Neues aus Bundesbern - Gegenentwurf zur Rasa-Initiative: Vernehmlassung läuft - Von Dr. iur. Marianne Wüthrich 19.02.2017 21:33
Die in der Bundesverfassung vorgeschriebene dreijährige Frist für
die Umsetzung
einer eigenständigen Steuerung der Zuwanderung ist am 9. Februar 2017
abgelaufen. Weder Bundesrat noch Parlament haben den Verfassungsauftrag
erfüllt.
Zur Erinnerung Der Bundesrat
hat fast drei Jahre lang keine Verhandlungen mit Brüssel über die vom Schweizer
Souverän beschlossene Anpassung des Freizügigkeitsabkommens zustande gebracht;
National- und Ständerat stimmten in der Wintersession 2016 einem ›Inländervorrang light‹ zu, der
zwar in Brüssel wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, dem Volkswillen aber
in keiner Weise Nachachtung verschaffte. Als nächster Akt steht nun die
Volksinitiative ›Raus aus der Sackgasse! ‹ (Rasa-Initiative) an, welche den Zuwanderungsartikel wieder aus der
Verfassung herausstreichen will. [1] Damit wollen die Initianten ihren
unabhängigkeitswilligen Mitbürgern beibringen, in welche Richtung ihrer Meinung
nach das Äpfelchen rollen soll: Brüssel einfach! Um das zu erwartende klare Nein
des Schweizervolkes zu Rasa -
beziehungsweise zum Verfassungsbruch von Regierung und Parlament - etwas zu kaschieren, hat sich der Bundesrat in
Aktivismus gestürzt und einen direkten Gegenentwurf in zwei Varianten
produziert. Dieser wurde am 2. Februar in die Vernehmlassung geschickt. Eine
der beiden Varianten soll zusammen mit der Rasa-Initiative zur Abstimmung
kommen. Ausser sie werden von den Vernehmlassungsadressaten klar
zurückgewiesen, was zu hoffen ist.
Mit einer
Vernehmlassung holt der Bundesrat die Stellungnahmen der Kantonsregierungen,
politischen Parteien, Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete,
Dachverbände der Wirtschaft und weiterer interessierter Kreise ein, bevor er
die Botschaft an den National- und den Ständerat zu einer Vorlage verfasst.
Üblicherweise dauert ein Vernehmlassungsverfahren drei bis sechs Monate, damit
die Adressaten genügend Zeit haben, um sich eine Meinung zu bilden und diese
auszuformulieren.
Vernehmlassungsfrist
vom 2. Februar bis zum 1. März 2017 - etwas knapp, nicht wahr?
Im vorliegenden
Fall beginnt die Vernehmlassung laut Bundesrat am 1. Februar 2017, allerdings
ist der Brief an die Vernehmlassungsadressaten vom 2. Februar datiert. Damit
beträgt die Zeitspanne vom Erhalt der Unterlagen [2] bis zur spätestens
möglichen Einreichung der Stellungnahme nicht einmal vier Wochen. Wie der
Bundesrat in seinem Beibrief diese kurze Frist rechtfertigt, ersparen wir dem
Leser: Tatsache ist, dass den Adressaten kaum Zeit für eine fundierte Antwort
bleibt.
Bundesrat hält fest: Verfassungsauftrag ist nicht umgesetzt Wie der
Bundesrat in seinem ›Erläuternden Bericht‹ richtig feststellt, ergaben sich aus den vom Volk angenommenen Verfassungsartikeln
›zwei Aufträge: Erstens die Anpassung des
Ausländergesetzes […] und zweitens Verhandlungen zur Anpassung von
völkerrechtlichen Verträgen, die diesen Bestimmungen nicht entsprechen‹. [3] Der Bundesrat gibt offen zu, dass beide Aufträge des Souveräns
nicht erfüllt sind.
Zum ersten Auftrag: Das Parlament
hat im wesentlichen lediglich einen ›Inländervorrang light‹ ins Ausländergesetz eingefügt, der zwar mit dem Freizügigkeitsabkommen
mit der EU (FZA) vereinbar ist, aber diese Regelung ›verzichtet bei
Angehörigen von EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten generell auf Höchstzahlen und
Kontingente und setzt damit den Artikel 121a BV nicht vollständig um.‹ [4] Was für eine Schönfärberei! In Wirklichkeit wird Artikel 121a überhaupt
nicht umgesetzt.
