»Die Konzernverantwortungsinitiative« - Gute Ziele, falsche Mittel - Von Christoph Rohner und Robert Nef 25.10.2020 18:45
Eine verantwortungsbewusste Evaluation dieser Initiative, die für schweizerische Unternehmen
für Geschehnisse im Ausland ein neues Haftungsregime »zum Schutz von Mensch und Umwelt« schaffen will, ist allein schon deswegen erforderlich, da in der Politik nicht alles Gutgemeinte automatisch auch gut ist. Vor allem bei dieser Initiative gibt es gute Gründe, die Frage nach möglichen Folgen und Nebenfolgen zu stellen, die ein Nein nahelegen, das ebenfalls ethisch begründet ist. So sollen alle Unternehmen in der Schweiz, nicht nur Konzerne, für das Verhalten ihrer Auslandsniederlassungen und der von ihnen ›kontrollierten‹ Zulieferer zur Verantwortung gezogen werden können. Dabei muss
nicht ihnen ein Haftungsgrund nachgewiesen werden: Vielmehr haften sie, wenn
sie nicht beweisen können, dass sie ›alle gebotene Sorgfalt‹ zur
Vermeidung entsprechender Rechtsverletzungen vorgekehrt haben [es handelt sich hier um die sogenannte
Beweislastumkehr].
Wenn ihnen dieser Entlastungsbeweis, aus welchen Gründen immer, nicht gelingt,
haften sie. Regelungen mit Beweislastumkehr - wie etwa bei der schweizerischen
Geschäftsherrenhaftung nach Art. 55 OR - sind für einen einheitlichen rechtsstaatlichen
Rechtsraum wie die Schweiz angemessen. Die von der Initiative vorgesehene
Haftung mit Beweislastumkehr richtet sich aber, wo auch immer der fragliche
Fall sich ereignet, nach schweizerischem Recht im Sinne des Initiativtexts. Ein
solches Haftungsregime ist weltweit einmalig.
Warum sollen solche Prozesse in die Schweiz hereingeholt werden? Der Grund kann
nur darin liegen, dass man der Gesetzgebung und Justiz der Länder, in denen
seitens schweizerischer Unternehmen verursachte Missstände moniert werden,
nicht traut. Gerade wenn dem so ist, fragt es sich aber, wie denn solche Prozesse
mit Beweislastumkehr gegen schweizerische Unternehmen in der Schweiz ablaufen
werden.
Es
geht beim Sorgfaltsbeweis, den das beweisbelastete schweizerische Unternehmen
führen muss, immer um Geschehnisse und Personen vor Ort. Bei Auslandstätigkeit
ist man immer auf lokale Mitwirkende angewiesen. Vor Ort bestehen aber oft ganz
andere rechtliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche und mentalitätsmässige
Verhältnisse. In vielen Ländern gibt es Korruption oder herrschen
patriarchalische Traditionen. Ist Geschäftstätigkeit in solchen Ländern
deswegen per se schon menschenrechtswidrig, z.B. wegen dort endemischer
Frauendiskriminierung?
Das
schweizerische Gericht, das Auslandssachverhalte beurteilen muss, ist auf
Rechtshilfe aus den fraglichen Staaten angewiesen. Damit ist das beklagte
Unternehmen in allen Fällen, gerade wenn es den Beweis mit lokalen Zeugen oder
Beweismitteln führen muss, den systemischen Unvollkommenheiten jener Staaten
und namentlich dem Risiko auch von Beweisverlust, Beweismanipulation, Korruption
oder gar Sabotage schutzlos ausgesetzt. Die Risiken sind auch nicht zwingend
geringer, wenn man Zeugen, so sie denn greifbar sind, in die Schweiz einfliegen
muss - auf wessen Kosten? Die Ausdehnung der Geltung schweizerischen Rechts mit
solcher Beweislastumkehr auf Länder mit Rechts-(pflege-)systemen, auf die es
nicht zugeschnitten ist, wird die Verletzung justizieller Grund- und
Menschenrechte (Art. 29 f. BV; Art. 6 EMRK) von Unternehmen provozieren.
