Das Migrationsproblem 26.03.2017 20:59
In der Migrationskrise, schreibt Vera Lengsfeld, offenbaren sich nicht
nur die Schwächen und das Scheitern des
permissiven Staates, sondern auch die grassierenden Verständnis- und Erklärungsnöte
der Öffentlichkeit, denn die Feststellung des Historikers Rolf Peter Sieferle, ›Wohlstand für alle,
Grenzen für niemand‹ funktioniert nicht. Die unter dem Titel ›Das
Migrations-Problem – Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und
Masseneinwanderung‹ diesen Februar erschienene Schrift von Sieferle ist kurz vor seinem
Freitod beendet worden und kann als das Vermächtnis des Politikwissenschaftlers
und Soziologen angesehen werden.
»Sie entstand«, wie Lengsfeld ausführt, »unter dem unmittelbaren Eindruck der Masseneinwanderung, die nach
Kanzlerin Merkels unkontrollierter Grenzöffnung im Spätsommer 2015 begann. Nach
der Lektüre könnte man meinen, der Freitod Sieferles stünde in engem
Zusammenhang mit den deprimierenden Erkenntnissen, die er aus seiner ebenso
hellsichtigen wie überzeugenden Analyse gewonnen hat. Wer das Buch liest,
braucht Mut. Der Historiker beginnt mit einem kurzen historischen Abriß der Wanderungsbewegungen.
Emigration, so Sieferle, gibt es nicht, wenn die Not am
größten ist, sondern erst, nachdem sich die Situation zu verbessern beginnt.
In einer globalisierten Welt verlieren
die Geringverdiener, die mit zahlreichen anderen Arbeitskräften konkurrieren
müssen, während die Gewinner die Hochqualifizierten sind, die auf einem
globalen Arbeitsmarkt auf geringe Konkurrenz stoßen. Erstere sind die Förderer von multikulturellen Gesellschaften, die
die Nationalstaaten ablösen sollen. Übersehen wird von dieser Klientel, daß der Sozialstaat auf der Nationalökonomie beruht. ›Der Wohlfahrtsstaat beruht in seinem Kern auf Solidarität und Vertrauen
innerhalb eines politisch begrenzten, genau definierten Raums, nämlich des
Nationalstaats….. Ein globaler Sozialstaat ist eine Utopie‹.
Durch die Massenimmigration wird ein
auf die Dauer unhaltbarer Druck auf den Sozialstaat ausgeübt. ›Die deutschen
Sozialleistungen betrugen im Jahr 1991 395,5 Milliarden Euro. Bis 2015 sind sie
auf 888,2 Milliarden Euro gestiegen und haben sich mehr als verdoppelt. Die
Sozialleistungen sind in den letzten 25 Jahren mit einer höheren Rate als das
Wirtschaftswachstum gestiegen…….‹ Jedoch sind darin die Folgekosten der Masseneinwanderung 2015 noch
nicht enthalten.
Zusammenbruch des
Sozialstaates Früher oder später wird diese
Entwicklung den Zusammenbruch des Sozialstaates herbeiführen, zumal die Anzahl
der Leistungsträger sich immer mehr vermindert, auch durch Abwanderung. Am
logischen Ende dieses Prozesses könnte eine institutionelle Ordnung stehen, die
auf sozialstaatliche Leistungen verzichten und sich auf die Durchsetzung von
Rechtsstaatsprinzipien beschränken muß.
Das dies ohne erhebliche Proteste geschehen könnte, ist sehr unwahrscheinlich.
Vor diesem Hintergrund ist die Motivation derer, die eine unbeschränkte
Immigration fordern, unklar. Möglich sind schlichte Irrtümer oder eine gesinnungsethische
Ideologisierung bis hin zur beabsichtigten Auflösung der
ethnisch-kulturellen Identität der Völker zugunsten eines technokratischen
Vielvölkerstaates.
Die Politik der Masseneinwanderung und
damit die Transformation der traditionellen Bürgergesellschaften braucht ein starkes Narrativ als Legitimation. Diesen Zweck erfüllt die Legende, bei den
Einwanderern handle es sich Flüchtlinge, die Schutz vor Verfolgung suchten.
Dies hat den unschlagbaren Vorteil, daß
sich die aufnehmende Gesellschaft ein gutes Gewissen machen kann, weil sie
solidarisch und schutzbietend ist. Für die Linke hat der ›Flüchtling‹ darüber hinaus den ›Proletarier‹ als Heilsfigur ersetzt. Er wird
als passiv-leidend behandelt und Objekt der Betreuung von Asylinitiativen.
