Kanzlervisite in Peking verstört Transatlantiker - Von Wolfgang Effenberger 23.11.2022 20:36
Als sich Kanzler Scholz am Montag, dem 3. November 2022, mit den Chefs von BASF,
Deutsche Bank, Siemens, BMW, Volkswagen, Merck und Biontech aufmachte, um zum Antrittsbesuch nach Peking zu fliegen, empfing die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ihre G-7-Partner im Friedenssaal des Rathauses von Münster/Westfalen, in dem 1648 nach dem Dreißigjährigen Krieg der Westfälische Frieden besiegelt worden war. [1] Zuvor
hatte das Außenministerium das
historische Kreuz für die G-7-Beratungen aus dem Friedenssaal abhängen lassen.
Nicht nur die christlichen Kirchen, auch der Zentralrat der Muslime reagieren
verständnislos. [2] Dafür zeigte
ein vielsagendes Foto aus dem Friedensaal einen zufriedenen US-Außenminister
Antony Blinken, der Baerbock am Haupttisch flankierte. Blinkens
Unterstaatssekretärin Victoria Nuland, die Strippenzieherin beim ›Maidan‹-Putsch
im Februar 2014, war ebenfalls im Bild. [3] Eine größere transatlantische Nähe und eine
größere Dissonanz zur Politik des Kanzlers war nicht mehr zu demonstrieren.
Zwei
Tage zuvor hatte Baerbock bei einem Besuch in der zentralasiatischen Republik
Usbekistan auf Änderungen in der deutschen China-Politik gepocht und deutlich
gemacht, «dass wir als Bundesregierung eine neue China-Strategie
schreiben, weil das chinesische Politiksystem sich in den letzten
Jahren massiv verändert hat und sich damit auch unsere China-Politik verändern muß». [4] Für diese neue China-Strategie hat die
Konrad-Adenauer-Stiftung bereits im Juli 2022 das kriegstreibende
Strategiepapier verfaßt: ›Ende der Naivität - Deutschland und die EU im
globalen Wettbewerb zwischen den USA und China». [5] In
diesem Wettbewerb geht es um nichts weniger als um den Gegensatz einer
unipolaren oder multipolaren Weltordnung. Im ultimativen Tonfall hatte Baerbock
weiter gefordert, dass Scholz in Peking die ›Botschaften‹ des Koalitionsvertrags übermittle: Anstatt
Wirtschaftskooperation scharfe Menschenrechtskritik an China. [6] Wie
kommt Frau Baerbock dazu, im Ausland den eigenen Regierungschef offen zu
attackieren? Es ist weder ein entschuldbarer, noch ein hinnehmbarer Affront.
Wie
Baerbock, die Befürworterin einer unipolaren, das heißt einer von den USA
dominierten Welt, ferner darlegte, erwarte sie, dass Scholz Chinas Staats- und
Parteichef Xi Jinping zentrale Botschaften der Bundesregierung übermittle. Peking
müsse deutlich gemacht werden, «dass die Frage von fairen
Wettbewerbsbedingungen, die Frage von Menschenrechten und die Frage der Anerkennung
des internationalen Rechts unsere Grundlage der internationalen Kooperation ist». [7] Diesen
Forderungen kann sicherlich die gesamte Weltgemeinschaft zustimmen, insofern
sie von denjenigen, die sie fordern, auch ernst genommen und umgesetzt werden.
Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriff des werteorientierten Westens
auf Restjugoslawien werden das Völkerrecht und die Charta der Vereinten
Nationen von USA/NATO/EU jedoch mit Füßen getreten.
