Wolfgang Schäuble - Ein Fall von Realitätsverlust oder Lüge? 12.06.2016 22:50
Die Aussagen des Finanzministers zur Frage der Bargeldabschaffung
haben
Dagmar Metzger und Steffen Schäfer dazu bewogen, den nachfolgenden offenen
Brief an den Finanzminister zu richten
[1]:
Ein Fall von
Realitätsverlust oder Lüge?
Sehr
geehrter Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble, am
Donnerstag, den 26. Mai, äußerten Sie sich vor dem Verein der Auslandspresse in
Berlin unter anderem wie folgt: »In Kontinentaleuropa kenne ich niemanden, der
die Absicht hat, Bargeld abzuschaffen.«
Diese
Aussage hat uns offen gestanden mehr als erstaunt. Hätten wir doch durchaus
vermutet, daß der Bundesfinanzminister mit den namhaftesten Mitgliedern des
Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
vertraut ist. Dieser Sachverständigenrat ist der Öffentlichkeit [und vielleicht
auch Ihnen] besser als die ›fünf
Wirtschaftsweisen‹ bekannt und einer
von diesen Wirtschaftsweisen, nämlich Prof. Dr. Peter Bofinger, hat genau dies
gefordert: Die Abschaffung des Bargelds. Er hat sogar die Bundesregierung
aufgefordert, sich für eine Abschaffung des Bargelds, welches er als einen
Anachronismus ansieht, stark zu machen und hierfür auch auf internationaler
Ebene – beispielsweise während des letztjährigen G7-Gipfels auf Schloss Elmau –
zu werben. [2]
Auch
impliziert Ihre Aussage, daß sie den Chef des größten Bankhauses der
Bundesrepublik nicht kennen. Dabei hat John Cryan, Vorstandsvorsitzender der
Deutschen Bank, auf dem diesjährigen ›World
Economic Forum‹ in Davos eine
vielbeachtete Rede gehalten. Darin offenbarte er sich als klarer Gegner des
Bargelds. Schrecklich ineffizient und teuer seien Banknoten und Münzgeld, die
trotz allem nach wie vor alleinige gesetzliche Zahlungsmittel sind, und er
prognostizierte ihnen ein Ende in der kommenden Dekade. [3] Übrigens waren auch Sie auf dem ›WEF‹ 2016 anwesend.
Ob
Ihrer Wahrnehmung nach Skandinavien zu Kontinentaleuropa gehört oder nicht,
entzieht sich unserer Kenntnis, aus geographischer Perspektive ist dies aber
definitiv der Fall. Dort - genauer
gesagt in Schweden - arbeitet man emsig
daran, das Bargeld komplett abzuschaffen. Bis zum Jahr 2030 soll in Schweden
die bargeldlose Gesellschaft verwirklich werden, wofür sich beispielsweise der
schwedische Einzelhandelsverband Svensk Handel stark macht. Björn Ulvaeus, der
ehemalige Sänger der berühmten schwedischen Popgruppe ABBA, von der auch Sie
eventuell gehört haben könnten, gibt diesem Ansinnen ein Gesicht. Besonders
vorangetrieben aber wird die Entwicklung von den schwedischen Banken. Obwohl
auch in Schweden allein Banknoten und Münzgeld gesetzliche Zahlungsmittel sind,
verweigern die großen Bankhäuser Schwedens in immer mehr Filialen die
Auszahlung von Bargeld. Auch dünnen sie systematisch das Netz der Bankautomaten
aus. Angesichts der bereits erwähnten Äußerungen von John Cryan ist dies auch
wenig verwunderlich.
Für
Banken ist Bargeld in der Tat sehr unpraktisch und teuer. Ohne Bargeld hingegen
können sie ihren Kunden nicht nur jede Menge Gebühren für dann alternativlos
gewordene Dienstleistungen abknöpfen, sondern müssen darüber hinaus auch nicht
mehr fürchten, daß diese einfach so ihr Kapital abziehen. Für die Bürger aber
ist Bargeld nicht nur geprägte Freiheit und ein ›ausfallsicheres‹
Zahlungsmittel, sondern ein essentieller Baustein der informationellen
Selbstbestimmung. Übrigens sind auch manche Ihrer engsten Kollegen im Euroraum
erklärte Gegner des Bargelds. Wir können, ehrlich gesagt, gar nicht glauben,
daß Ihnen, der doch ein so scharfer und aufmerksamer Beobachter der Vorgänge in
der Eurozone ist, dies bisher gänzlich entging. Zwar sei zugestanden, daß weder
Michel Sapin, der französische Finanzminister, noch ihr italienischer Kollege
Pier Carlo Padoan, das Bargeld bisher ganz abgeschafft haben, aber sie haben
mit 1.000 Euro die Obergrenze für Barzahlungen derart niedrig angesetzt, daß
man zwar nicht von einem Verbot de jure, wohl aber doch von einer massiven,
einem Verbot nahekommenden Einschränkung des Bargeldverkehrs sprechen könnte.
Insbesondere dann, wenn man all die übrigen Regulierungsmaßnahmen, Schikanen
und Verwaltungsgängeleien, denen sich Bargeldnutzer in Italien, Frankreich und
anderen Euroländern inzwischen ausgesetzt sehen, in die Rechnung einbezieht.
Zu
guter Letzt - und auch nur eher pro
forma - sei noch Griechenland erwähnt.