Zum zweiten Auftrag: Wie schwächlich
und unterwürfig der Bundesrat gegenüber den EU-Gewaltigen aufgetreten ist,
wurde in Zeit-Fragen bereits ausführlich dargelegt. [5] Der Bundesrat bestätigt
auch im ›Erläuternden Bericht‹ die häufigen, aber erfolglosen ›Konsultationsrunden‹ mit Herrn Juncker sowie im Gemischten Ausschuss und schliesst mit der
pessimistischen Bemerkung: ›Nach der Abstimmung in Grossbritannien
über den Austritt aus der EU (Brexit) hat sich herausgestellt, dass eine erfolgreiche
Verhandlung mit der EU über eine Anpassung des FZA auf absehbare Zeit kaum
möglich ist.‹ [6] Kein Wunder, bringen unsere Unterhändler
nichts anderes zustande!
Rasa-Initiative: Nach dem Geschmack des Bundesrates In bezug auf
die Rasa-Initiative - die eigentlich nichts
anderes darstellt als das ›Täubele‹ eines
schlechten Verlierers - macht der
Bundesrat keinen Hehl daraus, dass er deren Annahme, das heisst die Streichung der
vom Souverän beschlossenen ›Steuerung der Zuwanderung‹, begrüssen würde: »Mit
einer Aufhebung der Artikel 121a und 197 Ziffer 11 BV durch Volk und Stände
wäre die Differenz zwischen der Bundesverfassung und dem FZA beseitigt.
Gleichzeitig würde der von Volk und Ständen erteilte Auftrag zur Steuerung und
Begrenzung der Zuwanderung wegfallen.« Das würde
unseren ›Dienern des Volkes‹ so passen!
Immerhin
erinnert sich der Bundesrat noch an die ›demokratiepolitischen
Gründe‹, die dagegen sprechen, einen
Volksentscheid nach so kurzer Zeit wieder aufheben zu wollen. [7] Aber leichter
käme die Classe politique in Bern schon zur gewünschten engeren Umarmung mit
der Brüsseler Elite, wenn sie sich nicht dauernd mit dem Stimmvolk und dessen
Drang, selbst bestimmen zu wollen, herumschlagen müsste …… Zu diesem Zweck hat
der Bundesrat einen Gegenentwurf mit zwei Varianten fabriziert, die ihm beide
das ungestörte ›Regieren‹ wesentlich
erleichtern würden.
Gegenentwurf Variante 1: Stehen Verträge mit EU über
Bundesverfassung? Artikel 121a
bliebe vordergründig weitgehend stehen: Absatz 1–3: Eigenständige Steuerung der
Zuwanderung, Begrenzung durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente,
Inländervorrang. Nur Absatz 4 und 5 sollen geändert werden; ausserdem würde die
Übergangsbestimmung in Art. 197 Ziff. 11 BV gestrichen. Artikel 121a bliebe
vordergründig weitgehend stehen: Absatz 1–3: Eigenständige Steuerung der
Zuwanderung, Begrenzung durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente,
Inländervorrang. Nur Absatz 4 und 5 sollen geändert werden; ausserdem würde die
Übergangsbestimmung in Art. 197 Ziff. 11 BV gestrichen.
Wortlaut
Variante 1 [8] Art. 121a, 4 Bei der
Steuerung der Zuwanderung werden völkerrechtliche Verträge berücksichtigt, die
von grosser Tragweite für die Stellung der Schweiz in Europa sind. 5 Aufgehoben
Art. 197 Ziff.
11 BV Übergangsbestimmung zu Art. 121a (Steuerung der Zuwanderung) Aufgehoben
Im Klartext: Der Bundesrat
will hintenherum eine materielle (inhaltliche) Einschränkung des
Volksinitiativrechts und gleichzeitig die Relativierung der bestehenden
Verfassungsbestimmung BV?121a einführen. Die souveräne Regelung der Zuwanderung durch die Schweiz soll nur so weit zugelassen
werden, als nicht ›völkerrechtliche Verträge […] von grosser
Tragweite für die Stellung der Schweiz in Europa‹ entgegenstehen.
