CETA - Ein Nachtrag 30.10.2016 22:59
d.a. Norbert Häring veröffentlichte am 26. Oktober einen bislang völlig
unerwähnt gebliebenen Fakt, dem zufolge Kanada »auf
Investorengerichte verzichten würde, die EU Kommission jedoch nicht.« [1] »Es gehört
hierzulande nicht zum guten Ton«, schreibt Häring, »zu berichten, was die CETA-blockierenden
Wallonen sagen und wollen. Deshalb will ich wiedergeben, was der wallonische
Ministerpräsident Paul Magnette am 24. Oktober im Interview mit der
französischen Tageszeitung ›Libération‹ über die Verhandlungsposition der Kanadier
und der EU hinsichtlich des CETA-Abkommens gesagt hat. Die wichtigste und – wenn sie stimmt – bisher nicht bekannte Aussage von Magnette
gegenüber Jean Quatremer von ›Libération‹ betraf die in CETA vorgesehenen
Spezialgerichte für Investoren: »Les Canadiens sont-ils prêts à revoir ce
mécanisme? Le Canada est extrêmement vigilant sur cet aspect, car
ils ont été les premières victimes de l’›Alena‹ [›Accord
de libre-échange nord-américain‹, ›NAFTA‹] qui instaurait un tel mécanisme. Il est donc d’accord avec nous.
En réalité, c’est un débat purement interne à l’Union.«
Die Frage ist: ›Sind die Kanadier bereit, diese
Einrichtung nochmals einer Prüfung zu unterziehen? Kanada betrachtet diesen
Aspekt mit grösster Aufmerksamkeit, da sie die ersten Opfer des
nordatlantischen Freihandelsabkommens NAFTA, das eine derartige Einrichtung
einführte, waren. Kanada stimmt daher mit uns überein. In Wirklichkeit ist dies
eine rein interne Debatte der EU‹.
Hieraus lässt sich folgern, dass hinter der Forderung,
Investorengerichte einzusetzen, nach wie vor die
geschlossene Konzernwelt steht.
»Die Kanadier, mit
denen Magnette sehr zum Missfallen der EU-Kommission und der hiesigen Medien
die Frechheit hatte, direkt zu reden«, so Häring im
Weiteren, »hängen überhaupt nicht an den
Spezialgerichten für Investoren, die den Wallonen - und vermutlich einer Mehrheit der
europäischen Bürger - ein Dorn im Auge
sind. Es sind die EU-Kommission und ihre Alliierten unter den europäischen
Regierungen, die hierauf beharren.«
Bezüglich der Klage der Kanadier, die ersten Opfer von
NAFTA gewesen zu sein, vermerkt Werner Rügemer, dessen Ausführungen wir
bereits in CETA -
Noch nicht entschieden
festgehalten haben, folgendes: »Die USA hatte ja den neuen Typ von
Freihandelsabkommen zunächst mit Hilfe von Kanada entwickelt. Kanada, erklärt
Rügemer, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts die privilegierte US-Kolonie. ›Wenn nicht diese elenden Yankees wären, hätte
unser Land eine große Zukunft‹, klagte
bereits Kanadas erster Premierminister John McDonald. ›Wirtschaftliche Entscheidungen fallen weniger
in Ottawa als in Washington, New York oder Detroit‹
bilanzierte schon 1968 ›Der
Spiegel‹. NAFTA
hat das noch weiter vertieft. Aus Anlaß des 20. Jahresjubiläums von NAFTA im
Jahr 2014 zogen Gewerkschaften, Wissenschaftler und Bürgerinitiativen der drei
NAFTA-Staaten Bilanz. Grob zusammengefaßt lautete das Ergebnis: In keinem der
wichtigen westlichen und der G8-Staaten ist die Wirtschaft so weitgehend in der Hand
ausländischer Investoren wie in Kanada. Der Handel hat sich zwar verdreifacht,
es gingen aber vor allem industrielle Arbeitsplätze verloren. Die Ausdehnung
des Handels hat auch damit zu tun, daß viele Vor- und Halbprodukte hin- und
hergeschickt werden, bevor sie in einem der drei Staaten zur Endmontage kommen.
