Die Kampfhandlungen in Berg-Karabach

d.a. In einem wichtigen Schritt haben die Präsidenten Putin, Trump und Macron

am 1. Oktober eine gemeinsame Erklärung zu den Kampfhandlungen in Berg-Karabach resp. Nagornyj-Karabach veröffentlicht. Alle drei sind Ko-Vorsitzende der Minsk-Gruppe der OSZE, die sich seit Jahrzehnten mit der Konfliktsituation zwischen Armenien und Azerbeidschan beschäftigt. Die Präsidenten haben die gegenwärtige Gewalteskalation aufs schärfste verurteilt:»Wir verlangen eine sofortige Beendigung der Feindseligkeiten der relevanten Streitkräfte. Außerdem rufen wir die Führer von Armenien und Aserbaidschan dazu auf, sich unverzüglich zu substantiellen Verhandlungen bereit zu finden, in guter Absicht und ohne Vorbedingungen«.   

Die Erklärung ist auf der Kreml-Seite und der Webseite des französischen Aussenministeriums veröffentlicht und wurde beim Pressebriefing des Weissen Hauses letzten Freitag bekanntgegeben. Zuvor hatte Präsident Macron am 30. 9. mit Präsident Putin telefoniert. Der russische Aussenminister Laworw hatte am am 30. September Gespräche mit den aserbaidschanischen und armenischen Aussenministern geführt, wobei er Russlands Angebot bestätigte, Moskau als Plattform für eine Lösung des Konflikts und als Ort für ein dreiseitiges Treffen zu nutzen.

Auf die Tatsache, dass aus dem Nahen Osten extremistische militärische Gruppen nach Berg-Karabach gebracht worden sind  - aus Libyen und Syrien - haben sowohl das russische Aussenministerium als auch Präsident Macron beim EU-Gipfel vom 2. 10. hingewiesen. Im Telefonat zwischen Putin und Macron ging es auch um Weissrussland, wobei Putin »das Prinzip der Nicht-Einmischung in einem souveränen Staat hervorhob«; Druck von aussen auf legitime Institutionen sei inakzeptabel.  [1]

Wie aus einer Meldung von Réseau Voltaire hervorgeht, kamen am 24. 9. zwei vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium gecharterte Iljuschin- Militärtransportflugzeuge mit dem Kennzeichen 4K-AZ101 und 4K-78131 aus Baku auf dem Flughafen Ovda in Israel an und kehrten nach der Beladung an  ihren Stützpunkt zurück.  [2]

So berichtet auch Dave DeCamp, dass Israel Waffen nach Aserbaidschan schickt, während der Kampf mit Armenien weitergeht, so dass israelische Waffen die Kämpfe in der umstrittenen Region schüren. Hikmet Hadschijew, Assistent des Präsidenten von Aserbaidschan, sagte gegenüber israelischen Medien, dass das aserbaidschanische Militär bei den jüngsten Gewalttätigkeiten israelische Angriffsdrohnen eingesetzt hat. Israel und Aserbaidschan sind wichtige Handelspartner. Die beiden Länder haben ein gemeinsames Verteidigungsabkommen unterzeichnet, und man geht davon aus, dass Israel das aserbaidschanische Militär mit 60 % seiner Waffen versorgt. Israel bezieht eine grosse Menge seines Öls und Erdgases aus Aserbaidschan.

Wie bereits  vermerkt, sind kürzlich aserbaidschanische Frachtflugzeuge auf einem Luftwaffenstützpunkt im Süden Israels gesichtet worden, wobei es, wie DeCamp sagt, relativ häufig vorkommt, dass aserbaidschanische Frachtflugzeuge auf diesem Stützpunkt landen, aber der Zeitpunkt und die Häufigkeit der jüngsten Flüge deuteten darauf hin, dass der Konflikt durch israelische Waffen angeheizt wird. Auch DeCamp hält, wie Réseau Voltaire, fest, dass nur wenige Tage vor Ausbruch der Kämpfe zwei aserbaidschanische Frachtflugzeuge vom Iljuschin Il-76 auf dem Stützpunkt Ovda landeten. Zwei weitere Frachter kamen am 29. und 20. 9. an, was bedeutet, dass die aserbaidschanischen Streitkräfte ihre Waffenbestände weiter aufstocken konnten. Wie Hadschijew erklärt, schätzt die Bevölkerung von Aserbaidschan, die Aseris, die Zusammenarbeit mit Israel, insbesondere die Verteidigungszusammenarbeit, sehr. Bisher hat Israel zu den Kämpfen in Berg-Karabach geschwiegen. Auf die Frage, ob dieses Schweigen die Aserbaidschaner beunruhigt, sagte Hadschijew: »Nein, nein, Israel und Aserbaidschan verstehen unsere Situation« und zitierte mehrere Abkommen zwischen den beiden Ländern.  

