Die Gedenkfeierlichkeiten zum D-Day

d.a. Anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Landung

der Alliierten in der Normandie waren Donald Trump, Emmanuel Macron und Angela Merkel von Königin Elizabeth II in Portsmouth empfangen worden. Wer fehlte, war Russlands Präsident Wladimir Putin; es waren auch sonst keine Vertreter Russlands anwesend, auch keine aus Weissrussland oder der Ukraine, aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, deren Völker mit ihren Opfern die Landung an der französischen Atlantikküste überhaupt erst ermöglicht hatten. Vor fünf Jahren war das noch anders gewesen.

So hatte die französische Tageszeitung Le Figaro ihre Leser gefragt, ob es nicht erforderlich gewesen wäre, Putin zum D-Day einzuladen; die Umfrage, an der mehr als 45.000 Leser teilnahmen, ergab, dass 81 % der Abstimmenden der Meinung waren, dass eine solche erfolgen sollen hätte.  [1]

Auf US-Seite liess sich Karl Qualls, Professor für Geschichte am Dickinson College im US-Bundesstaat Pennsylvania, der sich mit der Geschichte Russlands, Deutschlands und Osteuropas beschäftigt, wie folgt vernehmen: Am 5. Juni schrieb er zu dem Anlass auf seinem Twitter-Account: »Als Historiker, der sich mit Russland beschäftigt, bin ich übersättigt mit all diesem D-Day-Hype«. Die sowjetische Armee habe mehr als jeder andere Staat für den Sieg über die Nazis getan, legt er in seinen Kommentaren dar. Die Alliierten landeten am 6. Juni 1944 in der Normandie und eröffneten eine zweite, westliche Front gegen Nazi-Deutschland. »Das war die grösste Landungsoperation in der Geschichte der Menschheit. Die grössten Verluste musste die deutsche Armee jedoch in der Ostfront erleiden; die Rote Armee vernichtete 607 Divisionen des Gegners. Deutschland und seine Verbündeten verloren an der Ostfront mehr als 8,5 Millionen Menschen sowie 75 % der Waffen und Militärtechnik, während die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg etwa 27 Millionen Menschen verlor«.  [2]

Der 75. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie und der Eröffnung einer zweiten Front, vermerkt Natalia Pawlowa auf sputniknews, wird von Historikern als entscheidendes Ereignis bezeichnet. Gewiss spielte die Landung der Alliierten eine wichtige Rolle beim Gesamtsieg der Anti-Hitler-Koalition über Nazi-Deutschland und seinen Verbündeten; die Hauptfront des Zweiten Weltkriegs blieb jedoch weiterhin die sowjetisch-deutsche, wo sich die deutschen Kräfte am stärksten konzentrierten. Laut dem Militärhistoriker und Experte der Militärakademie des russischen Generalstabs, Witali Bogdanow, hatte Stalin die Frage über die Eröffnung einer zweiten Front schon 1941 an Roosevelt und Churchill gestellt, obwohl die Anti-Hitler-Koalition erst 1942 zustande kam. Die Alliierten haben jedoch ihre eigenen geopolitischen Interessen verfolgt und die Entscheidung bis 1944 hinausgezögert. Im Westen seien damals die Befürchtungen laut geworden, dass die Sowjetunion zu stark aus dem Krieg herauskäme und Roosevelt habe gewarnt, dass die Sowjetunion den Krieg ohne den Westen gewinnen könnte. Das US-Journal für Industrielle und Bankiers habe am 22. Januar 1944 Folgendes geschrieben: »Falls die Rote Armee früher nach Deutschland kommt, bevor die zweite Front eröffnet wird, wird die Sowjetunion ohne Zweifel die Zukunft Deutschlands und der ganzen Nachkriegswelt bestimmen. Die USA werden die zweite Geige spielen. Wenn die Westmächte die Eröffnung der zweiten Front hinauszögern, begehen sie einen Fehler, für den sie noch lange bezahlen werden müssen«. Laut Bogdanow war die Sowjetunion für den Sieg prädestiniert: Ihre Wirtschaft war bereits auf den Krieg umgestellt worden, während die Kriegswirtschaft Deutschlands relativ schnell völlig ausgeschöpft gewesen sei. Wie es ferner heisst, möchte Bogdanow hierdurch die Bedeutung der normannischen Operation herabstufen.  [3]