Die wichtigste Industrie Kanadas besteht aus Zuliefer- und Montagebetrieben für
US-amerikanische und japanische Autokonzerne. In allen NAFTA-Staaten wurde
dagegen der Rohstoffexport ausgedehnt, bei Kanada sind es Öl und Gas,
Mineralien und Holz. Kanada hat deshalb ein ständiges Handelsdefizit und muß
Maschinen und Elektronik importieren. Die privaten
Schiedsgerichte haben dazu geführt, daß Kanada zum
meistverklagten Staat wurde und vor allem an US-Ölkonzerne, die sich gegen
Umweltauflagen beim Fracking wehrten, schon erheblichen Schadenersatz zahlen mußte;
mehrere Verfahren mit Milliardenforderungen sind noch anhängig.
Auch für die abhängig Beschäftigten brachte NAFTA
Nachteile. Die konservative Zentralregierung unter Ministerpräsident Stephen
Harper und einzelne Provinzregierungen haben im Interesse der Investoren
während des letzten Jahrzehnts so viele Anti-Streik-Gesetze und Anti-Lohnerhöhungs-Gesetze
durchgesetzt wie in keinem anderen Staat. Kanada hat den ausgedehntesten
Niedriglohnsektor im Westen und behandelt migrantische Arbeiter am
rechtlosesten. Die 7 der 10 größten Unternehmen sind Banken und
Finanzinvestoren, die Kapital nach Europa und Asien und in alle wichtigen Finanzoasen
exportieren. Ein großer Teil des Unternehmenseigentums am Standort
Kanada ist in Briefkastenfirmen Luxemburgs, der Niederlande und der Cayman
Islands versteckt. Außerdem ist Kanada nicht nur weiter in das NAFTA-Abkommen
eingebunden, sondern ist mit der USA auch
Vertragspartner des transpazifischen Abkommens TPP. Alle diese Interessen,
Praktiken und vertraglichen Bindungen würden neben und mit Hilfe von CETA auf
die EU einwirken.
Die USA mit Kanada und die EU sind die am intensivsten
durch Privatkapital verflochtenen Regionen der Erde, wobei Investoren aus der
USA und Kanada etwa 50 % mehr in der EU investiert haben als andersherum. Das
begann nach dem 1. Weltkrieg. Aber ganz massiv hat die USA nach dem 2.
Weltkrieg in Westeuropa und vor allem in den NATO-Staaten investiert, übrigens
auch in der Schweiz. Seit den 1980er Jahren betreiben alle großen deutschen
Banken, Pharma- und Autokonzerne Niederlassungen in der USA, inzwischen auch
jeder gutgehende deutsche Mittelständler. Seit Beginn der 2000er Jahre und
verstärkt nach der ›Finanzkrise‹ kaufen sich Private Equity-Investoren wie
Blackstone, KKR, Permira, CVC in mittelständische Weltmarktführer in der EU
ein. Große Finanzinvestoren wie Blackrock, Vanguard, Fidelity, Templeton, J.P
Morgan und Goldman Sachs kaufen sich in die großen Aktiengesellschaften ein und
haben beispielsweise in den meisten der 30 ›deutschen‹ DAX-Konzerne die Mehrheit. Die jahrzehntelang
bestehende ›Deutschland
AG‹
- also die enge Eigentums- und Kredit-Verflechtung zwischen deutschen
Großbanken und Versicherungen und den Konzernen wie Siemens, Daimler und
Mannesmann - besteht nicht mehr. So
ähnlich sieht es in den anderen EU-Mitgliedsstaaten aus.« [2]
»Daß die
Kanadier unter den Industrieländern das Hauptziel von Investorenklagen waren«, schreibt
Häring, »läßt sich in
den jährlichen Berichten der Unctad nachlesen. Hauptkläger waren US-Konzerne.
