im gemeinsamen Machtkampf gegen Teheran nicht
geplant. Bei den drei am 26. 6. erfolgten Terroranschlägen sind mehr als 60
Menschen ums Leben gekommen. 38 Personen wurden im tunesischen Sousse
erschossen; dort griffen die Täter ein Strandhotel an - offenkundig davon
ausgehend, Bürger westlicher Staaten zu treffen. In Kuwait starben 28 Menschen
bei einem Suizidanschlag auf eine schiitische Moschee. Zu den beiden Anschlägen
hat sich mittlerweile der Islamische Staat bekannt. Ebenfalls am 26. 6. köpfte ein
Jihadist im französischen Saint-Quentin-Fallavier einen Mann und versuchte anschließend,
auf dem Gelände eines Gaswerks eine gigantische Explosion auszulösen; letzteres
konnte mit Glück verhindert werden.
Gegen die ›schiitische Expansion‹ Aus einem internen Dokument des US-Militärgeheimdiensts
DIA [Defense Intelligence Agency] vom August 2012, das Ende Mai bekannt wurde, geht
hervor, daß sich Washington zumindest 2012 durchaus darüber im klaren war, daß ›Salafisten,
die Muslimbruderschaft und al-Qaida im Irak die ›Hauptkräfte‹ waren, ›die den Aufstand in Syrien antrieben‹. [4] Der
Aufstand, mutmaßte die DIA 8 Monate vor der
tatsächlichen Gründung des IS im Osten des Landes, würde möglicherweise
darauf hinauslaufen, daß ›im
östlichen Syrien‹ ein ›salafistisches Fürstentum‹ entsteht. Die Errichtung eines
solchen sei ›genau das, was die Mächte, die
die Opposition unterstützen, wollen‹,
urteilten die DIA-Autoren; es werde helfen, ›das syrische Regime zu isolieren‹ und den Einfluß des Irans, die ›schiitische Expansion‹, zurückzudrängen. Der Ursprung derlei
westlicher Sympathien für Salafisten und Jihadisten in Syrien und der Anlaß für
die anfängliche Billigung des IS liegen demnach im gemeinsamen Bestreben, Assad
zu stürzen und auf diese Weise vor allem Teheran, mit dem Damaskus bis heute
kooperiert, zu schwächen. Indessen wurde der brutale Terror des IS von seinem Aufbau
an - er begann im April 2013 im
ostsyrischen Raqqa - bis zum Juni 2014
auch in der BRD weithin ignoriert.
Waffen für al-Qaida Unterstützung von den engsten Verbündeten Deutschlands in
der Region erhält weiterhin auch der syrische al-Qaida-Ableger, die al-Nusra-Front.
Ende März, unmittelbar nach der Einnahme der nordsyrischen Stadt Idlib durch
ein von al-Nusra geführtes salafistisch-jihadistisches Bündnis, kritisierten
Kämpfer nicht-salafistischer Milizen, die Türkei hätte Waffenlieferungen, auf
die sie ihrerseits gehofft hatten, an die al-Nusra umgeleitet. Zum selben
Zeitpunkt schilderten syrische Militärs, al-Nusra sei bei der Eroberung Idlibs sowohl
von der Türkei als auch von Jordanien unterstützt worden, zum Beispiel mit
modernster Kommunikationsausrüstung aus der Türkei. Ankara hat das nicht
dementiert. Im Mai wurde dann bekannt, daß das Bündnis, das seinen Sitz in
Idlib genommen hat und gegenwärtig unter dem Namen ›Jaish al-Fatah‹ [Armee
der Eroberung] operiert, logistische und geheimdienstliche Unterstützung aus
der Türkei erhält. Geld und Waffen liefert insbesondere Saudi-Arabien, das die
Transporte über verschiedene Ortschaften an der türkisch-syrischen Grenze
abwickeln kann; in der britischen Presse wurden kürzlich etwa die Grenzorte
Güveççi, Hac?pa?a und Be?aslan genannt. Im syrischen Grenzgebiet zu Israel
kämpft der al-Qaida-Ableger unter anderem gegen die libanesische Hizbollah, die
von Tel Aviv als einer seiner Hauptfeinde betrachtet wird. Zu den Konsequenzen
einer auch nur punktuellen Kooperation mit Organisationen wie dem IS oder al-Qaida
