Der Preis der Furcht - Irrtümer und Lügen über die Finanzierung des Terrorismus - von Ibrahim Warde 15.10.2007 22:06
In seiner berühmten Darstellung der wilden 1980er Jahre an der Wall Street (Wall Street Poker) erzählt Michael Lewis, damals Investmentbanker, wie er sich »überzeugende Lügen« für nervös gewordene Kunden einfallen liess. Auf die Frage, warum jetzt der Dollar gefallen sei, erklärte er: »Die Araber haben gegen den Dollar spekuliert und grosse Mengen Gold verkauft, den Erlös haben sie in DM angelegt.« Lewis, der eine Wall-Street-Karriere zugunsten seiner schriftstellerischen Tätigkeit aufgegeben hat, ist davon überzeugt, dass »die meiste Zeit kein Mensch wusste, was die Marktbewegungen bedeuteten. Wenn niemand eine Ahnung hatte, was die Araber mit ihrem Geld machen und warum, war es einfach, ihnen irgendetwas zu unterstellen - wer sollte das Gegenteil beweisen?1
Nach dem 11. September
2001 schien das Ausmass der Zerstörung auf eine gewaltige wirtschaftliche und
logistische Infrastruktur hinzudeuten. Und mit der Erkenntnis, dass Ussama Bin
Laden an dem Anschlag beteiligt war, der in aller Welt als saudischer
Milliardär und Bankier des Terrorismus verschrien war, waren die gängigen
Vorurteile hinreichend bedient. Der Filmexperte Jack Shaheen hat in seiner
umfangreichen Studie gezeigt, welche Rollenklischees den Arabern seit langem in
Hollywoodfilmen zukommen: »Ölmagnaten mit Appetit auf Blondinen aus dem Westen,
Waffenschieber, die mit Hilfe durchgeknallter Terroristen die Weltherrschaft
anstreben.« 2 Zwei der
drei üblichen Klischeevorstellungen - Milliardär und Bombenleger (um die
Leidenschaft für Bauchtanz wegzulassen) - erhielten durch die Ereignisse des
11. September den Anschein von Plausibilität. Gleich nach den Attentaten waren sich
die unterschiedlichsten Experten einig, wie sie finanziert worden waren: 300
Millionen US-Dollar von Bin Laden, Scheinfirmen, islamische Stiftungen, die
Saudis, arabische Milliardäre, Drogen- und Diamantenhandel, Kleinkriminalität.
In der Boulevardpresse wie in den umfänglichen Studien der Thinktanks wurden
die gleichen Verdächtigen genannt - die allseitige Wiederholung machte die
Vorwürfe glaubwürdig, und so dürftig die Belege waren, so entschieden wurden
sie als »Fakten« vorgetragen.
Seit 2004 weiss man sehr viel mehr über die
Finanzierung des Terrorismus und ihre Bekämpfung, aber die neuen Informationen
haben weder die Politik noch die öffentliche Debatte stärker beeinflusst. Die
meisten der gängigen Vorstellungen wurden inzwischen von Protagonisten der
ersten Reihe im Kampf gegen die Terrorfinanzierung dementiert. Darunter vom
früheren US-Finanzminister Paul O'Neill, vom ehemaligen Chefkoordinator der
Terrorismusabwehr Richard Clarke, oder von Michael Scheuer, der innerhalb der
CIA die ‚Abteilung Bin Laden’ geleitet hat. Auch aus einem im August 2004
zusätzlich zum Bericht der Nationalen Untersuchungskommission über die
Anschläge des 11. Septembers veröffentlichten Report ergab sich ein neues Bild
der Finanzierung des Terrors. Dieser Report macht deutlich, dass für die
Terroranschläge gar nicht so viel Geld nötig war. Er zerstörte also den Mythos,
das persönliche Vermögen von Bin Laden - angeblich 300 Millionen Dollar - habe
eine entscheidende Rolle gespielt, und kritisierte überdies, dass die
Untersuchungen zur Finanzierung des Terrors politisch instrumentalisiert
werden.
