Der Bundesrat und sein «bilateraler Weg»: Erneuerung oder Verrat? - Von Ulrich Schlüer 14.06.2014 20:35
Vor vierzehn Jahren, im März 2000, veröffentlichte der Bundesrat eine Broschüre mit dem Titel »Die bilateralen Abkommen in der Übersicht«.
Das erste Paket der Bilateralen war damals ausgehandelt und von den Eidgenössischen Räten gerade verabschiedet worden; die Volksabstimmung stand kurz bevor. In der Broschüre, zu der der damalige Bundespräsident Adolf Ogi die Begrüssungsadresse an die Öffentlichkeit verfasste, sind die 7 Verträge des ersten bilateralen Pakets zusammengefasst vorgestellt und in dem Kapitel mit dem Titel »Die Schweiz bleibt unabhängig« hat der Bundesrat die Grundlagen des von ihm bevorzugten bilateralen Wegs seit dem »Nein« des Souveräns zum EWR-Beitritt am 6. Dezember 1992 formuliert: allerdings ohne je das Ziel dieses Weges offenzulegen.
Pfeiler der Unabhängigkeit Wir zitieren aus diesem vor 14 Jahren verfassten Kapitel jene Passage, in
welcher der Bundesrat der Schweiz erklärt, wie er die ›Unantastbarkeit‹ der schweizerischen
Unabhängigkeit und Selbstbestimmung durch Beschreiten des bilateralen Weges
gewährleisten könne und zu bewahren verspreche. Der Bundesrat wörtlich:
»Die Unabhängigkeit der Schweiz bleibt unangetastet:
- Die Verträge sind jederzeit
kündbar.
- Die Schweiz ist durch die
bilateralen Verträge nicht gezwungen, dem EWR oder der EU beizutreten.
- Die schweizerische Neutralität
wird nicht gefährdet. (…)
- Durch die bilateralen Verträge
wird es keine freie Zuwanderung und keine Personenfreizügigkeit für Bürger aus
Nicht-EU-Staaten wie zum Beispiel Kanada, Ex-Jugoslawien oder der Türkei geben.
(…)
- Die Schweiz wird nicht von
Arbeitslosen aus den EU-Staaten überschwemmt werden, denn die Personenfreizügigkeit gilt nicht
für Arbeitslose. Das Abkommen gilt nur für Arbeitnehmer und Selbstständige
sowie Rentner, Studierende und übrige nicht erwerbstätige Personen, die aber
über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. Anmerkung: Im Vorfeld der
Abstimmung vom 9. Februar 2014 über die Initiative gegen die Masseneinwanderung
musste der Bundesrat allerdings eingestehen, dass diese hier zitierte Aussage falsch war: Gemäss
Personenfreizügigkeits-Abkommen können durchaus EU-Arbeitslose in die Schweiz
gelangen, wenn sie angeben, ›zwecks Arbeitssuche‹ in die Schweiz einzureisen. Zehntausende solcher ›Arbeitssuchender‹ mussten Schweizer
Gemeinden darauf während Jahren via Sozialhilfe – deren Kosten explodierten – über Wasser halten.
- Die Schweiz ist auch zukünftig nicht zur Übernahme von neuem
EU-Recht verpflichtet und nicht den Entscheiden des europäischen Gerichtshofs
in Brüssel unterworfen.«
Übernahme von EU-Recht Dieser letzte Absatz des Zitats ist von ausschlaggebender Bedeutung: Der
Bund hält darin fest, dass die Unabhängigkeit, die Freiheit, die Selbstbestimmung
der Schweiz darauf beruht, dass unser Land weder automatisch EU-Recht übernehmen
muss, noch sich je Entscheiden bzw. Urteilen des Europäischen Gerichtshofs zu
unterwerfen hat. Genau dies aber, nämlich die automatische Übernahme von
EU-Recht und die Anerkennung des EU-Gerichtshofs als auch für die Schweiz
höchste unanfechtbare Gerichtsinstanz, bietet der Bundesrat heute der EU im
sogenannten ›Rahmenvertrag‹ an.