hat kürzlich der türkische Publizist Burak Bekdil mit einer auf die Türkei
gemünzten Feststellung - die sich jedoch
problemlos verallgemeinern läßt- folgendes geäußert: »Wenn man mit Jihadisten
dealt, kann man eines Tages ihr Opfer werden.« [5]
Experten stufen Saudi-Arabien als denjenigen Staat ein, der
den IS am stärksten gefördert hat; Katar und Saudi-Arabien unterstützen nicht
selten rivalisierende islamistische Fraktionen. Dessen ungeachtet setzt auch Washington
seine Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien ungebrochen fort. Wie bereits vermerkt,
ist die Golfdiktatur einer der wichtigsten Kooperationspartner Berlins im
Syrienkrieg; auf die Beendigung der saudischen Hilfen für den IS hat Berlin,
wie dies in einem Bericht vom 16. 6. 14 festgehalten ist, nie bestanden. Neben
Saudi-Arabien hatte vor allem Frankreich gegenüber Washington auf eine stärkere
Bewaffnung der Oppositionsarmee in Syrien gedrungen. Die wohl verhängnisvollste
und folgenschwerste Aussage, die Markus Bickel
[6] anführt, dürfte die sein, »daß Riad eine Lösung des Syrienkonflikts
ohne den Sturz Baschar al-Assads nicht für möglich hält.« Mit dem Vormarsch des
IS, schrieb ›GFP‹ im Juni letzten Jahres, erschüttert einmal mehr ein Produkt des
auch von Berlin energisch angefeuerten Syrienkriegs den Mittleren Osten. Der IS
verdankt seine aktuelle Stärke einer Radikalisierung des Aufstands gegen Assad,
vor der Beobachter schon frühzeitig gewarnt hatten, ohne bei der
Bundesregierung, die die Aufständischen weiter bestärkte, auf Gehör zu stoßen. [7] Insbesondere aber wird Doha in den Krieg
gegen den IS und damit in die geplante Neuordnung des Nahen und Mittleren
Ostens gemäß westlichen Interessen einbezogen - gemeinsam mit Saudi-Arabien und
den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die arabischen Golfdiktaturen bleiben
damit auch in Zukunft eine zentrale Säule der westlichen Nah- und
Mittelostpolitik.
Rußland
und der Iran versuchen, das Pulverfaß Südwestasien zu entschärfen Die
gesamte Nahostregion, so ein Bericht von ›Strategic
Alert‹, droht in einem beispiellosen
Ausmaß zu explodieren: Schuld daran ist unter anderem der saudisch-türkische
Plan für eine von der Türkei und Jordanien ausgehende massive Invasion ›islamistischer‹ Terroristen in Syrien, wo sie von US- und britischen
Spezialkräften ausgebildet werden; ferner die jüngsten militärischen Erfolge
des IS in Palmyra und im irakischen Ramadi. Die Iraner, die sich und ihre
Verbündeten bislang im Zaum hielten, verlieren langsam die Geduld, weil sie sich
als nächstes Opfer sehen. Die Saudis machen keinen Hehl daraus, daß sie im Iran
ihr eigentliches Ziel sehen, bedenken aber die Konsequenzen keineswegs
ausreichend, und ihre Flucht nach vorn alarmiert immer mehr maßgebliche
politische und militärische Kreise, sogar in der USA, in England und in der EU,
ganz zu schweigen von Rußland. Offenbar mischen sich die Iraner nun energisch
und offen auf den Schlachtfeldern ein, jedenfalls im Irak und in Syrien,
vielleicht auch im Libanon. Ali Akbar Welajati, der außenpolitische Berater des
iranischen Staatsführers, besuchte kürzlich Präsident Assad in Syrien und
versprach im Kampf gegen die Takfiri-Terroristen weitere iranische
Unterstützung, wie Wirtschaftshilfe und indirekt auch Militärhilfe. Aus Syrien
wird berichtet, daß die nationale Armee zwar nicht vor dem Zusammenbruch steht,
aber nach 4 Jahren intensiver Kämpfe personell und materiell ausgedünnt ist.
