Belarus - Die Spannungen an den weissrussischen Grenzen 28.11.2021 20:28
d.a. Vorauszuschicken ist, dass die EU sich das Recht herausgenommen hat, Alexander Lukaschenko seit den Wahlen im August 2020 die Anerkennung als
Präsident des Landes zu verweigern. Als Grund hierfür dient ganz einfach die Behauptung, dass diese gefälscht waren, was auch von der USA so gesehen wurde. Die von Brüssel daraufhin verhängten Sanktionen betrafen zunächst 40 Personen, die den umstrittenen Staatspräsidenten Lukaschenko unterstützt haben sollen und denen zur Last gelegt wurde, an Wahlfälschungen oder an der Niederschlagung von Protesten beteiligt gewesen zu sein. Ihre
Vermögen im Ausland sind eingefroren worden; ferner wurden ihnen Reisebeschränkungen auferlegt. [1] Auch
hier stellt sich unmittelbar die Frage: Mit welchem Recht? Letztlich ist
Weissrussland mitnichten Mitglied der Europäischen Union, die hier wiederum eine
ihrer denkbar schlechten Seiten offenbart, nämlich ihr beharrliches Streben, ihre
Macht zu konsolidieren. Auch das Europäische Parlament hatte wissen lassen,
dass es Lukaschenko ab dem 5. November 2020 nicht mehr als Präsident betrachten
würde. In der Entschliessung des EP wurde ferner der Koordinierungsrat der
belarussischen Opposition als ›vorübergehender
Volksvertreter‹ anerkannt und die Unterstützung
für die Abhaltung von Neuwahlen ausgesprochen. Wie es des weiteren hiess, unterstütze
das EP auch mögliche Sanktionen gegen Lukaschenko selbst. [2]
Was
die Lage der an den Grenzen festgehaltenen Migranten angeht, so hatte Lukaschenko
noch am 17. November in einem Telefongespräch mit Merkel angeboten, mit der EU
über die Krise zu verhandeln, was von der EU zurückgewiesen wurde: «Es steht
nicht zur Debatte», so der Sprecher der EU-Kommission, Eric Mamer, am 18. 11.
vor Reportern, «mit dem Lukaschenko-Regime zu verhandeln». [3]
Eine
derartige Missachtung stärkt natürlich die Ansprüche der an der Grenze zu Polen
stehenden Immigrationsmassen. Denn um solche geht es. Wie am 25. 11. berichtet,
verlangten diese von der EU, hinsichtlich ihrer Sachlage eine Entscheidung zu
treffen. Wie sie erklärten, möchten sie in einem ›friedlichen
und stabilen Land‹
leben. Wie sie ferner darlegten, «seien sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen
nach Europa gekommen»...... und daraus rechtfertigt sich wohl die zum Teil massive
Gewalt, die sie beim Versuch der Zerstörung der polnischen Grenzanlagen an den
Tag gelegt haben. [4] Warum wagt niemand, ihnen zu sagen, dass es ein
absolutes Gebot für sie selbst wäre, ihre gesamten Kräfte dahingehend
einzusetzen, dieses ›lebenswerte
Dasein‹ in ihrem eigenen Land zu
schaffen, anstatt unter dem Deckmantel von Menschenrechten und Asylansprüchen den
Eintritt bei uns erzwingen zu wollen.
Fakt
ist, dass sich die Zahl der nach Weissrussland einströmenden illegalen
Migranten seit den von der EU gegen das Regime von Alexander Lukaschenko
verhängten Sanktionen vervielfacht hat. Mitte Mai hatte Lukaschenko damit gedroht,
die Migration gezielt zu intensivieren. Im übrigen liegt der Reisepreis für die
Ankömmlinge aus dem Irak zwischen 6.000 und 15.000 US-$, um Litauen zu erreichen.