Bin Ladens Vermögen ist wohl nur ein Mythos
Seit Ussama Bin Laden 1998 von den USA zum
»Volksfeind Nr. 1« erklärt wurde, ging man davon aus, dass sich das
Al-Qaida-Netzwerk vor allem aus seinen Finanzmitteln speiste. Diese Vorstellung
hielt sich hartnäckig, obwohl der Report die Höhe des Vermögens deutlich nach
unten korrigierte. Der Mythos von den 300 Millionen Dollar ist offensichtlich
1996 entstanden, als die Zahl erstmals in einem geheimen Bericht des US-Aussenministeriums
über Bin Laden auftauchte. 3
Letztlich handelte es sich dabei um die fragwürdige Hochrechnung eines
Mitarbeiters auf der Basis ungesicherter Angaben. Dieser hatte zunächst die
weltweiten Vermögenswerte der Firmengruppe Bin Laden (die er auf 5 Milliarden
Dollar veranschlagte) durch die Zahl der Söhne geteilt (die er auf zwanzig
schätzte). So kam er auf 250 Millionen, die er auf 300 aufrundete. Alsbald galt
diese suspekte Zahl, die auf nur vagen Vorstellungen über die Familie Bin
Laden, ihr Familienvermögen und die Praktiken der Erbteilung beruhte, als
gesichertes Faktum. Die meisten nach dem 11. September erschienenen Berichte
über Ussama Bin Laden zeichneten das Porträt eines Millionenerben mit dem Hirn
eines Steinzeitmenschen, der aber über beste Verbindungen in der saudischen
Geschäftswelt verfügte und sein Finanzimperium durch geschickte
Börsenspekulation zu stärken wusste, dabei aber zugleich Terroranschläge
inszenierte. In fast allen Berichten und Büchern, die mit Enthüllungen über die
Finanzierung des Terrorismus aufwarten, findet sich die Idee, »die Grundlage
der Finanzierung der al-Qaida« sei Bin Ladens privates Vermögen. Und die 300
Millionen Dollar sind seit 1996 konstant geblieben, als habe es keine Kosten,
Gewinne oder Verluste gegeben: Demnach musste Bin Laden weder Logiskosten an
die Taliban abführen, noch hat er Teile seines Vermögens verloren oder gar
neues hinzuerworben. Alle Berichte über die Finanzierung des Terrorismus
gehören im Grunde in die literarische Gattung des »magischen Realismus«, einer
Kombination von unzähligen kleinformatigen Details mit surrealen und
fantastischen Annahmen. Kein Autor glaubt dabei auf womöglich erfundene Zahlen verzichten zu
können, die dem Text einen wissenschaftlichen Anstrich geben. Schon Orwell
schrieb: »Die Sprache der Politik lässt den flüchtigen Wind wie etwas
Bleibendes erscheinen.«
Bei der Quantifizierung des Bösen können
die Zahlen auch sehr konkrete Forderungen begründen. Als am 15. August 2002 in
den USA gegen eine Reihe von Banken, Wohlfahrtsorganisationen und Prinzen in
Saudi-Arabien eine Schadenersatzklage wegen der Anschläge des 11. Septembers
eingereicht wurde, lautete die Forderung auf eine Summe von »mehr als 100 000
Milliarden Dollar«. 3 Die
Anwälte hatten ihre Klage bis ins kleinste Detail vorbereitet und
publikumswirksam angekündigt, mussten aber schon am nächsten Tag einräumen, es
habe habe sich ein Tippfehler eingeschlichen: Man fordere ‚nur’ 1 000 Mrd. Offenbar
war zuvor keinem der Experten aufgefallen, dass der ursprünglich genannte
Betrag die Summe des Bruttosozialprodukts aller Länder der Welt übertroffen
hätte. 2001 wollte die Regierung Bush eigentlich eine gesetzliche Neuregelung
der Finanzaufsicht durchsetzen, die alle wirksamen Bestimmungen gegen die