Unter diesen Gummibegriff ordnet der Bundesrat in seinen Erläuterungen explizit
das Freizügigkeitsabkommen mit der EU ein, das er unzulässigerweise in eine
Reihe stellt mit der EMRK, den UNO-Konventionen und der Genfer
Flüchtlingskonvention. [9] Vielleicht, damit es weniger auffällt? Ein solch
bunter Mix von freiwillig abgeschlossenen, kündbaren Verträgen
(Personenfreizügigkeitsabkommen [PFZ] zwischen der Schweiz und der EU) mit
zwingendem Völkerrecht (Genfer Flüchtlingskonvention) ist aus staatsrechtlicher Sicht
verboten. Wir Bürger wiederum werden uns hüten, einer derartigen
Wundertüte zuzustimmen, in die unsere ›Volksvertreter‹ in Bern je nach Lust und Laune hineinpacken können, was ihnen gerade
opportun erscheint, um Volksinitiativen für ungültig erklären und
Verfassungsrecht deklassieren zu können.
Souverän hat 2014 genau das
Gegenteil von Variante 1 beschlossen
Art. 121a
(Absatz 1–3: Eigenständige Steuerung der Zuwanderung, Begrenzung durch
jährliche Höchstzahlen und Kontingente, Inländervorrang)
4 Es dürfen keine völkerrechtlichen Verträge
abgeschlossen werden, die gegen diesen Artikel verstossen. 5 Das Gesetz regelt die Einzelheiten
Art. 197 Ziff.
11 BV Übergangsbestimmung zu Art. 121a (Steuerung der Zuwanderung)
1 Völkerrechtliche Verträge, die Artikel 121a
widersprechen, sind innerhalb von drei Jahren nach dessen Annahme durch Volk
und Stände neu zu verhandeln und anzupassen.
2 […]
Die Stimmbürger
wollten 2014 die kaum mehr zu bewältigende Zahl von Migranten, die seit dem
Abschluss der Bilateralen I aus den EU-Staaten in unser Land strömen, mit
Kontingenten und Höchstzahlen, zum Beispiel in besonders betroffenen Branchen
oder Regionen, regulieren können. Zu diesem Zweck müsste eben gerade das
PFZ-Abkommen, das der Bundesrat mit Variante 1 seines Gegenentwurfs über die
heutige Regelung in Artikel 121a stellen will, neu ausgehandelt werden. Denn
die Zuwanderung aus den Nicht-EU- und EFTA-Staaten kann die Schweiz ohnehin
selbst steuern, dazu brauchen wir keine neue Verfassungsbestimmung.
Herrschaft der Exekutive anstelle
von Volk und Parlament? Zu den
Bestimmungen, die der Bundesrat aus der Verfassung streichen will:
Absatz 5 des
Artikels 121a hält er offenbar mit Variante 1 nicht mehr für nötig. Das heisst,
es braucht keine Umsetzung in einem Gesetz, oder anders gesagt: Der Bundesrat
würde unbehelligt vom Parlament und ohne ein Referendum befürchten zu müssen,
selbst bestimmen, welche Verträge mit ausländischen Staaten seiner Meinung nach
›von grosser Tragweite für die Stellung der
Schweiz in Europa‹ sind. Deshalb wäre auch die
Übergangsbestimmung in Art. 197 nicht mehr vonnöten: Es muss nichts neu
ausgehandelt werden, weil die PFZ und andere Verträge ja sakrosankt sind, und
es gibt auch keine Frist von drei Jahren mehr, welche der Bundesrat einhalten
muss.
Nun wird es
konkret, was der Gegenentwurf anstrebt: Eine weitere Festigung der
EU-kompatiblen Herrschaft der Exekutive, verbunden mit einer Schwächung der
direkten Demokratie. Wie wir schon früher festgestellt haben: Diese beiden
Staatsmodelle sind wie Feuer und Wasser.