Diejenigen, die ausreisen wollen, kaufen eine Reise und werden dann in Hotels
in Minsk untergebracht, wo sie drei bis vier Tage bleiben. Danach werden sie
von einem weissrussischen Führer zur Grenze gebracht, der sie an dort
zurücklässt und ihnen sagt: «Europa ist da drüben». [5] Fakt ist ferner, dass die EU Weissrussland
direkt beschuldigt hat, Migranten aus den vom Krieg zerrissenen Ländern des
Nahen Ostens als Vergeltung für die Sanktionen an seine Grenzen zu schicken, was
von Minsk zurückgewiesen worden ist. Inzwischen
ist angesichts des hartnäckigen Widerstands vor allem der Polen damit begonnen
worden, irakische Migranten in ihr Land zurückzufliegen. [3]
Sanktionen
Nun
reicht die Drohung resp. das Verhängen von EU-Sanktionen weit zurück. Eine der
ersten Nachrichten, die von der Einmischung der EU in die Geschicke des Landes
zeugen, datiert vom 17. 3. 2006, als Brüssel die sofortige Freilassung von im
März festgenommenen Oppositionellen forderte und der Regierung im Hinblick auf
die anstehende Wahl erneut mit Sanktionen drohte. Zu den Gründen der Festnahmen
lagen keine Angaben vor. Die damalige EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner
hatte die Festnahme indessen als »völlig inakzeptabel« erklärt. [6] Vor jener Präsidentenwahl war erstmals
einem deutschen Wahlbeobachter der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa, dem CDU-MdB Georg Schirmbeck, sowie 6 weiteren deutschen
Wahlbeobachtern die Einreise verweigert worden. Zuvor hatte die Regierung
bereits schwedische und dänische Wahlbeobachter ausgewiesen. Damals hatte auch EU-Chefdiplomat
Javier Solana seine Empörung darüber
geäussert, dass der weissrussische Aussenminister Sergej Martinow die
Botschafter der EU-Staaten gewarnt habe, dass «jede Verantwortung für mögliche
Konsequenzen von Massenunruhen bei der Opposition und den sie unterstützenden
Regierungen liegt». In Kenntnis aller
zurückliegender sogenannter ›farbigen
Revolutionen‹, die die Handschrift
von Soros und Stiftungen tragen, absolut begreiflich.
Bereits im
vergangenen Jahr hatte Russland die EU-Länder aufgefordert, sich nicht in die Angelegenheiten
von Belarus einzumischen, indem sie oppositionelle Strukturen
finanzierten. Am 1. 9. 2020 hatte das russische Aussenministerium gemeldet,
dass die EU nicht davor zurückgeschrecke, zu versuchen, die Situation im Land
zu beeinflussen. «Anstelle von Zurückhaltung und Taktgefühl, die so notwendig sind,
um die Voraussetzungen für einen breiten nationalen Dialog zu schaffen, wird
dem Einsatz unrechtmäßiger einseitiger Sanktionen der Vorzug gegeben. Immer lauter werden
die Rufe nach einer Erhöhung der finanziellen Unterstützung der weißrussischen
oppositionellen Strukturen und nach deren Unterstützung durch die Nachbarländer
von Weißrussland». Wie es ferner hiess, laufen solche Forderungen dem in der Schlussakte
von Helsinki verankerten Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten
souveräner Staaten zuwider. [7] Der
ukrainischen Ökonomin Dr. Natalia Witrenko zufolge gab der Westen für die
Unterstützung der Opposition 6 Milliarden $ aus. [8]
Am 3. 9. 2020
hatte Aussenminister Sergej Lawrow erklärt, «dass radikale Aktionen während
Demonstrationen in Belarus aus dem Gebiet der Ukraine provoziert und finanziert
werden. ›Es gibt bestätigte
Informationen darüber, dass solche Aktivitäten auf dem Territorium der Ukraine
durchgeführt werden. Es gibt Stepan Banderas Trident, C14, das National Corps
und den rechten Sektor. Alle diese Strukturen sind aktiv an der Provokation durch
radikale Aktionen in Minsk und in anderen Städten Weißrusslands beteiligt. Sie
finanzieren geeignete Veranstaltungen
und stiften diejenigen an, die ihrer Meinung nach extremistische Führer sein könnten
und Kraftelemente in das Geschehen während der Demonstration in der
belarussischen Hauptstadt einbringen‹. Lawrow fuhr fort: ›Nach unseren Informationen in der Region
Wolyn in der Region Dnipropetrowsk gibt es in der Ukraine Trainingslager für
solche Extremisten, und wir haben dies heute erörtert. Ich bin sicher, dass
unsere Sonderdienste dies inhaltlicher behandeln sollten, sie stehen in Kontakt
miteinander. Nach unseren Schätzungen befinden sich derzeit etwa 200 auf ukrainischem
Gebiet ausgebildete Extremisten in Belarus‹.
