Belarus - Die Spannungen an den weissrussischen Grenzen

d.a. Vorauszuschicken ist, dass die EU sich das Recht herausgenommen hat, Alexander Lukaschenko seit den Wahlen im August 2020 die Anerkennung als

Präsident des Landes zu verweigern. Als Grund hierfür dient ganz einfach die Behauptung, dass diese gefälscht waren, was auch von der USA so gesehen wurde. Die von Brüssel daraufhin verhängten Sanktionen betrafen zunächst 40 Personen, die den umstrittenen Staatspräsidenten Lukaschenko unterstützt haben sollen und denen zur Last gelegt wurde, an Wahlfälschungen oder an der Niederschlagung von Protesten beteiligt gewesen zu sein. Ihre Vermögen im Ausland sind eingefroren worden; ferner wurden ihnen  Reisebeschränkungen auferlegt.  [1]  Auch hier stellt sich unmittelbar die Frage: Mit welchem Recht? Letztlich ist Weissrussland mitnichten Mitglied der Europäischen Union, die hier wiederum eine ihrer denkbar schlechten Seiten offenbart, nämlich ihr beharrliches Streben, ihre Macht zu konsolidieren. Auch das Europäische Parlament hatte wissen lassen, dass es Lukaschenko ab dem 5. November 2020 nicht mehr als Präsident betrachten würde. In der Entschliessung des EP wurde ferner der Koordinierungsrat der belarussischen Opposition als vorübergehender Volksvertreter anerkannt und die Unterstützung für die Abhaltung von Neuwahlen ausgesprochen. Wie es des weiteren hiess, unterstütze das EP auch mögliche Sanktionen gegen Lukaschenko selbst.  [2 

Was die Lage der an den Grenzen festgehaltenen Migranten angeht, so hatte Lukaschenko noch am 17. November in einem Telefongespräch mit Merkel angeboten, mit der EU über die Krise zu verhandeln, was von der EU zurückgewiesen wurde: «Es steht nicht zur Debatte», so der Sprecher der EU-Kommission, Eric Mamer, am 18. 11. vor Reportern, «mit dem Lukaschenko-Regime zu verhandeln».  [3]

Eine derartige Missachtung stärkt natürlich die Ansprüche der an der Grenze zu Polen stehenden Immigrationsmassen. Denn um solche geht es. Wie am 25. 11. berichtet, verlangten diese von der EU, hinsichtlich ihrer Sachlage eine Entscheidung zu treffen. Wie sie erklärten, möchten sie in einem friedlichen und stabilen Land leben. Wie sie ferner darlegten, «seien sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa gekommen»...... und daraus rechtfertigt sich wohl die zum Teil massive Gewalt, die sie beim Versuch der Zerstörung der polnischen Grenzanlagen an den Tag gelegt haben. [4]  Warum wagt niemand, ihnen zu sagen, dass es ein absolutes Gebot für sie selbst wäre, ihre gesamten Kräfte dahingehend einzusetzen, dieses lebenswerte Dasein in ihrem eigenen Land zu schaffen, anstatt unter dem Deckmantel von Menschenrechten und Asylansprüchen den Eintritt bei uns erzwingen zu wollen.

Fakt ist, dass sich die Zahl der nach Weissrussland einströmenden illegalen Migranten seit den von der EU gegen das Regime von Alexander Lukaschenko verhängten Sanktionen vervielfacht hat. Mitte Mai hatte Lukaschenko damit gedroht, die Migration gezielt zu intensivieren. Im übrigen liegt der Reisepreis für die Ankömmlinge aus dem Irak zwischen 6.000 und 15.000 US-$, um Litauen zu erreichen. Diejenigen, die ausreisen wollen, kaufen eine Reise und werden dann in Hotels in Minsk untergebracht, wo sie drei bis vier Tage bleiben. Danach werden sie von einem weissrussischen Führer zur Grenze gebracht, der sie an dort zurücklässt und ihnen sagt: «Europa ist da drüben».  [5]  Fakt ist ferner, dass die EU Weissrussland direkt beschuldigt hat, Migranten aus den vom Krieg zerrissenen Ländern des Nahen Ostens als Vergeltung für die Sanktionen an seine Grenzen zu schicken, was von Minsk zurückgewiesen worden ist.  Inzwischen ist angesichts des hartnäckigen Widerstands vor allem der Polen damit begonnen worden, irakische Migranten in ihr Land zurückzufliegen.  [3]  