Gegenentwurf Variante 2:
Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag Diese Variante ist rasch
erklärt. Artikel 121a BV soll unverändert stehenbleiben, aber die Übergangsbestimmung mit der dreijährigen Frist für die
gesetzliche und vertragliche Regelung würde gestrichen. Das heisst, Bundesrat
und Parlament hätten bis am Sankt-Nimmerleins-Tag Zeit, die Zuwanderung zu regeln
oder eben nicht zu regeln: ›Der Auftrag, weitere Schritte zur
Umsetzung von Artikel 121a BV vorzunehmen, wenn sich die Ausgangslage in der EU
bezüglich des FZA zukünftig ändern sollte, bleibt jedoch bestehen.‹ [10] Wie gesagt: Falls und wann immer die
Herrschaften in Bern dies wünschen. Leidtragende ist auch hier die direkte
Demokratie, sind wir Bürger, die aussen vorgelassen werden sollen.
Vorschlag: Variante 3 mit Verlängerung der Frist und
einseitiger Schutzklausel Eine mögliche
Variante, die in einer Volksabstimmung eine Chance haben könnte, wäre eine
Verlängerung der Umsetzungsfrist um eine bestimmte Zeit, so dass die Schweiz sich
zum Beispiel einklinken könnte, wenn Grossbritannien mit der EU eine Regelung
der Zuwanderung gefunden hat. Aber wir können nicht warten, bis die
EU-Institutionen zu einer Änderung des PFZ-Abkommens Hand bieten; deshalb muss
die Schweiz in der Zwischenzeit eine einseitige Schutzklausel einführen, so wie
dies bereits in Diskussion war und sogar von EU-Politikern empfohlen wurde.
Mögliche (noch
auszufeilende) Formulierung:
BV Art. 121a,
1–4 unverändert
5 Solange die Anpassung des
Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU nicht ausgehandelt ist, führt die
Schweiz eine einseitige Schutzklausel mit Höchstzahlen, Kontingenten und
Inländervorrang ein. Die Schutzklausel kann auf einzelne Regionen oder Branchen
beschränkt werden.
6 Das Gesetz regelt die Einzelheiten.
BV Art. 197
Ziff. 11 Übergangsbestimmung
1 Völkerrechtliche Verträge, die Artikel 121a
widersprechen, sind innerhalb von drei/fünf Jahren nach der Annahme des
Gegenvorschlags Variante 3 durch Volk und Stände neu zu verhandeln und
anzupassen.
2 aufgehoben
Mancher
EU-Mitgliedsstaat wird sich Grossbritannien und der Schweiz anschliessen und
seine Zuwanderung - und vielleicht
weitere Bereiche - künftig selbst regeln
wollen. Warum denn nicht? Ein Verbund von Völkern, den man nur mit Zwang und
Druck zusammenhalten kann, ist nicht reissfest. Nur mit freiwillig Verbündeten
kann man Berge versetzen.
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2017/nr-5-14-februar-2017/neues-aus-bundesbern.html
Zeit-Fragen Nr.
5, 14. Februar 2017
[1] Vgl. »Schweizer Rechtsstaat und Demokratie
nicht dem EU-Integrationswahn opfern«; In ›Zeit-Fragen‹ Nr. 1 vom 3. Januar 2017 [2] Laufende Vernehmlassungen. EJPD. Direkter
Gegenentwurf zur Volksinitiative »Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die
Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten« www.admin.ch/ch/d/gg/pc/pendent.html [3] Erläuternder Bericht zum direkten
Gegenentwurf des Bundesrates zur Volksinitiative »Raus aus der Sackgasse! Verzicht
auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten« vom 1. Februar 2017 [im
folgenden zitiert als: Erläuternder Bericht]
S.9 [4] Erläuternder Bericht, S.10
[5] Vgl. »Schweizer Rechtsstaat und
Demokratie nicht dem EU-Integrationswahn opfern«; In ›Zeit-Fragen‹ Nr. 1 vom 3. Januar 2017 [6] Erläuternder Bericht, S. 11 [7] Erläuternder Bericht, S. 13 [8] Erläuternder Bericht, S. 14/15
[9] Erläuternder Bericht, S. 15 [10]
Erläuternder Bericht, S. 16
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