In einem Gastbeitrag des russischen Aussenministers Sergei Lawrow, den das International Affairs Magazine unter dem Titel Der Zweite Weltkrieg und die Verdrehungen des Westens veröffentlichte, geht dieser mit dem Geschichtsrevisionismus der westlichen Staaten gegenüber Russland hart ins Gericht. »Für mich als Vertreter der ersten Nachkriegsgeneration, die mit den  Erzählungen der Frontheimkehrer und den Familiengeschichten über den Krieg groß geworden ist«, legt Lawrow unter anderem dar, »sind die Antworten auf diese Fragen klar. Die Völker der Sowjetunion und anderer Länder waren zum Objekt der menschenfeindlichen nazistischen Ideologie und danach Opfer einer Aggression durch die mächtigste, am besten organisierte und höchstmotivierte Militärmaschinerie jener Zeit geworden. Es war die Sowjetunion, die durch kolossale Opfer den entscheidenden Beitrag zur Zerschlagung von Hitler-Deutschland leistete und Europa gemeinsam mit den Alliierten von der Nazipest befreite. Der Sieg legte das Fundament für die Nachkriegs-Weltordnung, die auf kollektiver Sicherheit und Zusammenarbeit zwischen den Staaten beruhte, und öffnete den Weg zur Gründung der UNO. So sind die Tatsachen. Jene, die uns mit Mißgunst ansehen, wollen die Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg herabsetzen. Wenn sie die UdSSR auch nicht als Hauptschuldigen am Krieg darstellen, so doch als Aggressor auf gleicher Ebene mit Nazi-Deutschland, und sie bringen immer wieder Thesen über die gleiche Verantwortung an die  Oberfläche. Die nazistische Besatzung, die unzählige Leben gekostet hat, die Verbrechen der Kollaborateure und die Befreiungsmission der Roten Armee werden auf zynische Weise gleichgesetzt.  

Das Nürnberger Tribunal, dessen Entscheidungen ein unabdingbarer Teil des Völkerrechts geworden sind, hat klar bestimmt, wer auf der Seite des Guten und wer auf der Seite des Bösen stand. Im ersten Fall ist das die Sowjetunion, die Millionen Leben ihrer Söhne und Töchter auf dem Altar des Sieges niederlegte, sowie die anderen Teilnehmerstaaten der Anti-Hitler-Koalition. Im zweiten Fall sind das das Dritte Reich, die Länder der Achsen-Mächte und deren Helfer, unter anderem auch in den besetzten Gebieten. Doch in das westliche Bildungssystem werden falsche Deutungen der Geschichte eingeschoben. Da finden neuerlich Mystifizierungen und pseudo-historische Theorien, die die Heldentaten unserer Vorfahren herabsetzen sollen, Verbreitung. Die Jugendlichen werden davon  überzeugt, dass die wichtigste Leistung zum Sieg über den Faschismus und zur Befreiung Europas nicht den sowjetischen Truppen, sondern dem Westen gehöre, dies dank der Landung in der Normandie.

Wir ehren den Beitrag aller Verbündeten in jenem Krieg und betrachten die Versuche, einen Keil zwischen uns zu treiben, als schändlich. Doch mögen sich die Geschichtsfälscher noch soviel Mühe geben: Das Feuer der Wahrheit ist nicht zu löschen. Es waren die Völker der Sowjetunion, die dem Dritten Reich das Rückgrat brachen. Das ist Tatsache. Wenige trauten sich, die entscheidende Rolle der Sowjetunion an unserem gemeinsamen Sieg und die Autorität, die unser Land in der Nachkriegszeit hatte, in Frage zu stellen. Und das hatten auch unsere westlichen Verbündeten ohne Vorbehalt anerkannt. Niemand anderer als sie selbst initiierte übrigens die Aufteilung Europas in Verantwortungszonen, und das erst 1944, als Winston Churchill bei den Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Sowjetunion Josef Stalin die Frage danach stellte.

Bei den feierlichen Veranstaltungen zum Tag des Sieges haben wir in diesem Jahr noch einmal allen gesagt, die es hören wollen: »Ja, wir sind bereit, genauso entschieden wie unsere Vorfahren, jedem Aggressor entgegenzutreten. Doch die Russen wollen keinen Krieg, keine Wiederholung der Schrecken und Leiden«. Die historische Mission unseres Volkes ist es, den Frieden zu schützen. Jenen Frieden, den wir bewahren wollen. Deswegen reichen wir allen die Hand, die gute Partner sein wollen. Die westlichen Kollegen haben seit langem unsere Vorschläge, die realistische Wege zur Überwindung der Konfrontation eröffnen und eine zuverlässige Abwehr gegen alle schaffen können, die die Möglichkeit eines Atomkriegs zulassen, bekommen. Diese sind im Mai dieses Jahres durch den Appell der Mitgliedsstaaten des Vertrags über kollektive Sicherheit an die Nordatlantische Allianz bekräftigt worden; und dieser fordert, einen professionellen entpolitisierten Dialog unter Fachleuten über die strategische Stabilität zu beginnen«.  [4]