Sanktionen

Nun reicht die Drohung resp. das Verhängen von EU-Sanktionen weit zurück. Eine der ersten Nachrichten, die von der Einmischung der EU in die Geschicke des Landes zeugen, datiert vom 17. 3. 2006, als Brüssel die sofortige Freilassung von im März festgenommenen Oppositionellen forderte und der Regierung im Hinblick auf die anstehende Wahl erneut mit Sanktionen drohte. Zu den Gründen der Festnahmen lagen keine Angaben vor. Die damalige EU-Aussenkommissarin Benita  Ferrero-Waldner hatte die Festnahme indessen als »völlig inakzeptabel« erklärt.   [6]  Vor jener Präsidentenwahl war erstmals einem deutschen Wahlbeobachter der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, dem CDU-MdB Georg Schirmbeck, sowie 6 weiteren deutschen Wahlbeobachtern die Einreise verweigert worden. Zuvor hatte die Regierung bereits schwedische und dänische Wahlbeobachter ausgewiesen. Damals hatte auch EU-Chefdiplomat  Javier Solana seine Empörung darüber geäussert, dass der weissrussische Aussenminister Sergej Martinow die Botschafter der EU-Staaten gewarnt habe, dass «jede Verantwortung für mögliche Konsequenzen von Massenunruhen bei der Opposition und den sie unterstützenden Regierungen liegt».  In Kenntnis aller zurückliegender sogenannter farbigen Revolutionen, die die Handschrift von Soros und Stiftungen tragen, absolut begreiflich.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Russland die EU-Länder aufgefordert, sich nicht in die Angelegenheiten von Belarus einzumischen, indem sie oppositionelle Strukturen finanzierten. Am 1. 9. 2020 hatte das russische Aussenministerium gemeldet, dass die EU nicht davor zurückgeschrecke, zu versuchen, die Situation im Land zu beeinflussen. «Anstelle von Zurückhaltung und Taktgefühl, die so notwendig sind, um die Voraussetzungen für einen breiten nationalen Dialog zu schaffen, wird dem Einsatz unrechtmäßiger einseitiger Sanktionen der Vorzug gegeben. Immer lauter werden die Rufe nach einer Erhöhung der finanziellen Unterstützung der weißrussischen oppositionellen Strukturen und nach deren Unterstützung durch die Nachbarländer von Weißrussland». Wie es ferner hiess, laufen solche Forderungen dem in der Schlussakte von Helsinki verankerten Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten zuwider.  [7]  Der ukrainischen Ökonomin Dr. Natalia Witrenko zufolge gab der Westen für   die Unterstützung der Opposition 6 Milliarden $ aus.  [8]   

Am 3. 9. 2020 hatte Aussenminister Sergej Lawrow erklärt, «dass radikale Aktionen während Demonstrationen in Belarus aus dem Gebiet der Ukraine provoziert und finanziert werden. Es gibt bestätigte Informationen darüber, dass solche Aktivitäten auf dem Territorium der Ukraine durchgeführt werden. Es gibt Stepan Banderas Trident, C14, das National Corps und den rechten Sektor. Alle diese Strukturen sind aktiv an der Provokation durch radikale Aktionen in Minsk und in anderen Städten Weißrusslands beteiligt. Sie finanzieren geeignete   Veranstaltungen und stiften diejenigen an, die ihrer Meinung nach extremistische Führer sein könnten und Kraftelemente in das Geschehen während der Demonstration in der belarussischen Hauptstadt einbringen. Lawrow fuhr fort: Nach unseren Informationen in der Region Wolyn in der Region Dnipropetrowsk gibt es in der Ukraine Trainingslager für solche Extremisten, und wir haben dies heute erörtert. Ich bin sicher, dass unsere Sonderdienste dies inhaltlicher behandeln sollten, sie stehen in Kontakt miteinander. Nach unseren Schätzungen befinden sich derzeit etwa 200 auf ukrainischem Gebiet ausgebildete Extremisten in Belarus.  [9]

