Die geplante Zerschlagung des Föderalismus 17.06.2017 21:42
Die Schweiz-Abschaffer wagen eine neuen Anlauf. Flankiert von Schreibern der »Neuen Zürcher Zeitung«, lancieren Bundesfunktionäre neue Gedankenspiele,
wie überholt der historisch gewachsene Schweizer Föderalismus mittlerweile sei. Der kleinräumige Staatsaufbau mit 26 Kantonen sei nicht mehr zeitgemäss, die Koordination der kantonalen Gesetzgebungen zu aufwendig. Dafür wird ernsthaft ein neuer, radikal umwälzender Vorschlag vorgebracht: Eine Schweiz mit 12 Kantonen, bestehend aus Metropolitanräumen und alpinen Randregionen.
Ein brandgefährliches Unterfangen, das auf den
Müllhaufen der Geschichte gehört. Im «Raumkonzept Schweiz» - herausgegeben vom
Bund, der Konferenz der Kantonsregierungen, Städten und Gemeinden - werden auf
107 Seiten Ideen, Leitlinien und Analysen zur künftigen Gliederung der Schweiz
niedergeschrieben. Ein Papiertiger mehr, der zwar Unmengen an Steuergeldern
verschlingt, aber wenig neue Erkenntnisse bringt; nichts Neues also, könnte man
meinen. Doch das Papier beinhaltet Zündstoff.
Schimpfwort «Kantönligeist» In diesem Papier werden nämlich zwölf
Handlungsräume definiert, «in denen Mobilität, Wirtschaft und Gesellschaft eng
verflochten sind» und die sich, wie die Autoren behaupten, als neue Organisationseinheiten
bestens eignen würden. Zwar vermeiden es die Autoren tunlichst, diese
Handlungsräume als administrativen Ersatz für die Kantone einzufordern. Doch
die Stossrichtung ist unverkennbar: Hier wird geistige Vorarbeit geleistet, um
die Schweiz im Sinne einer neuen politischen Ordnung umzupflügen.
Die Masche ist alt und allseits bekannt. Die
Schweiz mit ihren 26 Kantonen, 148 Bezirken und derzeit 2.255 Gemeinden habe
unzählige verschiedene Regelungen, unterschiedliche Schulferien, Lehrpläne,
Steuerfüsse und Gesetze, was das Leben -
fragt sich nur, für wen - ›verkompliziere‹.
«Kantönligeist» nennt sich der abwertende Kampfbegriff, mit dem unsere
kleinräumige Landesstruktur meist von alles gleichschalten wollenden
Funktionären immer wieder beklagt und belächelt wird. So plädierte der Think Tank
›Avenir Suisse‹ schon
vor etwa 10 Jahren für eine Neugliederung der Schweiz. Damals war es die grosse
›Vision‹, die
Schweiz in fünf bis sieben Metropolitanräume aufzuspalten.
Doch auch mit der neustrukturierten ›Metropolitan-Schweiz‹, wie
sie nun das «Raumkonzept Schweiz» andenkt, würde unser Land radikal umgewälzt
werden. Das grösste Neu-Konstrukt wäre der ›Metropolitanraum
Zürich›, der die Kantone Zürich,
Schaffhausen, Zug, Glarus sowie Teile des Thurgaus, von St. Gallen, Aargau,
Luzern und Schwyz umfassen würde. Das zweitgrösste Gebiet nach Einwohnern wäre
die ›Hauptstadtregion Schweiz›: Sie würde 1,03 Millionen Menschen beherbergen und
den heutigen Kanton Bern sowie Teile von Solothurn, Neuenburg, Freiburg und der
Waadt umfassen.
