Reflexionen zur sogenannten »Sicherheitskonferenz« 2017 - Von Wolfgang Effenberger 26.02.2017 20:08
Für die 500 Gäste der NATO-Sicherheitskonferenz, die vom 17. bis 19. Februar
in München stattfand, drehte sich nach den unterschiedlichen Signalen der neuen US-Regierung alles um eine Frage: Wie zuverlässig stellen sich die USA für die EU und die NATO dar. Bereits am Freitag hatte der einflußreiche republikanische Falke, Senator John McCain, den Europäern versichert, daß die USA weiter an ihrer Seite stehen. Die herzlichen Grüße von US-Präsident Trump übermittelnd, äußerte sich dann am Samstag auch US-Vizepräsident Mike Pence; er betonte die starken Bande zu Europa. Zugleich erinnerte der Vizepräsident an die NATO-
interne Vereinbarung, daß die Mitgliedsländer 2 % ihrer Wirtschaftsleistung für die
Verteidigung ausgeben. »Der Präsident erwartet, daß diese Länder Wort halten.« Hier machte Merkel deutlich, daß sie keine ›kleinliche Diskussion‹ über Militärausgaben will.
[1] So wird sich nun der deutsche
Rüstungsetat fast verdoppeln.
Senator Lindsey Graham, der neben
McCain zu den deutlichsten Kritikern Trumps unter den Republikanern zählt,
wurde dann am Sonntag auf dem Podium sehr deutlich: »Wir müssen sicherstellen, daß die Russen sich nicht auch noch in Deutschland einmischen [hier meinte Graham wohl die kommende Bundestagswahl
im Herbst 2017, W.E.]. 2017 ist das Jahr, wo wir Rußland richtig in den Hintern treten müssen.« [2] Weiter
will Senator Graham US-Präsident Trump zu weiteren Sanktionen gegenüber Rußland bewegen. An den Aussagen von McCain und Graham wird deutlich,
wie zerrissen die Republikaner sind und daß die Welt mit derartigen Kriegstreibern wohl kaum sicherer wird.
Vor diesem Hintergrund erinnerte Rußlands Außenminister Sergej Lawrow an die Kernbotschaft der Rede,
die der russische Präsident Wladimir Putin 2007 vor dieser Konferenz gehalten
hatte: Den unilateralen Zielen in der Außen- und Wirtschaftspolitik müsse
abgeschwört und eine Zusammenarbeit auf Grundlage des Völkerrechts angestrebt
werden. Leider hätten diese Hoffnungen kein Gehör gefunden, und jetzt erlebten
wir ein historisches Zeitalter, bei dem wir vom Szenario eines neuen Kalten
Krieges sprächen. [3] Die wirtschaftliche und politische
Globalisierung führt nach Lawrow dazu, daß eine Art
Elite-Club die Welt regiert. Es müsse eine gerechtere demokratische Weltordnung
geschaffen werden, bei der die Souveränität der Staaten wieder gewährleistet
ist und das Völkerrecht Beachtung findet. Auch sei ein
gemeinsames Eurasien, ein Raum mit guten
nachbarschaftlichen Beziehungen zum Wohle unserer Völker zu schaffen: »Wir
brauchen enge Beziehungen zwischen Rußland, den USA und der EU. .…. Deswegen wollen wir im Rahmen der
GUS, der Eurasischen Union, der CSTO [Bündnis zwischen Rußland, Weißrußland, Tadschikistan, Kirgistan,
Kasachstan und Armenien; Beobachterstatus: Afghanistan und Serbien, W.E.], des Schanghai-Abkommens und der BRICS-Staaten
zusammenarbeiten. Wir sind stolz darauf, einen Kontinent mit Europa zu bilden,
und wir haben ja auch eine gemeinsame Erfolgsgeschichte hinter uns.« [4]. Abschließend sprach Lawrow das Übermaß
an globalen Bedrohungen an: Drogenhandel, Afghanistan, Libyen, den blutigen
Krieg in Syrien und in anderen Ländern. Er sprach die Hoffnung aus, daß die Münchner Sicherheitskonferenz Gelegenheit geben wird, diese
sowie die innereuropäischen Konflikte zu besprechen. Für Lawrow können die
Probleme eindeutig nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden.
Doch seine Hoffnung erfüllte sich bei
der Konferenz im Tagungshotel ›Bayerischer Hof‹ nicht. Sein Vorschlag wurde dort nicht einmal thematisiert. Dafür aber außerhalb: Tausende
protestierten am Samstag, 18. 2., in der Münchner Innenstadt gegen die
Sicherheitskonferenz und gegen die NATO. Vom zentral gelegenen Karlstor aus
umzingelten die Demonstranten die das Tagungshotel umgebenden Straßen. In einer
großartigen Rede ging die bekannte Kabarettistin Lisa Fitz auf die
Kriegspolitik ein. »Frieden ist nicht selbstverständlich«, sagte sie. Dies
liege auch daran, daß viele Konzerne, Gruppen und Menschen
von dem ›Billiardengeschäft Krieg‹ profitieren würden. [5]
Sie fragte nach den Hintergründen des
Syrienkonflikts und verwies auf die von US-General Wesley Clark am 2. März 2007
öffentlich gemachte Liste des US-Verteidigungsministeriums von 7 zu
zerstörenden Ländern, Irak, Libyen, Syrien, Libanon, Somalia, Sudan und Iran.