Die Hinwendung zu den ›armen‹ Flüchtlingen trat
von vornherein in leninistisch-paternalistischer Gestalt auf. Sieferle stellt
an dieser Stelle die Frage, ob der ›Jubel über die Massenimmigration von Muslimen nach Deutschland die
geheime Rache der Linken für den Zusammenbruch des Sozialismus‹ sei. Ich würde das
uneingeschränkt bejahen. ›Islamisten und Linke haben ja ein gemeinsames Feindbild: Amerika,
Israel, den Westen‹. Flüchtlinge sind aber keine passiven Opfer, sondern besitzen eine
eigene kulturelle Identität, die keinesfalls mit der ihrer Betreuer
übereinstimmt. ›Beim genaueren Hinsehen könnten die Linken …… ernüchternde Merkmale
beim Flüchtling entdecken: Frauenfeindlichkeit, Homophobie, autoritäres Gehabe,
Gewaltbereitschaft, Verweigerung von Mülltrennung und Energieeinsparung…..
Unter Maoisten findet sich bereits die Haltung, sie seien ›faschistische
Reaktionäre‹.
Demographische Krise? Ein zweites
Narrativ ist die angebliche demografische
Krise. Deutschlands Bevölkerung geht zurück: Eine Panik auslösende Botschaft
für alle, die wieder die Führung in Europa übernehmen wollen. Dabei hatte
Deutschland in seiner industriellen und wissenschaftlichen Blütezeit um 1900 in
einem wesentlich größeren Territorium ›nur‹ 60 Millionen Einwohner, in der Zeit Goethes und Humboldts sogar nur 20
Millionen. Ein demographischer Rückgang ist keineswegs eine Katastrophe,
sondern eine kluge Anpassung an die Situation. Da der berüchtigte ökologische
Fußabdruck der Europäer nach den Amerikanern der zweitgrößte ist, müßte eine
Selbstrücknahme der Europäer aus ökologischer Sicht eigentlich zu begrüßen
sein. Irrational ist es, möglichst vielen Menschen mittels Einwanderung die
viel zu großen ökologischen Fußabdrücke der Europäer verpassen zu wollen.
Ein drittes Narrativ ist der angebliche Fachkräftemangel, der durch Einwanderung
ausgeglichen werden müßte. Das ist in
Anbetracht hoher Jugendarbeitslosenzahlen in Europa absurd. Die stattfindende
Digitalisierung und Automatisierung der Produktion kann nur durch eine
Qualifizierungsoffensive bewältigt werden. In einer solchen Situation
massenhaft Analphabeten einwandern zu lassen, ist kontraproduktiv, weil das zu
einer Absenkung des Bildungsniveaus führt, was sogar von Politikern wie
Innenminister Thomas de Maizière gefordert wurde.
›Alle Dax-Konzerne zusammen haben bis Mitte 2016 gerade einmal 54
Migranten eingestellt. 70 % derer, die eine Ausbildung begonnen haben, haben
sie nach ein paar Monaten wieder abgebrochen… Die Bundesarbeitsministerin geht
schon davon aus, daß lediglich rund
10 % der Immigranten vermittelbar sind‹. Last but
not least: ›Je mehr Unqualifizierte ein Land
aufnimmt, desto geringer ist der Anreiz für ausländische Fachkräfte, in dieses
Land einzuwandern, und um so größer wird
der Anreiz für einheimische Fachkräfte, aus ihrem bisherigen Heimatland auszuwandern. Das eigentliche Motiv
für die Grenzöffnung, die Versorgung der Arbeitsmärkte …… wird durch genau
diese Grenzöffnung konterkariert‹. Das vierte Narrativ ist, Einwanderer beförderten
die Innovation. Dabei war die große Zeit der europäischen Innovationen des 18.
und 19. Jahrhunderts eine Zeit der kulturellen Homogenität der Nationalstaaten.
›In der Zeit der europäischen Pionierleistungen war
Europa vom Christentum und der Aufklärung geprägt. Und noch heute sind wirklich
multikulturelle Gesellschaften, etwa in Südamerika und auf dem indischen
Subkontinent, nicht für ihre Innovationskraft bekannt‹.
Den zweiten Teil seines Buches widmet
Sieferle den Motiven der Akteure. Der humanitäre Universalismus ist heute zur
dominanten Ideologie in den westlichen Ländern geworden, so wie die Eugenik die
dominante Ideologie der westlichen Welt vor dem Zweiten Weltkrieg war.
Zentrales Element ist das Postulat von der Gleichheit aller Menschen. Da dies
dem empirischen Befund, daß
Menschen von Natur aus ungleich sind, widerspricht, ist es Programm, die
Menschen einander anzugleichen. Da man die Dummen nicht gescheit machen kann,
muß man den
Begabten Hindernisse in den Weg legen. Das geschieht heute schon systematisch
in den staatlichen Bildungseinrichtungen, deren Niveau immer mehr gesenkt wird.