[9]
Am
28. August letzten Jahres hatten sich dann die EU-Außenminister auf Strafmassnahmen
gegen ranghohe Unterstützer des belarussischen Staatschefs verständigt. «Zwei
Überlegungen waren dafür maßgeblich», hiess es dazu in der FAZ: «Zum einen
haben sich die Minister auf ein ›graduelles‹ Vorgehen geeinigt. Man wolle jetzt
noch nicht den ›Hammer‹ rausholen und sich weitere
Eskalationsstufen vorbehalten». Von einer sagenhaften Arroganz; und Arroganz
war noch nie ein Zeichen von Intelligenz.
[10] Noch Anfang Oktober hatten die Staats-
und Regierungschefs der EU-Staaten die Menschen in Weissrussland dazu ermuntert,
die Demonstrationen für einen demokratischen Wandel des Landes fortzusetzen. Im
Fall eines Erfolgs der Proteste gegen den aktuellen Machtapparat in Minsk
könnte es so den Beschlüssen des EU-Gipfels in Brüssel zufolge «einen
umfassenden Plan zur wirtschaftlichen Unterstützung eines demokratischen
Belarus» geben. [11]
Als
Gefolgsleute von Sanktionsforderungen erwiesen sich auch Grossbritannien und
Kanada, indem sie im September 2020 eigene Sanktionen gegen Lukaschenko verhängten, die auch für dessen
Sohn sowie für sechs weitere Vertreter der Regierung gelten. Der britische Aussenminister
Raab erklärte, man habe ein Einreiseverbot verhängt und das Vermögen der
Betroffenen eingefroren. Die Entscheidung sei zusammen mit Kanada gefällt
worden. Dies sei eine klare Botschaft an das ›gewalttätige und betrügerische Regime‹ in Belarus. [12]
Nicht
umsonst hat wohl Lukaschenko inzwischen mehr als 40 NGOs verboten oder deren
Niederlassungen geschlossen. [13] Die praktisch uneingeschränkte Rolle der
Stiftungen zeigte sich klar bei der Forderung deutscher Aussenpolitiker nach
Unterstützung der prowestlichen Opposition: Der langjährige führende Politiker
von Bündnis 90/Die Grünen, Ralf Fücks, Ex-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
und seit 2017 Geschäftsführer der transatlantischen Denkfabrik ›Zentrum
Liberale Moderne‹, hatte Ende August 2020 gefordert, die «EU solle Druck für
Neuwahlen machen». So behauptete er, die Union operiere in den Machtkämpfen in
Belarus nicht offensiv genug. [14] Auf das brutale Vorgehen gegen
die Oppositionellen und Protestierenden, die ihm Wahlfälschung vorwarfen und zu
Tausenden auf die Straße gingen, erklärte Lukaschenko gegenüber der BBC am 19.