Mit
ihrem Auftreten in Usbekistan und wenige Tage später in Münster hat Frau Baerbock
ihre Kompetenzen weit überschritten, denn nach Artikel 65 GG. [8]
bestimmt der Bundeskanzler die
Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser
Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und
unter eigener Verantwortung. Diese vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen hat
Frau Baerbock derart überschritten, dass dem Kanzler nur die Entlassung der
Außenministerin bleibt. Nun, das wird wohl Blinken nicht zulassen. Oder wird
Scholz es Gerhard Schröder nachmachen, dem es im Frühjahr 2003 gelang, den
eigenwilligen und selbstherrlichen Außenminister Joseph Fischer einzubinden und
zugleich zu entmachten? [9]
Gespannt
wartete die Welt am 4. November auf die Pressestatements von Bundeskanzler Scholz,
Ministerpräsident Li Keqiang und Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping. Dieser ging
in seinem kurzen Statement darauf ein, dass sie beide in engem Kontakt stehen
und gemeinsam ein positives Signal setzen, «nämlich dass China, Deutschland und
Europa jetzt stärker miteinander reden und kommunizieren wollen». [10] Auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen
zwischen China und Deutschland vor 50 Jahren rückblickend,
faßte Xi Jinping zusammen: «Solange wir uns zu gegenseitigem Respekt, zu Gemeinsamkeiten trotz der Unterschiede, zu
Austausch und gegenseitigem Lernen sowie zur Win-win-Zusammenarbeit bekennen,
können sich unsere Beziehungen stabil auf dem richtigen Kurs gestalten…… Gerade
in einer Zeit von Wandel und Chaos sollten wir umso mehr gemeinsam aktuellen
Schwierigkeiten begegnen und den Frieden und die Entwicklung der Welt noch mehr
fördern». [11] In seiner Antwort hob Scholz den russischen
Krieg gegen die Ukraine hervor, «der viele Probleme für unsere regelbasierte
Weltordnung mit sich bringt». Unsere? China und der ganze globale
Süden lehnen die von den USA definierte ›regelbasierte Weltordnung‹
ab: Der Rest der Welt will die Einhaltung
des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen.
Anschließend
betonte Ministerpräsident Li Keqiang die gute, aber noch verbesserungsfähige ergebnisorientierte
Zusammenarbeit und resümierte: «China und Deutschland bekennen sich beide zur
Wahrung der Multipolarisierung in Bezug auf den fairen und freien Handel». [12] Darin
sieht Li Keqiang auch einen Nutzen für Frieden und Stabilität in der Region und
darüber hinaus in der ganzen Welt. «Da können wir unsere gebührende Rolle
spielen», so der chinesische Ministerpräsident. Scholz ging in seiner Antwort hier
nochmals auf den russische Angriffskrieg auf die Ukraine ein, der «mit all
seinen Konsequenzen nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger des Landes,
sondern selbstverständlich auch mit Konsequenzen für Europa und die ganze Welt»
gesehen werden müsse. [13]
Die
Kanzlervisite wurde vor allem im transatlantischen Umfeld argwöhnisch beobachtet.
So titelte das in den USA wöchentlich erscheinende politisch-konservative
Nachrichtenmagazin ›Washington Examiner‹: «Walzer in Peking:
Deutschlands Olaf Scholz hält die USA zum Narren». Wegen Scholz' Besuch in
Beijing spuckt das Magazin Gift und Galle und ruft schon mal zum Boykott
deutscher Autos auf. Laut dem ›Examiner‹ kann Washington es sich
nicht leisten, »den Verrat Deutschlands weiter zu ignorieren. Es
steht einfach zuviel für die Interessen der USA und die demokratische Ordnung nach
dem Zweiten Weltkrieg auf dem Spiel». [14] Für den Deutschlandfunk sorgte der Alleingang
des Kanzlers zu Recht für Verstimmung in Europa. Es wurde gefordert, dass die
derzeit in der Automobilindustrie und im Mobilfunk bestehenden gefährlichen
Abhängigkeiten dringend zu reduzieren sind. Zugleich müsse die EU in der Lage
sein, «einen chinesischen Völkerrechtsbruch mit Sanktionen zu bestrafen, ohne
die eigene Wirtschaft in die Krise zu stürzen».
[15]
Wer
wird sich im Konflikt zwischen Auswärtigem und Kanzleramt um die neue deutsche
Chinastrategie durchsetzen? Wird Scholz zwischen Baerbocks aggressiven
politischen Attacken und Washingtons Sabotage des deutschen Chinageschäfts einen
geeigneten Weg finden? Die Hauptwaffe von Außenministerin Baerbock in ihren
Attacken gegen Beijing ist der angebliche Kampf für Menschenrechte. [16] Dieser
Kampf für Menschenrechte wurde, nachdem die USA das Schwert des Völkerrechts
selbst stumpf werden ließen, seit dem Ende der bipolaren Welt (1991) verstärkt
als politisches Instrument und sogar als Waffe im Irak, in Afghanistan und in Syrien
bis hin zu den ›Farbenrevolutionen‹ in Osteuropa und auf dem
Balkan eingesetzt. Dadurch wurden
leidvolle Kriege und viele humanitäre Katastrophen verursacht. [17]
Nach
über 20 Jahren Krieg gegen Afghanistan hat der Wertewesten dort nur verbrannte
Erde hinterlassen. Wahllos wurden afghanische Zivilisten mittels Drohnen gemordet.