Junge Männer entziehen sich der Einberufung, und der psychologische Krieg mit
den Fortschritten von IS- und al-Nusra-Terroristen untergräbt die Moral der
Bevölkerung in den von der Regierung kontrollierten Landesteilen. Im Libanon,
wo Welajati den Hisbollah-Anführer und den Ministerpräsidenten traf, sagte er
sogar, der Iran sei bereit, der irakischen Regierung dabei zu helfen, Ramadi
vom IS zurückzuerobern. Der iranische
Verteidigungsminister Ali Dahghan war am selben Tag in Bagdad und traf
Ministerpräsident Haidar al-Abbadi, der am nächsten Tag nach Moskau flog. Es
gibt Berichte, wonach der Iran vorgeschlagen haben soll, daß der Irak Waffen
und andere Unterstützung von Rußland anstatt von der USA erhalten soll.
Allgemein hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Strategie der USA und
ihrer Verbündeten, ihre Luftschläge nicht mit den Bodentruppen zu koordinieren,
im Kampf gegen den Terrorismus sinnlos ist. Noch alarmierender ist, daß die
Regierung Obama und andere politische und militärische Kreise in Washington
vorschlagen, anstelle der irakischen Armee sunnitische Stämme im Westirak zu
bewaffnen. Das droht das Land noch mehr zu spalten. Die offensichtliche
Wahrheit, von der niemand spricht, ist jedoch, daß
die Lage im Irak unmöglich getrennt von der in Syrien behandelt werden
kann. So ist die Strategie, islamische Terroristen im Irak zu bekämpfen, ihnen
aber gleichzeitig in Syrien zu helfen, indem man die syrische Armee schwächt, mehr
als absurd. Hinzu kommt, daß die eigenen Verbündeten der USA und der
NATO - Saudi-Arabien, Katar und die
Türkei - für die Finanzierung,
Bewaffnung, Logistik und Ideologie der terroristischen Gefahr verantwortlich
sind. Was die Region braucht, ist eine grundlegend neue Strategie und eine
Kräftekombination, die die nationalen Streitkräfte des Iraks und Syriens
einschließt, dies mit militärischer, logistischer und nachrichtendienstlicher
Hilfe aus dem Iran, der USA und Rußland. Gleichzeitig muß eine Militäroffensive
aus Syrien und dem Irak den IS und die übrigen Terrorgruppen, die vom
Grenzgebiet aus operieren, in die Zange nehmen. Sonst könnte sich der
Iran gezwungen sehen, auf eigene Faust einzugreifen. [8]
Den
Kampf gegen saudisch-gestützte Dschihadisten und den IS hat der Iran inzwischen
intensiviert. Am 4. 6. hatten saudische Medien die Meldung, der Iran habe
10.000 Kämpfer der Revolutionsgarden und irakische Schiitenmilizen entsandt, um
Damaskus und Latakia gegen eine Offensive saudisch-türkisch-unterstützter Dschihadisten
zu verteidigen, groß herausgebracht. »Kasem Soleimani, der Kommandeur der
Quds-Brigaden, die Eliteeinheit der Revolutionsgarden, habe eine ›große Überraschung‹ des Irans in Syrien angekündigt, hieß es.« Diese unbestätigten
Meldungen, so ›Strategic Alert‹, könnten Provokationen sein, um
Reaktionen gegen den Iran, die syrische Regierung und die irakischen Schiiten
auszulösen; andererseits entsprechen sie der Tatsache, daß der Iran zunehmend
die Geduld verliert, weil der Westen nicht ernsthaft gegen die Extremisten
vorgeht. Gleichzeitig begann die mit dem Iran verbündete libanesische Hisbollah
eine größere Offensive gegen die Stadt Irsal, die auf der libanesischen Seite
der Grenze zu Syrien liegt und als logistische Basis für Angriffe von
Terrorgruppen wie die al-Nusra und der IS gegen die syrische Armee dient. Dies
verstärkt die konfessionellen Spannungen im Libanon, da Irsal eine sunnitische
Stadt ist und von pro-saudischen Kräften
- wie die Familie al-Hariri und deren
politischem Arm, die Mustakbal-Partei -
verteidigt wird.