Geldwäsche praktisch abgeschafft hätte. Doch dann kam der 11. September
dazwischen. Mit dem Glaubenseifer des Konvertiten warf die Regierung nun das
Steuer herum und verschärfte die betreffenden Regelungen. Im Finanzkrieg gegen
den Terror unterlagen die staatlichen Instanzen noch ihren alten beschränkten
Vorstellungen über das »organisierte Verbrechen« und seine zwielichtigen
Drahtzieher. Michael Leeden vom American Enterprise Institute, zu Beginn der
Antiterroroffensive einer der einflussreichsten Berater, beschrieb Bin Laden
als »Geschäftsführer eines internationalen Terrorunternehmens, (der) viel
Einfallsreichtum bewiesen hat, um aus seinen terroristischen Aktivitäten Profit
zu schlagen«. Im übrigen sei das Terroristennetzwerk mit den Verflechtungen von
Mafiafamilien vergleichbar. 4
In den 80er Jahren hatte Washington vor allem den Drogenbaronen in
Lateinamerika den Kampf angesagt. Doch nach dem 11. September wurde die
Bedrohung durch den islamischen Fundamentalismus wichtiger. Danach wurden die
Budgetmittel neu verteilt, wobei allerdings einige Verwirrung entstand. Die
zuständigen Verfolgungsbeamten verfügten über einige internationale Erfahrung
und auch Sprachkenntnisse - wobei Spanisch überwog. Nun aber tauchte ein neuer
Typ von Experten auf, den der Managementspezialist Henry Mintzberg so
charakterisierte: »Jemand, der immer mehr über immer weniger weiss, bis er
(oder sie) schliesslich alles über nichts weiss.« 5
Die 300 Millionen Dollar von Bin Laden
waren zwar nicht zu belegen, doch es entstand eine ganze Branche, die mit
Enthüllungen über den Weg dieses Geldes handelte. Einige Lohnschreiber
reagierten offensichtlich auf eine politische Nachfrage, andere waren
ideenreicher und hofften auf die ganz grosse Story. Im Nachhinein erscheint es,
dass die ursprünglichen Informanten für derartige Enthüllungen sehr gut
Bescheid wussten. »Experten« wie der Journalist Steven Emerson konnten sich
jedenfalls seit den Anschlägen vor Nachfragen der Medien kaum retten und waren
darum ausserordentlich gefragt. 6
Grossen Anteil an der Mythenbildung hatte auch Jack Kelley, Starjournalist von USA Today (der auflagenstärksten
US-Tageszeitung). 2004 musste die Zeitung einräumen, dass seine Artikel zahlreiche
Fehler und Verfälschungen enthielten. Davor hatte Kelley dem Blatt eine
Sensationsstory nach der anderen über das Thema Terrorismus und seine
Finanziers geliefert. Stets berief er sich auf vertrauliche Quellen und anonyme
Informanten. So etwa auf Augenzeugenberichte junger palästinensischer
Selbstmordattentäter über ihre Einführung in die Verherrlichung des Todes,
ebenso die Behauptung, dass saudische Geschäftsleute mit einem Vermögen von
mehr als 5 Milliarden Dollar laufend zweistellige Millionenbeträge an Bin Laden
zahlten - als »Versicherungsprämie« gegen Anschläge auf ihre Unternehmen.
Gefühlte Wahrheit und Wirklichkeit
Zu Kelleys Erfindungen gehörte auch die
Geschichte, in afghanischen Höhlen habe man Datenträger gefunden, die eindeutig
die Verbindung einer in Chicago ansässigen islamischen Wohlfahrtseinrichtung zu
al-Qaida belegten.7 Kelleys
Reportage mit Augenzeugenberichten von Selbstmordattentaten brachte ihn damals
bis in die Endausscheidung für den Pulitzerpreis. Die Anschläge vom 11.