Anfang November 2001 ließ die mit den
USA verbündete Nordallianz an die 3.000 Taliban in Containern qualvoll sterben.
Bis heute keine Untersuchung. Empörung bei den westlichen
Menschenrechtsverteidigern? Fehlanzeige. Für den kubanischen Außenminister
Bruno Rodriguez benutzen die USA die Menschenrechte als Instrument, um Länder
zu manipulieren und einzuschüchtern, die sich nicht den Interessen Washingtons
unterwerfen. In der Zeitung ›India Times‹ hieß es am Mittwoch, 13.
4. 22, beim Blick auf die USA sei man ›angewidert‹. [18] Viele
von den in Afghanistan gefangenen islamischen Kämpfern, darunter auch über 20
Uiguren, mußten den Weg nach Guantánamo antreten, wo sie noch heute auf einen
fairen Prozeß warten.
Die
Instrumentalsierung der Uiguren als Menschenrechtswaffe
Nach
dem Amtsantritt der Regierung George W. Bush Junior wollte Amerika eine regionale
Koalition mit Indien, Japan und Australien gegen das immer mächtiger werdende
China bilden. Nicht zuletzt auch wegen der Konkurrenz um Energiequellen in
Zentralasien, Saudi-Arabien, im Iran und im Sudan. [19] Doch
seit dem Terroranschlag vom 11. September hatten sowohl China als auch die USA
großes Interesse daran, im Krieg gegen den Terrorismus [›War on Terror‹]
zusammenzuarbeiten. So gab es auch bei der Beurteilung der uigurischen Terroristen
vorerst keine Differenzen. Dann erkannte US-Außenministerin Condoleezza
Rice in den im Westen Chinas lebenden Uiguren einen Hebel für eine neue
China-Politik. 2005 machte Rice ihre Peking-Reise von der Freilassung der
verhafteten Rebiya Kadeers abhängig. Sie saß als eine der reichsten Frauen Chinas
bis Ende der neunziger Jahre im chinesischen Volkskongreß [20] und
wurde dann zur ›Staatsfeindin Nummer eins‹. Der Vorwurf, Unruhen
in Xinjiang angezettelt zu haben, brachte ihr 8 Jahre Isolationshaft ein. Dank
der US-Außenministerin fand Frau Kadeer mit fünf ihrer Kinder Asyl in den USA,
wo ihr Mann bereits im Exil lebte. Ein Jahr später wurde sie in München zur
Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses ernannt. Dieser Kongreß nimmt für
sich in Anspruch, für alle Uiguren Xinjiangs zu sprechen. [21] Doch
unter den Uiguren Xinjiangs gibt es deutliche Interessenunterschiede zwischen
den uigurischen Intellektuellen, den Bauern und Händlern und den ärmeren Bauern
in der Region um Kasghar. Während die mittellosen Bauern im konservativen Islam
ihr Heil suchen [22], sind die
Intellektuellen sowohl gegen den Islam als auch gegen die Han-Chinesen
eingestellt und orientieren sich eher an panturkischen Vorstellungen. Die Bauern
und Händler der Mittelschicht haben dagegen von den Wirtschaftsreformen
profitiert und dürften schwer zu instrumentalisieren sein.
Von
diesem Zeitpunkt an sah die Bush-Administration ihre 22 uigurischen Guantánamo-Gefangenen mit anderen Augen. Im April 2008 brachte Frau Kadeer vor
der Jahreshauptversammlung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte
ihr Anliegen auf den Punkt: «.... seitdem China unser weites, ressourcenreiches
Heimatland annektiert und in die Volksrepublik eingegliedert hat, werden die
Menschenrechte der Uiguren systematisch, tiefgehend und unerhört verletzt». [23] Sollen
hier die Menschenrechte für andere, weitergehende Interessen instrumentalisiert
werden? In diesem Zusammenhang sei an den Artikel ›Als die
Menschenrechte schießen lernten‹ [24] von Franziska Augstein in der ›Süddeutschen
Zeitung‹ erinnert.
