»Deblockierung« mit Brüssel? - Kakophonie aus Bundesbern 23.04.2017 21:53
Frau Doris Leuthard, Bundespräsidentin, weilte kürzlich in Brüssel als Gast von
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Das Wichtigste an ihrem Besuch war offensichtlich der Fototermin. Jean-Claude Juncker - diesmal aufs Abküssen verzichtend - liess die strahlend in Rot auftretende Schweizer Bundespräsidentin verkünden: Das Verhältnis zwischen Bern und Brüssel sei »deblockiert«. Man könne mit den EU-Funktionären »auf technischer Ebene« jetzt wieder »über alles« sprechen und verhandeln.
Erfolg mit Einschränkungen Juncker,
milde lächelnd, bestätigte den vermeldeten Besuchserfolg. Allerdings schob er,
wenn auch in Nebensätzen, Bedingungen nach. Jene Bedingungen, welche der EU-Rat
im Februar dieses Jahres für weitere Gespräche zwischen der Schweiz und der EU
verbindlich beschlossen hat. Danach könne man tatsächlich ›über alles sprechen‹.
Damit aus Diskussionen aber auch verbindliche Beschlüsse resultieren könnten, müsse die
Schweiz die von Brüssel seit langem verlangte, von Bundesbern prinzipiell auch
akzeptierte ›institutionelle
Anbindung‹ der Schweiz an den
Brüsseler Beschlussfassungs-Mechanismus endlich ›formell beschliessen‹.
Erst dann kämen weitere bilaterale Vereinbarungen wieder in Frage. Dies stellte
Juncker klar und fügte flugs noch eine weitere Bedingung an, eine Bedingung,
welche der Schweizer Bundesrat in vorauseilendem Gehorsam eigentlich längst
schon akzeptiert hat: Eine weitere ›Kohäsions-Milliarde‹ aus Bern liegt als Hilfe für den weiteren
Aufbau weiterer EU-Mitgliedländer -
insbesondere im Osten - längst bereit. Wer
genauer hinhörte, registrierte allerdings: Juncker forderte nicht einfach eine
zusätzliche Milliarde. Er forderte vielmehr die Verstetigung schweizerischer
Beiträge an die EU. Die Schweiz solle - so
stellen es sich die Brüsseler Funktionäre vor -
fortan regelmässig hohe Beiträge leisten. Ganz so, als wäre sie eine
Kolonie, eine Untertanin Brüssels.
Die Neat - ein vergängliches Nichts? Wohl
wusste Frau Leuthard zu Brüssel in Erinnerung zu rufen, dass die Schweiz
kürzlich den Gotthard-Basistunnel einweihen konnte. Und dass die Neat
eigentlich ein von der Schweiz allein finanziertes Schlüsselbauwerk zugunsten
der Erleichterung des Handelsaustausches für ganz Europa darstelle, erwähnte
Frau Leuthard auch. Dass die Schweiz zugunsten eines Europa-Bauwerks um die 30 Milliarden Franken allein aufgewendet hat,
diese Tatsache angemessen hervorzustreichen scheute sich Frau Leuthard
allerdings. Herrn Juncker zusätzlich und nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass
unser Land angesichts solch grosser Leistung für Europa jede neue
Finanzforderung Brüssels als Zumutung betrachte, diese Feststellung zu treffen
fand Frau Leuthard den Mut in Brüssel freilich nicht. Offenbar gefallen sich
die aus der Schweiz so häufig nach Brüssel pilgernden Offiziellen in der Rolle
von Milchkühen, wie sie ihnen arrogante Funktionäre der Schuldenunion seit
Jahren zuzuordnen belieben.
Die
hiesigen Medien haben Frau Leuthard zunächst alle zu Brüssel verbreiteten
Erfolgsmeldungen bereitwillig aus der Hand gefressen. Nach und nach stellten
allerdings selbst die grössten Brüsselfans unter den Medienleuten fest, dass
Frau Leuthard zwar gefällige Worte anzubringen wusste, aber doch eigentlich mit
leeren Händen aus Brüssel zurückgekehrt ist. Die Milliarde, die zu Bern für die
EU bereitgelegt worden ist, wurde von Brüssel zwar pflichtschuldigst dankend
zur Kenntnis genommen. Aber die Berner Zahlungsbereitschaft wurde von Juncker
vor allem mit weiteren Forderungen quittiert.