Als die Europäer Ende letzten Jahres mit dem Ansinnen kamen, von den privaten
Schiedsstellen auf ein gerichtsähnlich organisiertes Investorengerichtssystem
(ICS) überzugehen, weil Sigmar Gabriel sich das im Rahmen der
TTIP-Verhandlungen zur Beruhigung der Öffentlichkeit so ausgedacht hatte,
machte der kanadische Unterhändler durchaus Reserven geltend. Kanada habe keine
Lust so etwas verbindlich und dauerhaft zu vereinbaren, wenn unklar – und
unwahrscheinlich – ist, ob die USA dem Gleichen später auch zustimmt. Man wolle
nicht gegenüber US-Unternehmen in Nachteil kommen. Vermutlich übt die
US-Regierung nicht unbeträchtlichen Druck auf die EU-Kommission und die
Wallonie aus, die spezielle Investorengerichtsbarkeit im Vertrag mit Kanada auf
jeden Fall umzusetzen.«
»Magnette«, so Häring ferner, »ließ auch wissen,
›daß er der EU-Kommission schon
vor gut einem Jahr von den sehr ernsten Bedenken der Wallonie und einem
entsprechenden Beschluß des dortigen Parlaments berichtet habe. Leider habe diese
erst vor wenigen Tagen die Zeit gefunden, mit der Wallonie hierüber zu reden‹. Anfang Mai schrieb ich in meinem Artikel ›Europa tappt in die TTIP-Falle‹ [3] darüber,
daß die Wallonie und die Region Brüssel die nötige Zustimmung zu CETA
verweigern und daß die Kommission aus solchen Gründen CETA als Abkommen in
alleiniger EU-Zuständigkeit erklären will. Offenbar hatte man bei der Änderung
des Plans entweder die Wallonie schon wieder vergessen, oder man hatte sich
darauf verlassen, daß sie am Ende schon umfiele, wenn alles an ihr hängt. Aber
auf jeden Fall ist die derzeit hauptsächlich in den Medien kursierende
Darstellung, da habe sich eine kleine Region im letzten Moment quergestellt, um
seine Vetomacht auszunutzen und Vorteile herauszuschlagen, Geschichtsklitterung
und eine üble Unterstellung.« Aus dem
Interview, erklärt Häring, geht auch hervor, »daß es dem wallonischen
Parlament eben nicht vor allem um ein paar Euro mehr für die wallonische
Landwirtschaft geht, sondern um die Verteidigung des Rechts des Staates, die
Umwelt zu schützen und regulierend in die Wirtschaft einzugreifen.«
Stellungnahmen Der in der EU immerhin ungewohnte Widerstand, der sich
endlich einmal Bahn brach, erbrachte neben grosser Begeisterung der Gegner des
Abkommens eine ganze Reihe von Kommentaren, von denen
die einen zugunsten der EU ausfielen, während andere die Wallonen mit gänzlich
ungerechtfertigten Vorwürfen bedachten.
So erklärte Manfred Weber, der Vorsitzende der
konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament: »Entscheidungen zur
Handelspolitik durch 38 Parlamente inklusive einigen Regionalparlamenten haben
nichts mit mehr Demokratie oder Transparenz zu tun.« »Ja«, meint
hierzu der Herausgeber des Politblogs ›Rationalgalerie‹, Ulrich Gellermann, sarkastisch, »wo kommen
wir denn da hin, wenn jedes dahergelaufene Parlament in Europa mitreden wollte!
Das kann man nur noch Demokratur nennen.« Auf die Aussage des ›Spiegels‹: »CETA-Veto
der Wallonie: Ein Schritt zur Zerstörung der EU«, hat Gellermann wie folgt
geantwortet: »Bald wird es sie nicht mehr geben, die Europäische
Union. Nicht, weil sie den Flüchtlingen, die sie durch ihre Handelspolitik
gegenüber Entwicklungsländern selbst erzeugt hat, unbarmherzig die Tür weist.
Nicht, weil sie vom Irak bis Syrien jeden
Dreckskrieg der USA im NATO-Gewand mitgemacht hat. Nein, weil sie in der schrecklichen
Gestalt der Wallonie die arme Chrystia Freeland und mit ihr das ganze Kanada
schwer beleidigt hat.« Im ›Spiegel‹ hiess es ferner: »Die Wallonen sind derzeit die
Helden der Globalisierungsgegner. Doch der Widerstand der belgischen
Regionalregierung gegen CETA ist nicht heldenhaft; er ist egoistisch, anmaßend
und schädlich für die Demokratie.« »Was
braucht einer Sachverstand oder Argumente«, stellt Gellermann hierzu die Frage, »wenn er
nur von der guten Sache der Wirtschafts-Oligarchen überzeugt ist?!« [4] Auch Daniel
Caspary (CDU), handelspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament,
sieht durch die Anti-CETA-Bewegung die Demokratie in Gefahr: »Die
öffentliche Stimmung ist durch die Anti-CETA-Kampagne massiv vergiftet. Das
gefährdet nicht nur CETA oder andere Abkommen, sondern die Demokratie selbst.«
In der Wochenzeitung ›Der
Freitag‹ las man: »Rund um
die Nichtzustimmung der belgischen Region Wallonie zum sogenannten
Freihandelsabkommen Kanadas mit der EU wurde einmal mehr ein fragwürdiges
Demokratieverständnis von bestimmten Politikern und Medienvertretern offenbar.
