In der neuen Studie wird die gleiche Methode
angewendet wie bereits in der Studie über die Bilateralen I: Der Nutzen aus dem
Schengen-Abkommen wird stark übertrieben, die Kosten daraus werden im über 160
Seiten langen Bericht dagegen auf gerade einmal 2 Seiten abgehandelt. Dabei
wird nur auf die direkten Kosten aus den Beitragszahlungen
eingegangen. Die indirekten negativen Auswirkungen, etwa infolge des
angestiegenen Kriminaltourismus aufgrund der fehlenden Grenzkontrollen oder
auch die Kosten der zusätzlichen Administration und Bürokratie beim Bund oder
die Kosten und Auswirkungen auf die Kantone werden überhaupt nicht
berücksichtigt. Insgesamt entsteht durch die einseitige Darstellung der
Eindruck, dass die Schweiz ohne das Abkommen an den Rand des Ruins getrieben
würde: »……bei einer für die Schweiz ungünstigen Umsetzung ein hohes ›Schädigungspotential‹ bis zu
einem Pro-Kopf-Konsumverlust von -3.2 %, einem (jährlichen) Einkommensverlust
von durchschnittlich 1'600 CHF pro Kopf der Schweizer Bevölkerung oder ein um
bis zu -3.7 % tieferes Bruttoinlandsprodukt.«
Der kostensparende Effekt aus den
Dublin-Überstellungen wird auf jährlich 353 bis 1.332 Millionen Franken
geschätzt. Da die Rücküberführungen der Asylsuchenden 2016 aber nur in knapp 14
% der Fälle wirklich funktionierten, würde
das bedeuten, dass die übrigen in der Schweiz verbleibenden Fälle im
Asylbereich jährliche Kosten von bis zu über 9 Milliarden Franken verursachen
würden. Die Absurdität der Ecoplan-Schätzung liegt daher auf der Hand.
Die Anzahl zusätzlicher Zweitgesuche - Gesuche, die parallel zum Antrag im
Dublinraum in der Schweiz gestellt werden -
wird im Bericht bei einem Wegfall des Abkommens als ›die grosse Unbekannte‹
heraufbeschworen. Ignoriert wird, dass die Schweiz ohne Schengen/Dublin wieder
systematische Grenzkontrollen einführen könnte und daher nicht länger auf die
Sicherung der EU-Aussengrenzen angewiesen wäre, die sich in der Migrationskrise
als äusserst mangelhaft herausgestellt hat. Ebenfalls könnte die Schweiz auch
gewisse Schengen-Visa eigenständig akzeptieren. Sie müsste in diesem Bereich
aber nicht mehr automatisch und zwingend alle EU-Bestimmungen übernehmen.
Generell gilt: Wenn wir die Grenzsicherung wieder in die eigene Hand nehmen
könnten, läge es auch an uns, zu bestimmen, wer in die Schweiz
kommen darf und wer nicht. Um das Versäumnis von Ecoplan und der am Bericht
beteiligten Bundesbehörden nachzuholen, wird die SVP-Fraktion in der
Frühlingssession vom Bundesrat erneut eine Vollkostenrechnung für das
Schengen/Dublin-Abkommen verlangen. Von den im Vorfeld zur Schengen-Abstimmung
prophezeiten 8 Millionen Franken ist man heute auf jeden Fall meilenweit
entfernt. Schon im Jahr 2010 hat die SVP Bilanz gezogen und konnte Kosten von
185 Millionen nachweisen. 2010 waren es erst 112 Weiterentwicklungen, heute
über 200 Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes. Aufgrund dieser
Weiterentwicklungen sowie der praktisch fehlenden Umsetzung der
Dublin-Vereinbarungen dürften sich diese Kosten mittlerweile vervielfacht
haben. [1]
Wenn jemand die Schweiz isoliert, dann das
Bundesgericht
schreibt Nationalrat Claudio Zanetti im
Zusammenhang mit dem kürzlich vom britischen Unterhaus beschlossenen
Brexit-Gesetz. ›Newsnet‹, das zahlreiche Online-Plattformen von
Medienhäusern mit ›News‹ oder dem, was sie dafür halten, versorgt, posaunte
in die Welt hinaus: »EU-Recht nicht mehr vor
nationalem Recht«. Nur, was das Herz eines
jeden auf Freiheit und Unabhängigkeit bedachten Schweizers höher schlagen
lässt, stimmt so nicht: Auf die Idee, EU-Recht, oder ganz generell: sogenanntes
Völkerrecht, über das nationale Recht zu stellen, ist eine so stolze Nation wie
die britische gar nie gekommen.