November: «Okay, okay, ich gebe es zu. Ich gebe zu, dass sie verprügelt worden
sind. Aber Polizisten auch. Das habt ihr nicht gezeigt». Die BBC hatte auch die
Schliessung der NGOs kritisiert. Dazu Lukaschenko drastisch: «Wir werden all
den Abschaum massakrieren, den ihr, der Westen, finanziert habt». Der Westen
sei nur frustriert, weil «wir jetzt all eure Strukturen zerstört haben, eure
NGOs und all jene, die ihr bezahlt». [15]
Von den Ende Juni dieses Jahres gegen Belarus verhängte EU-Sanktionen
ist vor allem die Wirtschaft des Landes, wie die Kali- und Düngemittelindustrie
sowie Mineralölunternehmen und der Finanzdienstleistungssektor betroffen. Bei
diesen handelt es sich weitgehend um Staatsbetriebe, über die sich das Regime
von Staatspräsident Lukaschenko finanziert. Diese Finanzierungsquellen sollen
laut Maas Schritt für Schritt ausgetrocknet werden. [16] Und wie Heiko Maas in seiner
Funktion als Aussenminister freundlicherweise zu vermerken wusste: «Wir sind
noch lange nicht am Ende der Sanktionsspirale angelangt [17], während
Kanzlerkandidat Olaf Scholz schon Ende August letzten Jahres verlauten liess,
dass «Lukaschenko alle Legitimation verloren hat und abtreten sollte»; ferner: «Wir
müssen den Prozeß der Selbstbefreiung der Bürgerinnen und Bürger von Belarus
tatkräftig unterstützen». [18]
Wie vor 83 Jahren
schreibt Wolfgang Effenberger: Schreckliche Bilder von
der polnischen Grenze
»Am Morgen des 9. November 2021 stellte Polen nach Angaben des Grenzschutzes den Grenzverkehr zu Weißrussland
für Waren und Personen am Übergang Kuznica ein, nachdem angeblich ›große Gruppen von
Migranten (bis zu 4 000 aus Afghanistan und dem Irak) versucht hätten, die
EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus zu durchbrechen‹. [1] Die EU hat die Wahl Alexander Lukashenkos zum Präsidenten Weißrusslands
nicht anerkannt und wirft nun dem belarussischen ›Machthaber‹ vor, die Menschen in die EU zu schleusen und damit die Migration als Waffe zu benutzen.
Folgerichtig fordert nun EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusätzliche
Sanktionen gegen Belarus, damit die ›zynische Instrumentalisierung von Migranten‹ aufhört. Für von der Leyen steht
unverrückbar fest, dass die belarussischen Behörden für diesen hybriden Angriff
verantwortlich sind.
Welche Beweise hat sie?
Und wie gelangen die vor allem aus Afghanistan kommenden Flüchtlinge nach
Weißrussland? Anfang August wurden ja nach Meinung vieler grüner und linker
Politiker nicht genügend ›Ortskräfte‹ ausgeflogen. Und die
Taliban wurden mit Geldzuwendungen in
Millionenhöhe dazu gebracht, Ausreisewillige ungehindert gehen zu lassen. Wie
also kommen sie nach Belarus? Ein Blick auf die Karte zeigt, dass das nicht so
einfach ist. Eine solche Schleusung geht nur über den Lufttransport. Und dazu
braucht es Komplizen. Von der Leyens Parteifreund Manfred Weber sieht in der
Türkei eines der Länder, von denen aus die Migranten nach Belarus gelangen: »Wenn der türkische
Präsident Erdogan nun mittels zahlreicher Migrantenflüge aus der Türkei nach
Belarus neue Erpressungsversuche gegen die EU unternimmt, braucht es eine unmißverständliche
Antwort«; und weiter: »Damit wird er genauso scheitern wie mit seinem Versuch, Migranten über die
griechisch-türkische Grenze zu schleusen. Die Kommission muß umgehend Gespräche
mit der türkischen Regierung aufnehmen«. [2] Während die EU-Granden ansonsten
mit der Aufnahme von Flüchtligen alles andere als zurückhaltend sind,
veranstalten sie hier einen unglaublichen Eiertanz gegen den angeblichen
Urheber Lukashenko. Und das auf Kosten der hin- und hergestoßenen Migranten.