Hand in Hand entfachten die ein Wallonen-Bashing, das sich gewaschen hatte.
Wie konnte es sich auch die demokratisch gewählte Regierung einer Region mit
3,5 Millionen Einwohnern erlauben, wider den Stachel, also gegen den Rest der
EU-Bevölkerung - die Rede ist von 500
Millionen Menschen - zu löcken? Schon
setzte man der Wallonie ein Votum. Versuchte man den Ministerpräsidenten gar so
zu einem Ja zu erpressen? Wir wissen mindestens seit dem Fall Griechenland, daß derlei
längst zu den schmutzigen Gepflogenheiten der EU und bestimmten ›Institutionen‹ gehören
kann. ….. Der
deutsche Bundestagsabgeordnete Marco Bülow (SPD) sagte dieses Jahr auf einer Anti-CETA-Kundgebung
in Dortmund, er stimme im Bundestag gegen dieses völlig intransparente, die
Demokratie und den Rechtsstaat letztlich beeinträchtigende Abkommen. Und er
täte dies auch, wenn CETA etwas Gutes wäre, weil es geheim, sprich:
undemokratisch verhandelt wurde. Das Wallonen-Bashing bestimmter Politiker und Journalisten
ist bedenklich. Denn es zeigt auf erschreckende Art und Weise, wie tief der
neoliberale Sumpf hierzulande mittlerweile ist. Mehr oder weniger tuten alle
ins Pro-CETA-Horn. Und wenn auch manches Mal nur quasi im Subtext. Als wenn
morgen die Welt unterginge, wenn CETA nicht kommt. Begreifen die nicht, daß sie
eines Tages solchen Abkommen wie CETA, TTIP oder TISA selbst zum Opfer fallen
könnten? Ist eine von Demokraten gefällte Entscheidung nur dann gut, wenn sie
pro EU- oder einem bestimmten Regierungsvorhaben ausfällt? Schon
werden innerhalb der EU Forderungen laut, bestimmte Länder - vielleicht so kleine Regionen wie die
Wallonie - künftig gar von bestimmten
Abstimmungen auszunehmen. Merken
Politiker, die derlei fordern, gar nicht, wie sie die Verdrossenheit der
EU-Bürger dadurch immer mehr fördern? Und das in einer EU, die - sinngemäß mit Nietzsche gesprochen - bereits seit längerer Zeit am Abgrund steht
und dieser längst in die EU zurückblickt? Unverständlich. Die neoliberale
Idiotie hat bereits weit um sich gegriffen. Wann wacht man auf?
Wir
brauchen dringend einen Neuanfang der EU. Ein demokratisches Europa der
Menschen. Zunächst sollten wir den Wallonen dankbar sein, in ihrer
CETA-Ablehnung festgeblieben zu sein. Eine Schande, dass ein starker Staat wie
Deutschland, der doch sonst immer so vieles in der EU (er-)zwingt, nicht den
Mut des kleinen Walloniens aufgebracht hat.«
[5]
Peter
Nowak vermerkt am 26. Oktober in seinem Artikel ›Die Hegemoniekrise der EU als ideeller Gesamtkapitalist‹ ganz klar: »Wie in der bürgerlichen
Presse üblich, ist das kapitalistische Interesse gemeint, wenn hier von der
Europäischen Union gesprochen wird. Aber die dahinter stehende Sorge ist echt.