Richter mit Untertanengesinnung, die das eigene
Land der Willkür Dritter unterwerfen wollen [was nach unserem Zivilrecht als sittenwidrig
und damit als nichtig betrachtet würde] hätten
in jedem normalen Land der Welt einen schweren Stand. Nicht einmal die EU
selbst, vor der sich einige Bundesrichter in den Staub werfen, akzeptiert
blind, was das Etikett Völkerrecht trägt. So untersagte der EU-Gerichtshof den
Beitritt zur Menschenrechtskonvention (EMRK), weil er nicht daran denkt,
Kompetenzen abzugeben. Der EuGH akzeptiert also keine fremden Richter.
Die Schweiz wird als treuer Vertragspartner
weltweit geschätzt. Ihre Vertragstreue steht ausser Zweifel. Als souveräner
Staat müssen wir jedoch auf unserem Recht beharren, weiterhin eigene Wege
beschreiten zu können. Im sogenannten Schubert-Urteil vom 2. März 1973 sprach
sich das Bundesgericht zwar für einen grundsätzlichen Vorrang des Völkerrechts
aus, stellte dabei aber folgenden Grundsatz auf: Besteht zwischen einem
(älteren) Staatsvertrag und einem (jüngeren) Bundesgesetz ein Widerspruch, so
ist das Bundesgericht ausnahmsweise an das Bundesgesetz gebunden, wenn der
Gesetzgeber beim Erlass des Bundesgesetzes bewusst in Kauf genommen hat, dass
das von ihm erlassene Landesrecht dem Völkerrecht widerspricht. Das muss
natürlich erst recht für Volksinitiativen gelten. Leider brach das
Bundesgericht 2012 mit der Schubert-Praxis und ist nun der Auffassung, dass die
Schweizerische Bundesverfassung im Besonderen und unser Landesrecht im
Allgemeinen dem sogenannten Völkerrecht generell untergeordnet sei.
Deutschland bekräftigt Schweizer Schubert-Praxis
Mit dieser Haltung steht die Schweiz aber allein
auf weiter Flur. Auch Deutschland übernimmt nicht einfach automatisch alles,
was aus Brüssel kommt. Es ist sogar eine der wichtigsten Aufgaben des
Verfassungsgerichts, die Wahrung der Souveränität zu garantieren. Gerade
kürzlich hat es in ›Leitsätzen
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015‹ klargestellt, »dass
völkerrechtlichen Verträgen, […] innerstaatlich der Rang eines einfachen
(Bundes-)Gesetzes zukommt«. Und weiter führt
das Gericht aus: »Spätere Gesetzgeber müssen - entsprechend dem durch
die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes - innerhalb der vom
Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber
revidieren können.« Ein Staat, der mit einem
anderen Staat oder mit mehreren Staaten einen Vertrag eingeht, verzichtet damit
nicht auf seine Souveränität. Die Karlsruher Richter widersprechen damit klar
dem Rechtsverständnis unseres Bundesgerichts.
Gewiss: Verträge sind einzuhalten. Wer einen
Vertrag eingeht, schränkt sich in gewisser Weise - freiwillig und in vollem Bewusstsein der
Konsequenzen - in seinen eigenen Rechten
ein. Das ist das Normalste auf der Welt. Ebenso selbstverständlich ist, dass
die Verletzung vertraglicher Vereinbarungen Folgen hat. Vertragstreue ist eine
Frage der Ehre. Doch es gibt auch Fälle, in denen es ehrlos wäre, einen Vertrag
nicht zu ändern oder zu kündigen.
[1] Medienmitteilung
der SVP Schweiz vom 22. Februar 2018
[2] Medienmitteilung
SVP Schweiz 13. 2. 18
Claudio Zanetti ist Nationalrat von Gossau (ZH)