Der jetzt gefeierte 75. Jahrestag, führt Andreas Richter aus, »bietet einige   Besonderheiten. Die alljährliche Frage, wer denn den Zweiten Weltkrieg entschieden und das faschistische Deutschland besiegt habe, wird implizit mit immer lauterer Vollmundigkeit beantwortet: Natürlich die West-Alliierten, allen voran die US-Amerikaner und die Briten. Ein Blick auf die historischen Tatsachen entlarvt diese Darstellung als Märchenstunde für die Nachkriegsgenerationen. Nur zur Erinnerung: Der Großteil der Divisionen der Wehrmacht kämpfte an der Ostfront, vier von fünf gefallenen deutschen Soldaten starben im Osten. In entgegengesetzter Richtung trugen bei der Verteidigung ihrer Heimat und letztendlich der Befreiung Europas die Völker der Sowjetunion die Hauptlast des Krieges, was sich auch an der Zahl ihrer Todesopfer zeigt, der militärischen wie der zivilen. Es schmälert keineswegs die Anerkennung des Einsatzes und der Opfer der westalliierten Soldaten, darauf hinzuweisen, dass der Krieg vor Moskau, in Stalingrad und am Kursker Bogen seine entscheidende Wendung nahm, also weder in Nordafrika, noch auf Sizilien oder in der Normandie und dass es somit die Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte durch die Rote Armee war, die der Wehrmacht das Rückgrat brach und nicht die Landung der Westalliierten in Frankreich. Der großen Mehrheit der Europäer waren diese Tatsachen unmittelbar nach dem Krieg vollkommen bewußt, jedoch führte eine jahrzehntelange Indoktrination zu einem Wandel in dieser Wahrnehmung. Inszenierungen wie die am Mittwoch dienen letztlich dazu, gegenwärtige politische Allianzen zu rechtfertigen und zu legitimieren. Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Problematisch wird es, wenn die Geschichte für derartige Zwecke schamlos verbogen wird und der wichtigste frühere Hauptverbündete der Anti-Hitler-Koalition aus heute politisch opportunen Gründen aus der Geschichte quasi wegretuschiert werden soll«.  [5]

Die postsowjetischen Völker haben auch laut Alexander Neu, dem MdB der Partei Die Linke, im Zweiten Weltkrieg eine Heldentat geleistet. Als einer von wenigen deutschen Politikern war er Mitte Mai zu den Feierlichkeiten nach Moskau gekommen, wo der Sieg über den Faschismus gefeiert wurde. Die Teilnahme an der Militärparade Unsterbliches Regiment, einem feierlichen Gedenkmarsch, sei sein persönlicher Höhepunkt gewesen. Die erste dieser Siegesparaden war übrigens noch im Mai 1945 abgehalten worden. Die Parade selbst hat, wie Neu erklärt, aus seiner Sicht drei Funktionen: »Erstens drückt diese die Dankbarkeit gegenüber den Veteranen aus, was am wichtigsten ist. Zweitens zeigt sie nach innen, dass die russische Armee stark ist und Rußland kein Opfer einer Aggression sein wird. Drittens wird gegenüber der Welt indirekt gesagt, dass der Preis eines Angriffs auf Rußland zu hoch wäre«. Und wie er ferner sagt, »hat Deutschland kein Recht, von oben herab auf Rußland zu schauen«. Und doch wird Rußland von manchen Leitmedien genau für seine Feierkultur im Sieg über den Faschismus kritisiert. Es seien lediglich Muskelspiele, läßt sich oft hören; das moralische Recht Rußlands auf den Sieg wird ab und zu bestritten. Hingegen verweist auch Alexander Neu darauf, dass die postsowjetischen Völker mit 27 Millionen Kriegsopfern den Hitler-Faschismus weitaus mehr als die USA, Großbritannien oder Frankreich niedergeschlagen hätten und daher das gute Recht haben, den Tag des Sieges zu feiern.  [6]