Mit der CETA-Krise stellt sich für sie die Frage, ob die EU für die bessere
Durchsetzung der kapitalistischen Interessen in der weltweiten Konkurrenz
tauglich ist. Genau das aber ist der Zweck der EU. Bisher war deshalb auch ein
Großteil der Kapitalkreise in den
europäischen Ländern überwiegend proeuropäisch. Das könnte sich ändern, wenn
die EU für sie nicht effektiv ist. So könnte die CETA-Krise zum Sargnagel für
die EU werden. Das ist auch der Grund, warum die Verantwortlichen der EU so
erbittert für CETA kämpfen, weil es sich nämlich
bei der CETA-Krise nicht um eine Angelegenheit zwischen einer störrischen
belgischen Provinz und dem Rest Europas handelt. Es handelt sich vielmehr um
einen Konflikt zwischen denen, die alles der Wirtschaft unterordnen wollen und
denen, die diesem Gesellschaftsmodell kritisch gegenüber stehen. Bereits nach
dem Wahlsieg von Syriza in Griechenland stand dieser Konflikt auf der Agenda
und er wird auch nach der CETA-Krise weitergehen.« [6]
Wie der ›Frankfurter
Allgemeinen Zeitung‹
vom 27. 10. zu entnehmen ist, »muß die EU nun
darüber debattieren, ob sie Freihandelsverträge weiter von der Zustimmung von
Regionalparlamenten wie dem Walloniens abhängig machen will oder sich auf das ›Ja‹ von
Ministerrat und Europaparlament beschränkt. Es geht darum, die Entscheidung
auf die Ebene zurückzuholen, auf die sie gehört. Handelspolitik ist
EU-Kompetenz, das kann in einem Binnenmarkt gar nicht anders sein.« »Das
bedeutet nicht, Bedenken der Menschen in Wallonien oder Biberach nicht ernst zu
nehmen. Genau das haben die EU-Kommission und die Bundesregierung in der
Handelspolitik viel zu lange versäumt und damit den Gegnern von CETA und dem
ungleich wichtigeren TTIP-Abkommen mit der USA in die Hände gespielt. Es wird
eine Herkulesaufgabe sein, das Mißtrauen vieler Menschen gegenüber der EU und ihrer
Handelspolitik zu überwinden. Es ist ein Irrglaube, daß das nur gelingen kann, wenn
jedes Land, jede Region, jede Gemeinde mitentscheiden kann.« Letzterer Satz
widerspricht genau der Vorstellung, dieses Mißtrauen überwinden zu
können; denn entweder ermöglicht man es den Mitgliedsländern resp. ihren
Parlamenten endlich, über Anträge eine entscheidende Einflussnahme auszuüben,
oder man verweigert die Demokratie weiterhin, indem man die Position Junckers
verteidigt, der
die Kommission hier als alleinberechtigt
betrachtet und CETA von Anfang an als reines EU-Abkommen einstufte. [7]
Was
die von der ›FAZ‹ angesprochene, angeblich allein in die Kompetenz der EU
fallende Handelspolitik betrifft, so hat sich in diesem Sinn jetzt auch der stellvertretende Präsident
des EP, Graf Lambsdorff, geäussert und »nach den gescheiterten
CETA-Verhandlungen wieder klare Zuständigkeiten in der europäischen
Handelspolitik gefordert. Politiker dürften Parteiinteressen nicht über die
Interessen Europas stellen.« Er irrt; es geht hier nicht um Parteiinteressen,
sondern einzig und allein um die Interessen der Bürger und ihrer Länder. »In
der Vergangenheit«, erklärt er uns gar, »war die Handelspolitik so etwas wie
das Juwel der europäischen Politik. Weil wir wirklich mit einer Stimme sprachen
und unser ganzes Gewicht als Europa global zur Geltung bringen konnten. Und das
Ganze wurde dann im Ministerrat von den Mitgliedsstaaten
und dem Europäischen Parlament demokratisch abgestimmt. Ich
glaube, das ist der richtige Weg. Wenn man dieses Juwel in 42 einzelne Teile zerschlägt,
in nationale, regionale Parlamente, die alle ein Veto-Recht haben, dann wird es
nicht weitergehen. Ich glaube, wir brauchen ganz klar eine Rückkehr zum Erfolgsmodell
der Handelspolitik. Das heißt, eine klare Zuordnung zu der Ebene, die dafür
zuständig ist, und das ist die europäische.« Eine selten geschönte Darstellung
der zahllosen Nachteile, die uns dieses angebliche Juwel längst beschert hat,