Am 28. August letzten Jahres hatten sich dann die EU-Außenminister auf Strafmassnahmen gegen ranghohe Unterstützer des belarussischen Staatschefs verständigt. «Zwei Überlegungen waren dafür maßgeblich», hiess es dazu in der FAZ: «Zum einen haben sich die Minister auf ein graduelles Vorgehen geeinigt. Man wolle jetzt noch nicht den Hammer rausholen und sich weitere Eskalationsstufen vorbehalten». Von einer sagenhaften Arroganz; und Arroganz war noch nie ein Zeichen von Intelligenz.  [10]  Noch Anfang Oktober hatten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten die Menschen in Weissrussland dazu ermuntert, die Demonstrationen für einen demokratischen Wandel des Landes fortzusetzen. Im Fall eines Erfolgs der Proteste gegen den aktuellen Machtapparat in Minsk könnte es so den Beschlüssen des EU-Gipfels in Brüssel zufolge «einen umfassenden Plan zur wirtschaftlichen Unterstützung eines demokratischen Belarus» geben.  [11]

Als Gefolgsleute von Sanktionsforderungen erwiesen sich auch Grossbritannien und Kanada, indem sie im September 2020 eigene Sanktionen gegen  Lukaschenko verhängten, die auch für dessen Sohn sowie für sechs weitere Vertreter der Regierung gelten. Der britische Aussenminister Raab erklärte, man habe ein Einreiseverbot verhängt und das Vermögen der Betroffenen eingefroren. Die Entscheidung sei zusammen mit Kanada gefällt worden. Dies sei eine klare Botschaft an das gewalttätige und betrügerische Regime in Belarus.  [12] 

Nicht umsonst hat wohl Lukaschenko inzwischen mehr als 40 NGOs verboten oder deren Niederlassungen geschlossen.  [13]  Die praktisch uneingeschränkte Rolle der Stiftungen zeigte sich klar bei der Forderung deutscher Aussenpolitiker nach Unterstützung der prowestlichen Opposition: Der langjährige führende Politiker von Bündnis 90/Die Grünen, Ralf Fücks, Ex-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und seit 2017 Geschäftsführer der transatlantischen Denkfabrik ›Zentrum Liberale Moderne‹, hatte Ende August 2020 gefordert, die «EU solle Druck für Neuwahlen machen». So behauptete er, die Union operiere in den Machtkämpfen in Belarus nicht offensiv genug.  [14]  Auf das brutale Vorgehen gegen die Oppositionellen und Protestierenden, die ihm Wahlfälschung vorwarfen und zu Tausenden auf die Straße gingen, erklärte Lukaschenko gegenüber der BBC am 19. November: «Okay, okay, ich gebe es zu. Ich gebe zu, dass sie verprügelt worden sind. Aber Polizisten auch. Das habt ihr nicht gezeigt». Die BBC hatte auch die Schliessung der NGOs kritisiert. Dazu Lukaschenko drastisch: «Wir werden all den Abschaum massakrieren, den ihr, der Westen, finanziert habt». Der Westen sei nur frustriert, weil «wir jetzt all eure Strukturen zerstört haben, eure NGOs und all jene, die ihr bezahlt».  [15]  

Von den Ende Juni dieses Jahres gegen Belarus verhängte EU-Sanktionen ist vor allem die Wirtschaft des Landes, wie die Kali- und Düngemittelindustrie sowie Mineralölunternehmen und der Finanzdienstleistungssektor betroffen. Bei diesen handelt es sich weitgehend um Staatsbetriebe, über die sich das Regime von Staatspräsident Lukaschenko finanziert. Diese Finanzierungsquellen sollen laut Maas Schritt für Schritt ausgetrocknet werden.  [16]  Und wie Heiko Maas in seiner Funktion als Aussenminister freundlicherweise zu vermerken wusste: «Wir sind noch lange nicht am Ende der Sanktionsspirale angelangt  [17], während Kanzlerkandidat Olaf Scholz schon Ende August letzten Jahres verlauten liess, dass «Lukaschenko alle Legitimation verloren hat und abtreten sollte»; ferner: «Wir müssen den Prozeß der Selbstbefreiung der Bürgerinnen und Bürger von Belarus tatkräftig unterstützen».  [18]


Wie vor 83 Jahren

schreibt Wolfgang Effenberger: Schreckliche Bilder von der polnischen Grenze  

»Am Morgen des 9. November 2021 stellte Polen nach Angaben des  Grenzschutzes den Grenzverkehr zu Weißrussland für Waren und Personen am Übergang Kuznica ein, nachdem angeblich große Gruppen von Migranten (bis zu 4 000 aus Afghanistan und dem Irak) versucht hätten, die EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus zu durchbrechen. [1] Die EU hat die Wahl Alexander Lukashenkos zum Präsidenten Weißrusslands nicht anerkannt und wirft nun dem belarussischen Machthaber vor, die Menschen in die EU zu schleusen und  damit die Migration als Waffe zu benutzen. Folgerichtig fordert nun EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusätzliche Sanktionen gegen Belarus, damit die zynische Instrumentalisierung von Migranten aufhört. Für  von der Leyen steht unverrückbar fest, dass die belarussischen Behörden für diesen hybriden Angriff verantwortlich sind.

