Zur Volksinitiative für Volkssouveränität und gegen Behördenpropaganda

Sieben gegnerische Thesen und die Antworten darauf: Erste These: Die Volksinitiative stammt aus der SVP-Küche. Die These ist unrichtig. Die viel gescholtene SVP hatte mit der Kreation und der Formulierung der Volksinitiative nichts zu tun.

Zweite These: Die Volksinitiative stammt von rechtsbürgerlichen Kreisen. Die These ist unrichtig. Die Initianten sind einfache Stimmberechtigte aus allen Bevölkerungskreisen. Die Volksinitiative bezweckt nicht die Bevorzugung einer politischen Haltung. sondern die Erhaltung des unverfälschten Willens der Stimmberechtigten.
 
Dritte These: Die Volksinitiative will dem Bundesrat einen Maulkorb umbinden. Die These ist unrichtig. Einige Wochen vor dem Abstimmungstermin orientiert der Bundesrat die Stimmberechtigten auf Staatskosten flächendeckend im Bundesbüchlein. Er hat dort gegenüber der jeweiligen Gegenmeinung das letzte Wort. Das will die Volksinitiative nicht ändern. Gravierend ist demgegenüber der (im Widerspruch zu Art. 139 Abs. 6 BV nicht gleichzeitig den Stimmberechtigten zur Abstimmung vorgelegte) Gegenvorschlag der Bundesversammlung, der ohne Verfassungsgrundlage den Bundesrat sogar zu bestimmten Äusserungen bis zur Volksabstimmung verpflichten will.
 
Vierte These: Art. 180 Abs. 2 BV verpflichtet den Bundesrat zur Information der Öffentlichkeit über Abstimmungsvorlagen. Die These ist unrichtig. Art. 180 Abs. 2 BV sagt nichts Derartiges, sondern lautet: »Er informiert die Öffentlichkeit rechtzeitig und umfassend über seine Tätigkeit, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen.« Die Referendumsvorlagen kommen aus der Bundesversammlung, sind also nicht Gegenstand dieses Artikels. Die Orientierung darüber ist in jenem Bundesgesetz geregelt, welches das Bundesbüchlein behandelt. Wäre die These richtig, so bräuchte es den im Gegenentwurf vorgeschlagenen § 10a des Bundsgesetzes über die politischen Rechte nicht.
 
Fünfte These: Art. 182 Abs. 2 BV verpflichtet den Bundesrat, die Gesetzgebung und die Beschlüsse der Bundesversammlung zu vollziehen. Die These ist unrichtig. Art. 182 Abs. 2 BV setzt Erlasse voraus, die bereits das Gesetzgebungsverfahren bestanden haben und hat nicht deren Propagierung im Gesetzgebungsverfahren zum Inhalt.
 
Sechste These:  Die Volksinitiative steht in Gegensatz zu Art. 174 BV, der den Bundesrat als die oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes  bezeichnet. Die These ist unrichtig. Der Artikel steht im 3. Kapitel des 5. Titels der Bundesverfassung, welcher die Bundesbehörden behandelt.  Unter diesen und nur unter diesen ist der Bundesrat die oberste leitende Behörde, Volk und Stände, deren Rolle im  4. Titel der Bundsverfassung behandelt ist, hat der Bundesrat nicht zu leiten.
 
Siebente These: Die Volksinitiative beendigt den Dialog zwischen Bundesrat und Stimmberechtigten. Die These ist unrichtig. Es hat nie ein Dialog stattgefunden, sondern nur einseitige Beeinflussung der Stimmberechtigten von behördlicher Seite. Wer sich meldet, erhält  bestenfalls eine kurze Antwort von einer Bundesfunktionärin oder einem Bundesfunktionär. Der Brief des Unterzeichneten vom 12. März 2008 an Herrn Bundespräsident Couchepin im Zusammenhang mit der vorliegenden Abstimmung ist überhaupt nicht beantwortet worden.
 
Zwei aktuelle Tatbestände:
Erster aktueller Tatbestand: Die Bundesbehörden haben den Rauchenden in unserer Volksgemeinschaft schwerwiegende Einschränkungen für ihr tägliches Leben  auferlegt. Weitere Einschränkungen sollen folgen (Nationales Programm Alkohol, Ernährung und Bewegung). Es ist unter diesem Gesichtspunkt nicht verständlich, weshalb die Bundesbehörden so empfindlich auf eine vorübergehende und sachbezogene Einschränkung reagieren, die einmal sie selber oder ihnen Nahestehende betrifft.
 
Zweiter aktueller Tatbestand: Der amtierende Bundespräsident veranstaltete eine Medienkonferenz zu einem Vorgang, dem er selber beigewohnt hatte. Ein Mitglied des Nationalrats veranstaltete daraufhin eine eigene Medienkonferenz und bestritt die Darstellung des Bundespräsidenten unter Vorlage eines Tondokuments.
 
Wenn die bundesrätliche Darstellung schon bezüglich eines einfachen Sachverhalts von einem Nationalratsmitglied in Zweifel gezogen werden kann, wie soll sie dann über das Bundesbüchlein hinaus zu einer mit zahlreichen Fragen verbundenen Materie der Bundespolitik notwendig und nützlich sein?
 
Prof. Dr. iur. Hans Ulrich Walder-Richli
Sempach, den 14. April 2007
 
Institut Felsenegg - Institut für Verfahrens- und Verfassungsfragen
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