einmal ganz abgesehen von dem Fakt, dass das in Brüssel grassierende Lobbytum
der Konzerne wohl kaum dazu berechtigt, von demokratisch erfolgten
Abstimmungen zu sprechen ….. [8]
In
einem mit dem Soziologen Peter Mertens, dem Vorsitzenden von Belgiens
Arbeiterpartei PTB, diesen Oktober geführten Gespräch erklärte dieser: »Einige politische
Kommentatoren zeichnen gern ein Bild von Wallonien als große Ausnahme in
Europa. Aber noch einmal: Halten Sie ein europäisches Referendum ab, lassen Sie
die Leute entscheiden. Im September demonstrierten in Deutschland 320.000
Menschen gegen TTIP und CETA, in Brüssel waren es am 20. September 10.000. Die
Mehrheit der Franzosen ist der Meinung, daß die TTIP-Verhandlungen
gestoppt werden sollten. Der irische Senat empfahl der Regierung ebenfalls,
gegen CETA zu stimmen. …. Für eine EU-weite Petition dazu wurden mehr als 3
Millionen Unterschriften gesammelt, ein Rekord!« [9]
Gleich, was Graf Lambsdorff vorzutragen
beliebt, es dürfte nach wie vor beabsichtigt sein, die Kapitalinteressen der
westlichen Welt mit Hilfe von TTIP, CETA und TISA noch stärker untereinander zu
vernetzen, was nicht unbedingt zugunsten der Arbeitnehmer verläuft. So geht es
im Zuge der Abkommen auch um den Zugang zu bisher öffentlichen Dienstleistungen
wie z.B. Bildung und Renten, beides rein staatliche Einrichtungen. Und damit
dem Konzerneinfluss auch weiterhin Rechnung getragen werden kann, muss auch die
Entsouveränisierung der Staaten ein feststehendes Ziel bleiben, was allein
schon aus der Häme erkenntlich ist, mit der jegliches der eigenen Nation gewidmetes
Gedankengut verfolgt wird.
So schrieben denn auch die ›Deutschen
Wirtschafts Nachrichten‹ schon
Mitte November des Jahres 2014: »Während um das Thema Schiedsgerichte gestritten wird, ist
eine andere Folge der Freihandelsabkommen TTIP und CETA viel gravierenden und
im Grunde unumkehrbar: Die Zentralisierung der Bürokratie in Europa
und die Aushebelung der nationalen Parlamente. Die 512 Seiten des Vertragsentwurfs haben eine
beispiellose bürokratische Zentralisierung nach Brüssel eingeläutet. In der
Folge kann diese Entwicklung dazu führen, daß die nationalen Parlamente keinen
Einfluß mehr auf wichtige Entscheidungen ausüben können. Mit Inkrafttreten des
Lissabon-Vertrags 2009 wurde der EU die alleinige Kompetenz für den Beschluß
von Freihandelsabkommen übertragen, insbesondere mit Bezug auf
Dienstleistungen, geistiges Eigentum und Auslandsdirektinvestitionen. CETA ist
der erste wirkliche Ausdruck einer neuen Wirtschaftsordnung. Obwohl die
Kommission angeblich versteht, daß ein für alle gleicher ›Universalstaatsvertrag‹ weder machbar noch wünschenswert sei, ist
CETA genau das: Eine simplifizierte Einheitslösung, die auf nationaler Ebene
verhandelte Abkommen mit einem Schlag komplett überflüssig macht.« [10]
Zu den Vereinbarungen die Walloniens Regionalregierungschef erzielt hat,
gehört, dass Belgien durch den Europäischen Gerichtshof überprüfen lassen wird,
ob die geplanten Schiedsgerichte, die fürs erste nicht eingesetzt werden
können, legal sind, zumal diese nicht durch EU-Recht gedeckt sind. Einer
Meldung der Tagesschau vom 26. 10. zufolge gibt es diesbezüglich nach Aussage
von Belgiens Aussenminister Didier Reynders bereits einen von allen Seiten
akzeptierten Text, der besagt, dass diese vorläufig nicht zur Anwendung kommen.
Sollten die Sonderklagerechte für Konzerne in der jetzigen Form weiterhin Teil
des CETA-Abkommens bleiben, werden die belgische Regionen erneut ihr Veto
einlegen. Das Wichtigste dürfte sein, dass die Wallonen für die Regionen Belgiens
eine Ausstiegsklausel erreicht haben. Wie es heisst, konnten auch ihre
Befürchtungen hinsichtlich bestimmter Nachteile für ihre Landwirte entkräftet
werden.
