47 Hinrichtungen und kein Aufschrei 24.01.2016 22:02
d.a. Die Anfang Januar in Saudi-Arabien erfolgte Enthauptung resp. Erschiessung
von 47
Häftlingen hat keinerlei tiefgreifende Erschütterungen ausgelöst.
Nicht einmal der Fakt, dass dieses Land seit dem 21. 9. 2015 den Vorsitz des
UNO-Menschenrechtsrats innehat und somit über die Einhaltung der Menschenrechte
wachen müsste, hat zu Anklagen geführt. Zu dieser Ernennung hatte der britische
Premier Cameron in einem Fernsehinterview folgendes erklärt: »Wir sind von
den Saudis in Bezug auf wesentliche Geheimdienst- und Sicherheitsinformationen abhängig.
Deshalb habe sich Grossbritannien dafür eingesetzt, dass Saudi-Arabien den
Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat erhielt.« Letztlich sitzen ja auch 15 Staaten,
in denen die Christen verfolgt werden, ebenfalls in dieser Organisation ein.
Die Urteile des königlichen Gerichts waren, wie es hiess, in Riad und in zwölf
weiteren Städten vollstreckt worden, nachdem alle Berufungsmöglichkeiten ausgeschöpft
gewesen seien. Im vergangenen Jahr waren in dem Königreich, in dem eine
besonders strenge Auslegung des islamischen Rechts der Scharia herrscht, mindestens
153 Exekutionen ausgeführt worden, die höchste Anzahl in zwei Jahrzehnten.
Als im Osten Saudi-Arabiens und in Bahrain Proteste ausbrachen und
die saudische Botschaft in Teheran brannte, sagte der Sprecher des US-Aussenministeriums
John Kirby lediglich, die Massenhinrichtungen würden »die
Spannungen eher verstärken, wenn sie denn abgebaut werden sollten« und ermahnte die Saudis, sie sollten »die Menschenrechte achten und schützen und in allen Fällen
für faire und transparente Gerichtsverfahren sorgen.« Nicht mehr; wobei er sich sicherlich gewiss war, dass
diese Worte in den Wind gesprochen waren.
›Amnesty
international‹ zufolge
stammten fast die Hälfte der in den vergangenen 30 Jahren Hingerichteten aus
dem Ausland. Viele von ihnen hätten kein Arabisch gesprochen und deshalb
Probleme dabei gehabt, Gerichtsprozesse und Strafen zu verstehen. Fast ein
Drittel aller Todgeweihten wurden für Drogendelikte verurteilt. »Saudi-Arabiens
fehlerhaftes Rechtssystem ermöglicht gerichtliche Exekutionen auf einer
Massenskala«, erklärte
der Direktor des Nahost- und Nordafrikaprogramms von ›ai‹, Said
Boumedouha, im August letzten Jahres. Thierry Meyssan von Réseau Voltaire hat
es sehr richtig ausgedrückt, als er sagte, dass Saudi-Arabien in Form seiner
absoluten Monarchie die Tyrannei einer Familie und einer Sekte über ein ganzes
Volk darstelle. Man kann sich darüber hinaus unschwer vorstellen, dass die
Mehrheit der saudischen Bevölkerung bei den generell wöchentlich und öffentlich
durchgeführten Enthauptungen in einem Zustand des Schreckens verharren muss.