Ein Rückblick
Am 1. Oktober 1938 marschierte Deutschland in das 1919 an
die Tschechoslowakei gefallene deutschsprachige Sudetengebiet ein; tags darauf
annektierte Polen die tschechische Region Teschen-Olsa: Beide Nationen hatten
dafür im ›Münchener Abkommen‹ vom 29. September 1938 grünes Licht
bekommen. Die Waffenfreundschaft währte
nicht lange. Schon am 9. Oktober veröffentlichte die polnische Regierung ein
Dekret, nach dem die Pässe aller länger als fünf Jahre im Ausland lebenden
Polen ohne Sondervisum eines zuständigen Konsulats am 30. Oktober ablaufen
sollten. Vom 31. Oktober an berechtigte nur noch ein besonderer Prüfvermerk
polnischer Konsulate zur Einreise nach Polen. Das Gesetz galt zwar für alle
Polen, die hintergründige Absicht scheint jedoch gewesen zu sein, die annähernd
50.000 zumeist verarmten polnischen Juden, die in der Masse nach dem ersten
Weltkrieg in Deutschland lebten,
auszubürgern. Die Mehrzahl von ihnen wäre am 30. Oktober staatenlos geworden.
Daraufhin forderte die deutsche Regierung von Polen am 26. Oktober ultimativ,
eine Aufnahme der staatenlosen Rückkehrer zu garantieren, da man sie ansonsten
ausweisen müsse. In Deutschland sollte nämlich bei Verlust der
Staatsangehörigkeit Ausländern automatisch die Aufenthaltsgenehmigung entzogen
werden. Auch Deutschland wollte also die polnischen Juden loswerden.
Am 28. und 29. Oktober 1938 hatten die deutschen Behörden
auf Anweisung der nationalsozialistischen Regierung an die 17.000 in
Deutschland lebende polnische Juden verhaftet, meist per Eisenbahntransport an
die polnische Grenze verfrachtet und mit der Aufforderung an die polnische
Grenze geschickt, ihren polnischen Pass bis zum Stichtag 30. Oktober 1938 zu
verlängern. Polen sperrte sofort die Grenze, und ohne gültigen Paß wurde
niemand nach Deutschland zurückgelassen. Was für ein perverses Spiel! In
Deutschland war die Entrechtung nicht nur der polnischen Juden schon weit
vorangeschritten. Mit tatkräftiger Hilfe der Juristen war bereits eine Unmenge
von Gesetzen verabschiedet worden. [5] Die Anmeldepflicht für
jüdische Vermögen vom April 1938, die Kennzeichnung jüdischer Gewerbebetriebe
vom Juni, der Kennkartenzwang, die Berufsverbote für Ärzte und Rechtsanwälte,
der Zwang zur Annahme jüdischer Vornamen und letztlich die Kennzeichnung der
Reisepässe Anfang Oktober 1938 – all das waren Vorbereitungen zur endgültigen
Ausschaltung der Juden. [6]
Die
polnische Regierung hatte auch das Auslandsvermögen der deutsch-polnischen
Juden im Blick. Sie befürchtete, dass Deutschland den jüdischen Besitz
enteignen und so die Kontrolle über die polnischen Raffinerien erlangen könnte.
Als vorbeugende Maßnahme schlug der polnische Botschafter in Berlin, Jozef
Lipski, vor, sich bei der Enteignung des Besitzes polnisch-jüdischer Bürger in
Deutschland ›passiv zu verhalten‹. »Im
Gegenzug sollte sich die deutsche Regierung verpflichten, Juden nicht nach
Polen auszuweisen und die im Besitz deutscher Staatsangehöriger befindlichen
Aktien der polnischen Ölindustrie an Polen zu übergeben«. [7] Vor diesem Hintergrund setzte sich das
polnische Außenministerium für die Ausbürgerung polnischer Juden in Deutschland
ein, »um so die Bedingungen zur Einziehung
ihres Vermögens zu schaffen und die Übertragung der Ölaktien an Polen im Rahmen
eines gegenseitigen Vertrages einzuleiten« [8].