Jüngste
Äußerungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow und von Ali Welajati
lassen darauf schließen, daß der Iran und Rußland entschlossen sind, der
syrischen und irakischen Regierung gegen den IS und andere militante und
terroristische Gruppen beizustehen. Sie werfen dem Westen und Saudi-Arabien
offen vor, diese Gruppen zu unterstützen und streben eine neue internationale
Koalition gegen den IS und den islamistischen Terrorismus an: Diese soll
gänzlich andere Grundlagen haben als das Pseudo-Antiterrorbündnis von USA,
Briten, Franzosen und Saudis, das den islamistischen Terror in Syrien, im Irak
und anderswo nur verlängert und vergrößert hat. Letztere Koalition hatte Anfang
Juni eine Konferenz in Paris veranstaltet, um über die Strategie gegen den IS
zu diskutieren, hatte jedoch weder den Iran noch Rußland dazu eingeladen.
Lawrow beharrte in einem Interview mit ›Bloomberg‹ darauf, daß Rußland den Kampf gegen
die Extremisten »auf einer kollektiven Grundlage, der Grundlage des
Völkerrechts, durch den UNO-Sicherheitsrat« zu führen gedenkt. Dagegen
verkündete die USA eine eigene Koalition zu ihren Bedingungen an, was sogar
Luftangriffe in Syrien ohne Genehmigung der syrischen Regierung oder des
Sicherheitsrats einschließt.
Wenigstens
gibt es unterdessen eine Zusammenarbeit zwischen Rußland, dem Iran und dem
US-Außenministerium zur Entspannung der Lage im Jemen. Ein nationaler Dialog
soll die mörderische, aber gescheiterte saudische Aggression gegen die
jemenitische Bevölkerung beenden. Eine engere Zusammenarbeit zwischen der USA
und Rußland wäre der Schlüssel dazu, dem Albtraum in ganz Südwestasien ein Ende
zu bereiten. [9]
Während das Erstarken des IS klar auf die Interventionen
des Westens in Nah- und Mittelost, die mit der Zerstörung des Iraks und dem
Anfeuern des syrischen Bürgerkriegs begannen, zurückzuführen ist, sind türkische
Expansionskonzepte die Ursache dafür, daß zwar irakisch-kurdische Milizen
unterstützt werden, auch von der Bundeswehr, nicht jedoch syrisch-kurdische
Kämpfer gegen den IS. Die Konzepte, die im Westen auf Sympathie stoßen,
spielen mit dem Gedanken, einen Staat
Kurdistan aus dem Irak herauszubrechen und ihn eng an die Türkei zu binden - oder ihn sogar an diese anzuschließen - mit dem Hintergedanken, auf diese Weise
pro-iranische Kräfte zu schwächen und sunnitische Kräfte gegen den Iran in
Stellung zu bringen. Und während die irakisch-kurdischen Streitkräfte, die mit
Ankara kooperieren, für den Kampf gegen den IS aufgerüstet und trainiert
werden, unterbleibt eine vergleichbare Unterstützung für den syrisch-kurdischen
Abwehrkampf. Ursache sind strategische Großplanungen der Türkei, die im Westen
auf Interesse stoßen und Ankara dazu veranlassen, den syrischen Kurden jede
Hilfe zu versagen. Den Hintergrund der türkischen Großplanungen hat Günter
Seufert, Türkei-Experte der Stiftung ›Wissenschaft
und Politik‹ SWP, im April 2013 in
einer Reihe von Analysen offengelegt. Demnach befindet sich der Angelpunkt der
Beziehungen zwischen Ankara und den kurdischsprachigen Kräften der gesamten
Region in Erbil. Die dortige von Masud Barzani geführte Autonomieregierung
kooperiert seit Jahren recht eng mit der Türkei, dies auf der Basis des für
beide Seiten höchst profitablen Tauschs irakisch-kurdischer Energieträger gegen
türkische Industrieprodukte. Nachdem der Zerfall Syriens auch dessen
kurdischsprachige Gebiete faktisch freigesetzt hat, hat Ankara weit
ausgreifende Expansionskonzepte entwickelt. Anfang 2013 äußerte etwa der
damalige Außenminister und heutige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, es sei »an der Zeit«, die
1916 im Nahen Osten geschaffenen »künstlichen
Grenzen zu überdenken«. Ihm
nahestehende Kreise sprächen ausdrücklich »von der Möglichkeit, daß die kurdischen Gebiete
des Iraks und Syriens in fünf bis zehn Jahren Teil einer politisch vollkommen