Im Zuge der dortigen Kapitalverkehrskontrollen
[wie lassen sich diese übrigens mit der eigentlich gebotenen
Kapitalverkehrsfreiheit in der EU vereinbaren?] wurde der Bargeldverkehr massiven Kontrollen
und Beschränkungen unterworfen. Seit Sommer vergangen Jahres dürfen die
griechischen Bürger nur mehr 60 € pro Tag von ihren Konten abheben. Eigentlich
unglaublich, daß den Bürgern von staatlicher Seite nur mehr der Zugriff auf
einen Bruchteil ihres Eigentums erlaubt wird, aber leider eine bittere Tatsache
im Euroraum des Jahres 2016.
Wie
Sie sehen können, gibt es also tatsächlich viele in Kontinentaleuropa, die das
Bargeld abschaffen wollen und fleißig an der Umsetzung dieses Wunsches
arbeiten. Mit der auch von Ihnen geförderten Abschaffung des 500-Euro-Scheins
wurde ein weiterer Schritt auf dem Weg zur vollständigen Bargeldabschaffung
getan. Sogar die Bundesbank spricht daher von einem ›Krieg gegen das Bargeld‹.
[4] Übrigens sieht man dort auch, ganz
im Gegensatz zu Ihnen oder EZB-Chef Mario Draghi, keinen ›Kausalzusammenhang‹
zwischen der Verfügbarkeit von Banknoten mit hohem Nennwert und Terrorismus,
Kriminalität oder Steuerhinterziehung.
Negativzinsen Dieser
Krieg gegen das Bargeld findet aber nicht nur in Europa statt, sondern
weltweit. Ein Blick über den großen Teich macht dies deutlich. Larry Summers
beispielsweise, als ehemaliger US-Finanzminister ebenfalls ein Kollege von
Ihnen, ist ebenso ein vehementer Verfechter der Abschaffung des Bargelds wie
Kenneth Rogoff, der nicht nur Harvard-Professor, sondern auch ein ehemaliger
Chef-Volkswirt des Internationalen Währungsfonds ist. Rogoff ist es auch, der
die tatsächliche Triebfeder hinter der Abschaffung des Bargeldverkehrs klar
benennt. Die Verhinderung von Steuerhinterziehung oder der Kampf gegen die
Kriminalität spielen dabei nur eine marginale Rolle. Vielmehr ist die
Implementierung von Negativzinsen
nur dann flächendeckend möglich, wenn das Bargeld abgeschafft oder wenigstens
in eine Nischenexistenz ver- bzw. gedrängt wurde. Als letzte der großen
Zentralbanken erklärte jüngst die US-amerikanische Fed, daß Negativzinsen auch
zu ihrem Instrumentenkasten gehören. In Japan, in der Schweiz und auch in der Eurozone
sind Negativzinsen längst Realität. Negativzinsen sind der letzte Strohhalm der
Zentralbanken, denen trotz Hunderter Milliarden Euro an Rettungsprogrammen,
Stützungskäufen und direkter Staatsfinanzierung in der seit 2007 herrschenden
Finanzkrise keine Wende zum Besseren gelingen mag. Die Bundesregierung trägt
diese Politik der Negativzinsen mit und [fluktuierende] negative Zinsen sind
nur ohne Bargeld realisierbar. Wenn Sie nun erklären, niemanden zu kennen, der
das Bargeld abschaffen will, dann gestehen Sie damit eigentlich ein, daß Sie
die zwingende Konsequenz, die aus der Negativzinspolitik der Zentralbanken
erwächst, nicht begriffen haben. Auch das können wir kaum glauben.
Eine
letzte Bemerkung sei uns noch gestattet: Wann immer ein Politiker sagt, niemand
habe die Absicht, dieses oder jenes zu tun, kann man eigentlich sicher davon
ausgehen, daß er ganz im Gegenteil genau diese Absicht hat. Schon alleine die
jüngere Geschichte Deutschlands belegt dies hinreichend. In einem allerdings
sind wir uns einig: Die geplante Abschaffung des Bargelds ist in der Tat ›ziemlicher Unsinn‹. Denn auch wenn die Zentralbanken so
Negativzinsen auf breiter Front etablieren werden, die ausufernde
Staatsverschuldung wird so nicht in den Griff zu bekommen sein, neues Wirtschaftswachstum
wird so nicht entstehen, die Arbeitslosigkeit
- insbesondere in den krisengeplagten Südländern der Eurozone - wird so nicht sinken. Stattdessen wird es zu
massivem Kapitalverzehr der Sparer und Rentner kommen, sowie zu weiterer Blasenbildungen
gerade in den Aktien- und Immobilienmärkten. Die enormen Fehlallokationen
werden nicht abgebaut und eigentlichen Ursachen der Finanzkrise ebenso wenig
adressiert, geschweige denn beseitigt. Somit sind negative Zinsen und die damit
notwendigerweise einhergehende Abschaffung bzw. Einschränkung des
Bargeldverkehrs nicht nur Unsinn, sondern ein massiver Angriff auf die Freiheit
und den Wohlstand der Bürger der Eurozone.
Mit
freundlichen Grüßen Dagmar
Metzger und Steffen Schäfer http://stop-bargeldverbot.de/
[1] http://www.mmnews.de/index.php/wirtschaft/74875-schauble-bargeld-3 31.05.2016 Offener Brief an Wolfgang Schäuble
[2] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales
[3] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt
[4] http://norberthaering.de/de/27-german/news/609-nrw-zusammenfassung#weiterlesen
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