Die Kampfhandlungen in Berg-Karabach 04.10.2020 19:48
d.a. In einem wichtigen Schritt haben die Präsidenten Putin, Trump und Macron
am 1. Oktober eine gemeinsame Erklärung zu den
Kampfhandlungen in Berg-Karabach resp. Nagornyj-Karabach veröffentlicht. Alle drei sind Ko-Vorsitzende der Minsk-Gruppe
der OSZE, die sich seit Jahrzehnten mit der Konfliktsituation zwischen Armenien
und Azerbeidschan beschäftigt. Die Präsidenten haben die gegenwärtige
Gewalteskalation aufs schärfste verurteilt:»Wir verlangen eine sofortige
Beendigung der Feindseligkeiten der relevanten Streitkräfte. Außerdem rufen wir
die Führer von Armenien und Aserbaidschan dazu auf, sich unverzüglich zu
substantiellen Verhandlungen bereit zu finden, in guter Absicht und ohne
Vorbedingungen«.
Die Erklärung ist auf der Kreml-Seite und der Webseite
des französischen Aussenministeriums veröffentlicht und wurde beim
Pressebriefing des Weissen Hauses letzten Freitag bekanntgegeben. Zuvor hatte
Präsident Macron am 30. 9. mit Präsident Putin telefoniert. Der russische Aussenminister
Laworw hatte am am 30. September Gespräche mit den aserbaidschanischen und
armenischen Aussenministern geführt, wobei er Russlands Angebot bestätigte, Moskau
als Plattform für eine Lösung des Konflikts und als Ort für ein dreiseitiges
Treffen zu nutzen.
Auf die Tatsache, dass aus dem Nahen Osten extremistische
militärische Gruppen nach Berg-Karabach gebracht worden sind - aus Libyen und Syrien - haben sowohl das russische
Aussenministerium als auch Präsident Macron beim EU-Gipfel vom 2. 10. hingewiesen.
Im Telefonat zwischen Putin und Macron ging es auch um Weissrussland, wobei Putin
»das Prinzip der Nicht-Einmischung in einem souveränen Staat hervorhob«; Druck
von aussen auf legitime Institutionen sei ›inakzeptabel‹. [1]
Wie
aus einer Meldung von ›Réseau Voltaire‹
hervorgeht, kamen am 24. 9. zwei vom aserbaidschanischen
Verteidigungsministerium gecharterte Iljuschin- Militärtransportflugzeuge mit
dem Kennzeichen 4K-AZ101 und 4K-78131 aus Baku auf dem Flughafen Ovda in Israel an und kehrten nach der Beladung an ihren Stützpunkt zurück. [2]
So
berichtet auch Dave DeCamp, dass Israel Waffen nach Aserbaidschan schickt, während
der Kampf mit Armenien weitergeht, so dass israelische Waffen die Kämpfe in der
umstrittenen Region schüren. Hikmet Hadschijew, Assistent des Präsidenten von
Aserbaidschan, sagte gegenüber israelischen Medien, dass das aserbaidschanische
Militär bei den jüngsten Gewalttätigkeiten israelische Angriffsdrohnen
eingesetzt hat. Israel und Aserbaidschan sind wichtige Handelspartner. Die
beiden Länder haben ein gemeinsames Verteidigungsabkommen unterzeichnet, und
man geht davon aus, dass Israel das aserbaidschanische Militär mit 60 % seiner
Waffen versorgt. Israel bezieht eine grosse Menge seines Öls und Erdgases aus
Aserbaidschan.
Wie
bereits vermerkt, sind kürzlich aserbaidschanische
Frachtflugzeuge auf einem Luftwaffenstützpunkt im Süden Israels gesichtet worden,
wobei es, wie DeCamp sagt, relativ häufig vorkommt, dass aserbaidschanische
Frachtflugzeuge auf diesem Stützpunkt landen, aber der Zeitpunkt und die
Häufigkeit der jüngsten Flüge deuteten darauf hin, dass der Konflikt durch israelische
Waffen angeheizt wird. Auch DeCamp hält, wie ›Réseau Voltaire‹, fest,
dass nur wenige Tage vor Ausbruch der Kämpfe zwei aserbaidschanische
Frachtflugzeuge vom Iljuschin Il-76 auf dem Stützpunkt Ovda landeten.
Zwei weitere Frachter kamen am 29. und 20. 9. an, was bedeutet, dass die
aserbaidschanischen Streitkräfte ihre Waffenbestände weiter aufstocken konnten.
Wie Hadschijew erklärt, schätzt die Bevölkerung von
Aserbaidschan, die Aseris, ›die Zusammenarbeit mit Israel, insbesondere die
Verteidigungszusammenarbeit, sehr‹. Bisher hat Israel zu den Kämpfen in Berg-Karabach geschwiegen. Auf die
Frage, ob dieses Schweigen die Aserbaidschaner beunruhigt, sagte Hadschijew: »Nein, nein, Israel und Aserbaidschan verstehen unsere Situation« und zitierte mehrere Abkommen zwischen den beiden Ländern.
