Wolfgang Schäuble - Ein Fall von Realitätsverlust oder Lüge?

Die Aussagen des Finanzministers zur Frage der Bargeldabschaffung

haben Dagmar Metzger und Steffen Schäfer dazu bewogen, den nachfolgenden offenen Brief an den Finanzminister zu richten  [1]: 

Ein Fall von Realitätsverlust oder Lüge?

Sehr geehrter Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble,

am Donnerstag, den 26. Mai, äußerten Sie sich vor dem Verein der Auslandspresse in Berlin unter anderem wie folgt: »In Kontinentaleuropa kenne ich niemanden, der die Absicht hat, Bargeld abzuschaffen.«   

Diese Aussage hat uns offen gestanden mehr als erstaunt. Hätten wir doch durchaus vermutet, daß der Bundesfinanzminister mit den namhaftesten Mitgliedern des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vertraut ist. Dieser Sachverständigenrat ist der Öffentlichkeit [und vielleicht auch Ihnen] besser als die fünf Wirtschaftsweisen bekannt und einer von diesen Wirtschaftsweisen, nämlich Prof. Dr. Peter Bofinger, hat genau dies gefordert: Die Abschaffung des Bargelds. Er hat sogar die Bundesregierung aufgefordert, sich für eine Abschaffung des Bargelds, welches er als einen Anachronismus ansieht, stark zu machen und hierfür auch auf internationaler Ebene – beispielsweise während des letztjährigen G7-Gipfels auf Schloss Elmau – zu werben. [2]

Auch impliziert Ihre Aussage, daß sie den Chef des größten Bankhauses der Bundesrepublik nicht kennen. Dabei hat John Cryan, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, auf dem diesjährigen World Economic Forum in Davos eine vielbeachtete Rede gehalten. Darin offenbarte er sich als klarer Gegner des Bargelds. Schrecklich ineffizient und teuer seien Banknoten und Münzgeld, die trotz allem nach wie vor alleinige gesetzliche Zahlungsmittel sind, und er prognostizierte ihnen ein Ende in der kommenden Dekade. [3]  Übrigens waren auch Sie auf dem WEF 2016 anwesend. 

Ob Ihrer Wahrnehmung nach Skandinavien zu Kontinentaleuropa gehört oder nicht, entzieht sich unserer Kenntnis, aus geographischer Perspektive ist dies aber definitiv der Fall. Dort  - genauer gesagt in Schweden -  arbeitet man emsig daran, das Bargeld komplett abzuschaffen. Bis zum Jahr 2030 soll in Schweden die bargeldlose Gesellschaft verwirklich werden, wofür sich beispielsweise der schwedische Einzelhandelsverband Svensk Handel stark macht. Björn Ulvaeus, der ehemalige Sänger der berühmten schwedischen Popgruppe ABBA, von der auch Sie eventuell gehört haben könnten, gibt diesem Ansinnen ein Gesicht. Besonders vorangetrieben aber wird die Entwicklung von den schwedischen Banken. Obwohl auch in Schweden allein Banknoten und Münzgeld gesetzliche Zahlungsmittel sind, verweigern die großen Bankhäuser Schwedens in immer mehr Filialen die Auszahlung von Bargeld. Auch dünnen sie systematisch das Netz der Bankautomaten aus. Angesichts der bereits erwähnten Äußerungen von John Cryan ist dies auch wenig verwunderlich. 

Für Banken ist Bargeld in der Tat sehr unpraktisch und teuer. Ohne Bargeld hingegen können sie ihren Kunden nicht nur jede Menge Gebühren für dann alternativlos gewordene Dienstleistungen abknöpfen, sondern müssen darüber hinaus auch nicht mehr fürchten, daß diese einfach so ihr Kapital abziehen. Für die Bürger aber ist Bargeld nicht nur geprägte Freiheit und ein ausfallsicheres Zahlungsmittel, sondern ein essentieller Baustein der informationellen Selbstbestimmung. Übrigens sind auch manche Ihrer engsten Kollegen im Euroraum erklärte Gegner des Bargelds. Wir können, ehrlich gesagt, gar nicht glauben, daß Ihnen, der doch ein so scharfer und aufmerksamer Beobachter der Vorgänge in der Eurozone ist, dies bisher gänzlich entging. Zwar sei zugestanden, daß weder Michel Sapin, der französische Finanzminister, noch ihr italienischer Kollege Pier Carlo Padoan, das Bargeld bisher ganz abgeschafft haben, aber sie haben mit 1.000 Euro die Obergrenze für Barzahlungen derart niedrig angesetzt, daß man zwar nicht von einem Verbot de jure, wohl aber doch von einer massiven, einem Verbot nahekommenden Einschränkung des Bargeldverkehrs sprechen könnte. Insbesondere dann, wenn man all die übrigen Regulierungsmaßnahmen, Schikanen und Verwaltungsgängeleien, denen sich Bargeldnutzer in Italien, Frankreich und anderen Euroländern inzwischen ausgesetzt sehen, in die Rechnung einbezieht.