Vorgeschichte Dieses Schweizer ›Angebot‹ hat eine Vorgeschichte. Sie beginnt damit, dass die EU es nie geschätzt
hat, mit der Schweiz in der Eigenschaft eines bilateralen Vertragspartners
verkehren zu müssen. Weil sie die Schweiz damit als souveränen Staat als einen auf
gleicher Höhe wie die EU stehenden zu behandeln hat. Brüssel musste und muss
mit der Schweiz verhandeln, wie sie mit der USA, wie sie mit Russland, mit
China oder anderen selbständigen Staaten zu verhandeln hat. Die Schweiz war und
ist noch immer ein gleichberechtigter ebenbürtiger Partner, der keinerlei von
der EU vorgegebenen Automatismen unterworfen ist.
Barrosos Brief Am 21. Dezember 2012 teilte EU-Kommissionspräsident Barroso der damaligen
Schweizer Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf brieflich mit, dass die EU
zu weiteren bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz nicht mehr bereit sei,
solange sich die Schweiz nicht damit einverstanden erkläre, sich in die
Strukturen der EU ›institutionell
einbinden‹ zu lassen. Schwierige
offene Fragen zwischen der Schweiz und der EU bestanden zwar weder damals noch
heute. Trotzdem liess sich der Bundesrat auf das Ansinnen aus Brüssel ein und
erklärte sich zu Verhandlungen über die ›institutionelle
Einbindung‹ des Landes in den EU-Apparat
bereit. Hierzu wurde die Schaffung eines Rahmenvertrags vorgeschlagen, welcher
die Bedingungen festlegen soll, die für sämtliche bilateralen Verträge und
Vereinbarungen übergeordnete Gültigkeit hätten, sowohl
für jene, die bereits in der Vergangenheit abgeschlossen wurden, als auch für
solche, die in Zukunft erst noch abgeschlossen werden sollten. Und diese sollen
auch gelten, wenn die EU an bestehenden Verträgen Änderungen vornehmen will.
Drei Säulen Die EU hat sich kürzlich bereit erklärt, über einen solchen Rahmenvertrag
mit der Schweiz zu verhandeln. Dies, nachdem in Vorverhandlungen, die im
sogenannten ›Non-Paper‹ vom 13. Mai 2013 festgehalten sind, die drei tragenden Säulen, wie die
von Brüssel der Schweiz abgeforderte ›institutionelle
Einbindung‹ konkretisiert werden
soll, bereits festgeschrieben worden sind. Die drei Säulen lauten wie folgt:
Erstens erklärt sich die
Schweiz bereit, sämtliche EU-Beschlüsse, welche Sachverhalte
betreffen, die in heutigen oder zukünftigen bilateralen Verträgen und
Vereinbarungen geregelt worden sind oder noch geregelt werden, automatisch zu übernehmen. Die Schweiz verzichtet damit auf jede
Mitbestimmung zu Beschlüssen, die mit einem bilateralen Vertrag in
Verbindung gebracht werden können. Was Brüssel beschliesst wird automatisch
auch für die Schweiz als verbindlich anerkannt. Die Schweiz unterwirft sich
damit vorbehaltlos der Brüsseler Gesetzgebung.
Zweitens verpflichtet sich
die Schweiz dazu, bei allfällig auftretenden Meinungsverschiedenheiten über die
Auslegung bilateraler Verträge zu Einzelfragen den EU-Gerichtshof, also das
höchste Gericht der Gegenseite, entscheiden zu lassen. Dessen Entscheide seien
unanfechtbar und würden von der Schweiz vorbehaltlos anerkannt und vollzogen. Das EU-Gericht wird damit
auch für die Schweiz zum höchsten Gericht in Sachverhalten,
die in bilateralen Verträgen irgendwie und irgendwo berührt werden.
Drittens anerkennt die
Schweiz das Recht der EU, Sanktionen – also
Strafmassnahmen – gegen die Schweiz zu erlassen, wenn sie je einen
Entscheid oder ein Urteil des EU-Gerichtshofs nicht übernehmen kann. Dieser
Fall tritt insbesondere dann ein, wenn ein Schweizer Volksentscheid dem
Bundesrat verbietet, einen Entscheid oder ein Urteil aus Brüssel oder Luxemburg
unverändert zu übernehmen.
So lautet das Angebot, das der Bundesrat der EU mit dem Rahmenvertrag unterbreitet.