Angesichts
der orchestrierten Ereignisse im Iran und in der Provinz Xinjiang lohnt es
sich, die Rolle der angeblich ›unabhängigen‹ amerikanischen ›Nichtregierungsorganisationen‹ etwas genauer zu hinterfragen. Haben im
Iran nachweislich staatliche wie nicht- oder halbstaatliche Organisationen ihre
Hände im Spiel, so erkennt William F. Engdahl auch Anzeichen dafür, dass die
US-Regierung durch ihre ›demokratiefördernde‹
Stiftung ›National Endowment for Democracy‹ (NED) massiv auf die
innere Politik Chinas Einfluß nimmt. [25] Nach
veröffentlichten Berichten des NED wird der ›World Uyghur Congress‹
jährlich mit 215.000 US-$ unterstützt. Daneben erhält die in
Washington beheimatete ›Uyghur
America Association‹ über die US-Regierung via NED bedeutende Mittel. Aktive Unterstützung ließ die NED im
März 2008 auch der ›Purpurroten Revolution‹ in Lhasa zukommen,
des weiteren der ›Safran-Revolution‹ in Birma/Myanma im August
2007, sowie allen anderen Regime-Änderungsversuchen in Osteuropa seit Ende des Kalten Krieges: Von Serbien über die
Ukraine bis Georgien, von Moldawien über Kirgistan bis Teheran. Bei all den
Interventionen waren die Gründe für Washingtons Eingreifen in die inneren
Angelegenheiten anderer Staaten weniger von den Sorgen um
Menschenrechtsverletzungen geleitet als vielmehr von US-strategischen Zielen
diktiert.
Der
durch die Medien bekannt gewordene Gesinnungswandel der US-Regierung bei der
Behandlung der 22 uigurischen Gefangenen in Guantánamo wird damit begründet, dass
man sich bei deren Inhaftierung auf Material aus China bezogen habe. Dort
gehörten die Festgenommenen der ›Islamischen Bewegung Ostturkestan‹
(ETIM) an, die von Peking als
terroristische Vereinigung eingestuft wurde. Keine Rede mehr davon in den Medien,
dass ETIM auch von der UNO und den USA auf die Liste internationaler Terrororganisationen
gesetzt worden war. Vergessen ist auch, dass die Uiguren nach dem 11. September
2001 überwiegend kämpfend oder in den Ausbildungslagern Afghanistans oder Pakistans
aufgegriffen worden waren. In Deutschland kann der Besuch terroristischer
Ausbildungslager mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft werden, selbst die Absicht
ist strafbar! So wundert es einerseits nicht, dass die USA sie nicht haben
wollen; mit einer Auslieferung an China würden
jedoch andererseits die uigurischen Exil-Organisationen aufgebracht, denn 1997
hatte Pakistan 12 uigurische Extremisten aus Afghanistan an den chinesischen
Geheimdienst ausgeliefert, und dort wurden sie gehängt. Fünf der 22 Uiguren
aus Guantánamo fanden inzwischen Asyl in Albanien [26], und es begannen Verhandlungen darüber,
einige von ihnen in Deutschland aufzunehmen. [27] Der Inselstaat Palau erklärte sich bereit,
Uiguren aufzunehmen, nachdem US-Außenminister Hillary Clinton sich mit einer
formellen Bitte an dessen Regierung gewandt hatte. Dabei versprach sie, dass
durch die Aufnahme «die bereits starken und besonderen Beziehungen noch
vertieft werden könnten». Aus US-Regierungskreisen verlautete, Washington werde
Palau für die Aufnahme der Uiguren bis zu 200 Millionen $ Auslandshilfe
zukommen lassen. [28] Vier Uiguren wurden am 11. Juni 2009 an die
britische Kronkolonie Bermuda überstellt.
[29] Als sich eine Woche vorher die deutsche
Innenministerkonferenz mit dem Aufnahmewunsch der US-Administration befaßte,
erklärte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU): «Die Uiguren aus Guantánamo,
die wir aufnehmen sollen, waren alle in Terrorcamps» und deshalb sei eine
Aufnahme von Guantánamo-Gefangenen ein hohes Sicherheitsrisiko: «Wer in Terrorcamps aufgegriffen worden ist, kann
nicht als ungefährlich gelten». [30] Weiter folgte ein Hinweis auf die dauernde
Observation von bundesweit 70 islamistischen Gefährdern. Also wäre die Aufnahme
weiterer gefährlicher Uiguren schlicht unverantwortlich, so Schünemann. Auch
schließen die deutschen Sicherheitsbehörden nicht aus, dass die Gefangenen
während ihrer Haft auf Guantánamo eine ›weitere Radikalisierung‹
erfahren haben und künftig in Deutschland als ›Identifikationsfiguren‹
für radikal-islamische Gruppierungen
dienen könnten. Aus welchen Gründen
lehnten also die so nachdrücklich für die Menschenrechte eintretenden USA eine
Aufnahme ab? Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) jedenfalls
fand es «ausgesprochen merkwürdig, dass ein Land von der Größe der USA nicht in
der Lage sein soll, ein paar Dutzend Personen sicher aufzunehmen». [31] Hier
schimmert die Politik des ›America First‹ mit allen ihren
Doppelstandards und ihrer Bigotterie durch.