Noch dauern die Kämpfe in Berg-Karabach an und lassen keine Anzeichen einer   Verlangsamung erkennen. Die Türkei wurde beschuldigt, im Namen der Aseris in die Kämpfe einzugreifen, wobei Armenien behauptet, Ankara setze F-16 ein, um armenische Kampfjets abzuschiessen, was die Türkei bestreitet. Berichten zufolge, so der Autor, soll Ankara seinem Verbündeten noch auf andere Weise geholfen haben, indem es Söldner aus Nordsyrien in die Region schickte, um Aserbaidschan zu unterstützen, was wiederum, wie nachstehend festgehalten, von Réseau Voltaire bestätigt worden ist.  [3] 

Der tükische Präsident Erdogan seinerseits sprach am 28. September 2020 auf einem Symposium über internationales Seerecht über den Konflikt um Berg-Karabach und erinnerte daran, dass die Minsk-Gruppe seit Auflösung der UdSSR, d.h. seit 30 Jahren, vergeblich versucht habe, den Konflikt zu lösen. Wie er allerdings darlegte, »sähe es so aus, als hätten sie alles in ihrer Macht Stehende getan, um diese Frage nicht zu lösen. Und jetzt erteilen sie Lektionen und lassen ab und zu auch Drohungen laut werden«. Erdogan zufolge sind die Feindseligkeiten von Baku ausgelöst worden. »Aserbaidschan«, so Erdogan ferner, »denkt, es sei an der Zeit, Rechenschaft zu verlangen, es musste die Dinge selbst in die Hand nehmen«.  [4]  Aufschlussreich hierzu sind die Angaben des armenischen Botschafters in Moskau, Vardan Toganyan, gemäss denen die Türkei vor den Zusammenstössen 4.000 Dschihadisten vom Norden Syriens nach Aserbaidschan verlegt hat. Diese wurden dort in Trainingslagern ausgebildet, bevor sie Berg-Karabakh angriffen.  [5]  Bekanntlich zählt Aserbaidschan zu den sogenannten Turkstaaten und gilt als enger Verbündeter, man könnte auch sagen: Satellit der Türkei.   

Der Krieg um Berg-Karabach - ein von Armeniern besiedeltes Gebiet, das ab 1923 als autonome Region der Sowjetrepublik Aserbaidschan zugesprochen worden war - bildete einen der schwersten Konflikte, die im Gefolge des Zerfalls der Sowjetunion ausbrachen. Im Verlauf der bis 1994 andauernden Kämpfe wurden Zehntausende Menschen getötet und mehr als eine Million vertrieben. Als zentrale Konflikttreiber erwiesen sich dabei die Pogrome von 1990 an der armenischen Minderheit Aserbaidschans, die von Armenien sofort in Zusammenhang mit dem türkischen Genozid an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches im Jahr 1915 gebracht wurden. Armenien konnte den Krieg zwar für sich entscheiden, doch erhob die aserbaidschanische Führung in der Folge die Rückeroberung der ehemaligen sowjetischen autonomen Region zu einer Maxime ihrer Aussenpolitik.   

Beide Seiten haben sich gegenseitig beschuldigt, die aktuellen Kämpfe begonnen zu haben. Laut der aserbaidschanischen Führung habe die Armee eine Gegenoffensive gestartet, nachdem Armenien die Kämpfe provoziert habe. Aus Armenien hiess es wiederum, die aserbaidschanische Armee habe die international nicht anerkannte Republik Arzach, die auf dem Territorium der Region Berg-Karabach gegründet worden ist, am Sonntagmorgen, 27. 9., mit schweren Waffen angegriffen. Dabei sollen auch zivile Ziele in der Hauptstadt  von Arzach, der rund 50.000 Einwohner zählenden Stadt Stepanakert, beschossen worden sein.    

Obwohl die militärisch-technische Überlegenheit des ölreichen Aserbaidschans aufgrund des hohen Militäretats, der die Ausmasse des gesamten armenischen Haushalts erreicht, in den letzten Jahren zumindest theoretisch immer deutlicher wurde, scheint eine direkte militärische Intervention Moskaus in den Konflikt um Berg-Karabach unwahrscheinlich. Für Russland stellt Armenien aufgrund eines russischen Militärstützpunktes und der Übernahme der Energie-Infrastruktur des Landes eine wichtige geopolitische Basis in der Region dar, die den Einfluss des Westens an der russischen Südflanke abblocken soll. Doch zugleich unterhält Moskau auch recht gute Beziehungen zu Aserbaidschan, vor allem als Waffenlieferant. Folglich dürfte Russland nur dann intervenieren, wenn Armeniens Territorium angegriffen würde, was die russischen Interessen in der Region direkt tangierte. Dies wäre etwa bei einem türkischen Angriff gegen die Republik Armenien der Fall.  [6]