neu strukturierten föderalen Türkei sein könnten«, so die SWP. Von derlei Überlegungen ist Ankaras
Syrien-Politik nicht mehr zu trennen. In diesem Zusammenhang sind strategisch
motivierte Plädoyers im Westen, die Neuziehung staatlicher Grenzen in der
gesamten Region ernsthaft zu diskutieren, von Bedeutung. Eine komplette ›Neuordnung‹ heißt es, biete die
Chance, den Iran zu schwächen, denn die Zerschlagung Syriens und des Iraks gehe
zu Lasten der dortigen pro-iranischen Regierungen und ermögliche es, etwa durch
das Herausbrechen eines Staates Kurdistan ein ›sunnitisch-säkulares Gegengewicht‹ gegen das schiitische Teheran zu schaffen. Pläne dieser Art wurden
zuletzt in Washington öffentlich erwogen. Dabei gingen sie in vielerlei
Hinsicht durchaus mit den türkischen Expansionskonzepten konform. [10]
Die undurchsichtige Rolle der Türkei bei der
Unterstützung des IS ist schon lange Gegenstand von Spekulationen, aber auch
von systematischen Untersuchungen. So war beispielsweise das Genfer
Forschungsprojekt ›Small Arms Survey‹ im April 2014 zu dem Schluß gelangt,
daß sich alle kämpfenden Gruppen in Syrien, ›insbesondere der ISIS‹,
auf feste Netzwerke stützen können, die die Einreise auswärtiger Kämpfer aus
der Türkei nach Syrien organisierten. Syrisch-kurdische Kämpfer beklagen schon
lange, daß der IS auf türkischem Territorium Zuflucht findet und Waffen von
dort erhält und Diplomaten räumen einem Bericht zufolge eine türkische
Unterstützung für den IS zumindest für die Vergangenheit offen ein. [11] Darüber
hinaus war Ende September letzten Jahres bekannt geworden, daß der IS Erdöl aus
irakischen oder syrischen Quellen in die Türkei liefert und den Erlös zur
Finanzierung seines Eroberungsfeldzuges nutzen kann.
Doppeltes Spiel schadet dem Kampf gegen den ISIS-Terrorismus Das Übergreifen der Terroranschläge im Irak und in Syrien
auf Kuwait, Tunesien und sogar auf Frankreich, schreibt ›Strategic Alert‹, ist
ein Anzeichen einer außer Kontrolle geratenen Lage. Der Grund dafür, daß im
Kampf gegen den Islamischen Staat kein Sieg in Sicht ist, liegt kurz gesagt
darin, daß einige Mächte und speziell Verbündete der USA, Großbritanniens und Frankreichs
in den Terroristen nützliche Werkzeuge in der ›Regimewechsel-Strategie‹
sehen, die sich seit der Irak-Invasion 2003 gegen viele Länder richtet. Dieses
Frankensteinmonster läßt sich nur unschädlich machen, wenn man das Doppelspiel und die Doppelmoral
beendet und ein neues Bündnis, das auch derzeit rivalisierende Mächte
einschließt, schafft. Daß das bisher nicht gelungen ist, beweist die Lage in Syrien und im Irak, wo sich, genau wie
wir gewarnt haben, der Kampf jeder gegen jeden ausweitet, was einen großen
regionalen Krieg auslösen kann. In Syrien unternahmen von Amerikanern, Briten
und Franzosen ausgebildete und bewaffnete Gruppen einen Großangriff auf die
syrische Armee in der Provinz Daraa jenseits der jordanischen Grenze und
besetzten Ende Juni einen wichtigen Luftstützpunkt, doch interne
Streitigkeiten und Kämpfe verhinderten, daß
die Einnahme von Daraa gelang. Besonders peinlich war, daß diese vom Westen
gestützten Gruppen gemeinsam mit der al-Qaida-Gruppe al-Nusra kämpften, die ihren
Anteil an den Waffen und Geländegewinnen forderte. Berichten zufolge zwang dies
die Kommandozentrale in Jordanien, davon abzusehen, die Operation bis zum Ende
weiterzuverfolgen, so daß Daraa, wo die syrische Armee und Milizen heftigen
Widerstand leisten, nicht erobert werden konnte. Einige Fraktionen der vom
Westen gestützten ›moderaten
Rebellen‹ bestehen darauf, al-Nusra
einzubeziehen, nachdem sie gemeinsam mit der Gruppe schon Idlib im Norden sowie
andere Städte nordöstlich von Aleppo eingenommen haben. Auch in der Provinz
Kunaitra, die an Daraa und die israelisch besetzten Golanhöhen angrenzt, belegt
ein Skandal die schmutzigen Hintergründe: Drusen-Kämpfer im Golan entdeckten,
daß zwei israelische Krankenwagen verwundete syrische Rebellen transportieren.