Nun
eskalierte die Situation
Am
Vormittag des 7. November 1938 schoß in der Deutschen Botschaft in Paris der
17jährige Herschel Seidel Grünspan (Grynszpan), der seine Eltern im
deutsch-polnischen Niemandsland vermutete, aus angeblicher Empörung den
29jährigen deutschen Diplomaten Dr. Ernst Eduard vom Rath nieder. Nach den
Schüssen von Paris wurden sofort die jüdischen Blätter verboten. Und alle
anderen Redaktionen erhielten die Anweisung: Die Nachricht über das Attentat
muß die erste Seite voll beherrschen. In eigenen Kommentaren sollte darauf
hingewiesen werden, daß das Attentat des Juden die schwersten Folgen für die
Juden in Deutschland haben müsse. [9]
Die Tat des jungen Juden lieferte den
willkommenen Anlaß, um vom 9. auf den 10. November in Deutschland die Synagogen
in Flammen aufgehen zu lassen, jüdische Geschäfte zu plündern und die ohnehin
fast schon unerträglichen Bedingungen, unter denen die jüdischen Bürger leben
mußten, weiter zu verschärfen.
Zwischen
1938 und 2021 sind folgende Parallelen zu erkennen:
Damals
wie heute hatte das Böse nur einen Namen – 1938 war es Deutschland, heute
ist es Weißrussland. Die polnischen Verstrickungen in der fatalen
Entwicklung wurden bisher weitgehend verschwiegen. Keine 10 Monate nach den
Schüssen von Paris 1938 befand sich Deutschland im Krieg mit Polen - der
Auftakt zum Zweiten Weltkrieg mit seinem unvorstellbaren Leid, dass er über
Europa brachte. Heute sind die Kriegstrommeln ebenfalls nicht zu überhören.
Wird die Situation an der polnischen Grenze eskalieren und Westeuropa sich in
10 Monaten im Krieg mit Weißrussland befinden? Einem Krieg, der wieder das
Potential hat, sich zu einem großen Krieg auszuwachsen und Europa in eine Wüste
zu verwandeln?
Seit
der NATO-Osterweiterung, spätestens aber seit dem vom Westen forcierten
Umsturz in der Ukraine 2014 – in diesem Jahr wurde auch die
Langzeitstrategie TRADOC 525-3-1 ›Sieg
in einer komplexen Welt 2020 - 2040‹
mit den Hauptfeinden Russland und China aus der Taufe gehoben - wird es zunehmend deutlich, dass die
führenden US-Strategen kein Interesse an einer friedlichen Kooperation mit der
russischen Föderation haben. Vielmehr wird mittels Provokationen versucht,
Putin aus der Defensive zu locken, um endlich einen Kriegsgrund zu haben, denn
das Ziel der maßgeblichen US-Elite scheint nach wie vor die globale Dominanz zu
sein. Die Unterstellung, Lukaschenko würde mit einigen Hundert Migranten, die
er angeblich an die EU-Außengrenze schafft (was rein geografisch ein unglaublicher
Aufwand wäre), die EU destabilisieren
wollen, wirkt angesichts des Millionen-Migrantenstroms nach Deutschland 2015
wenig glaubwürdig. Und warum sollte er eine aggressive Konfrontation mit der EU
und damit mit der NATO riskieren und damit den US-Kriegsstrategen eine
Steilvorlage liefern?»