Was nun das Verhältnis zwischen Aserbaidschan und Israel angeht, so hatte der Iran, wie dies Knut Mellenthin von der Jungen Welt festhielt, die enge Zusammenarbeit Bakus mit Israel schon 2012 mit Misstrauen und Ablehnung beobachtet. Unter anderem war befürchtet worden, dass der israelischen Luftwaffe die Benutzung der noch aus der Sowjetzeit stammenden grossen Militärflughäfen für Angriffe gegen den Iran erlaubt werden könnte. Solche Gerüchte, so Mellenthin, tauchen immer wieder in westlichen Medien auf, scheinen aber oft nur den Zweck zu verfolgen, die Beziehungen zwischen Baku und Teheran noch weiter zu vergiften und wurden von Aserbaidschan mehrfach kategorisch dementiert. Fakt ist indessen, dass im Februar 2012 ein umfangreiches Waffengeschäft zwischen Israel und Aserbaidschan bekannt geworden war, dessen Gesamtwert zwischen 1,5 und 1,6 Milliarden $ gelegen haben soll. Aserbaidschan verfügt durch seine Einnahmen aus dem Export von Erdöl und Naturgas über eine gut gefüllte Staatskasse und hat in den vergangenen Jahren viel Geld für moderne Waffen und die Verstärkung seiner Streitkräfte ausgegeben. Wie es auch damals hiess, machte das Regime in Baku kein Geheimnis daraus, dass es damit zu gegebener Zeit einen Revanchekrieg gegen das benachbarte Armenien führen wolle, um die frühere Enklave Bergkarabach und deren Umgebung zurückzuerobern.  [7]

Am 1. Oktober fand in Berlin das erste Kaspisch-Europäischen Forum statt. Anlässlich dieser Konferenz pries der Energieminister von Aserbaidschan sein Land als zuverlässigen Öl- und Gaslieferanten Europas und künftigen Knotenpunkt auf der Glasfaserstrecke nach Asien. Eine Region der Möglichkeiten, meinte auch Michael Harms, der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. Die EU billigt Aserbaidschan als Gegengewicht zu Russland eine wichtige Rolle als Energielieferant zu. Noch in diesem Jahr soll vom Gasfeld Shah Deniz 2 im Kaspischen Meer über den südlichen Gaskorridor Baku–Tiflis–Erzurum–Ceyhan Erdgas nach Europa geliefert werden.  [8]  

Fakt ist, dass Aserbaidschan autoritär regiert wird, woran die EU im Gegensatz zu ihrem Verhalten Weissrussland gegenüber offensichtlich keinen Anstoss nimmt.

Indessen dauern die Gefechte der verfeindeten Nachbarländer um die umstrittene Region, die beide Länder für sich beanspruchen, trotz internationaler Appelle für einen Waffenstillstand an. Die Region gehört völkerrechtlich zum muslimischen Aserbaidschan, ist aber christlich und armenisch geprägt. Berg-Karabach hat sich 2017 als Republik Arzach selbst für unabhängig erklärt, wird aber international nicht anerkannt. Der Streit hat auch dazu geführt, dass sich seit Jahren armenische Truppen, deren Abzug von Aserbaidschan gefordert wird, in einer Pufferzone rund um Berg-Karabach befinden.   

Die jetzigen Kampfhandlungen sind die schwersten seit Jahren. Am Freitag, 2. Oktober, ist die Hauptstadt Stepanakert laut armenischen Angaben mit Raketen angegriffen worden, was zu vielen Verletzten und zahlreichen zerstörten Häusern geführt hat. Die aserbaidschanische Armee wiederum sprach von schwerem Artilleriefeuer auf Dörfer und Städte auf ihem Staatsgebiet.  

Experten warnen davor, dass sich die aktuellen Gefechte zu einem blutigen Krieg entwickeln könnten: Immerhin gehören sowohl Armenien als auch Aserbaidschan zu den zehn am stärksten bewaffneten Staaten der Welt; beide Staaten geben sich bekanntlich gegenseitig die Schuld an der aktuellen Gewalt.  [9]

 

[1]  https://www.bueso.de/gemeinsame-erklaerung-putin-trump-macron- nagorno-karabakh   2. 10. 12
[2]  https://www.voltairenet.org/article210958.html  2.
10. 20
[3]  
http://antikrieg.com/aktuell/2020_10_01_israelschickt.htm
1. 10. 20  resp. 
https://www.antiwar.com/
[4] 
https://www.voltairenet.org/article210949.html  1. 10. 20
[5]  https://www.voltairenet.org/article210894.html
[6]  https://www.heise.de/tp/features/Suedkaukasus-vor-Grosskrieg-4914079.html   28. 9. 20
[7]  http://www.jungewelt.de/2012/05-24/034.php    24. 5. 2012

Schlechte Nachbarschaft -  Konflikt zwischen Iran und Aserbaidschan spitzt sich weiter zu
  - Von Knut Mellenthin
[8]
  https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/aserbaidschan-konflikt-mit-armenien-koennte-handel-gefaehrden-16981641.html     1. 10. 20
[9] 
https://orf.at/stories/3183713/