Welche Beweise hat sie?
Und wie gelangen die vor allem aus Afghanistan kommenden Flüchtlinge nach Weißrussland? Anfang August wurden ja nach Meinung vieler grüner und linker Politiker nicht genügend
Ortskräfte ausgeflogen. Und die Taliban wurden mit   Geldzuwendungen in Millionenhöhe dazu gebracht, Ausreisewillige ungehindert gehen zu lassen. Wie also kommen sie nach Belarus? Ein Blick auf die Karte zeigt, dass das nicht so einfach ist. Eine solche Schleusung geht nur über den Lufttransport. Und dazu braucht es Komplizen. Von der Leyens Parteifreund Manfred Weber sieht in der Türkei eines der Länder, von denen aus die Migranten nach Belarus gelangen: »Wenn der türkische Präsident Erdogan nun mittels zahlreicher Migrantenflüge aus der Türkei nach Belarus neue Erpressungsversuche gegen die EU unternimmt, braucht es eine unmißverständliche Antwort«; und weiter: »Damit wird er genauso scheitern wie mit seinem Versuch, Migranten über die griechisch-türkische Grenze zu schleusen. Die Kommission muß umgehend Gespräche mit der türkischen Regierung aufnehmen«.  [2]  Während die EU-Granden ansonsten mit der Aufnahme von Flüchtligen alles andere als zurückhaltend sind, veranstalten sie hier einen unglaublichen Eiertanz gegen den angeblichen Urheber Lukashenko. Und das auf Kosten der hin- und hergestoßenen Migranten.

Ein Rückblick

Am 1. Oktober 1938 marschierte Deutschland in das 1919 an die Tschechoslowakei gefallene deutschsprachige Sudetengebiet ein; tags darauf annektierte Polen die tschechische Region Teschen-Olsa: Beide Nationen hatten dafür im Münchener Abkommen vom 29. September 1938  grünes Licht  bekommen. Die Waffenfreundschaft währte nicht lange. Schon am 9. Oktober veröffentlichte die polnische Regierung ein Dekret, nach dem die Pässe aller länger als fünf Jahre im Ausland lebenden Polen ohne Sondervisum eines zuständigen Konsulats am 30. Oktober ablaufen sollten. Vom 31. Oktober an berechtigte nur noch ein besonderer Prüfvermerk polnischer Konsulate zur Einreise nach Polen. Das Gesetz galt zwar für alle Polen, die hintergründige Absicht scheint jedoch gewesen zu sein, die annähernd 50.000 zumeist verarmten polnischen Juden, die in der Masse nach dem ersten Weltkrieg in  Deutschland lebten, auszubürgern. Die Mehrzahl von ihnen wäre am 30. Oktober staatenlos geworden. Daraufhin forderte die deutsche Regierung von Polen am 26. Oktober ultimativ, eine Aufnahme der staatenlosen Rückkehrer zu garantieren, da man sie ansonsten ausweisen müsse. In Deutschland sollte nämlich bei Verlust der Staatsangehörigkeit Ausländern automatisch die Aufenthaltsgenehmigung entzogen werden. Auch Deutschland wollte also die polnischen Juden loswerden.

Am 28. und 29. Oktober 1938 hatten die deutschen Behörden auf Anweisung der nationalsozialistischen Regierung an die 17.000 in Deutschland lebende polnische Juden verhaftet, meist per Eisenbahntransport an die polnische Grenze verfrachtet und mit der Aufforderung an die polnische Grenze geschickt, ihren polnischen Pass bis zum Stichtag 30. Oktober 1938 zu verlängern. Polen sperrte sofort die Grenze, und ohne gültigen Paß wurde niemand nach Deutschland zurückgelassen. Was für ein perverses Spiel! In Deutschland war die Entrechtung nicht nur der polnischen Juden schon weit vorangeschritten. Mit tatkräftiger Hilfe der Juristen war bereits eine Unmenge von Gesetzen verabschiedet worden.  [5]  Die Anmeldepflicht für jüdische Vermögen vom April 1938, die Kennzeichnung jüdischer Gewerbebetriebe vom Juni, der Kennkartenzwang, die Berufsverbote für Ärzte und Rechtsanwälte, der Zwang zur Annahme jüdischer Vornamen und letztlich die Kennzeichnung der Reisepässe Anfang Oktober 1938 – all das waren Vorbereitungen zur endgültigen Ausschaltung der Juden.   [6]