Diese Länder waren nach 9/11 in den Focus des Pentagons geraten. Bis auf den
Iran wurde bis jetzt alles befehlsgemäß umgesetzt. Angeblich wird gegen den IS
gekämpft. Aber schon im August 2012 hat der Geheimdienst ›Defence
Intelligence Agency‹, ihr Chef war damals
General Michael Flynn, in einem Dokument festgehalten: »Die Salafisten,
die Muslimbrüderschaft und al-Qaida im Irak (AQI), so wurde damals der spätere
IS genannt, sind die Hauptkräfte, die den Aufstand in Syrien anführen« - also
keine syrische Opposition! General Flynn, der die Unterstützung dieser
radikalen sunnitischen Kräfte durch die CIA kritisiert hatte und daraufhin als
Chef der DIA entlassen wurde, hat selbst gesagt: »Der Aufstieg des IS war eine
absichtsvolle Entscheidung der US-Regierung.« All das wurde von Lisa Fitz im
Zusammenhang mit dem Syrienkrieg zitiert.
Dann fragte sie: »Was wissen wir über
den Ukrainekonflikt?« Hier wurde der Regime-Change mit 5 Milliarden US-$
erkauft. Sie erinnern sich an Frau Nuland? Die sagte damals ›Fuck the EU‹! Ziel war es, die
Ukraine in die EU und damit in die NATO zu führen. Das hatte der ehemalige
US-Verteidigungsminister Robert Gates (unter Bush und Obama) seit 2006 zu
verhindern versucht. Für ihn ist dieser Versuch eine ›monumentale Provokation Rußlands‹. Trotz der
permanenten offiziellen Beteuerungen, man wolle für Frieden und Demokratie
sorgen, laufen die Vorbereitungen zu diesem Krieg seit 2014 auf Hochtouren. 150 km südlich des ehemaligen Leningrads,
heute wieder Sankt Petersburg, stehen
inzwischen Panzer der NATO. Anfang Januar 2017 wurde weitgehend unbemerkt von
der Öffentlichkeit eine US-Panzerbrigade in Bremerhaven ausgeladen und an zur ›Ostflanke‹ in Marsch gesetzt. [6] In unseren
Medien wird die Gefahr verharmlost und ausschließlich Putin für die Spannungen
verantwortlich gemacht. Von Manövern und Truppenbewegungen erfahren wir kaum
etwas. Zum Schluß ihrer Rede rief Lisa Fitz dazu auf, den Kriegsprofiteuren und
ihren Handlangern die rote Karte zu zeigen, sich nicht auf Politiker und Medien
zu verlassen und sich über die Hintergründe selbständig zu informieren: »1 Gramm
Information wiegt mehr als 50 Tonnen Meinungen.«
Das hätte man ja eigentlich von den
Teilnehmern der SIKO erwarten können.
Was thematisierte
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen? Es dürfe in der NATO keinen Platz
für Folter geben. Hier muß man ihr ja unwidersprochen recht
geben. Doch diese Forderung richtete sich ausschließlich an Donald Trump. Bezüglich der Drohnenmorde von Obama und der
Folterpraxis in Guantanamo hielt sich Frau von der Leyen dezent zurück. Nach
9/11 betrieb die CIA in Polen ein Geheimgefängnis, in dem illegal internierte
Häftlinge gefoltert wurden und Deutschland gewährte den CIA-Flugzeugen
Überflug- und Landerechte, war also Helfershelfer. [7] Eine weitere
Anspielung gegen Trump war die, daß der Westen keinen Kampf gegen
den Islam und Muslime führen soll. Auch hier hat Frau von der Leyen zwar in der
Sache recht, verhärtet aber nur die Front gegen Trump. Zwei Tage vor Leyens
Ausrutschern hatte Trump in einer beachtlichen Pressekonferenz an die zehnmal
wiederholt: »I want to get along with Russia«
[8] und betont, daß zwei Atommächte miteinander
auskommen sollten. Trump versuchte während der gesamten Pressekonferenz zu
erklären, daß es seiner Ansicht nach möglich ist, mit Rußland zurechtzukommen, und das sei doch eine POSITIVE Nachricht.
Alles andere würde Krieg bedeuten! Nichts davon auf der ›Kriegskonferenz‹! Die Presse
jenseits des Atlantiks und die hier bekämpfen Trump voller Haß und fördern damit die Kriegshetze. Trump wird angegriffen, weil
er nicht mitmacht. Wir dürfen dieser abgründigen Kriegspropaganda nicht
glauben!