Die
Initiative schliesst im übrigen auch nicht aus, dass Prozesse auf der Basis der
von ihr vorgegebenen Regeln vor Ort selber geführt werden können – mit noch
potenzierten Risiken. Unklar bleibt auch, wann bei Zulieferern eine ›faktische‹ Kontrolle anzunehmen ist. Ist ›Kontrolle‹ schon gegeben, wenn man ein guter Kunde eines Zulieferers ist?
Jederzeit jedes Element einer Lieferkette durchgängig zu überwachen, ist in der
Praxis schlichtweg nicht möglich, erst recht
für Geschehnisse in kulturell anders gearteten Ländern. Hierfür dem Schweizer
Unternehmen die Beweislast für ›alle
Sorgfalt‹, d.h. einen lückenlosen
Sorgfaltsbeweis, zu überbinden, setzt dieses einer faktisch existentiellen
Haftung für jeglichen irgendwo in seinen Geschäftsbeziehungen passierten Fehler
aus. Spezialisierte Klägervertreter werden hier (retrospektiv) immer
Sollbruchstellen finden, die auch noch ›erkennbar‹ gewesen wären. Diese existentielle
Haftung führt zu qualifizierter Rechtsunsicherheit und zu Erpressungsrisiken
für die betroffenen Unternehmen.
Es
mag in der Schweiz niedergelassene Unternehmen geben, die im Ausland eine
schlechte Rolle spielen. Das ist aber mit Sicherheit eine Minderheit. Wie der Bundesrat
darlegt, haben sich rund 80 % der im Ausland tätigen Schweizer Firmen Menschenrechts-
und Umweltstandards auf Weltniveau gegeben. Diese Unternehmen leisten einen
grossen, von den Gastländern geschätzten Beitrag zu deren Entwicklung und
bieten gute, beliebte Arbeits- und Ausbildungsplätze. Die Förderung und
Verstärkung solcher Standards in Zusammenarbeit mit den anderen
Industrieländern liegt im Gemeininteresse und ist der richtige Weg. Dem
entspricht der Gegenvorschlag.
Der
schweizerische Alleingang mit einem auf die ganze Welt ausgedehnten, moralisch
verbrämten, aber inadäquaten, weltweit einmaligen Haftungssystem ist dagegen so
anmassend wie unklug. Er diskriminiert die betroffenen schweizerischen
Unternehmen und setzt sie im Vergleich zu solchen aller anderen Länder massiven
Wettbewerbsnachteilen aus. Die durch das vorgesehene Haftungsregime
geschaffenen Rechts- und Erpressungsrisiken auch für konforme Unternehmen
bewirken, dass sich manche von ihnen aus Risikoländern zurückziehen werden.
Dies fördert weder ethisches Wirtschaften, noch hilft es den Ländern und
Menschen, die ›geschützt‹ werden sollen: Im Gegenteil. Und wenn
wegen des unsinnigen schweizerischen Alleingangs Weltfirmen aus der Schweiz in
weniger restriktive Länder wegziehen, droht auch der Schweiz der Verlust von
Arbeits- und Ausbildungsplätzen, von Knowhow, von Steuersubstrat, und zufolge
beeinträchtigter Unternehmenswerte auch die Unterdeckung von
Vorsorgeeinrichtungen. Solche Konsequenzen sind alles andere als ethisch.
Umso
deplatzierter sind die Argumentationsmuster, mit denen die Befürworter für sich
eine Moral mit Monopolcharakter beanspruchen – obwohl nicht alle angeführten Belege ohne
weiteres hieb- und stichfest scheinen [1], und denjenigen, die diese helvetische
Tugendweltmeisterei aus sachlichen Gründen ablehnen, die Ethik absprechen und
sie als ›Halunken‹ bezeichnen [2].
Die
entscheidenden Schwächen der Initiative liegen nicht bei den Zielen, sondern
bei den untauglichen juristischen und auch ethisch höchst fragwürdigen Mitteln,
die sie zu deren Erreichung vorschlägt.
[1]
NZZ am Sonntag vom 11. 10. 2010
[2] NZZ vom 12. 10. 2010 - Operation Libero
|