Die polnische Regierung hatte auch das Auslandsvermögen der deutsch-polnischen Juden im Blick. Sie befürchtete, dass Deutschland den jüdischen Besitz enteignen und so die Kontrolle über die polnischen Raffinerien erlangen könnte. Als vorbeugende Maßnahme schlug der polnische Botschafter in Berlin, Jozef Lipski, vor, sich bei der Enteignung des Besitzes polnisch-jüdischer Bürger in Deutschland passiv zu verhalten. »Im Gegenzug sollte sich die deutsche Regierung verpflichten, Juden nicht nach Polen auszuweisen und die im Besitz deutscher Staatsangehöriger befindlichen Aktien der polnischen Ölindustrie an Polen zu übergeben«.  [7]  Vor diesem Hintergrund setzte sich das polnische Außenministerium für die Ausbürgerung polnischer Juden in Deutschland ein, »um so die Bedingungen zur Einziehung ihres Vermögens zu schaffen und die Übertragung der Ölaktien an Polen im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages einzuleiten«  [8].

Nun eskalierte die Situation

Am Vormittag des 7. November 1938 schoß in der Deutschen Botschaft in Paris der 17jährige Herschel Seidel Grünspan (Grynszpan), der seine Eltern im deutsch-polnischen Niemandsland vermutete, aus angeblicher Empörung den 29jährigen deutschen Diplomaten Dr. Ernst Eduard vom Rath nieder. Nach den Schüssen von Paris wurden sofort die jüdischen Blätter verboten. Und alle anderen Redaktionen erhielten die Anweisung: Die Nachricht über das Attentat muß die erste Seite voll beherrschen. In eigenen Kommentaren sollte darauf hingewiesen werden, daß das Attentat des Juden die schwersten Folgen für die Juden in Deutschland haben müsse.  [9]  Die Tat des jungen Juden lieferte den willkommenen Anlaß, um vom 9. auf den 10. November in Deutschland die Synagogen in Flammen aufgehen zu lassen, jüdische Geschäfte zu plündern und die ohnehin fast schon unerträglichen Bedingungen, unter denen die jüdischen Bürger leben mußten, weiter zu verschärfen.

Zwischen 1938 und 2021 sind folgende Parallelen zu erkennen:

Damals wie heute hatte das Böse nur einen Namen – 1938 war es Deutschland, heute ist es Weißrussland. Die polnischen Verstrickungen in der fatalen Entwicklung wurden bisher weitgehend verschwiegen. Keine 10 Monate nach den Schüssen von Paris 1938 befand sich Deutschland im Krieg mit Polen - der Auftakt zum Zweiten Weltkrieg mit seinem unvorstellbaren Leid, dass er über Europa brachte. Heute sind die Kriegstrommeln ebenfalls nicht zu überhören. Wird die Situation an der polnischen Grenze eskalieren und Westeuropa sich in 10 Monaten im Krieg mit Weißrussland befinden? Einem Krieg, der wieder das Potential hat, sich zu einem großen Krieg auszuwachsen und Europa in eine Wüste zu verwandeln? 

Seit der NATO-Osterweiterung, spätestens aber seit dem vom Westen forcierten Umsturz in der Ukraine 2014 – in diesem Jahr wurde auch die Langzeitstrategie TRADOC 525-3-1 Sieg in einer komplexen Welt 2020 - 2040 mit den Hauptfeinden Russland und China aus der Taufe gehoben -  wird es zunehmend deutlich, dass die führenden US-Strategen kein Interesse an einer friedlichen Kooperation mit der russischen Föderation haben. Vielmehr wird mittels Provokationen versucht, Putin aus der Defensive zu locken, um endlich einen Kriegsgrund zu haben, denn das Ziel der maßgeblichen US-Elite scheint nach wie vor die globale Dominanz zu sein. Die Unterstellung, Lukaschenko würde mit einigen Hundert Migranten, die er angeblich an die EU-Außengrenze schafft  (was rein geografisch ein unglaublicher Aufwand wäre), die EU  destabilisieren wollen, wirkt angesichts des Millionen-Migrantenstroms nach Deutschland 2015 wenig glaubwürdig. Und warum sollte er eine aggressive Konfrontation mit der EU und damit mit der NATO riskieren und damit den US-Kriegsstrategen eine Steilvorlage liefern?»