Auf politischer Ebene bedeutet das, daß es ein Volk nicht mehr geben darf, sondern nur
noch eine Bevölkerung in einem bevölkerten Raum, in dem es keine Regeln gibt.
Unsere Kanzlerin hat kürzlich bekräftigt:
›Das Volk ist jeder,
der in diesem Land lebt‹ und damit das Grundgesetz en passant für irrelevant erklärt. Diese
Haltung zielt auf die Abschaffung des (National)Staates und auf die
Installation einer Zentral-Despotie, die, wie die Geschichte zeigt, die einzige
Alternative zum Nationalstaat ist. Wir stehen kurz vor der Auflösung der
Bundesrepublik Deutschland, denn wenn dem Volk, wie Merkel es definiert, alle
Bürgerechte zugesprochen werden, einschließlich des aktiven und passiven
Wahlrechts, ist dies das Ende des Rechtsstaates.
Deutschlands ›Eliten‹ marschieren wieder
einmal an der Spitze des Zeitgeistes. Wie absurd die Gleichheitsreligion ist,
der unsere ›Eliten‹ huldigen, zeigt folgendes Beispiel: Der deutsche Sozialetat liegt bei
800 Milliarden € im Jahr, pro Person bei 10.000 €. Wollte man das auf die Welt
übertragen, käme man auf eine Summe von 75 Billionen €, also dem 25fachen des
deutschen BIP. Die Gleichmacherei ist also genauso wenig durchführbar, wie der
Sozialismus. Präsident Hollandes
eingeführte Reichensteuer von 75 % erbrachte 4 € pro Franzosen, ihr
eigentliches Ergebnis war die Schadenfreude über die Enteignung der Reichen. Es
hätte dieses Beispiels nicht bedurft, denn die Kommunisten haben bereits
bewiesen, daß die Enteignung der Reichen
lediglich zu Armut für alle führt.
Die
Gleichheitsideologie ist so radikal wie die kommunistische Sie erklären Zweifler oder Gegner zu ›Schädlingen‹, im Neusprech zu
Rassisten oder Nazis. Die einen landeten im Gulag, die anderen in der absoluten
sozialen Ächtung. Was Deutschland betrifft, ist die große Frage, wie ein Land
zum dritten Mal in hundert Jahren ›jede politische Vernunft, jeden Pragmatismus, jeden Common Sense über
Bord werfen‹ kann. Und auch noch glaubt, der Welt damit ein Beispiel zu geben! ›Wird Europa
deutsch? Das kennzeichnende Element des deutschen Denkens …. war der Selbsthaß…..deutsch sein heißt, an seiner Auflösung zu
arbeiten. Dies geschieht in der systematischen Vernichtung der Tradition‹. Jeder gebildete Europäer kannte die klassischen Texte und die Bibel.
Das ist vorbei. Das Bildungswesen ist auf die Aneignung von ›Kompetenzen‹ ausgerichtet. Es lehrt keine
Traditionen mehr, was zur Auslöschung des kulturellen Gedächtnisses führen wird. Ob die
Welt dem europäischen Sonderweg des kulturellen Verschwindens folgen wird, ist
mehr als zweifelhaft. China, Rußland, der islamische Raum und Japan werden es nicht tun.
Welche mögliche Zukunft hat Europa? Das
wahrscheinlichste Szenarium ist die Retribalisierung. Die Deutschen, die Franzosen,
die Schweden werden als Stamm den Stämmen der Einwanderer gegenüberstehen. Dann
haben wir eine Situation, in der täglich neu über die Modalitäten der
Koexistenz verhandelt werden muß.
Merkels Integrationsministerin Aydan Özoguz hat genau so ein Szenarium in einem
Strategiepapier vorgelegt.
Einen Trost gibt Sieferle den Lesern
mit: ›Vielleicht wirkt das europäische Beispiel als Warnung und Mahnung‹ für den Rest der
Welt. Dies könnte ein letzter wertvoller Beitrag Europas zur
Menschheitsgeschichte werden. Rolf Peter Sieferle schien dies ein sehr
schwacher Trost gewesen zu sein, denn er wählte 2016 den Freitod.«
Quelle: http://www.mmnews.de/index.php/wirtschaft/104016-sozialstaat-und-masseneinwanderung 25. 3. 17
Vera Lengsfeld
Rolf Peter
Sieferle ›Das Migrations-Problem‹ Erschienen
im Februar 2017 Verlag
Antaios - ›Die Werkreihe von
Tumul‹ ISBN
Nr. 978-3-944872-41-4 Taschenbuch € 16.-
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