Unmittelbar
vor dem Kanzlerbesuch in Peking forderte in Berlin der Präsident des Weltkongresses
der Uiguren, Dolkun Isa: «Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für einen Besuch
in China oder Geschäfte mit China». [32]
Vor diesem Hintergrund und unter dem
Vorwand, für Menschenrechte zu kämpfen, attackiert Baerbock nun Peking. Darüber
hinaus behauptet sie, die Volksrepublik sei «in zunehmendem Maße systemischer
Rivale» geworden, den man künftig in klare Schranken zu setzen habe.
Noch seien aber die Sanktionen gegen die Volksrepublik ›noch‹
nicht besprochen worden, hieß es nach den G-7-Außenministergesprächen in
Münster. [33] Parallel
dazu intensivieren die USA den Druck auf Berlin, die deutsche
Wirtschaftskooperation mit Peking zurückzufahren, und scheuen sich nicht, sich
dabei unmittelbar in konkrete deutsch-chinesische Geschäfte einzumischen.
US-Präsident Joe Biden sieht Washington vor dem ›entscheidenden
Jahrzehnt‹ im Machtkampf gegen China. In dieser Situation kündigt Berlin
somit für das erste Quartal 2023 eine neue Chinastrategie an. [34]
Der US-Druck auf Deutschland steigt damit zu
einem Zeitpunkt, an dem die Vereinigten Staaten selbst ihre politischen und
ökonomischen Angriffe gegen China ausbauen. Bereits in der Nationalen
Sicherheitsstrategie, die die Biden-Administration am 12. Oktober publizierte,
hieß es, die Volksrepublik sei ›der einzige Wettbewerber‹, der «sowohl
die Absicht» habe, «die internationale Ordnung neu zu gestalten», als auch das
politische, ökonomische und militärische Potential dazu besitze. Für die USA gelte
es deshalb, China ›niederzukonkurrieren‹. [35] Inhaltlich
identische Passagen sind auch in der neuen US-Militärstrategie (National
Defense Strategy) enthalten, die US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am 27.
Oktober vorgelegt hat.
In dem von der der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung
verfaßten Strategiepapier vom Juli 22 werden Optionen zur Verschärfung der
Konfrontation mit China skizziert, die dabei ›beträchtliche
Schäden‹ für die deutsche Industrie nicht ausschließen. Zu den dort gemachten
Vorschlägen gehören verstärkte Einmischungen in die inneren Angelegenheiten der
Volksrepublik, der ›Desinformation und Propaganda‹ vorgeworfen werden.
Um die Stellung der Volksrepublik in der Weltwirtschaft zu schwächen, könne man
die global verankerte WTO durch einen neuen Zusammenschluß der G-7 mit der OECD
(›WTO des Westens‹) ersetzen. Auch könnten sich, heißt es, «Vertreter
der EU und ihrer Mitgliedstaaten in
Hongkong verstärkt koordinieren», um abgestimmt Partei für die Opposition in
der südchinesischen Metropole zu ergreifen.
[36] Es
gehe darum, in China Unruhen zu schüren. Dabei könne die Bundesrepublik
›über soziale Medien‹ ›chinesische Zielgruppen‹
ansprechen und agitieren. Vorbild ist Litauen. Es hat Ende vergangenen Jahres in enger Abstimmung mit den
Vereinigten Staaten ein ›taiwanisches Vertretungsbüro‹ in Vilnius eröffnet
und so gezielt gegen die auch im Westen anerkannte Ein-China-Politik verstoßen [37], was zu Reaktionen seitens China führte.