Noch dauern die Kämpfe in Berg-Karabach an und lassen
keine Anzeichen einer Verlangsamung
erkennen. Die Türkei wurde beschuldigt, im Namen der Aseris in die Kämpfe
einzugreifen, wobei Armenien behauptet, Ankara setze F-16 ein, um armenische
Kampfjets abzuschiessen, was die Türkei bestreitet. Berichten zufolge, so der
Autor, soll Ankara seinem Verbündeten noch auf andere Weise geholfen haben,
indem es Söldner aus Nordsyrien in die Region schickte, um Aserbaidschan zu
unterstützen, was wiederum, wie nachstehend festgehalten, von ›Réseau Voltaire‹ bestätigt worden ist. [3]
Der
tükische Präsident Erdogan seinerseits sprach am 28. September 2020 auf einem
Symposium über internationales Seerecht über den Konflikt um Berg-Karabach und erinnerte
daran, dass die Minsk-Gruppe seit Auflösung der UdSSR, d.h. seit 30 Jahren, vergeblich
versucht habe, den Konflikt zu lösen. Wie er allerdings darlegte, »sähe es so
aus, als hätten sie alles in ihrer Macht Stehende getan, um diese Frage nicht
zu lösen. Und jetzt erteilen sie Lektionen und lassen ab und zu auch Drohungen laut
werden«. Erdogan zufolge sind die Feindseligkeiten
von Baku ausgelöst worden. »Aserbaidschan«, so Erdogan ferner, »denkt, es sei
an der Zeit, Rechenschaft zu verlangen, es musste die Dinge selbst in die Hand
nehmen«. [4] Aufschlussreich hierzu sind die Angaben des
armenischen Botschafters in Moskau, Vardan Toganyan, gemäss denen die Türkei
vor den Zusammenstössen 4.000 Dschihadisten vom Norden Syriens nach Aserbaidschan
verlegt hat. Diese wurden dort in Trainingslagern ausgebildet, bevor sie Berg-Karabakh
angriffen. [5] Bekanntlich zählt Aserbaidschan zu den sogenannten
Turkstaaten und gilt als enger Verbündeter, man könnte auch sagen: Satellit der
Türkei.
Der
Krieg um Berg-Karabach - ein von Armeniern besiedeltes Gebiet, das ab 1923 als
autonome Region der Sowjetrepublik Aserbaidschan zugesprochen worden war -
bildete einen der schwersten Konflikte, die im Gefolge des Zerfalls der
Sowjetunion ausbrachen. Im Verlauf der bis 1994 andauernden Kämpfe wurden
Zehntausende Menschen getötet und mehr als eine Million vertrieben. Als
zentrale Konflikttreiber erwiesen sich dabei die Pogrome von 1990 an der armenischen
Minderheit Aserbaidschans, die von Armenien sofort in Zusammenhang mit dem
türkischen Genozid an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches im
Jahr 1915 gebracht wurden. Armenien konnte den Krieg zwar für sich entscheiden,
doch erhob die aserbaidschanische Führung in der Folge die Rückeroberung der ehemaligen sowjetischen
autonomen Region zu einer Maxime ihrer Aussenpolitik.
Beide
Seiten haben sich gegenseitig beschuldigt, die aktuellen Kämpfe begonnen zu
haben. Laut der aserbaidschanischen Führung habe die Armee eine ›Gegenoffensive‹ gestartet, nachdem Armenien die Kämpfe provoziert habe. Aus Armenien
hiess es wiederum, die aserbaidschanische Armee habe die international nicht
anerkannte Republik Arzach, die auf dem Territorium der Region Berg-Karabach
gegründet worden ist, am Sonntagmorgen, 27. 9., mit schweren Waffen
angegriffen. Dabei sollen auch zivile Ziele in der Hauptstadt von Arzach, der rund 50.000 Einwohner
zählenden Stadt Stepanakert, beschossen worden sein.
Obwohl
die militärisch-technische Überlegenheit des ölreichen Aserbaidschans aufgrund
des hohen Militäretats, der die Ausmasse des gesamten armenischen Haushalts erreicht,
in den letzten Jahren zumindest theoretisch immer deutlicher wurde, scheint
eine direkte militärische Intervention Moskaus in den Konflikt um Berg-Karabach
unwahrscheinlich. Für Russland stellt Armenien aufgrund eines russischen
Militärstützpunktes und der Übernahme der Energie-Infrastruktur des Landes eine
wichtige geopolitische Basis in der Region dar, die den Einfluss des Westens an
der russischen Südflanke abblocken soll. Doch zugleich unterhält Moskau auch
recht gute Beziehungen zu Aserbaidschan, vor allem als Waffenlieferant.