 

[1]  https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3   2. 10. 20
[2]  http://www.russland.news/europaparlamentarier-fuer-uns-ist-ab-dem-5-november-lukaschenko-nicht-mehr-der-praesident-von-belarus/
23. 9. 20
[3]  http://antikrieg.com/aktuell/2021_11_19_eulehnt.htm  19. 11. 21
[4]  https://sputniknews.com/20211125/migrants-at-belarus-poland-border-protest-demand-eu-to-make-decision-1091014664.html   25. 11. 21
[5]  https://unser-mitteleuropa.com/migranten-aus-weissrussland-sind-lebende-munition-gegen-litauen/   20. 7. 21
[6]  ›Junge Welt‹ vom 17. 3. 2006 - EU droht Belarus mit Sanktionen

[7]  http://www.russland.news/moskau-warnt-eu-vor-finanzierung-der-belarussischen-opposition/    2. 9. 20
[8]  https://www.bueso.de/natalja-vitrenko-neue-farbrevolutionen-nuklearkriegsgefahr-stoppen  24. 10. 20
[9]  http://www.russland.news/lawrow-destabilisierung-der-aktionen-in-minsk-werden-von-der-ukraine-aus-gefuehrt/  3. 9. 20
[10]  https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/eu-verstaendigt-sich-auf-belarus-sanktionen-16926946.html  28. 8. 20
[11]  https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506689/Trotz-Corona-EU-ermutigt-Weissrussen-zu-Fortsetzung-der-Proteste  2. 10. 20

[12]  https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3  29. 9. 20
[13]  https://unser-mitteleuropa.com/was-in-der-schweiz-und-anderswo-berichtet-wurde-53/  27. 7. 21

[14]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8359/  25. 8. 20

Der Kampf um Minsk     
[15]  https://www.focus.de/politik/ausland/belarus-streit-im-newsticker-nach-versuch-ins-land-zu-kommen-polen-nimmt-100-migranten-an-grenze-zu-belarus-fest_id_24408548.html  20. 11. 21
[16]  https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3    21. 6. 21
[17]  https://unser-mitteleuropa.com/eu-plant-weitere-sanktionen-gegen-weissrussland/

20. 11. 21

[18]  https://deutsch.rt.com/europa/105776-vizekanzler-scholz-spricht-sich-fuer/

 

 

Anmerkungen zum Artikel von Wie vor 83 Jahren von Wolfgang Effenberger

 

[1]  Migration über Belarus: Lage an polnischer Grenze spitzt sich zu vom 9.11.2021 unter

https://web.de/magazine/politik/fluechtlingskrise-in-europa/migration-belaruslage-polnischer-grenze-spitzt-36327954

[2]  Ebenda

[3]  https://web.de/magazine/politik/hunderte-migranten-weissrussland-verschaerfen-situation-grenze-36327048

[4]  https://www.porta-polonica.de/en/node/779

[5]  Vgl. Wolfgang Effenberger/Reuven Moskovitz: Deutsche und Juden vor 1939; Höhr-Grenzhausen 2013

[6]  
a)  26. 4. 38, Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden, RGBl 1, S. 414; 1. Verordnung dazu S. 415.

b)  6. 7. 38, Ges. zur Änderung der Gewerbeordnung für das deutsche Reich, RGBl 1, S. 823.

c)  25. 7. 38, 4. VO zum Reichsbürgergesetz, RGB1 1, S. 969 (Verbot des Ärzteberufs).

d)  4. 9. 38, Ges. über die Zulassung zur Patentanwaltschaft, RGBl 1, S. 1150.

e)  27. 9. 38, 5. V0 zum Reichsbürgergesetz, RGB1 1, 5. 1403 (Ausscheiden jüdischer Rechtsanwälte).

f)  Mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 verfiel das Vermögen jedes Juden, der sich außerhalb der Staatsgrenzen aufhielt - also ausgewandert oder deportiert war – dem Reich.

[7]  Weiss, Y:  Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust: jüdische Identität zwischen Staatsbürgerschaft und Ethnizität 1933-1940 Berlin 2010, S. 196

[8]  Ebenda

[9]  Bareiß 2005, S. 19, Anmerkung 13: Mitschrift der Pressekonferenz des Propagandaministeriums vom 7.11.38.Alle deutschen Zeitungen müssen in größter Form über das Attentat auf den Legationssekretär berichten!; vgl. Benz 1988