Bereits Mitte 2011 war laut ›ai‹ zwecks Erstickung jeglichen friedlichen Protests ein
geheimes Anti-Terror-Gesetz ausgearbeitet worden, wobei einzelne Massnahmen
darauf angelegt waren, die Menschenrechte schwerstens einzuschränken. Eine
Kopie des Entwurfs war BBC zugeleitet worden
[1]. Zu diesen Schritten gehörten eine lange Haft ohne Prozess, die
Beschränkung der Möglichkeit, Zugang zu legalen Mitteln zu ergreifen, sowie die
erhöhte Verhängung der Todesstrafe. Wie ein saudischer Beamter erklärt hatte,
richtete sich das Gesetz gegen Terroristen, jedoch nicht gegen Dissidenten. Nun
ist es in einer Diktatur wie Saudi-Arabien ein Kinderspiel, jedwede Person, die
im Wege ist, mit der Bezeichnung Terrorist zu belegen. Wie die ›Deutsch-türkischen Nachrichten‹ am 2. April 2014 mitteilten, ist dieses Anti-Terror-Gesetz, dem zufolge
Atheisten jetzt als Terroristen gelten, effektiv eingeführt worden: »Die neuen
Vorschriften sind ein Rückschlag für all jene, die sich dort um die Freiheit
bemühen. Mit einer Reihe von königlichen Dekreten und einem vor kurzem in Kraft
getretenen neuen Anti-Terror-Gesetz hat sich der saudische König Abdullah gegen
alle Formen des politischen Dissens und Protestes, die durch direkte oder
indirekte Handlungen die ›öffentliche
Ordnung schädigen‹ könnten,
gestellt.« [3]
Nicht, dass einer der zitierten Vorgänge dazu geführt
hätte, dass sich Verbündete der Saudis von diesen abwenden würden. Wie Katar,
so gehört auch Saudi-Arabien zu den Unterstützern radikaler Gruppierungen in
Syrien und ist wesentlich an der Destabilisierung des Nahen Ostens beteiligt. Dennoch
ist das Land im Juni
2014 als einer der wichtigsten Kooperationspartner Berlins im Syrien-Krieg bezeichnet
worden und Bundeskanzlerin Merkel hat Saudi-Arabien im August 2014 einen ›wichtigen Partner im Kampf gegen den
Terrorismus‹ genannt. Bereits zuvor
hatte de Maizière im Juli 2011 erklärt, dass das Land für die BRD ein
Stabilitätsanker in der Region bedeute; es sei ein wichtiger Partner, dies
trotz seines politischen Systems, das er ablehne. Wie
letzten Dezember bekannt geworden war, distanzierte sich die Regierung in
Berlin von einer Warnung des Bundesnachrichtendiensts vor der
destabilisierenden Rolle Saudi-Arabiens in der arabischen Welt und reagierte verstimmt
auf die Veröffentlichung einer entsprechenden kritischen Analyse des BND: »Die in diesem Fall öffentlich gemachte Bewertung spiegelt
nicht die Haltung der Bundesregierung wider. Die Bundesregierung betrachtet
Saudi-Arabien als wichtigen Partner in einer von Krisen geschüttelten
Weltregion«, so ein Regierungssprecher am 3.
12. 15. »Der BND spricht sicher nicht für die
deutsche Aussenpolitik, schon gar nicht über Dritte«, hiess es auch im Auswärtigen Amt.
Dass
Saudi-Arabien am US-Aufbau der Taliban beteiligt war, was Afghanistan einem irreversiblen Inferno überantwortete
hat, spielt keine Rolle. Denn mit Milliarden an Dollars der saudischen
Ölfeudalisten wurde in den 80er Jahren der ›Heilige
Krieg‹ entfacht und der
Söldnerführer Osama bin-Laden aufgebaut. Es stört auch nicht, dass der
saudische Prinz Turki, der einen beachtlichen Einfluss in Riad besitzt,
Mitglied im ›Advisory
Council‹ der Münchner Sicherheitskonferenz ist. Hinzu kommt, dass durch die
letztes Jahr erfolgte Säuberung in der Führung Saudi-Arabiens diejenige
Fraktion im Köngishaus, die mit den radikalen Wahhabiten, dem Umfeld von
Salafisten und al-Kaida, verbunden ist, gestärkt wurde.
Zwar erging nach der Massenexekution zumindest in der BRD die
Forderung, einen sofortigen Stopp aller deutscher Rüstungsexporte in das
Königreich zu veranlassen, deren Umsetzung erfolgen müsste, wenn, wie
Linksparteichef Riexinger sagte, die Menschenrechte für die Bundesregierung
mehr als nur eine hohle Phrase seien. Es gilt zu verfolgen, inwieweit Berlin dieser
Forderung nachkommt.