Wie es heißt, werden verwundete al-Nusra-Kämpfer seit Monaten in israelischen
Krankenhäusern behandelt. Eine weitere Komplikation ist der Faktor Iran. Wenn
der Iran offiziell Truppen für den Kampf gegen die Dschihadisten nach Syrien
und in den Irak entsendet, ist die Reaktion Israels und Saudi-Arabiens nicht vorhersehbar.
[12]
d.a. Der
Islamische Staat, den uns die USA gewissermassen zum ›Dauergeschenk‹ gemacht
hat, wütet weiter und hat bei seiner Anschlagsserie vom 1. Juli auf der
Halbinsel Sina 64 ägyptische Soldaten getötet; selbstredend wurde der Angriff
von der USA eilends verurteilt, indem Ned Price, der Sprecher des Weissen
Hauses, versicherte, die Vereinigten Staaten stünden durch ihre
Sicherheitspartnerschaft mit Kairo weiterhin entschlossen an der Seite
Ägyptens. Allerdings ging Price nicht so weit, hinzufügen, dass dieser Pakt
durch die anhaltende Stützung des IS problemlos ein weiteres Mal durchlöchert
werden kann.....
Von den zahlreichen Artikel, die sich mit dem IS
befassen, sind zumindest folgende wesentlich: Der
ISIS oder die ewige Verdummung Der
Krieg, der nicht zu sein bräuchte - Von Doris Auerbach Der
ISIS - Reine Strategie [1] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59147 30. 6. 2015 Das Spiel mit dem Terror [2] Burak Bekdil:
Turkey's Double Game with ISIS. Middle East Quarterly, Summer 2015 [3] Thomas Seibert: IS dringt wieder in
syrisches Kobane ein. www.tagesspiegel.de 25. 6. 2015 [4] Department of Defense: Information
report, not finally evaluated intelligence. 14-L- 0552/DIA/287-293. Einsehbar
auf www.judicialwatch.org [5] Burak Bekdil:
Turkey's Double Game with ISIS. Middle East Quarterly, Summer 2015 [6] Markus Bickel:
Israel stärkt Al Qaida. blogs.faz.net/bagdadbriefing 19. 1. 2015 sowie UN Tribune: UN Peacekeepers Observe IDF Interacting With
Al Nusra in Golan http://untribune.com/ 4. 12. 2014 [7] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58891 16. 6. 14
Vormarsch auf Bagdad [8] Strategic Alert Jahrgang 28, Nr. 23 vom 3.
Juni 2015 [9] Strategic Alert Jahrgang 28, Nr. 24 vom 10.
Juni 2015 [10] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58968 9. 10. 14
Berliner Prioritäten [11] Amberin
Zaman: Syrian Kurds continue to blame Turkey for backing ISIS militants www.al-monitor.com 10. 6. 2014 [12] Strategic
Alert Jahrgang 28, Nr. 27 vom 1. 7. 2015
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