Folglich dürfte Russland nur dann intervenieren, wenn Armeniens Territorium
angegriffen würde, was die russischen Interessen in der Region direkt
tangierte. Dies wäre etwa bei einem türkischen Angriff gegen die Republik
Armenien der Fall. [6]
Was nun das Verhältnis zwischen Aserbaidschan und Israel
angeht, so hatte der Iran, wie dies Knut Mellenthin von der ›Jungen Welt‹ festhielt, die enge Zusammenarbeit
Bakus mit Israel schon 2012 mit Misstrauen und Ablehnung beobachtet. Unter
anderem war befürchtet worden, dass der israelischen Luftwaffe die Benutzung
der noch aus der Sowjetzeit stammenden grossen Militärflughäfen für Angriffe
gegen den Iran erlaubt werden könnte. Solche Gerüchte, so Mellenthin, tauchen
immer wieder in westlichen Medien auf, scheinen aber oft nur den Zweck zu
verfolgen, die Beziehungen zwischen Baku und Teheran noch weiter zu vergiften
und wurden von Aserbaidschan mehrfach kategorisch dementiert. Fakt ist
indessen, dass im Februar 2012 ein umfangreiches Waffengeschäft zwischen Israel
und Aserbaidschan bekannt geworden war, dessen Gesamtwert zwischen 1,5 und 1,6
Milliarden $ gelegen haben soll. Aserbaidschan verfügt durch seine Einnahmen
aus dem Export von Erdöl und Naturgas über eine gut gefüllte Staatskasse und
hat in den vergangenen Jahren viel Geld für moderne Waffen und
die Verstärkung seiner Streitkräfte ausgegeben. Wie es auch damals hiess, machte
das Regime in Baku kein Geheimnis daraus, dass es damit zu gegebener Zeit einen
Revanchekrieg gegen das benachbarte Armenien führen wolle, um die frühere
Enklave Bergkarabach und deren Umgebung zurückzuerobern. [7]
Am
1. Oktober fand in Berlin das erste
Kaspisch-Europäischen Forum statt. Anlässlich dieser Konferenz pries der Energieminister
von Aserbaidschan sein Land als zuverlässigen Öl- und Gaslieferanten Europas
und künftigen Knotenpunkt auf der Glasfaserstrecke nach Asien. Eine ›Region der Möglichkeiten‹, meinte
auch Michael Harms, der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft.
Die EU billigt Aserbaidschan als Gegengewicht zu Russland eine wichtige Rolle
als Energielieferant zu. Noch in diesem Jahr soll vom Gasfeld Shah Deniz 2 im
Kaspischen Meer über den südlichen Gaskorridor Baku–Tiflis–Erzurum–Ceyhan Erdgas
nach Europa geliefert werden. [8]
Fakt
ist, dass Aserbaidschan autoritär regiert wird, woran die EU im Gegensatz zu
ihrem Verhalten Weissrussland gegenüber offensichtlich keinen Anstoss nimmt.
Indessen dauern die Gefechte der verfeindeten
Nachbarländer um die umstrittene Region, die beide Länder für sich
beanspruchen, trotz internationaler Appelle für einen Waffenstillstand an. Die
Region gehört völkerrechtlich zum muslimischen Aserbaidschan, ist aber
christlich und armenisch geprägt. Berg-Karabach hat sich 2017 als Republik Arzach selbst für unabhängig erklärt,
wird aber international nicht anerkannt. Der Streit hat auch dazu geführt, dass
sich seit Jahren armenische Truppen, deren Abzug von Aserbaidschan gefordert
wird, in einer Pufferzone rund um Berg-Karabach befinden.
Die jetzigen Kampfhandlungen sind die
schwersten seit Jahren. Am Freitag, 2. Oktober, ist die Hauptstadt Stepanakert
laut armenischen Angaben mit Raketen angegriffen worden, was zu vielen Verletzten
und zahlreichen zerstörten Häusern geführt hat. Die aserbaidschanische Armee wiederum
sprach von schwerem Artilleriefeuer auf Dörfer und Städte auf ihem
Staatsgebiet.
Experten warnen davor, dass sich die
aktuellen Gefechte zu einem blutigen Krieg entwickeln könnten: Immerhin gehören
sowohl Armenien als auch Aserbaidschan zu den zehn am stärksten bewaffneten
Staaten der Welt; beide Staaten geben sich bekanntlich gegenseitig die Schuld
an der aktuellen Gewalt. [9]
[1] https://www.bueso.de/gemeinsame-erklaerung-putin-trump-macron-
nagorno-karabakh 2. 10. 12
[2] https://www.voltairenet.org/article210958.html 2. 10. 20
[3] http://antikrieg.com/aktuell/2020_10_01_israelschickt.htm
1. 10. 20 resp. https://www.antiwar.com/
[4] https://www.voltairenet.org/article210949.html 1. 10. 20
[5] https://www.voltairenet.org/article210894.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Suedkaukasus-vor-Grosskrieg-4914079.html 28. 9. 20
[7] http://www.jungewelt.de/2012/05-24/034.php
24. 5. 2012 Schlechte Nachbarschaft - Konflikt zwischen Iran und Aserbaidschan
spitzt sich weiter zu - Von
Knut Mellenthin [8]
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/aserbaidschan-konflikt-mit-armenien-koennte-handel-gefaehrden-16981641.html 1.
10. 20 [9] https://orf.at/stories/3183713/
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