Das Haus Saud, eine
Schachfigur des Empire
Um die
Bedeutung der barbarischen Hinrichtungen in Saudi-Arabien, die einen
Religionskrieg schüren sollen, ganz zu verstehen, so ›Strategic Alert‹ in
seiner Ausgabe vom 13. 1. [2], »muß man einige weniger offensichtliche Fakten
berücksichtigen, allen voran, daß die saudische Monarchie schon immer ein
Werkzeug des Britischen Empires war. Es waren britische Agenten, die das Bündnis des Hauses Saud mit der wahhabitischen
Geistlichkeit Saudi-Arabiens in Mekka und Medina schmiedeten. Die Britische
Ostindiengesellschaft stärkte dieses Bündnis in der Zeit um 1860 - 1880, indem
sie eine enge Beziehung zum Haus Saud aufbaute, dieses unter ihren Schutz
stellte und mit Waffen und Geheimdienstberichten versorgte. Seitdem ist
Saudi-Arabien weitgehend britisch gesteuert. Es wurde auf Land gegründet, das
es mit Hilfe der britischen Armee und Beratern wie William Shakespear und Sir
Percy Cox von anderen Stämmen erobert hatte; nach der Gründung des Staates
steuerte Sir Harry John Philby das Land als persönlicher Berater von König
Abdualaziz. 1985 wurde das Verhältnis weiter zementiert, als das ›Al Jamamah‹ genannte geheime Tauschgeschäft ›Waffen gegen Öl‹
begann, durch das die größte schwarze Kasse der Welt für die Förderung von
Dschihad-Terrorismus angehäuft wurde. Dies fing mit den arabischen
Legionen der afghanischen Mudschaheddin an, aus denen sich bald al-Kaida
entwickelte, und führte bis zur heutigen enormen Ausbreitung islamistischer
Terrornetzwerke. Häufig überschneiden sich diese mit dem weltweiten Netzwerk
des Drogenschmuggels, dessen Geldwäsche über Großbanken der Londoner City und
der Steueroasen läuft. EIR hat dokumentiert, daß zu jener Zeit saudische
Geistliche auch entscheidend daran beteiligt waren, radikale Islamisten in
Europa anzuwerben und auszubilden, während die europäischen Regierungen
praktisch nichts gegen diese Geldflüsse taten. London wurde unter der schützenden Hand der
britischen Dienste zur Welthauptstadt islamistischer Terrorgruppen, was ihm den
Spitznamen ›Londonistan‹ einbrachte.
Heute hat
sich unter König Salmans Herrschaft die extremste Form des wahhabitischen
Fundamentalismus durchgesetzt, ganz im Sinne der Absicht des Empires, permanente
Entvölkerungskriege zu schüren. Das Ziel ist nicht, daß eine Seite - Schiiten oder Sunniten - gewinnt, sondern daß soviel Chaos wie möglich
herrscht. Das ist jedoch eine äußerst gefährliche Taktik, weil das
Chaos sehr schnell außer Kontrolle geraten kann und dann nicht mehr handhabbar
ist. Das haben die russische und die chinesische Staatsführung sehr gut
verstanden. In Saudi-Arabien selbst ist die Lage instabil, was sie nicht
weniger gefährlich macht. In einem Artikel im Londoner ›Economist‹ vom 9. 1.
wird dargestellt, daß das Königreich unter der faktischen Herrschaft von König
Salmans Sohn, dem Vizekronprinzen Muhammad Bin Salman, in ernsten
Schwierigkeiten steckt. Die bösartige Militärintervention in Jemen, ein teurer
Morast, ist stark umstritten, während jeder Widerstand im Inland gnadenlos
unterdrückt wird. Dazu droht schon kurzfristig ein Bankenkollaps, der das Land
in den Grundfesten erschüttern könnte.«
»Am 3.
März 1938, vor knapp 75 Jahren«, schrieb Arnold
Schölzel in der ›Jungen Welt‹, » begann in der Wüste der arabischen Halbinsel eine wunderbare
Freundschaft. An jenem Tag stieß die Standard Oil of California, derzeit Chevron,
auf die erste kommerziell wichtige Ölquelle in dem 1932 gegründeten
wahhabitischen Gottesstaat. Der Segen, auf dem die islamische Monarchie beruht, läßt sich - theologisch gesehen eine Einmaligkeit
- quantitativ erfassen: Die auf etwa
zehntausend Mitglieder geschätzte herrschende Prinzengarde von Riad verfügt
über ein Viertel der weltweit bekannten Ölvorräte und über sechs Billionen
Kubikmeter Erdgasreserven. Zwischen dem »House of Saud« und dem »House of
Bush«, das mit George senior und George W. junior zwei US-Präsidenten stellte,
entstanden so herzliche Bande, wie sie zwischen Dschihadisten möglich sind. So
sollen innerhalb von 20 Jahren 1,4 Milliarden US-Dollar aus saudischen Kassen
in Unternehmen geflossen sein, an denen die Bushs Aktien hatten.«
[1] http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-14239259
23. 7. 11
[2] Strategic Alert Jahrgang 29, Nr.
2 vom 13. Januar 2016
[3] http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2014/04/500233/neues-gesetz-in-saudi-arabien-atheisten-sind-jetzt-terroristen/ 2. 4. 14
[4] http://www.jungewelt.de/2012/12-04/036.php God bless
Arabia - Deutsche Waffen für die Saudis - Von Arnold Schölzel
|