[1] https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3 2. 10. 20
[2] http://www.russland.news/europaparlamentarier-fuer-uns-ist-ab-dem-5-november-lukaschenko-nicht-mehr-der-praesident-von-belarus/
23. 9. 20
[3]
http://antikrieg.com/aktuell/2021_11_19_eulehnt.htm 19. 11. 21
[4] https://sputniknews.com/20211125/migrants-at-belarus-poland-border-protest-demand-eu-to-make-decision-1091014664.html 25. 11. 21
[5]
https://unser-mitteleuropa.com/migranten-aus-weissrussland-sind-lebende-munition-gegen-litauen/ 20. 7. 21
[6]
›Junge Welt‹ vom 17. 3. 2006 - EU droht Belarus mit Sanktionen
[7] http://www.russland.news/moskau-warnt-eu-vor-finanzierung-der-belarussischen-opposition/ 2. 9. 20
[8]
https://www.bueso.de/natalja-vitrenko-neue-farbrevolutionen-nuklearkriegsgefahr-stoppen 24. 10. 20
[9]
http://www.russland.news/lawrow-destabilisierung-der-aktionen-in-minsk-werden-von-der-ukraine-aus-gefuehrt/ 3. 9. 20
[10]
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/eu-verstaendigt-sich-auf-belarus-sanktionen-16926946.html 28. 8. 20
[11] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506689/Trotz-Corona-EU-ermutigt-Weissrussen-zu-Fortsetzung-der-Proteste 2. 10. 20
[12] https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3 29. 9. 20
[13]
https://unser-mitteleuropa.com/was-in-der-schweiz-und-anderswo-berichtet-wurde-53/ 27. 7. 21
[14] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8359/ 25. 8. 20
Der
Kampf um Minsk
[15] https://www.focus.de/politik/ausland/belarus-streit-im-newsticker-nach-versuch-ins-land-zu-kommen-polen-nimmt-100-migranten-an-grenze-zu-belarus-fest_id_24408548.html 20. 11. 21
[16] https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3 21.
6. 21
[17]
https://unser-mitteleuropa.com/eu-plant-weitere-sanktionen-gegen-weissrussland/
20.
11. 21
[18] https://deutsch.rt.com/europa/105776-vizekanzler-scholz-spricht-sich-fuer/
Anmerkungen
zum Artikel von ›Wie vor 83 Jahren‹ von Wolfgang Effenberger
[1] Migration über Belarus: Lage an polnischer
Grenze spitzt sich zu vom 9.11.2021 unter
https://web.de/magazine/politik/fluechtlingskrise-in-europa/migration-belaruslage-polnischer-grenze-spitzt-36327954
[2] Ebenda
[3] https://web.de/magazine/politik/hunderte-migranten-weissrussland-verschaerfen-situation-grenze-36327048
[4]
https://www.porta-polonica.de/en/node/779
[5] Vgl. Wolfgang Effenberger/Reuven Moskovitz:
Deutsche und Juden vor 1939; Höhr-Grenzhausen 2013
[6]
a) 26. 4. 38, Verordnung über die
Anmeldung des Vermögens von Juden, RGBl 1, S. 414; 1. Verordnung dazu S. 415.
b) 6. 7. 38, Ges. zur Änderung der
Gewerbeordnung für das deutsche Reich, RGBl 1, S. 823.
c) 25. 7. 38, 4. VO zum Reichsbürgergesetz, RGB1
1, S. 969 (Verbot des Ärzteberufs).
d) 4. 9. 38, Ges. über die Zulassung zur
Patentanwaltschaft, RGBl 1, S. 1150.
e) 27. 9. 38, 5. V0 zum Reichsbürgergesetz, RGB1
1, 5. 1403 (Ausscheiden jüdischer Rechtsanwälte).
f)
Mit der 11. Verordnung zum
Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 verfiel das Vermögen jedes Juden, der sich
außerhalb der Staatsgrenzen aufhielt - also ausgewandert oder deportiert war –
dem Reich.
[7] Weiss, Y:
Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust: jüdische Identität
zwischen Staatsbürgerschaft und Ethnizität 1933-1940 Berlin 2010, S. 196
[8]
Ebenda
[9] Bareiß 2005, S. 19, Anmerkung 13: Mitschrift
der Pressekonferenz des Propagandaministeriums vom 7.11.38.Alle deutschen
Zeitungen müssen in größter Form über das Attentat auf den Legationssekretär
berichten!; vgl. Benz 1988
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