Auch könnten sich Berlin und Brüssel fremde Staaten vornehmen: Etwa «die
strategisch wichtigsten EU-Beitrittskandidaten und Partnerländer weltweit». Das
zielt vor allem auf Serbien, das immer enger mit China kooperiert. [38]
Für
die Ausrichtung der Bundeswehr im Machtkampf gegen Russland
schlägt das Strategiepapier der Konrad-Adenauer-Stiftung vor, «den europäischen
Pfeiler in der NATO und die militärische Handlungsfähigkeit der Allianz zu
stärken». [39] Auch solle sich die Bundesrepublik nach dem
Vorbild der Asien-Pazifik-Fahrt der Fregatte Bayern und der Entsendung eines Geschwaders
der Luftwaffe zu Manövern nach Australien «stärker an der Vorwärtsstationierung
in mittelosteuropäischen NATO-Staaten beteiligen». [40] Es gelte zu verhindern, dass Peking durch den
Aufbau eines Militärs ›von
Weltrang‹ bis 2049 seine Interessen durchsetzt, «dazu hat die
Volksrepublik ihren Verteidigungshaushalt in der letzten Dekade nahezu verdoppelt.
Heute weist China nach den USA die zweithöchsten weltweiten Verteidigungsausgaben
auf». [41]
Auf
aussagekräftige Zahlen wird wohlweislich verzichtet: Die Militärausgaben der
USA betrugen 2021 801 Milliarden US-$, die von China 293. [42] Peking
dürfe seine steigende Machtprojektionsfähigkeit nicht dazu nutzen, um die
eigenen Interessen weltweit völkerrechtswidrig durchzusetzen. Die USA sehen in China die größte strategische Bedrohung
für ihre Interessen. Um die ›regelbasierte Ordnung‹ in Chinas
maritimer Nachbarschaft zu sichern und die chinesische Aufrüstung
auszubalancieren, verlagern die USA das Gros ihrer militärischen Kräfte in den
Indo-Pazifik.
Damit
setzt der ehemalige Vizepräsident von Barack Obama nun die Politik fort, die
sein demokratischer Amtsvorgänger Obama eingeleitet hat: Bereits im ersten
Amtsjahr, am 13. November 2009, bezeichnet sich US-Präsident Obama in einer
Grundsatzrede vor seinem pazifischen
Verbündeten Tokio als ›erster pazifischer Präsident‹ der USA,
denn die «Geschichte von Amerika und des asiatischen pazifischen Raumes sind
nie enger miteinander verbunden gewesen». [43] Gleichzeitig
kündigte er ein stärkeres Engagement in den asiatischen Ländern an und betonte
den Führungsanspruch der USA in der
Welt. Anfang Oktober 2011 unterstrich die damalige US-Außenministerin Hillary
Clinton die neue Außenpolitik ihres ›ersten pazifischen Präsidenten‹
als ‹Schwenk nach Asien‹: «Die Zukunft der Politik wird in Asien
entschieden, nicht in Afghanistan oder im Irak, und die Vereinigten Staaten
werden im Mittelpunkt der Aktion stehen».
[44] Damit sei die Verlegung des
Einsatzschwerpunktes des US-Militärs vom Großraum Naher Osten hin nach Asien
zwangsläufig. Und am 9. Februar 2012 sprach Admiral Samuel Locklear im
Verteidigungsausschuß des US-Senats anläßlich seiner Nominierung zum Chef des
amerikanischen Pazifik-Kommandos Klartext: «Wir sind eine Großmacht in Asien.
Die Chinesen und die anderen Länder der Region müssen begreifen, dass die USA
bereit sind, dort ihre nationalen Interessen zu verteidigen». [45] Anfang
Oktober 2014 zeigten auf der Konferenz der ›Association of the United
States Army‹ (AUSA) hohe Offiziere und Vertreter des US-Verteidigungsministeriums die
Vision künftiger bewaffneter Konflikte. Inmitten von Lobbyisten der Waffenindustrie,
deren Firmen die neuesten Waffensysteme präsentierten, wurde das neue
TRADOC-Dokument 525-3-1 ›Win in an Complex World 2020-2040‹ [46]
vorgestellt. Das United States Army ›Training and Doctrine
Command‹ (TRADOC) ist eines von drei Heereskommandos auf Armeeebene und
damit eines der wichtigsten Kommandos der US-Streitkräfte. [47] Diese Veranstaltung veranlaßte Bill
van Auken und David North zu einem geharnischten Artikel im Sprachrohr des ›Internationalen
Komitees der Vierten Internationale‹ (IKVI):»US-Armee entwirft Blaupause
für dritten Weltkrieg». [48]
Anläßlich
der Verleihung des Literatur-Nobelpreises 2005 an den englischen Dramatiker
Harold Pinter erinnerte dieser in seiner Dankesrede an das ›weitverzweigte
Lügengespinst, von dem wir uns nähren‹. Damit die Macht der
herrschenden Eliten «erhalten bleibt, ist es unabdingbar, dass die
Menschen unwissend bleiben, dass sie in Unkenntnis der Wahrheit bleiben». Pinter
erinnerte daran, dass nach dem Ende des 2. Weltkriegs die Vereinigten Staaten
jede rechtsgerichtete Militärdiktatur auf der Welt unterstützten, und sie in
vielen Fällen erst hervorbrachten. «Ich verweise auf Indonesien, Griechenland,
Uruguay, Brasilien, Paraguay, Haiti, die Türkei, die Philippinen, Guatemala, El
Salvador und natürlich Chile. Die Schrecken, die Amerika Chile 1973 zufügte, können
nie gesühnt und nie verziehen werden. In diesen Ländern hat es Hunderttausende
von Toten gegeben. Hat es sie wirklich gegeben? Und sind sie wirklich alle der
US-Außenpolitik zuzuschreiben? Die Antwort lautet ja, es hat sie gegeben, und
sie sind der amerikanischen Außenpolitik zuzuschreiben. Aber davon weiß man
natürlich nichts. Es ist nie passiert. Nichts ist jemals passiert. Sogar als es
passierte, passierte es nicht. Es spielte keine Rolle. Es interessierte niemanden.