Zu guter Letzt  - und auch nur eher pro forma -  sei noch Griechenland erwähnt. Im Zuge der dortigen Kapitalverkehrskontrollen  [wie lassen sich diese übrigens mit der eigentlich gebotenen Kapitalverkehrsfreiheit in der EU vereinbaren?]  wurde der Bargeldverkehr massiven Kontrollen und Beschränkungen unterworfen. Seit Sommer vergangen Jahres dürfen die griechischen Bürger nur mehr 60 € pro Tag von ihren Konten abheben. Eigentlich unglaublich, daß den Bürgern von staatlicher Seite nur mehr der Zugriff auf einen Bruchteil ihres Eigentums erlaubt wird, aber leider eine bittere Tatsache im Euroraum des Jahres 2016.

Wie Sie sehen können, gibt es also tatsächlich viele in Kontinentaleuropa, die das Bargeld abschaffen wollen und fleißig an der Umsetzung dieses Wunsches arbeiten. Mit der auch von Ihnen geförderten Abschaffung des 500-Euro-Scheins wurde ein weiterer Schritt auf dem Weg zur vollständigen Bargeldabschaffung getan. Sogar die Bundesbank spricht daher von einem Krieg gegen das Bargeld. [4]  Übrigens sieht man dort auch, ganz im Gegensatz zu Ihnen oder EZB-Chef Mario Draghi, keinen Kausalzusammenhang zwischen der Verfügbarkeit von Banknoten mit hohem Nennwert und Terrorismus, Kriminalität oder Steuerhinterziehung.   

Negativzinsen  
Dieser Krieg gegen das Bargeld findet aber nicht nur in Europa statt, sondern weltweit. Ein Blick über den großen Teich macht dies deutlich. Larry Summers beispielsweise, als ehemaliger US-Finanzminister ebenfalls ein Kollege von Ihnen, ist ebenso ein vehementer Verfechter der Abschaffung des Bargelds wie Kenneth Rogoff, der nicht nur Harvard-Professor, sondern auch ein ehemaliger Chef-Volkswirt des Internationalen Währungsfonds ist. Rogoff ist es auch, der die tatsächliche Triebfeder hinter der Abschaffung des Bargeldverkehrs klar benennt. Die Verhinderung von Steuerhinterziehung oder der Kampf gegen die Kriminalität spielen dabei nur eine marginale Rolle. Vielmehr ist die Implementierung von Negativzinsen nur dann flächendeckend möglich, wenn das Bargeld abgeschafft oder wenigstens in eine Nischenexistenz ver- bzw. gedrängt wurde. Als letzte der großen Zentralbanken erklärte jüngst die US-amerikanische Fed, daß Negativzinsen auch zu ihrem Instrumentenkasten gehören. In Japan, in der Schweiz und auch in der Eurozone sind Negativzinsen längst Realität. Negativzinsen sind der letzte Strohhalm der Zentralbanken, denen trotz Hunderter Milliarden Euro an Rettungsprogrammen, Stützungskäufen und direkter Staatsfinanzierung in der seit 2007 herrschenden Finanzkrise keine Wende zum Besseren gelingen mag. Die Bundesregierung trägt diese Politik der Negativzinsen mit und [fluktuierende] negative Zinsen sind nur ohne Bargeld realisierbar. Wenn Sie nun erklären, niemanden zu kennen, der das Bargeld abschaffen will, dann gestehen Sie damit eigentlich ein, daß Sie die zwingende Konsequenz, die aus der Negativzinspolitik der Zentralbanken erwächst, nicht begriffen haben. Auch das können wir kaum glauben.

Eine letzte Bemerkung sei uns noch gestattet: Wann immer ein Politiker sagt, niemand habe die Absicht, dieses oder jenes zu tun, kann man eigentlich sicher davon ausgehen, daß er ganz im Gegenteil genau diese Absicht hat. Schon alleine die jüngere Geschichte Deutschlands belegt dies hinreichend. In einem allerdings sind wir uns einig: Die geplante Abschaffung des Bargelds ist in der Tat ziemlicher Unsinn. Denn auch wenn die Zentralbanken so Negativzinsen auf breiter Front etablieren werden, die ausufernde Staatsverschuldung wird so nicht in den Griff zu bekommen sein, neues Wirtschaftswachstum wird so nicht entstehen, die Arbeitslosigkeit  - insbesondere in den krisengeplagten Südländern der Eurozone -  wird so nicht sinken. Stattdessen wird es zu massivem Kapitalverzehr der Sparer und Rentner kommen, sowie zu weiterer Blasenbildungen gerade in den Aktien- und Immobilienmärkten. Die enormen Fehlallokationen werden nicht abgebaut und eigentlichen Ursachen der Finanzkrise ebenso wenig adressiert, geschweige denn beseitigt. Somit sind negative Zinsen und die damit notwendigerweise einhergehende Abschaffung bzw. Einschränkung des Bargeldverkehrs nicht nur Unsinn, sondern ein massiver Angriff auf die Freiheit und den Wohlstand der Bürger der Eurozone. 

Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Metzger und Steffen Schäfer  
http://stop-bargeldverbot.de/

 

[1]  http://www.mmnews.de/index.php/wirtschaft/74875-schauble-bargeld-3 31.05.2016  Offener Brief an Wolfgang Schäuble

[2]  http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales 

[3]  http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt

[4]  http://norberthaering.de/de/27-german/news/609-nrw-zusammenfassung#weiterlesen