Spiel auf Zeit - Libanon: Prowestliches Lager verzögert Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Die Spaltung des Landes hat sich vergrößert - Von Karin Leukefeld 02.08.2008 18:48
Mehr als sechs Wochen nach der Vereinbarung von Doha ist im Libanon noch immer kein Ende der politischen Krise in Sicht. In der Hauptstadt Katars hatten die prowestliche Regierung und die Hisbollah Ende Mai die Grundlage dafür geschaffen, den monatelang vakant gebliebenen Posten des Staatschefs neu zu besetzen. Zwar wurde mit dem ehemaligen Oberkommandierenden der Streitkräfte, General Michel Sleiman, ein neuer Präsident gewählt, doch haben sich die Politiker bisher weder auf eine Regierung der nationalen Einheit geeinigt, noch damit begonnen, wie vereinbart ein neues Wahlgesetz auf den Weg zu bringen.
Die Politiker Libanons, allen voran Ministerpräsident Fouad Siniora, der schon in den letzten 18 Monaten bewiesen hat, daß er zu einem Kompromiß mit der Opposition nicht willens oder nicht fähig ist, spielen auf Zeit. Gestritten wird weiter - vorgeblich um die Besetzung der Ministerien, wobei die Spaltung der christlichen Parteien die Lage verschärft. Die einen sind auf der Seite des sogenannten Mehrheitslagers, die anderen auf Seiten der Opposition. Für Präsident Michel Sleiman, der nach der Doha-Vereinbarung drei der insgesamt 30 Ministerien der Regierung der nationalen Einheit besetzen kann (16 werden von der Regierungsmehrheit, 11 von der Opposition benannt), ist die Verzögerung der Regierungsbildung ein Schlag ins Gesicht. Immerhin scheinen sich beide Lager einig zu sein, daß Verteidigungs- und Innenminister von Sleiman ernannt werden. Die Opposition könne darüber hinaus frei entscheiden, ob sie das Außen- oder Finanzministerium übernehmen wolle, erklärte Siniora, auch wenn er kurz zuvor noch versichert hatte, am Finanzministerium festhalten zu wollen. Auch das Telekommunikationsministerium dürfte die bisherige Regierungsmehrheit nur ungern abgeben. Über dieses Ministerium wird die Vergabe der Gelder aus der III. Pariser Geberkonferenz (Januar 2007) abgewickelt, mit denen eine Reihe von wirtschaftlichen Reformen im Libanon umgesetzt werden sollen. Dabei gehe es um viel »Bakschisch«, erläutert ein Beobachter, der namentlich nicht genannt werden möchte. Viel Geld verschwinde mit jedem Auftrag in tiefen Taschen.
Der Streit um die Ministerien sei eine Verzögerungstaktik, meint Sofia Saadeh, Professorin für Soziologie und Moderne Geschichte des Mittleren Ostens an der Libanesischen Universität in Beirut. Ihrer Meinung nach habe das Lager um Fouad Siniora und Saad Hariri kein Interesse an einer Änderung des Wahlrechts, die eine neue Regierung, wie in Doha vereinbart, umgehend einleiten müsse. Daher zögere man die Regierungsbildung hinaus. Für andere erfüllt Siniora lediglich die Aufträge der US-Regierung. Das zumindest meint Hamad El Horr, ein Pensionär, der seinen richtigen Namen nicht genannt haben möchte. »Die USA und Israel haben in Doha verloren«, meint er. »Libanon ist die letzte Bastion der USA im Nahen Osten, solange Washington kein grünes Licht gibt, geschieht hier gar nichts.« Sofia Saadeh meint, daß die USA und Israel seit dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon (Mai 2000) versucht hätten, die Hisbollah zu entwaffnen. Zunächst mit der UN-Resolution 1559, später durch den Krieg 2006. Die Stationierung der UNIFIL-Truppen im Südlibanon habe die Bewegungsmöglichkeiten der Hisbollah tatsächlich eingeschränkt. Mit seiner Entscheidung vom 5. Mai, das autonome Kommunikationssystem der Hisbollah zu stoppen, habe Siniora die Hisbollah provoziert, zum Selbstschutz militärische Stärke zu zeigen. Immerhin habe die Machtdemonstration zum Abkommen von Doha geführt. Allerdings habe die Hisbollah durch ihr militärisches Vorgehen innerhalb Libanons an Unterstützung bei den Libanesen verloren. Die Spaltung im Land sei größer geworden, räumt auch Abdo Saad vom Beiruter Zentrum für Forschung und Information ein. Wesentlich dazu beigetragen hätten die libanesischen Medien, die den Konflikt unterschiedlicher politischer Interessen, permanent als einen religiösen Streit zwischen Sunniten und Schiiten darstellen. Man dürfe nicht vergessen, daß das Mehrheitslager in Allianz mit den USA und westlich orientierten, arabischen Staaten stehe, während die Opposition ein Bündnis mit Syrien und Iran vertrete. Beide Lager hätten Unterstützer in allen Konfessionen des Landes. Es gehe um zwei unterschiedliche Zukunftsmodelle für den Nahen Osten, so Abdo Saad. Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/07-01/037.php Siehe auch http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=492 Gush Shalom sowie weitere, unter Libanon verzeichnete Artikel auf poltionline
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