Die Verbrechen der Vereinigten Staaten waren systematisch, konstant, infam,
unbarmherzig, aber nur sehr wenige Menschen haben wirklich darüber gesprochen.
Das muß man Amerika lassen. Es hat weltweit eine ziemlich kühl operierende
Machtmanipulation betrieben und sich dabei als Streiter für das universelle
Gute gebärdet. Ein glänzender, sogar geistreicher, äußerst erfolgreicher
Hypnoseakt». [49]
Nun
sollte die Welt endlich aus der Hypnose erwachen und aus dem Geist des
Friedens, der Wahrhaftigkeit und dem Respekt vor anderen Kulturen zu einer
echten Völkergemeinschaft zum Wohl der Menschheit und des Planeten finden.
1) 2. Dreißigjähriger Krieg nach General de
Gaulle und Winston Churchill der 1. Weltkrieg (1914-1945); der 3. Dreißigjähriger
von 2001- 2031?) 2) https://www.deutschlandfunk.de/abgehaengtes-kreuz-bei-g7-treffen-auswaertiges-amt-weiter-in-der-kritik-100.html 3) https://www.indianpunchline.com/scholzs-china-trip-raises-hackles 4) China-Politik muss sich verändern: NOZ vom 2.
November 2022, S. 7 66. Jg. Nr. 255 5) https://www.kas.de/documents/259586/259635/Handlungsoptionen.+Innovation.pdf/c1e6909d-b671-8277-7ed4-fad7d347d5bb 6) Jens Spahn, Johann Wadephul: «Weg von einseitigen
Abhängigkeiten», Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.11.2022 7) China-Politik muss sich verändern: NOZ vom 2.
November 2022, S. 7 66. Jg. Nr. 255 8) https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_06-245136 9) https://taz.de/Eingebunden-und-entmachtet/!717443/ 10) https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/pressestatements-von-bundeskanzler-scholz-und-praesident-xi-jinping-am-4-november-2022-in-peking-2139834 11) Ebd. 12) https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/pressestatements-von-bundeskanzler-scholz-und-ministerpraesident-li-keqiang-am-4-november-2022-in-peking-2139836 13) Ebd. 14) https://www.washingtonexaminer.com/opinion/waltzing-in-beijing-germanys-olaf- 15) https://www.deutschlandfunk.de/olaf-scholz--china-staatsbesuch-peking-xi-eu-100.html 16) https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9074 17) https://german.cri.cn/kommentar/alle/3259/20220414/749724.html 18) Ebd. 19) https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29952/die-politik-der-usa-der-eu-und-chinas-in-zentralasien/ 20) 1995 nahm Rebiya Kadeer als chinesische
Delegierte an der Weltfrauenkonferenz der UN in Peking teil 21) Die Unabhängigkeit Xinjiangs wird von den Exil-Uiguren
als Anliegen des gesamten uigurischen Volkes dargestellt. 1992 wurde in der
kirgisischen Hauptstadt Bishkek die «Partei für ein unabhängiges Uiguristan»
mit dem Ziel eines separaten uigurischen Staates gegründet. Siehe dazu auch die
Untersuchung von Takashi Sugimoto: The Political
Stability of Ethnic Regions in China. A Methodological Study, Tokyo:
International Institute for Global Peace, April 1993, sowie «Die Heterogenität
des Islam in China - Bedrohungsperzeption und ethnische Konfliktmuster» in:
Klaus H. Schreiner, Hrsg., Islam in Asien, Bad Honnef 2001, S. 196-231 22) Siehe Justin Jon Rudelson: «The Uighurs in
the Future of Central Asia», S.297 23) Rebiya Kadeer, Präsidentin des Uigurischen
Weltkongresses, bei der Jahreshauptversammlung der Internationalen Gesellschaft
für Menschenrechte in Bonn am 19. April 2008 24) Augstein, Franziska: «Als die Menschenrechte