Burkhalters ›Vorarbeit‹ Inzwischen
erfuhr man Weiteres zur bundesrätlichen Brüssel-Politik. Fakten, die selbst bei
eingefleischten EU-Turbos etwelches Staunen ausgelöst haben: Am Tag bevor Frau
Leuthard als Bundespräsidentin dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude
Juncker ihre Aufwartung machte, war bereits ein Kollege der Bundespräsidentin
nach Brüssel geeilt: Der für die Aussenpolitik zuständige Didier Burkhalter.
Äusserlich hat er die Notwendigkeit, sich eilends nach Brüssel zu begeben, mit
einer dort gerade stattfindenden Konferenz über die Lage im Bürgerkriegsland
Syrien begründet. Jene Journalisten, die zu seinem Brüsseler Tagesprogramm
etwas genauere Recherchen angestellt haben, brachten allerdings ans Tageslicht,
dass Herr Burkhalter ›nebenbei‹ noch eine andere Mission verfolgte: Ausserhalb
eines jeden Protokolls natürlich. Er scheint zwecks Beeinflussung jener
Antworten, denen an diesem Tag im Blick auf den Besuch von Frau Leuthard gerade
›der letzte Schliff‹ verpasst wurde, fleissig
antichambriert zu haben.
Was soll das Doppelspiel? Burkhalter
ist nicht nur EU-Turbo. Er hat sich offensichtlich das Ziel gesetzt, auf jeden
Fall noch zu seiner Amtszeit den von Brüssel geforderten Rahmenvertrag mit der
Schweiz vollumfänglich unter Dach und Fach zu bringen. Das ist jener Vertrag,
durch welchen die Schweiz zur automatischen Übernahme zahlloser wichtiger
Brüsseler Entscheide verpflichtet werden soll. Ausserdem hätte die Schweiz
damit den EU-Gerichtshof als unanfechtbare letzte Instanz bei
Meinungsverschiedenheiten zu Vertragsauslegungen zwischen Brüssel und Bern
anzuerkennen. Und im gleichen Vertrag soll die Schweiz Brüssel auch
ausdrücklich das Recht einräumen, gegen eine sich unbotmässig zeigende Schweiz
allenfalls gar Sanktionen, also Strafmassnahmen verfügen zu dürfen. Indem
Burkhalter der Schweiz solche Zugeständnisse zugunsten von Brüssel zumutet,
mutiert er immer rascher vom Aussenminister zum Ausverkaufs-Minister. Zwar wäre
eine Mehrheit im Bundesrat bereit, all diese Burkhalter-Medizin zu schlucken.
Das geht aus dem Vorvertrag mit Brüssel und aus dem zu Bern beschlossenen
Verhandlungsmandat zum Rahmenvertrag klar hervor. Aber die Bundesratsmehrheit
hält solche Zugeständnisse gegenwärtig für chancenlos in der Volksabstimmung: Deshalb
das seit Monaten anhaltende Zögern, den Entwurf zum Rahmenvertrag Parlament und
Volk endlich vorzulegen. Burkhalter bleibt allein, wenn er raschen
Vertragsabschluss fordert.
Der Versuch zum Überholmanöver Doch
Bundesrat Burkhalter scheint nicht länger warten zu wollen. Daraus erklärt sich
sein Antichambrieren zu Brüssel: Solange Brüssel stur an seinen Bedingungen
festhalte, gegenüber Bern also um keinen Millimeter nachgebe, hält er sich mit
den ihn unterstützenden EU-Turbos im Rücken für fähig, mit der Drohung auf
angeblich gefährdete Bilaterale die Schweiz schliesslich zum Einknicken vor
Brüssel verführen zu können.
Wie
reagiert Brüssel, wie reagiert Juncker auf eine Schweizer ›Verhandlungstaktik‹, in
welcher der zum Ausverkaufs-Minister mutierende Aussenminister mithilft, die
Bundespräsidentin mit ihren wohlgemeinten, eher zurückhaltend formulierten
Anliegen in Brüssel regelrecht abblitzen zu lassen?
Jean-Claude
Junckers mildes Lächeln zu Leuthards ›Erfolgsmeldungen‹ verriet eigentlich alles …..
Quelle: http://eu-no.ch/downloads/eu-no-newsletter-vom-20-april-2017_22£ EU
NO newsletter vom 20. 4. 17
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