›Bild‹ ist natürlich wieder in vorderster Reihe: Der 36jährige
Bildjournalist Julian Reichelt verstieg sich dazu, die neue US-Regierung in die
Nähe eines ›Regimes‹ zu rücken. Ist das Dummheit oder Anmaßung? Zu dieser arroganten
Kritik kam Reichelt auf der ›Social Couch‹, wo er während der Konferenz mit wichtigen Gästen, Prominenten
und hochrangigen Politikern – alles natürlich anonym – sprach: »Zum ersten Mal
hatten die Mitglieder der US-Regierung in München Redeverbot …… Niemand durfte
Fragen beantworten oder auch nur eine Silbe mehr sagen als mit dem Weißen Haus
abgestimmt«, berichtet er. Solche Schweigsamkeit kenne man sonst nur aus
Diktaturen. »Den Grund dafür verrieten einige Amerikaner - wieder anonym - im furchtvollen Flüsterton von Hochverrätern:
In Washington weiß man, daß selbst Trumps Minister Fragen
zu ihrem Präsidenten entweder freundlich oder ehrlich beantworten können, nicht
aber beides.« [9]
Zu Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz
twitterte US-Präsident Donald Trump: »Die Fake News (NY Times, NBC, ABC, CBS
und CNN) sind nicht meine Feinde, sondern Feinde des amerikanischen Volkes.«
Sie sind aber die Freunde des ›progressiven Neoliberalismus‹, den Trump bekämpft und den seine Wähler instinktiv ablehnen. ›In seiner
US-amerikanischen Form ist der progressive Neoliberalismus eine Allianz
zwischen einerseits tonangebenden Strömungen der neuen sozialen
Bewegungen (Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus sowie den Verfechtern
von LGBTQ-Rechten [10] und andererseits kommerziellen, oft
dienstleistungsbasierten Sektoren von hohem Symbolgehalt (Wall Street, Silicon
Valley, Hollywood)‹. [11] Es geht also nicht allein um eine Revolte
gegen das globale Finanzwesen.
Am 16. Februar, also einen Tag vor
Konferenzbeginn, hatte Trump auf seiner Pressekonferenz die Worte ›…. will kill me ….‹ fallen lassen. Bis
jetzt wurde jeder prominente Politiker, der den Weltfrieden anstrebte,
unschädlich gemacht. Eine Kugel für John F. Kennedy, eine für seinen Bruder
Robert und eine für Olof Palme, der ebenso mit Rußland Frieden wollte. Und nun steht Trump unter Beschuß. Es ist durchaus möglich, daß Donald Trump zum Frühlingsbeginn nicht mehr im Amt ist, das
Putschpotential ist immens. Dann könnten die USA vollends ins Chaos geraten.
Zur Sicherung der globalen Zukunft ist die privat organisierte Münchner
Sicherheitskonferenz also völlig ungeeignet. Sie dient vor allem den
zerstörerischen Aktivitäten einer unersättlichen Finanz- und Spekulationselite
und ihrer medialen Erfüllungsgehilfen.
[1] https://www.welt.de/newsticker/news1/article162186799/Merkel-will-keine-kleinliche-Diskussion-ueber-Militaerausgaben.html [2]
http://www.bild.de/politik/inland/muenchner-sicherheitskonferenz/russland-aussenminister-lawrow-auf-muenchener-sicherheitskonferenz-50493950.bild.html [3]
https://deutsch.rt.com/international/46670-lawrow-zeit-neue-weltordnung-eu-usa-sicherheitskonferenz/ Sergei Lawrow auf der Sicherheitskonferenz: »Die Zeit ist reif für neue
Weltordnung zum Wohle aller« [4] Ebenda [5]
https://www.youtube.com/watch?v=M7DPoLw0m7Y
Kabarettistin Lisa Fitz entlarvt die Münchner Sicherheitskonferenz [6] Vergl. dazu ZDF: ›Die Anstalt‹ vom 7. Februar 2017 ab Minute 31; Verstärkung der NATO-Ostflanke [7]
http://www.sueddeutsche.de/politik/cia-folter-in-polen-im-wald-des-schreckens-1.1593451 Klaus Brill, John Goetz und Frederik
Obermaier: ›CIA-Folter in Polen. Im Wald des Schreckens‹ vom 7. Februar
2013 [8]
https://www.youtube.com/watch?v=W5FRUM-AK9k Trump Full Press Conference (2/16/17) |
ABC News [9] http://www.bild.de/politik/inland/bild-kommentar/analyse-julian-reichelt-zur-muenchner-sicherheitskonferenz-50508262.bild.html [10]
Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender [11] Nancy Fraser: Für eine neue Linke oder: Das
Ende des progressiven Neoliberalismus; Blätter für deutsche und internationale
Politik unter https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/februar/fuer-eine-neue-linke-oder-das-ende-des-progressiven-neoliberalismus
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