Kritik
Roger Cohen, ein Autor der New York Times, hat den Auftritt von Präsident Donald Trump bei den Gedenkfeierlichkeiten zum D-Day einer harten Kritik unterzogen. Er findet die Anwesenheit von Trump,
»Vietnam-Drückeberger,   Umschwärmer von Autokraten, Möchtegernzerstörer der Europäischen Union, Zahlungseinforderer der NATO, Apologet der weißer Rassisten von Charlottesville« beleidigend und unangebracht. Der Besuch eines Vertreters der Vereinigten Staaten sollte den Erfolg der transatlantischen Beziehungen und die kontinuierliche Beziehung zwischen den Ländern, denen es gemeinsam gelungen war, die Schlacht um die Normandie zu gewinnen, repräsentieren. Für Donald Trump, behauptet der Autor indessen, sei das heute alles Schall und Rauch. »Wie klein er ist!«, so Cohen, »klein im Geist, in Mut, in Würde und in der Staatskunst - dieser amerikanische Präsident, der nichts über Geschichte weiß und sich noch weniger um diese sorgt, und der nun mit seiner Familie im Schlepptau Europa dominiert - wie ein Westentaschendiktator mit einem verängstigten Gefolge«.  [7]

Kritik hat sich auch die deutsche Bundeskanzlerin zugezogen. Dem Bericht von Wolfgang Hübner - Merkels Egotrip zu Lasten Deutschlands - zufolge kann, wer immer die Szenen der letzten kurzen Zusammenkunft zwischen Merkel und dem US-Präsidenten anlässlich der Feier des 75. Jahrestags der alliierten Invasion in der Normandie gesehen hat, keinen Zweifel mehr daran hegen, wie sehr das Verhältnis zwischen beiden Politikern gestört ist. Trump war noch nicht einmal zu dem obligatorischen Händedruck für die Öffentlichkeit bereit. Merkel reagierte sichtlich unsicher und irritiert, kann sich aber nicht wirklich über Trumps Verhalten gewundert haben. Denn der US-Präsident hatte sicherlich nicht vergessen, dass ihm die Bundeskanzlerin ausgerechnet in den USA und ausgerechnet vor Tausenden seiner politischen Gegner anlässlich der Verleihung einer weiteren Ehrendoktorwürde an der Harvard-Universität den Fehdehandschuh hingeworfen hatte. In dieser Rede hatte sie sich scharf von der Politik Trumps distanziert. Nun müssen deutsche Bundeskanzler keineswegs alles gut finden, was amerikanische Präsidenten sagen und tun. Aber es ist eine ebenso dumme wie grössenwahnsinnige Provokation, dies ausgerechnet zur Freude und unter dem Beifall und Jubel derer zu tun, die den demokratisch gewählten Trump lieber heute als morgen aus seinem Amt gejagt sehen würden. Immerhin sind die USA der mit Abstand mächtigste militärische Verbündete des faktisch wehrunfähigen heutigen Deutschlands sowie sein bedeutender, unverzichtbarer Handelspartner.

Die Kanzlerin bricht erneut ihren Amtseid, wenn sie mit ihrem selbstherrlichen Egotrip ihrem eigenen Land und dessen Bürger massiv schadet. Es zeigt das ganze Elend der deutschen Politik und der deutschen Medien, dass bis auf ein sehr kritisches FAZ-Feuilleton mit dem Titel Festgemauert in den Phrasen kein Sturm der Entrüstung über diese kurzsichtige Schädigung deutscher Interessen erfolgte.  [8] 


[1]  https://de.sputniknews.com/politik/20190605325157516-franzoesisches-blatt-fragt-haette-man-putin-zum-d-day-einladen-sollen--so-antwortet-die-mehrheit/   5. 6. 19

[2]  https://de.sputniknews.com/politik/20190604325143809-usa-d-day-hype-rolle-rote-armee-geschichte/   4. 6. 19

[3]  https://de.sputniknews.com/gesellschaft/20190605325153621-zweite-front-fruehere-befreiung-europas-war-moeglich/  5. 6. 19

[4]  https://deutsch.rt.com/meinung/88930-gastbeitrag-von-sergei-lawrow-uber/  6. 6. 19   Gastbeitrag von Sergei Lawrow  

[5]  https://deutsch.rt.com/europa/88943-geschichtsklitterung-rund-ums-d-day/
6. 6. 19  Wir sind die Guten: Geschichtsklitterung rund ums D-Day-Gedenken - Von  Andreas Richter

[6]  https://de.sputniknews.com/politik/20190513324954852-mdb-alexander-neu-in-moskau-deutschland-hat-kein-recht-von-oben-auf-russland-zu-schauen/
13. 5. 19

[7]  https://de.sputniknews.com/politik/20190606325161251-wie-ein-westentaschendiktator--new-york-times-teilt-gegen-trump-aus/ 
6. 6. 19

[8]  http://www.pi-news.net/2019/06/merkels-egotrip-zu-lasten-deutschlands/
6. 6. 19  Wolfgang Hübner