Rückblick auf die Junisession des Parlaments - Öffnet alle Schleusen- von Nationalrat Ulrich Schlüer, Flaach ZH 14.08.2007 17:51
Das Sessionsmotto formulierte - wohl unvorsichtig ungewollt - Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Als «Frohbotschaft» kündete er von konjunkturbedingt sprudelnden Steuereinnahmen. Das entlaste den noch immer mit 130 Milliarden verschuldeten Bund von der Verpflichtung, weitere Sparprogramme zu planen. Niemand müsse also in naher und mittlerer Zukunft mit sparbedingten Einbussen rechnen.
Steuersenkungen
als Antwort
Die Wirkung der Frohbotschaft von
Hans-Rudolf Merz war verheerend: Vor allem die Linke, dabei nachhaltig
von notorisch nach links schielenden «Mitte-Politikern» unterstützt,
interpretierte Merzens Botschaft sofort als Signal zur «Öffnung aller Schleusen»,
zu massloser
neuer Verschwendung. Keine Spur von «antizyklischer Disziplin», die in
Überschusszeiten konsequentes Abtragen der 130 Milliarden-Schuld des Bundes
verlangen würde. Zu lange habe man sich einschränken müssen, jetzt wolle man
endlich wieder Geld ausgeben. Möglichst viel, möglichst rasch. Après nous le
déluge. Gegensteuer gab einzig die SVP: Wenn angeblich «zuviel Geld» da ist,
dann sind, statt eine erneute Verschwendung zuzulassen, Steuersenkungen
vorzunehmen. Das soll rasch durchgesetzt werden, nämlich bereits in einer
Spezialsession im kommenden September. Ziel: Die Steuerzahler sollen vom
Einnahmensegen profitieren, nicht die Verschwender. Mit ihren mehr als fünfzig
Fraktionsmitgliedern konnte die SVP dieses Vorhaben «Spezialsession»
durchsetzen. Diese findet im kommenden September statt.
Neat
im Sumpf
Die glanzvolle Eröffnung des Lötschbergs
vertuscht die Wahrheit: Die Neat steckt im Sumpf. Im Grunde unbezahlbar,
blockiert sie als Folge milliardenschwerer Kostenüberschreitungen andere, eher
wichtigere Bahnprojekte. Und jetzt kommen noch die Italiener, die den erhofften
Mehr-Güterverkehr in Chiasso nicht abnehmen wollen, weil es für diesen in der
Agglomeration Mailand kein Durchkommen gebe. Trotzdem werden die Vorarbeiten an
der Linie Bellinzona-Chiasso (mit dem zweiröhrigen Ceneri-Tunnel als
nahrhaftestem Kostenverursacher) munter vorangetrieben. Allein dieser Abschnitt
dürfte schliesslich rund zehn Milliarden verschlingen - doch möglicherweise
wird er «für die Katz» gebaut. Dabei böte sich eine Alternative, die zehnmal
weniger (!) kosten würde: Doppelspurausbau Bellinzona-Luino für die schweren
Güterzüge ins oberitalienische Novara, den Güterzug-Knotenpunkt für ganz
Norditalien. Der schweizerische Teil dieser Strecke wäre - was selbst Bundesrat
Leuenberger zugibt - mit rund einer Milliarde zu erstellen. Aber Leuenberger
gefällt diese Variante nicht. Er träumt vom prestigeträchtigen Doppeltunnel am
Ceneri. Und führt das ganze Neat-Projekt damit in den finanziellen Morast. Klar
ist: Soll die Neat nicht zum völligen Finanzdesaster verkommen, muss
Leuenberger weg, zumindest müsste er das Verkehrsdepartement abgeben. Im
Interesse des Steuerzahlers lieber schon heute als erst morgen.
Bundesrat
Schmids Triumph
Er habe - triumphierte Bundesrat Samuel
Schmid - schon in Flims vorausgesagt: Der Opposition gegen den
Armee-Entwicklungsschritt 08/11 werde bald «die Luft ausgehen». Und jetzt,
genau am 11. Juni, sei diese Voraussage mit dem Ja zu diesem
Entwicklungsschritt Tatsache geworden. In der Stunde seines Triumphes blendete
Bundesrat Schmid allerdings einen ganz bestimmten Sachverhalt - der nicht ganz
nebensächlich ist - aus: Der angebliche Sieg mit dem Entwicklungsschritt
kostete nämlich einen Preis. Schmid musste sich, um durchzudringen, mit jener
Partei ins Bett legen, die nicht den geringsten Zweifel daran lässt, dass sie
alles dafür tut, dass der Armee insgesamt möglichst bald «alle Luft ausgeht».
Es war ja die SP, die - nachdem sie den Armee-Entwicklungsschritt im Herbst
2006 noch weitgehend geschlossen bekämpft hatte - durch ihr Umschwenken ins
Ja-Lager die Rolle der Mehrheitsbeschafferin für Schmids Vorhaben eingenommen
hat. Für ihren Schwenker forderte sie allerdings einen Tribut - einen sehr
hohen Preis, den FDP, CVP und Schmid mit deutlicher Spitze gegen die SVP der SP
und den Armeeabschaffern zu bezahlen bereit waren. Der Preis hiess:
Verdoppelung der Durchdiener-Zahl, Verdoppelung der Auslandeinsätze und
Verzicht auf Abgabe der Taschenmunition an eingeteilte Wehrmänner. Drei schwere
Schläge gegen die Miliz-Armee. Wer nur mag darob triumphieren?