schießen lernten». Kosovo-Krieg 1999, in SZ vom 19. Mai 2009, S. 13 25) Engdahl, William F.: «Washington is Playing a
Deeper Game with China» in Global Research vom 12. Juli 2009 unter http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=14327 26) Einer von ihnen zog inzwischen nach
Schweden weiter 27) Maier-Albang, M.: «Seltene Einigkeit im
Stadtrat. Uigurische Guantanamo-Häftlinge» in der SZ vom 6. Februar 2009 28) Siehe Welt-online vom 10. Juni 2009:
Inselstaat Palau. 200 Millionen Dollar für 17 Guantánamo-Uiguren, unter http://www.welt.de/politik/article3896609/200-Millionen-Dollar-fuer-17-Guantanamo-Uiguren.html
Palau ist einer der wenigen Staaten, die die Volksrepublik China nicht anerkennen
und diplomatische Beziehungen mit Taiwan unterhalten 29) SPIEGEL-online vom 11. Juni 2009: US-Behörden
schicken vier Uiguren auf die Bermudas, unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,druck-629963,00.html 30) Lutz, Martin: «Uiguren – Aus dem Terrorcamp
nach Deutschland?» in WELT-online vom 2. Juni 2009 unter
http://www.welt.de/politik/article3847854/Uiguren-Aus-dem-Terrorcamp-nach-Deutschland.html 31) Bundesländer wollen Guantanamo-Häftlinge
nicht, in «Der Westen» vom 5. Mai 2009 unter http://www.derwesten.de/nachrichten/nachrichten/politik/2009/5/5/news-118957130/detail.html 32) Uiguren fordern Absage der China-Reise https://de.uyghurcongress.org/vor-scholz-visite-in-peking-uiguren-fordern-absage-der-china 33) Mathias Brüggmann: «Baerbock sieht China als ›systemischen
Rivalen‹ – Außenministerin
grenzt sich von Scholz-Kurs ab», handelsblatt.vom
03.11.2022 34) Die Strategie für das
entscheidende Jahrzehnt https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9074 35) https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9061 36) Zitate hier und im
Folgenden: Konrad-Adenauer-Stiftung: «Das Ende der Naivität – Deutschland und
die EU im globalen Wettbewerb zwischen den USA und China», kas.de 37) https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8779 38) https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8578 39) Zitate hier und im Folgenden:
Konrad-Adenauer-Stiftung: «Das Ende der Naivität – Deutschland und die EU im
globalen Wettbewerb zwischen den USA und China», kas.de. 40) https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8965 41) https://www.kas.de/documents/259586/259635/Handlungsoptionen.+Innovation.pdf/c1e6909d-b671-8277-7ed4-fad7d347d5bb 42) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/ 43) «Obama umwirbt Asiens Staaten»
https://www.spiegel.de/politik/ausland/us-praesident-in-tokioobama-umwirbt-asiens-staaten-a-661256.html 44) Hillary
Clinton: «America’s Pacific Century» vom 11. Oktober 2011
https://foreignpolicy.com/2011/10/11/americas-pacific-century/ 45) NOMINATIONS
BEFORE THE SENATE ARMED SERVICES COMMITTEE, SECOND SESSION, 112TH CONGRESS
https://www.govinfo.gov/content/pkg/CHRG-112shrg80073/html/CHRG-112shrg80073.htm 46) http://www.tradoc.army.mil/tpubs/pams/tp525-3-1.pdf vom
7. Oktober 201447) Wolfgang Effenberger: «US-Krieg gegen Rivalen
China: Der Count-Down läuft!»
vom 15. Oktober 2014
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26390&css=print 48) http://www.wsws.org/de/articles/2014/10/15/pers-o15.html vom
15. Oktober 2014 49) https://www.nobelprize.org/prizes/literature/2005/pinter/25626-harold-pinter-nobelvorlesung/
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