Das Abkommen ist nun am heutigen Sonntag, 30. 10. 16,
von der EU und Kanada unterschrieben worden und soll so schnell wie möglich in
Kraft treten. Lediglich diejenigen Teile, bei denen nationale Parlamente ein
Mitspracherecht haben, können erst nach deren Zustimmung angewendet werden.
Betrachtet man die am Rande des EU-Kanada-Gipfels in Brüssel demonstrierenden
rund 250 CETA-Gegner, von denen - weil die
EU doch so demokratisch ist - vorläufig
16 festgenommen wurden, und die abschreckenden Sicherheitsabsperrungen, so stellt
sich die Frage, wie ein Donald Tusk, ein Justin Trudeau und ein Claude Juncker
so siegessicher in die Kamera blicken können, zumal die zahlreichen noch nicht
verhandelten Klagen zweifelsohne weitere langdauernde Auseinandersetzungen
bringen werden.
Nicht überlesen: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach von einem
guten Tag für die Europäische Union und für Kanada und sagte, CETA werde
Standard für alle künftigen Abkommen sein. Wie es heisst, soll es durch den
Wegfall von Zöllen und anderen Handelshemmnissen auf beiden Seiten des
Atlantiks mehr Wachstum geben, was es genau zu verfolgen gilt.
Wie die EU betont, werden die europäischen Standards
in Bereichen wie Lebensmittelsicherheit und Arbeitnehmerrechte uneingeschränkt
gewahrt. Das Abkommen stellt aus ihrer Sicht auch sicher, dass die
wirtschaftlichen Vorteile nicht auf Kosten der Demokratie gehen, was
zu kontrollieren sein wird.
Siehe auch CETA -
TTIP - Eine geharnischte Rede
[1] http://norberthaering.de/de/27-german/news/699-magnette#weiterlesen 26.
10. 16 Kanada würde auf Investorengerichte verzichten, aber die EU-Kommission
nicht -
Von Norbert Häring [2] http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2016/09/85358/ 20. 9. 16 CETA
ist genauso gefährlich wie TTIP – Von Werner Rügemer Dr. Werner Rügemer ist Publizist und Mitbegründer
von Gemeingut in
BürgerInnenhand und Aktion
gegen Arbeitsunrecht. Letzte Buchveröffentlichung: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet: Transatlantische
Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur (Neue Kleine
Bibliothek)
[3] http://norberthaering.de/de/27-german/news/611-ttip-falle#weiterlesen 9. 5. 16 ›Europa
tappt in die TTIP-Falle‹ - Von Norbert Häring
[4] http://www.rationalgalerie.de/home/wallonen-vergewaltigen-kanada.html 27. 10. 16 Autor:
U. Gellermann - Wallonen vergewaltigen Kanada [5] https://www.freitag.de/autoren/asansoerpress35/fragwuerdiges-demokratieverstaendnis 25. 10. 16
Fragwürdiges Demokratieverständnis [6] http://www.heise.de/tp/artikel/49/49814/1.html 26. 10. 16 Die Hegemoniekrise der EU als ideeller Gesamtkapitalist – Das Gezeter um CETA
sorgt in der internationalen Presse für Spott - Von Peter Nowak [7] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ttip-und-freihandel/scheitern-von-ceta-koennte-nur-aufgeschoben-sein-14500546.html 27. 10. 16
Hendrik Kafsack [8] http://www.swr.de/landesschau-aktuell/lambsdorff-kritik-wegen-ceta-gabriel-hat-europa-massiv-geschadet/-/id=396/did=18374842/nid=396/1ho2k4j/index.html 25. 10. 16
[9] https://www.jungewelt.de/2016/10-22/005.php 22. 10. 16 Interviewer: Bert De Belder Original auf http://www.legrandsoir.info/organisez-un-referendum-europeen-et-vous-verrez-que-les-wallons-ne-sont-pas-seuls.html 21. 10. 16 Peter Mertens - »Organisez un référendum européen et vous
verrez que les Wallons ne sont pas seuls« [10] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/10/06/ttip-und-ceta-degradieren-den-bundestag-zu-einer-folklore-veranstaltung/ 14. 11. 2014
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