September haben allerdings erheblich zur Verwischung der Grenzen zwischen
gesicherten Fakten und Erfindung beigetragen. Ein solches Ereignis galt als
»undenkbar«. Deshalb wurde es von vielen ins Reich der Fiktion verwiesen; und
deshalb entstanden in seinem Gefolge wirre Geschichten über die Araber und die
Muslime, die dennoch irgendwie glaubwürdig erschienen. Vor dem September 2001
wusste man noch kaum etwas über Bin Laden und die al-Qaida. Auch Schriftsteller
liessen sich vom geheimen Reichtum Bin Ladens inspirieren. In dem Thriller
‚Machtgier’ des britischen Bestsellerautors Chris Ryan finden sich deutliche
Bezüge auf Sachbücher, die angeblich die geheimen Finanzverbindungen des
Terrorismus enthüllten. 8
Um es mit dem britischen Satiriker Stephen Colbert zu sagen: Es geht in den
Geschichten über die Finanzierung des Terrorismus mehr um »wahr fühlen« (truthiness)
als um Wahrheit. Colbert definiert seine Begriffsschöpfung als das Bemühen, »sich
die Fakten so hinzubiegen, wie man sie haben will« und als »die Fassung, die
gerade gewünscht wird, im Unterschied zur Wirklichkeit«. Da drängt sich der
Vergleich zwischen den geheimen Schätzen Bin Ladens und Saddam Husseins angeblichen
Massenvernichtungswaffen auf. In beiden Fällen dienten vage Annahmen als Grund
für ein aktives Eingreifen: »im finanziellen Krieg gegen den Terrorismus« und
»beim Regimewechsel im Irak«. Inzwischen sind die üblichen Verdächtigen im
ersten Fall (die arabischen Milliardäre, die Saudis, die islamischen
Wohlfahrtseinrichtungen) so bekannt und fragwürdig wie die berühmten Beweise
(die mobilen Forschungslabors, das Uran aus Nigeria), die der US-Öffentlichkeit
zur Begründung des Einmarschs in den Irak präsentiert wurden. In
beiden Fällen wurde ein Kriegsschauplatz eröffnet, um Phantome zu bekämpfen.
(1) Siehe Michael Lewis, "Wall Street
Poker", München (Verlag Moderne Industrie) 2003.
(2) Jack G.
Shaheen, "Reel Bad Arabs. How Hollywood Vilifies a People", New York
(Interlink Pub Group) 2001, S. 2.
(3) Siehe
Kenneth Katzman, "Terrorism: Near Eastern Groups and State Sponsors,
2001", Washington D. C. (Congressional Research Service), 10. September
2001.
(4)
Jennifer Senior, "Intruders in the House of Saud", "The New York
Times Magazine, 14. März 2004
(5) Michael
Ledeen, "The War against the Terror Masters: Why it happened. Where we are
now. How we'll win", New York (St. Martin's Griffin) 2003, S. 41.
(6) Henry
Mintzberg, "The Rise and Fall of Strategic Planning: Reconceiving roles
for planning, plans, planners", New York (Free Press) 1994, S. 317.
(7) Siehe die Artikel von Jack Kelley in
"USA Today, vom 26. Juni 2001, 29. Oktober 1999 und 30. Januar 2002.
(8) Eine der Figuren in dem Roman erklärt:
"Al-Qaida ist sehr reich. Die Ursprünge der Organisation liegen in einem
sehr reichen Land, in Saudi-Arabien, und sie erhält Unterstützung aus der
ganzen Region - Geld aus Jordanien, Ägypten, Pakistan, sogar aus Malaysia
Angeblich verfügt die Organisation über mindestens fünf Milliarden Dollars,
vielleicht sogar noch mehr. Sie bunkern das Geld, und darin sind sie sehr
geschickt." Chris Ryan, "Machtgier", München (Heyne) 2004. Zwei
ähnliche Thriller verfasste Gérard de Villiers, der Autor der Serienromane über
den "freiberuflichen Agenten" Malko.
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt
Ibrahim
Warde ist Professor an der Fletcher School of Law and Diplomacy, Tufts
University, Medford, Massachusetts, Autor von ‘The Financial War on Terror’,
London (I. B. Tauris) 2006. Der vorliegende Text ist
ein Auszug aus der aktuellen französischen Ausgabe dieses Buchs, Marseille
(Editions Agone; Mitherausgeber Le Monde diplomatique).
Quelle: Le
Monde diplomatique Nr. 8378 vom 14.9.2007; Dokumentation Ibrahim Warde
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