Alarmierender Vergleich Vergleicht man diese drei Zugeständnisse des Bundesrats an die EU mit der
vor 14 Jahren vom Bundesrat der Bevölkerung vermittelten Botschaft, wie die
Schweiz auf ›bilateralem Weg‹ ihre Unabhängigkeit bewahren wolle und könne, dann sind die Gegensätze
frappant: Im Jahr 2000 versprach der Bundesrat, die Schweiz bleibe unabhängig,
weil sie Brüsseler Recht und Brüsseler Gerichtsurteile als mit der EU bilateral
verkehrender Staat eben gerade nicht übernehmen müsse. Hingegen bietet der
Bundesrat im Rahmenvertrag von heute der EU genau das an, was gegen die Unabhängigkeit
gerichtet ist: Die automatische Übernahme von Brüsseler Gesetzen und Brüsseler
Beschlüssen und die Anerkennung des EU-Gerichtshofs als höchste Gerichtsinstanz
auch für die Schweiz. Der Bundesrat gefällt sich darin, diese sehr weitgehenden
Zugeständnisse als ›Erneuerung des
bilateralen Wegs‹ zu etikettieren.
Der Leser mag anhand der bundesrätlichen Aussagen, zwischen denen
lediglich 14 Jahre liegen, selber entscheiden, ob mit dem angebotenen
Rahmenvertrag tatsächlich eine Erneuerung und nicht weit eher die Zerschlagung,
der Verrat am bilateralen Weg der EU als Opfergabe dargebracht wird. Denn
dieser Rahmenvertrag macht all dem den Garaus, was vor 14 Jahren gemäss
Bundesrat die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Schweiz auf Dauer
garantieren sollen hätte.
Das
EU-Rahmenabkommen, führt Peter Aebersold aus, würde Schweiz in einen Satellitenstaat
der EU verwandeln: Einseitige Zugeständnisse der Schweiz haben die
Verhandlungsblockade mit der EU inzwischen wieder etwas gelockert, so dass nun
der Weg für das sogenannte ›Rahmenabkommen‹ frei ist. Dieser gefährliche Vertrag stellt einen schleichenden
EU-Beitritt dar. Die Schweiz wäre gezwungen, alle zukünftigen Änderungen bei
den rund 120 Verträgen mit der EU automatisch
- neuerdings heisst es im Orwell’schen Neusprech verharmlosend:
dynamisch - zu übernehmen. Eine Opposition
gegen Änderungen wäre zwar noch möglich, würde aber von der EU mit ›Ausgleichsmassnahmen ‹ - Neusprech für Sanktionen - bestraft. Bei Streitfällen würde der
Gerichtshof der EU (EuGH) als letzte Instanz bestimmen, wer recht hat. Bei dem
von Bundesrat Burkhalter behaupteten ›Schiedsgericht‹ handelt es sich lediglich um ein
zahnloses Schweizer Beurteilungsgremium und nicht um ein echtes
Schiedsgericht, bei dem beide Parteien gleichberechtigt an einem Tisch sitzen.
Der Lockvogel der EU für die Zustimmung zum EU-Schleichbeitrittsvertrag soll
ein weitergehender Zugang zum EU-Binnenmarkt sein, der für die Schweizer
Wirtschaft angeblich vorteilhaft wäre, tatsächlich jedoch einen Anschluss an
die EU wie der vom Volk 1992 abgelehnte EWR-Beitritt wäre.
Was ist der Plan des
Bundesrates? Die
Stellungnahmen des Bundesrates werden offenbar von Spindoktoren, die man
durchaus als ›Wahrheitsverdreher‹
klassifizieren kann, laufend ›bearbeitet‹. Die negativ behafteten Begriffe wie ›Übernahme fremden Rechts‹, ›automatisch‹ und ›Sanktionen‹ werden
durch positiv tönende und nichtsagende wie ›institutioneller
Vertrag‹, ›dynamisch‹ und ‹Ausgleichsmassnahmen‹ ersetzt. Ein juristischer Begriff wie
Schiedsgericht wird vom Bundesrat wahrheitswidrig als ein blosses ›Beurteilungskomitee‹ missbraucht. Der Bundesrat und die EU-Befürworter behaupten
gebetsmühlenartig, es würde sich beim Rahmenvertrag nicht um einen
schleichenden Beitritt handeln. Gleichzeitig weigert sich der Bundesrat, sein
Beitrittsgesuch, das im Mai 1992 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in Brüssel
deponiert wurde, zurückzuziehen.
Quelle:
Schweizerzeit Juni 2014
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