Radikale Umwälzung Die Gründe, die für eine zentralisierte Schweiz ins
Feld geführt werden, wiederholen sich seit einigen Jahren immer wieder. Im
Leben der Bürger spielten Gemeinde- und Kantonsgrenzen immer weniger eine
Rolle. Man pendelt zur Arbeit in andere Kantone oder geht in den Verein des
Nachbardorfs. Die grossen Ballungsräume hätten nicht das politische Gewicht,
das ihnen aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung und Bevölkerungsanzahl
zustehe, da die kleinen Kantone mit dem Zweikammersystem und dem Ständemehr bei
Volksabstimmungen stärker gestellt seien. So die Argumente derjenigen, welche
den Schweizer Föderalismus ›reformieren‹ wollen, dies durch staatlich geförderte
Gemeindefusionen und eine als gesetzliche ›Harmonisierung‹ getarnte Gleichschaltung, indem immer mehr
Kompetenzen auf den Bund übertragen werden. Doch sind das wirklich Faktoren,
welche ›matchentscheidend‹ sind? Würde die Schweiz durch die Abschaffung der
Kantone, wie wir sie kennen, wirklich besser fahren? War nicht gerade die
föderalistische, subsidiäre Gliederung der Schweiz ein Garant dafür, dass sich
unser Land in Wohlstand entwickeln konnte?
Erfolgsgarant Föderalismus Es mutet in der Tat seltsam an, dass es in
Anbetracht der seit Jahren anhaltenden Systemkrise zentralistischer Gebilde in
Europa tatsächlich noch Stimmen gibt, welche genau die Standortvorteile, welche
die Schweiz gegenüber der Konkurrenz auszeichnen, beseitigen wollen. Es sind
gerade die Kleinräumigkeit, die bürgernahen Entscheidungswege, der
Steuerwettbewerb, welche die Schweiz für so viele Unternehmen, aber auch für
nach Lebensqualität strebende Bürger attraktiv macht. Höchstens für einige
Politiker und nach Macht gierende Funktionäre in den Verwaltungen mag die
föderalistische Schweiz ein Hemmschuh sein, da er allzu krasse Machtballung
verunmöglicht oder zumindest erschwert.
Hinzu kommt, dass all die auf Papier entworfenen,
mit grossen Ankündigungen bereits in die Tat umgesetzten Zentralisierungsprojekte
in der Realität grandios gescheitert sind. Wie die SRF-›Rundschau‹ am 14.
Dezember 2016 berichtete, lässt sich anhand von 160 untersuchten
Gemeindefusionen, die seit der Jahrtausendwende beschlossen und umgesetzt
worden sind, erstmals wissenschaftlich belegen, dass diese zu keinerlei
Kosteneinsparungen geführt haben. Denn klar ist: Je grösser eine Gemeinde, desto
grösser das Aufgabengebiet und desto mehr Personal muss zusätzlich angestellt
werden.
Aus der Vergangenheit lernen Bei kleinen Gemeinden steht der sparsame Umgang mit
den Mitteln im Zentrum. In grösseren, weniger überschaubaren Gebilden, fällt
der einzelne Kostenpunkt im Budget weniger ins Gewicht. Die direkte
Betroffenheit nimmt ab. Was früher oft auf ehrenamtlicher Basis passierte, muss
in fusionierten Gross-Gemeinden durch teuer bezahlte Funktionäre verrichtet
werden. Bürokratische Strukturen, die es in einer Gemeinde mit tausend
Einwohnern nicht brauchte, sind bei einer Einwohnerzahl von 4.000 Pflicht. Ein
hierfür klassisches Beispiel eines Kostenträgers ist die ausserschulische
Jugendarbeit. Ganz zu schweigen vom Identitätsverlust und den
demokratiepolitischen Defiziten, welche Zusammenschlüsse kleinerer politischer
Einheiten bewirken, seien es Kantone oder Gemeinden. In fusionierten Gebilden
bestimmen weniger Leute über mehr. Der Einzelne verliert an Stimmkraft, was
sich vielerorts anhand drastisch sinkenden Stimmbeteiligungen nachweisen liess.
Egal ob heute oder morgen: Finger weg von unserem
Föderalismus!
Quelle: https://schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/die_geplante_zerschlagung_des_foederalismus-3132 Freitags-Kommentar vom 16. Juni 2017 von Anian Liebrand, Redaktion «Schweizerzeit»
|