Samuel
Schmid will in die Luft
Nach seinem Sieg mit dem
Armee-Entwicklungsschritt fühlte sich Bundesrat Samuel Schmid bemüssigt, es
seiner eigenen Partei, der SVP heimzuzahlen, dass sie bis zuletzt erbitterten
Widerstand gegen diese Armeeabbau-Vorlage geleistet hatte. Kaum war das Fuder
unter Dach, liess er Medienvertretern gegenüber verlauten, jetzt kämen rasch
die Transportflugzeuge für Auslandeinsätze wieder aufs Tapet bzw. ins
Rüstungsprogramm. Man könnte diesen etwas allzu durchsichtigen Vorstoss auch
als etwas eigenartige, ja originelle Form der Rücktrittsankündigung auffassen.
Schliesslich hat Schmid erst vor wenigen Monaten noch im Brustton der
Überzeugung erklärt, während seiner Amtszeit werde ein erneuter
Beschaffungsantrag für Transportflugzeuge nicht mehr erfolgen. Wenn er jetzt
trotzdem kommt, dann wird zuvor also wohl die Ära Schmid zu Ende gehen. Oder
will jemand dem Verteidigungsminister unterstellen, er habe es mit seinem
Antragsverzicht gar nicht ehrlich gemeint?
Swissair:
Schwamm drüber!
Unterdessen weiss die Öffentlichkeit: Die
Fehlleistungen der Swissair-Verantwortlichen können mittels Strafrecht kaum
geahndet werden. Das ist höchst unbefriedigend. Andererseits ist Tatsache, dass
Bundesräte an wichtigsten Entscheiden rund um den Zusammenbruch der Swissair
beteiligt waren. Entscheide, welche die Steuerzahler mehrere Milliarden Franken
gekostet haben, ohne dass wirkliche Klarheit besteht, ob eine Rechtsgrundlage
für die eingegangenen Finanzengagements überhaupt vorhanden war. Weil die
strafrechtliche Verfolgung der Swissair-Verantwortlichen im Misserfolg endete,
erneuerte die SVP-Fraktion im Bundeshaus ihre Forderung nach Einsetzung einer
PUK, die alle Vorgänge auf politischer Ebene in Zusammenhang mit dem
Swissair-Kollaps zu untersuchen hätte. Die PUK kommt nicht zustande. Der
SVP-Antrag scheiterte am geschlossenen Widerstand von SP und FDP. Die SP will
Bundesrat Leuenberger schützen. Die FDP den ihr nahestehenden, in den Swissair-Zusammenbruch
verwickelten Zürcher Filz. So muss der um Milliarden geprellte
Steuerzahler zur Kenntnis nehmen: Die Politvorgänge rund um das
Swissair-Debakel sollen auf ewig im Dunkeln bleiben. Das «konstruktive Miteinander»
von FDP und SP verhindert jede Aufklärung.
Eskapaden
eines Parteipräsidenten
Weil die Menschen generell älter werden,
gerät der sogenannte «Umwandlungssatz» der Zweiten Säule unter Druck. Mit
diesem Umwandlungssatz wird die Jahresrente aus jenem Kapital bestimmt, das
jeder im Rahmen der Zweiten Säule bis zum 65. Altersjahr angespart hat. Weil
das Lebensalter höher wird, muss dieser Prozentsatz um einige Zehntelprozente
gesenkt werden, damit das angesparte Kapital angesichts der höher gewordenen
Lebenserwartung ausreicht. Andernfalls gerieten alle, vor allem alle
öffentlichen Pensionskassen in Finanznot. Im Ständerat war eine solche
Absenkung um 0,4 Prozentpunkte zu beschliessen. Weil zuvor kaum Opposition
angemeldet war, kam es zur Panne: Bei ungenügender Präsenz wurde der Entscheid
blockiert - dank linkem und von Teilen der CVP unterstütztem Husarenstreich.
Der Rat reagierte mit dem Mittel, das ihm noch zur Verfügung stand: Er liess -
wieder bei guter Besetzung - die Vorlage in der Gesamtabstimmung durchfallen.
Damit ist diese nicht gestorben. Der Nationalrat kann in der Septembersession
einfach neu damit beginnen - eine Eigenheit unseres Zweikammersystems. Das zu
begreifen bekundete einer offensichtlich Mühe: FDP-Parteipräsident Fulvio
Pelli. Er fuhr die FDP-Ständeräte mit harschen Worten an: Ihr Mitmachen bei der
vorübergehenden Versenkung der verunglückten Vorlage widerspreche der
«FDP-Art», die nach Lösungen, nicht nach Blockaden verlange . . . Eine durch und durch unverständliche Stilübung
im Rahmen eines nicht nachzuvollziehenden «neuen Kurses» der FDP. Würde die
Vorlage so umgesetzt, wie sie dank dem merkwürdigen CVP-SP-Ad hoc-Bündnis im
Ständerat eine (vorübergehende) Mehrheit fand, dann würde dies die Steuerzahler
mehrere Milliarden kosten - in Form von Löchern, die in den Pensionskassen
des Bundes, der SBB usw. aufgerissen würden. Ob «Augen zu und durch» als
Politrezept wirklich so praktikabel ist, wie das dem FDP-Präsidenten Fulvio
Pelli vorzuschweben scheint?
Quelle: Schweizerzeit
vom 22. Juni 2006; Hervorhebungen durch politonline
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